Zur Entwicklung des Trotzkismus

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Zu Manuel Kellners Buch “Trotzkismus. Einführung in seine Grundlagen — Fragen nach seiner Zukunft”

von Wolfram Klein, Stuttgart

Kellners Buch gliedert sich in sechs Teile und einen Anhang. Der erste Teil beschreibt “Trotzki als politische Persönlichkeit”, Der zweite analysiert “Trotzkistische Grundpositionen”. Die folgenden Teile behandeln die Entwicklung des Trotzkismus nach dem Zweiten Weltkrieg (einschließlich einem Exkurs zu Ernest Mandel) und “Trotzkismus heute, mögliche Rolle in der Zukunft”. Der Anhang enthält unter anderem Selbstdarstellungen von vier in Deutschland tätigen trotzkistischen Internationalen, einschließlich einer Darstellung des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) durch Sascha Stanicic.
Das Buch enthält über weite Strecken richtige Darstellungen, insbesondere von Trotzkis Leben und Tätigkeit und seinen Ansichten. Diese Rezension wird sich naturgemäß auf die Fragen konzentrieren, bei denen der Rezensent mit dem Verfasser nicht übereinstimmt.

Trotzkismus oder Trotzkismen? 
Das beginnt mit der Frage, was Trotzkismus eigentlich ist. Hier vertritt Kellner zwei mit einander unvereinbare Positionen. Auf der einen Seite betont er: “Was “Trotzkismus” genannt wird, ist keine exotische Spezialität mehr oder weniger geheimbündlerischer AnhängerInnen obskurer Lehren. “Trotzkismus” wurzelt tief in der Überlieferung der sozialistischen Bewegung, im politischen Denken und Treiben von Marx und Engels, in der jungen kommunistischen Weltbewegung, bevor sie von Stalin überwältigt wurde.” Der Trotzkismus war “keine abseitige Nebenströmung des Kommunismus”, sondern “umgekehrt die staatsoffiziellen Versionen des Marxismus Verballhornungen des authentischen marxistischen Sozialismus.” (S. 8) “Es handelt sich nicht um eine exotische Spielart des Kommunismus, sondern um eine Fortführung der klassischen marxistisch-sozialistischen Positionsbildung und um die Fortsetzung der Bestrebungen der Kommunistischen Internationale der ersten Jahre.” (S. 128) Diese richtige These wird im zweiten Teil für wichtige Einzelfragen wie “Übergangsforderungen”, permanente Revolution, Einheitsfront, Internationalismus belegt. Damit stimmt er völlig mit Trotzki selbst überein, der zum Beispiel schrieb: “Lässt man historisch Überholtes beiseite, so können wir unsere Arbeit für die IV. Internationale mit vollem Recht unter das Zeichen der “Drei L” stellen, nicht nur das von Lenin, sondern auch unter das von Luxemburg und [Karl] Liebknecht.” (Rosa Luxemburg und die IV. Internationale, 24. Juni 1935, in: Leo Trotzki, Schriften über Deutschland, Band 2, Frankfurt am Main 1971, S. 686-89, hier S. 689)
Welchen Sinn macht es dann aber zu sagen, dass man “über den “Trotzkismus” hinaus” (S. 7) müsse? Natürlich müssen wir die marxistische Methode auf neue Phänomene anwenden. Für MarxistInnen gibt es nie heilige Schriften, die ewige Wahrheiten enthalten. Im Kapitalismus sind seit Trotzkis Tod neue Phänomene aufgetaucht, die Trotzki nicht vorhergesehen hat und nicht vorhersehen konnte. Aber erstens sind die Grundwidersprüche des Kapitalismus gleich geblieben. Und wenn bürgerliche Ökonomen gelegentlich erstaunt feststellen, wie aktuell das Kommunistische Manifest ist, dann haben sie ausnahmsweise Recht. Und für Trotzkis um ein paar Jahrzehnte jüngere Schriften gilt das noch mehr. Daher mutet es auch seltsam an, dass Kellner Trotzkis Leben weitgehend in der Gegenwartsform schildert, obwohl es zweifellos Vergangenheit ist, während er seine Ideen, die zum großen Teil noch quicklebendig sind, in der Vergangenheitsform darstellt.
Zweitens ist das Problem des Trotzkismus nicht, dass trotzkistische Strömungen Ideen vertreten, die nicht mehr richtig sind, sondern dass die meisten Strömungen, die sich auf Trotzki berufen, der Herausforderung, die marxistische Methode auf neue Phänomene anzuwenden, nach Trotzkis Tod nicht gewachsen waren. Sie haben erst Trotzkis Aussagen zu heiligen Schriften umfunktioniert und sich an Zitate geklammert. Einzelne von ihnen machen das heute noch. Andere sind nach ein paar Jahren in das entgegengesetzte Extrem gefallen und haben sich politischen Modeströmungen angepasst. Dazu gehört auch die internationale Organisation, der Kellner angehört. Welchen Sinn macht es, von verschiedenen “Trotzkismen” zu reden, wenn man zugibt, dass deren Kompassnadel “manchmal in recht verschiedene Himmelsrichtungen” zeigt (S. 132). Der Sinn und Zweck eines Kompasses ist es, dass seine Nadel nach Norden zeigt. Eine Kompassnadel, die in eine falsche Richtung zeigt und eine falsche Sicherheit vorgaukelt, schadet mehr, als gar keine Kompassnadel zu haben. Wenn die Kompassnadeln verschiedener “trotzkistischer” Organisationen in verschiedene Richtungen zeigen, müssen wir mit Argumenten und den Erfahrungen im Klassenkampf klären, welche Strömung recht hat, statt den Mantel der Harmonie darüber zu breiten. Zur marxistischen Dialektik gehört auch, dass wir alle Phänomene danach betrachten, in welche Richtung sie sich entwickeln. Wenn Organisationen, die aus einer trotzkistischen Tradition kommen, sich wegen einem falschen Kompass in eine falsche Richtung bewegen, dann hilft die Etikettierung als “trotzkistisch” nicht für die Bewertung des Charakters dieser Organisationen. Deshalb scheint mir, dass weder “Stallgeruch” noch die Selbstbezeichnung “Trotzkist” ausreicht, sondern die Frage entscheidend ist, ob eine Organisation in der aktuellen Politik zwischen den Klippen von Opportunismus und Sektierertum den richtigen revolutionären Kurs hält. Natürlich können wir da zu verschiedenen Urteilen kommen, welche Organisationen das Etikett “trotzkistisch” verdienen und die Frage sollte mit Argumenten ausgetragen werden, nicht mit Beschimpfungen.
Kellner begeht obendrein noch folgende Inkonsequenz: Er sagt, dass seine Internationale nur noch “eine von mehreren international organisierten Strömungen [ist], die sich in der einen oder anderen Weise auf die trotzkistische Tradition beriefen” (S. 110) ist. Trotzdem verwendet er ihre Selbstbezeichnung, die Vierte Internationale zu sein. In dieser Rezension werde ich, wie innerhalb des CWI üblich, vom “Vereinigten Sekretariat” reden, wenn ich diese Organisation meine.

Was für eine Organisation brauchen wir?

Eine Hauptdifferenz zwischen uns besteht in der Frage des Charakters der revolutionären Organisation. Die Dritte und Vierte Internationale hatten den Anspruch, “Weltpartei der sozialistischen Revolution” (S. 78) zu sein. Kellner betont daran zu Recht den internationalen Charakter. Der Partei-Charakter verschwimmt bei ihm aber sehr.
Er schreibt richtig, dass Trotzki in den letzten Jahren seines Lebens für den Aufbau “revolutionärer Parteien und einer revolutionären Internationale” (S. 32) kämpfte und zitiert Trotzkis Äußerungen, dass dies “die bedeutendste Leistung meines Lebens darstellt, wichtiger als meine Tätigkeit im Jahre 1917, wichtiger als die Arbeit in der Zeit des Bürgerkrieges usw.” (zitiert S. 33) Kellner schreibt aber, dass dem “sicherlich nicht viele” zustimmen würden. Wenn er damit sagen will, dass es heute unter den sechs Milliarden Menschen “sicherlich nicht viele” TrotzkistInnen gibt, hat er leider Recht. Wenn er meint, dass auch viele TrotzkistInnen dem nicht zustimmen würden, geht er mit dem Etikett trotzkistisch zu freigiebig um.
Später schreibt er: “Eine recht enge Auffassung von internationaler Disziplin gehörte zum Erbe der Kommunistischen Internationale, die den föderativen Charakter der II. Internationale für deren Zusammenbruch zu Beginn des Ersten Weltkriegs mitverantwortlich gemacht hatte. Später sollte die IV. Internationale ihren Sektionen wesentlich mehr Autonomie zubilligen.” (S. 94) Das ist nur teilweise richtig. Richtig ist, dass die Kommunistische Internationale (Komintern) keine Föderation nationaler Parteien wie die II. Internationale sein wollte, sondern eine Weltpartei. Wenn man liest (z.B. in Trotzkis Sammelband “Fünf Jahre Komintern”), wie geduldig Trotzki jahrelang versuchte, führende Mitglieder der französische Sektion (für deren Betreuung er innerhalb der Komintern zuständig war) durch Argumente und immer wieder Argumente von den Beschlüssen der Weltkongresse zu überzeugen, dann ist klar, dass es neben Föderalismus und stalinistischem bürokratischem Zentralismus noch eine dritte Möglichkeit bestand: ein internationaler Zentralismus, der auf demokratischer Diskussion, demokratischen Beschlüssen und Überzeugungsarbeit von der Richtigkeit dieser Beschlüsse beruht statt auf bürokratischem Kommando, finanzieller Abhängigkeit, Cliquen und Intrigen. Richtig ist leider, dass Sinowjew als Vorsitzender der Komintern schon früh mit bürokratischen Manövern in die einzelnen Sektionen hinein”regierte” und damit den Stalinismus vorantrieb. Richtig ist auch, dass führende Mitglieder von Trotzkis IV. Internationale aus den stalinisierten Kommunistischen Parteien kamen und von deren Methoden beeinflusst waren. Das galt aber nicht nur für das Verhältnis zwischen der Internationale und ihren Sektionen, sondern auch zwischen den nationalen Führungen und den einzelnen Gruppen. Trotzki empörte sich schon 1931: “Manche oppositionellen Gruppen oder Grüppchen stellen eine Karikatur auf die offizielle Partei dar. Sie besitzen alle deren Laster, manchmal in übertriebener Form, haben aber nicht deren Vorzüge, die schon allein durch das Vorhandensein eines zahlreichen Arbeiterbestandes bedingt sind.” (Die Krise der Deutschen Linksopposition, in: Internationales Bulletin der Kommunistischen Linksopposition, Nr. 6, April 1931, Deutsche Ausgabe, S. 1, leichter zugänglich auf englisch in: Writings of Leon Trotsky 1930-31. New York 1973, S. 147-170, hier S. 147) Er habe “in den letzten zwei Jahren solche Methoden beobachtet, die absolut nichts gemein haben mit dem Regime einer proletarischen revolutionären Organisation. Mehr als einmal fragte ich mich mit Staunen: Hält man etwa solche Methode für Methoden der bolschewistischen Erziehung? Wie dulden intelligente deutsche Arbeiter Illoyalität und Eigenmächtigkeit in ihrer Organisation?” (S. 4 bzw. 152) “Man darf nicht vergessen, dass, wenn wir Zentralisten sind, so nicht anders als demokratische Zentralisten, wobei wir den Zentralismus für die revolutionäre Sache brauchen und nicht im Namen des “Prestiges” der Obrigkeit. Wer die Geschichte der bolschewistischen Partei kennt, der weiß, welche breite Autonomie die Lokalorganisationen stets genossen: sie gaben eigene Zeitungen heraus, in denen sie, wenn sie es für nötig fanden, offen und scharf die Handlungen des Zentralkomitees kritisierten. Hätte im Falle prinzipieller Meinungsverschiedenheiten das Zentralkomitee versucht, die Lokalorganisationen auseinander zu jagen, sie der Literatur, des Feuers und Wassers, zu berauben, bevor die Partei sich ausgesprochen hatte, ein solches Zentralkomitee hätte sich selbst unmöglich gemacht. Selbstverständlich, sobald es nötig war, wusste das bolschewistische Zentralkomitee zu befehlen. Aber man ordnete sich ihm nur deshalb unter, weil man die absolute Loyalität des ZK jedem Parteimitglied gegenüber kannte, die ständige Bereitschaft der Führung, dem Gerichte der Partei jegliche ernsthafte Meinungsverschiedenheit zu überantworten. Und schließlich, was das Wichtigste ist, das Zentralkomitee besaß eine ungeheure theoretische und politische Autorität, die es allmählich im Laufe einer Reihe von Jahren erworben hatte, nicht durch Kommando, nicht durch Niederschreien, nicht durch Zerschlagungen, sondern durch richtige Führung, überprüft durch die Tat in großen Ereignissen und Kämpfen.” (S. 7 bzw. 155)
Tatsächlich hat die Vierte Internationale und einige ihrer Sektionen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen bürokratischen Zentralismus praktiziert. Das Internationale Sekretariat unter Michel Pablo baute Oppositionsgrüppchen gegen die demokratisch gewählten Führungen der Sektionen auf (Healy in England in den Vierzigern, Cochran und Clarke in den USA Anfang der fünfziger Jahre etc.) und versuchte den Führungen der Sektionen bestimmte Taktiken aufzuzwingen. Diese Manöver waren der Hauptgrund für die Spaltung in Internationales Sekretariat und Internationales Komitee 1953. Denn die politischen Differenzen waren gering. 1963 schlossen sie sich wieder zum Vereinigten Sekretariat zusammen, der Strömung, der auch Kellner angehört, wobei kleinere Gruppen außerhalb blieben.
Inzwischen billigt das Vereinigte Sekretariat seinen Sektionen wie Kellner richtig sagt, “wesentlich mehr Autonomie zu”. Das heißt, es ist in das entgegengesetzte Extrem gefallen, praktisch zum Föderalismus der 2. Internationale zurückgekehrt, der damals ein nicht unwesentlicher Faktor für die Unterstützung der meisten ihrer Sektionen 1914 für die jeweiligen Regierungen im Weltkrieg war.
Am deutlichsten wurde das beim Vereinigten Sekretariat in den letzten Jahren in Bezug auf Brasilien sichtbar, wo ihre Sektion (Democracia Socialista, DS) sich an Lulas Regierung beteiligt. Als 1899 der französische Sozialist Millerand in eine bürgerliche Regierung eintrat, gab es in der Zweiten Internationale eine heftige internationale Diskussion in der Presse, in Versammlungen, auf Parteitagen und internationalen Kongressen (die Artikel, die Rosa Luxemburg damals schrieb, sind heute noch lesenswert und haben die DS-Rechtfertigungen für ihre Regierungsbeteiligung in Brasilien ebenso im voraus widerlegt wie zum Beispiel die deutschen PDS-Rechtfertigungen für deren Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern). Im Vereinigten Sekretariat wurde die Frage monatelang als “brasilianische Angelegenheit” abgetan. Im Frühjahr 2004 schrieben sie in ihrer Zeitschrift “Inprekorr” über ein Treffen ihres Internationalen Komitees Ende Februar 2004 zu Brasilien: “Diese Regierung wurde in dem internationalen Bericht als “einer der besten Schüler” des IWF bezeichnet, sie habe “sich der Logik der liberalen Gegenreform angepasst”.” Aber statt klar den Austritt der DS aus Regierung und PT (Arbeiterpartei) zu fordern, haben sie “beschlossen, eine internationale Diskussion über die Lage in Brasilien zu eröffnen und hierfür ein internes Bulletin einzurichten.” Ein Jahr später waren sie immerhin so weit, Posten in der Lula-Regierung für im Widerspruch “zum Aufbau einer mit ihren programmatischen Positionen übereinstimmenden Perspektive” zu finden. Dass DS-Abgeordnete im Parlament gegen neoliberale Maßnahmen der Lula-Regierung stimmen sollen, forderten sie immer noch nicht. Da sie die Mitgliedschaft in der PT nicht beenden wollen, hätten sie damit auch ein Problem. Denn die PT hat die Abgeordneten (u.a. Heloisa Helena von der DS), die gegen solche Maßnahmen gestimmt haben, ausgeschlossen.
Kellner selbst hatte die Erwartung, dass mit dem Rechtsrutsch von Lulas Arbeiterpartei (PT) “der DS wie der Linken insgesamt ein wiederum neuer Anlauf nicht erspart bleiben” werde. Inzwischen gibt es diesen neuen Anlauf mit der Gründung von P-SOL (Partei für Sozialismus und Freiheit), die eine der wichtigsten Fortschritte für Brasilien und ganz Lateinamerika in der letzten Zeit ist. Die sehr populäre Heloisa Helena hat bei der Gründung dieser Partei eine wichtige Rolle gespielt. Um sie herum hat sich eine “öffentliche Fraktion” der DS mit Namen Liberdade Vermelha (Rote Freiheit) gebildet — aber die DS-Führung sitzt weiter in der PT und der Regierung. Liberdade Vermelha warf ihr vor: “In Wirklichkeit hat also die Leitungsmehrheit der DS keinen Kampf um den Kurs der PT und der Regierung geführt, wie er auf unsrer Siebten Konferenz [November 2003] beschlossen worden war. Statt einen klaren Kampf gegen die Positionen des “Mehrheitslagers” der PT zu führen wie dies in den Resolutionen der Konferenz definiert worden war, wird die Zusammenarbeit mit der Gesamtheit der PT-Führung und somit mit dem “Mehrheitslager” gepflegt.” (zitiert in Inprekorr 392/93) So macht schließlich nicht nur jede Sektion, was sie will, sondern Fraktionen der gleichen Sektion machen ihre eigene Politik. Das “Internationale Komitee” des Vereinigten Sekretariats vom Februar 2005 hat diesen Zustand zur Kenntnis genommen und bekräftigt, dass alle Teile Mitglieder der Internationale mit gleichen Rechten sind. In dieser Resolution rechtfertigten sie, dass sie an die Regierungsbeteiligung nicht dogmatisch herangegangen waren, sondern die Besonderheiten des Landes und die Geschichte der PT berücksichtigt hätten. Dass Regierungsbündnisse mit kapitalistischen Parteien katastrophale Folgen haben, ist kein Dogma, sondern die internationale Erfahrung von über 100 Jahren Arbeiterbewegung, an der nirgendwo auf der Welt nationale Besonderheiten etwas geändert hätten. Diese “Besonderheiten” haben sich regelmäßig als opportunistische Ausrede erwiesen. Statt jahrelang die Verletzung von Grundprinzipien des Marxismus zu tolerieren oder zum Gegenstand einer ergebnisoffenen Diskussion zu machen, wäre es die Aufgabe einer revolutionären Internationale gewesen, die DS von Anfang an vor einer Regierungsbeteiligung zu warnen und der Opposition in ihr den Rücken zu stärken.
Kellner schildert die Internationalisierung von Protesten (z.B. Antikriegsdemonstrationen vom 15. 2. 2003) und Organisationsformen (z.B. Weltsozialforen) und sieht darin zu Recht eine Entwicklung, die uns entgegenkommt. Er macht aber, ebenso wie das Vereinigte Sekretariat, den Fehler seinerseits dieser Bewegung und ihren Schwächen zu weit entgegenzukommen. Er hofft, “dass sich antikapitalistisch gesonnene Kräfte zusammentun, um neue politische Formationen aufzubauen, die von vornherein pluralistisch zusammengesetzt sind. Ziel wäre dabei der Aufbau von Parteien und der Aufbau einer “Internationale”, die dem Projekt einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu Gunsten einer weltweiten und universal emanzipativen Entwicklung neue Glaubwürdigkeit verleihen” (S. 150) Wenn eine revolutionäre Internationale an so einer “Internationale” mitarbeitet und versucht, dort größere Kräfte von den revolutionären Lehren aus den vielen Niederlagen des 20. Jahrhunderts zu überzeugen, wäre das eine gute Sache. Denn Kellner hat recht, wenn er schreibt: “Es ist nicht vorstellbar, von ein paar Dutzend oder hundert Mitgliedern durch Gewinnung Einzelner zu handlungsfähigen Parteien zu kommen”. (S. 149) Wenn sich aber eine revolutionäre Internationale in so einer pluralistischen Internationale auflösen würde, wäre das ein gewaltiger Rückschritt. Kellners Formulierung und die seit Jahrzehnten vom Vereinigten Sekretariat betriebene Politik lässt aber befürchten, dass letzteres gemeint ist.

Der Beginn der Fehlentwicklung

Da Kellner nicht versteht, dass die Organisation, der er angehört, seit Jahrzehnten in wichtigen Fragen eine falsche Politik betreibt, versteht er natürlich auch nicht, wo diese Fehlentwicklung begann. Deshalb werden entscheidende Entwicklungen (Seite 80f.) in wenigen Sätzen abgetan. Er zitiert, dass Trotzki kurz vor seinem Tod schrieb: “Man muss sich auf viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte von Krieg, Aufständen, kurzen Zwischenspielen des Waffenstillstandes, neuen Kriegen und neuen Aufständen gefasst machen. Eine junge revolutionäre Partei muss sich an dieser Perspektive orientieren.” Trotzdem hätte “eine Reihe von trotzkistischen “Kadern’ mit bestimmten Fristen gerechnet”. Tatsächlich gab es Mitte der vierziger Jahre nicht eine lockere Diskussion zwischen trotzkistischen Kadern, sondern heftige Fraktionskämpfe, vor allem in den USA, Frankreich und Großbritannien. In einem der ersten Texte in dieser Auseinandersetzung hob Felix Morrow in den USA haargenau diese von Kellner wiedergegebenen Zitate hervor und forderte, dass die Politik der Internationale davon ausgehen müsse. Sein Text wurde der Mitgliedschaft monatelang vorenthalten und erst veröffentlicht, als eine Konkurrenzorganisation ihn zugespielt bekam und verbreitete. In der amerikanischen SWP wurde die Minderheit um Morrow und Goldman nach allen Regeln der Kunst niedergebügelt. Joseph Hansen schrieb zum Beispiel 1944 einen Text gegen sie, in der er anders als Kellner heute keineswegs die Notwendigkeit betonte, den Marxismus weiter zu entwickeln, sondern im Gegenteil “unabhängiges Denken” als ersten Schritt weg vom Marxismus verteufelte. Er schreckte in seinem Eifer nicht einmal davor zurück, auch den beschränkten Bürokraten Stalin zum “unabhängigen Denker” zu erklären. (Two Conceptions of our tasks, Internal Bulletin, VI. Jahrgang, Heft 6, Oktober 1944, S. 17-30, hier 22f.) Hansen blieb noch über vier Jahrzehnte lang einer der führenden Theoretiker und Polemiker von Kellners “Vierter Internationale”. Zu welchen Absurditäten die Weigerung führte, die Realität anzuerkennen, zeigte sich bald. SWP-Chef Cannon hielt eine Rede zum 38. Jahrestag der Russischen Revolution im November 1945. Trotzki hatte geschrieben, dass das Schicksal des Stalinismus im Zweiten Weltkrieg entschieden werde (durch Restauration des Kapitalismus oder Sturz der Bürokratie durch eine Arbeiterrevolution). Cannon erklärte das Fortbestehen der Sowjetunion jetzt einfach damit, dass er bestritt, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende war! Als Morrow im Parteivorstand beantragte, die Rede zu kritisieren, wurde das bei einer (Morrows) Gegenstimme nieder gestimmt. Da die Mehrheit Cannon inhaltlich nicht verteidigen wollte, beschuldigte sie Morrow, bei seinem Antrag fraktionelle Hintergedanken zu hegen. (Internal Bulletin, VII. Jahrgang, Nr. 11, November 1945)
Die falsche Position konnte sich in der amerikanischen SWP durchsetzen, weil die riesige Streikwelle 1945-46 scheinbar für sie sprach. Es gab einen großen Mitgliederzustrom. Für die neuen und unerfahrenen Mitglieder waren die rosigen Perspektiven der Parteiführung verständlicherweise attraktiver als das differenziertere und realistischere Bild der Opposition. Der oft (und auch von Kellner) als Argument für die politischen Fehler damals angeführte Aderlass des Trotzkismus durch die Verfolgungen der Nazis trafen natürlich für die USA nicht zu. Das kann nur erklären, warum sich die europäischen Sektionen die falsche Perspektive der SWP aufdrängen ließen.

Vom platten Optimismus zur Suche nach Abkürzungen

Der platte Optimismus der Führung der SWP und der Vierten Internationale geriet immer mehr in Widerspruch zur Realität. Je größer die Kluft wurde, desto verlockender wurde eine (scheinbare) Abkürzung. Als sie sich mit dem Bruch zwischen Tito in Jugoslawien und Stalin 1948 zu bieten schien, gab es für die Führung der Internationale kein Halten mehr. Nachdem sie sich jahrelang an Formulierungen Trotzkis geklammert hatten (und auch die optimistisch zurechtgebogen hatten), begannen sie jetzt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
In der April-1943-Ausgabe von “Fourth International”, der Theoriezeitschrift der SWP, hatte John G. Wright geschrieben: “Aber bei fortgesetzten Erfolgen der Roten Armee und einem günstigen Kräfteverhältnis gegenüber London und Washington ist die Sowjetisierung Jugoslawiens zusammen mit Teilen von Polen und Osteuropa selbst unter Stalin keineswegs ausgeschlossen.” (The Civil War in Yugoslavia, S. 111-115, hier S. 114) Diese im Allgemeinen durch die Geschichte bestätigte Prognose übersah ein entscheidendes Detail: In den Ländern, die von der sowjetischen Armee erobert oder von Partisanenarmeen befreit wurden und in denen später der Kapitalismus gestürzt wurde, wurden gleichzeitig alle unabhängigen Bewegungen der Arbeiterklasse unterdrückt. Von der Auflösung der Antifa-Komitees in Ostdeutschland bis zur Unterdrückung von Streiks in den chinesischen Großstädten 1949 bot sich das gleiche Bild. Erst wurden Koalitionsregierungen mit bürgerlichen Parteien gebildet, ein starker bürokratisierter staatlicher Unterdrückungsapparat aufgebaut und dann erst Maßnahmen gegen die Kapitalisten ergriffen. Dabei wurden (wie in Prag 1948) die ArbeiterInnen mobilisiert, aber immer darauf geachtet, dass diese Bewegung nicht außer Kontrolle geriet.
Trotzki hatte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs über die von der Sowjetunion besetzten Gebiete geschrieben: “Die ihrem Charakter nach revolutionäre Maßnahme der “Expropriation der Ausbeuter’” wird im vorliegenden Fall auf militärisch-bürokratischem Wege durchgeführt. Der Aufruf zur Selbsttätigkeit der Massen in den neuen Gebieten – und ohne einen solchen Appell, mag er noch so vorsichtig sein, kann das neue Regime nicht errichtet werden – wird zweifellos morgen von unbarmherzigen Polizeimaßnah­men unterdrückt werden, um der Bürokratie das Übergewicht über die aufgerüttelten revolutionären Massen zu garantieren. Dies ist die eine Seite der Sache. Doch es gibt auch eine andere. […] Das wichtigste Kriterium der Politik ist für uns nicht die Umwandlung des Eigentums­ auf dem einen oder anderen Teilterritorium, wie wichtig es an und für sich auch sein möge, sondern der Wandel in der Bewusstheit und Organisiertheit des internationalen Proletariats und die Steigerung seiner Fähigkeit, alte Errungenschaften zu verteidigen und neue zu machen. Unter diesem allein entscheidenden Gesichtspunkt und aufs ganze gesehen, ist die Politik Moskaus nach wie vor reaktionär und bleibt das Haupthindernis auf dem Wege zur internationalen Revolution. 
Unsere allgemeine Einschätzung des Kremls und der Komintern ändert jedoch nichts an dem speziellen Faktum, dass eine Verstaatlichung der Eigentumsformen in den okkupierten Gebieten für sich genommen eine progressive Maßnahme ist.”
 (Trotzki, Die UdSSR im Krieg, 25. 9. 1939, in: ders., Schriften 1.2, Hamburg 1988, S. 1272-1295, hier S. 1292f.)
Als 1944 die sowjetische Armee auf dem Balkan und in Polen neue Gebiete eroberte, wurden die reaktionären Methoden der stalinistischen Armeeführung und politischen Führung offensichtlich. Die SWP korrigierte ihre zu unkritische Einschätzung des Stalinismus, aber statt zu Trotzkis Position zurückzukehren, fiel sie ins entgegengesetzte Extrem: Sie hielt die Koalitionsregierungen mit bürgerlichen Parteien für einen Dauerzustand und rechnete überhaupt nicht mehr mit der Möglichkeit, dass in den eroberten Gebieten der Kapitalismus abgeschafft werden könnte. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt, dass Osteuropa weiterhin kapitalistisch sei.
Im Sommer 1948 warf der Bruch zwischen Stalin und Tito die Frage Osteuropas erneut auf. Wenn die Vierte Internationale ihre alte Analyse beibehalten hätte, hätte sie in dem Konflikt Partei für die Sowjetunion gegen Jugoslawien ergreifen müssen. Statt dessen erklärte sie Jugoslawien von heute auf morgen zu einem “relativ gesunden Arbeiterstaat“, einem Staat, der mehr oder wenig der Sowjetunion Anfang der zwanziger Jahre vor dem Sieg Stalins ähnele.
Kellner meint: Die trotzkistische Bewegung hätte “sich mit dem sektiererischen Ritual begnügen können, ihre Meinungsverschiedenheiten mit der titoistischen Führung auf kleinen Propagandaveranstaltungen und mit ihren bescheidenen publizistischen Mitteln kundzutun. Damit begnügte sie sich jedoch nicht.” (S. 84) Statt dessen organisierten sie praktische Solidarität bis hin zu Jugendbrigaden, die nach Jugoslawien geschickt wurden. In Deutschland beteiligten sie sich an der Unabhängigen Arbeiterpartei (UAP), die maßgeblich von Titoisten gegründet wurde und finanziell von Jugoslawien abhängig war.
Tatsächlich gab es noch eine dritte Position, die die Führung der Revolutionary Communist Party (RCP), der britischen Sektion der Vierten Internationale vertrat. Danach unterschieden sich die Sowjetunion und Jugoslawien nicht grundlegend. Beide waren stalinistische Staaten, deformierte Arbeiterstaaten, in denen der Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale und eine politische Revolution zum Sturz der Bürokratie notwendig war. Trotzdem sollte die Vierte Internationale nicht neutral sein. Bei dem Konflikt zwischen Tito und Stalin ging es vor allem um den sowjetischen Versuch, Jugoslawien zu bevormunden und wirtschaftlich auszubeuten, mit anderen Worten um die nationale Unterdrückung Jugoslawiens durch Stalins Sowjetunion. TrotzkistInnen müssen auf der Seite von unterdrückten Nationen gegen Unterdrückernationen Partei ergreifen, also in diesem Fall auf der Seite Jugoslawien ohne dabei Illusionen in die Methoden und Ziele Titos zu haben und zu schüren. Die RCP-Führung betrachtete den Bruch zwischen Tito und Stalin als historische Chance, um die ehrlichen revolutionären ArbeiterInnen in den stalinistischen Kommunistischen Parteien zu erreichen. Nachdem der Stalinismus weltweit jahrelang Jugoslawien als Musterland gefeiert hatte, warf er Jugoslawien plötzlich mangelnde Demokratie, Nationalismus und anderes vor. Der Großteil der Vorwürfe war gegenüber Jugoslawien berechtigt, gegenüber den anderen stalinistischen Staaten (angefangen mit der Sowjetunion) aber noch mehr. Tito antwortete mit ähnlich berechtigten Vorwürfen. Dass die Stalinisten sich jetzt gegenseitig vorwarfen, was bisher nur die TrotzkistInnen ihnen vorgeworfen hatten, war eine großartige Chance, in die stalinistische Propaganda eine Bresche zu schlagen und den Unterschied zwischen Stalinismus und wirklichem revolutionären Marxismus zu verdeutlichen. Die Führung der Vierten Internationale verspielte diese Chance. Sie versuchte, Tito und die stalinistischen Kader zu beraten, um ihn für den Trotzkismus zu gewinnen. Dabei dichtete sie ihnen revolutionäre Qualitäten an, die sie nicht hatten. Statt den Unterschied zwischen Stalinismus und revolutionärem Marxismus zu verdeutlichen, verwischten sie ihn. Manche gingen so weit, Tito zum “unbewussten Trotzkisten” zu erklären.
Tito wandte sich bei seinem Konflikt mit Stalin an den Imperialismus um Hilfe. Die deutsche UAP schloss die TrotzkistInnen mit sehr stalinistischen Methoden aus, weil sie das kritisierten. Kellner schildert das (S. 86f.), aber er kritisiert nicht den Fehler, der hinter diesem gescheiterten Manöver stand, die Suche nach Abkürzungen (das heißt: er kritisiert ihn nur bei anderen Organisationen, s. S. 139) Die “Vierte Internationale” kritisierte das auch nicht und wiederholte den Fehler seitdem in allen möglichen Spielarten.
Die Führung der RCP wurde aus der Vierten Internationale ausgeschlossen. Von ihr leitet sich das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) ab. Die Streitfragen, die bei Jugoslawien aufgekommen waren, tauchten bei China, Kuba, Vietnam etc. wieder auf. Regelmäßig hatte das Internationale bzw. ab 1963 Vereinigte Sekretariat eine zu unkritische Haltung gegenüber den Führungen nationaler Befreiungsbewegungen. Kellner korrigiert die Fehleinschätzungen nachträglich ein bisschen, weicht aber den entscheidenden Fragen aus. Richtig und notwendig war, zu erklären, dass der Sturz des Kapitalismus in diesen Ländern zwar einen gewaltigen Fortschritt darstellte, diese Regime aber trotzdem bürokratische Diktaturen waren, die früher oder später zu einer Fessel der wirtschaftlichen Entwicklung werden mussten und deren Sturz durch eine politische Revolution daher notwendig war.
Die Suche nach Abkürzungen führte das Vereinigte Sekretariat im Lauf der Jahrzehnte in verschiedene sektiererische und opportunistische Sackgassen. Am katastrophalsten war wohl die unkritische Haltung gegenüber Guerillabewegungen (oder gar Stadtguerilla und individuellem Terror). Kellner schreibt: “diejenigen Mitglieder der Vierten Internationale, die sich im bewaffneten Kampf in Lateinamerika engagierten, stießen bald auf die Grenzen des Konzepts. Ein Teil von ihnen starb im Kampf.” (S. 102) Das ist eine reichlich zurückhaltende Umschreibung dafür, dass eine Internationale, zu deren Vorgeschichte der jahrzehntelange Kampf von Lenin und Trotzki gegen die Taktik des individuellen Terrors der russischen Sozialrevolutionäre stand, jetzt zu Robin-Hood-Methoden griff. Oder wie soll man es nennen, wenn Mitglieder der “trotzkistischen” PRT-Combatiente in Argentinien Kapitalisten entführten, Lösegelder erpressten und das Geld unter die Armen verteilten? Durch solche Methoden wurde das Bewusstsein der Massen zurückgeworfen (die “Revolutionäre” handeln “stellvertretend für die Massen”) und begeisterte, aber unerfahrene und irregeleitete junge RevolutionärInnen verheizt.
Die ständige Suche nach Abkürzungen, die sich dann als Sackgassen erweisen, führt nach einer Weile zu Katzenjammer und zu einem gewissen Pessimismus. Das ist ein Grundzug von Kellner Buch. Schon im zweiten Absatz (S. 7) ist von “enttäuschten Hoffnungen” die Rede. Seit den Tagen von Marx und Engels wurden die Erwartungen von RevolutionärInnen bezüglich der notwendigen Zeiträume immer wieder enttäuscht. Es macht aber einen gewaltigen Unterschied, ob sich der Weg von Nahem als mühsamer erweist als von Weitem, oder ob man erkennen muss, dass man eine falsche Richtung eingeschlagen hat (oder es nicht einmal erkennt).

“Entrismus”

Kellner diskutiert auch die Arbeit des Internationalen Sekretariats in den fünfziger Jahren und die Taktik des “Entrismus”. Das steht für den Eintritt in sozialdemokratische oder stalinistische Parteien, um dort politische Arbeit zu machen. Das war zu bestimmten Zeiten eine sinnvolle Methode, die auch das CWI über viele Jahre praktiziert hat. So wie es das “Vereinigte Sekretariat” praktizierte, war es eine Variante der “Suche nach Abkürzungen”(die in diesem Fall in der opportunistischen Sackgasse landete). In England hatte das Internationale Sekretariat schon Mitte der vierziger Jahre die Idee des Entrismus propagiert. Dort hatte Lenin schon 1920 die Frage aufgeworfen. Kellner schreibt: “Die wichtigste “Besonderheit” der Labour Party, von der Lenin spricht, ist die kollektive Mitgliedschaft der Gewerkschaften in ihr, was deren Charakter als Arbeiterparteien unterstreicht.” (S. 93) Daran ist so ziemlich alles falsch. Erstens war die Besonderheit, die Lenin meint, die Mitgliedschaft politischer Organisationen wie der British Socialist Party (BSP) mit eigenen Strukturen an der Labour Party. In seiner “Rede über die Zugehörigkeit zur britischen Arbeiterpartei” auf dem II. Kongress der Komintern am 6.8.1920 sagte er: “Das ist eine sehr originelle Partei oder, richtiger gesagt, überhaupt keine Partei im üblichen Sinne dieses Wortes. Sie setzt sich aus Mitgliedern aller Gewerkschaftsorganisationen zusammen, so dass sie jetzt etwa vier Millionen Mitglieder zählt, und sie gewährt allen politischen Parteien, die ihr angeschlossen sind, genügend Freiheit.” (Lenin Werke, Band 31, S. 246-252, hier S. 249) Im Rest der Rede betont er die Mitgliedschaft der Gewerkschaften nicht weiter, hebt aber hervor, dass die BSP “nicht nur an den alten Arbeiterführern scharfe Kritik üben darf, sondern sie auch direkt und offen, unter Nennung von Namen als Sozialverräter bezeichnen kann”. Zweitens besteht die Kollektivmitgliedschaft von Gewerkschaften heute noch (nur dass sie kaum noch Einfluss nehmen können), trotzdem hat sich Labour in den neunziger Jahren in eine rein bürgerliche Partei verwandelt. Deshalb tritt das CWI in Großbritannien dafür ein, dass die Gewerkschaften ihre Beziehungen zu Labour kappen. Drittens war die Kollektivmitgliedschaft der Gewerkschaften für die Mehrheit der RCP ein Argument gegen Entrismus, weil sie die Möglichkeit bot, die Vorteile beider Taktiken zu haben: Die RCP war eine offene Partei, die InteressentInnen direkt ansprechen konnte, deren Mitglieder aber zugleich in den Gewerkschaften waren und in ihren Gewerkschaftsgliederungen zum Beispiel Anträge an die Labour Party stellen konnten, weil die Gewerkschaften ja Mitglied der Labour Party waren, so dass sie auch in die Labour Party hineinwirken konnten. Welche von beiden Taktiken richtig war, hing davon ab, wie viel politisches Leben es innerhalb von Labour oder in den Gewerkschaften gab. Viertens wurde unter dem Druck der Internationale die RCP gespalten und eine Minderheit unter Healy trat der Labour Party bei. Sie argumentierte aber nicht mit der “Besonderheit” der Labour Party, sondern mit völlig überspannten Erwartungen einer Radikalisierung innerhalb von Labour. Sie glaubten, der Dritte Weltkrieg stehe kurz bevor und werde zu einem linken Massenflügel führen und selbst linke Labour-Parlamentsabgeordnete näher an den Marxismus heranführen. Deshalb gründeten sie gemeinsam mit ihnen eine Zeitschrift (Socialist Outlook). Da der Weltkrieg nicht kam, näherten sich faktisch nicht die linken Labour-Abgeordneten den Trotzkisten an, sondern umgekehrt. Während Labour-Abgeordnete und ein linker Gewerkschaftsvorsitzender im “Socialist Outlook” regelmäßig ihre Ansichten verbreiten konnten, kam zum Beispiel das Thema Jugoslawien, das bei anderen Sektionen der Vierten Internationale damals eine große Rolle spielte, kaum vor. Das war die Folge davon, dass Healy & Co mit ihren linksreformistischen Verbündeten keine gemeinsame Position in dieser wichtigen Frage hatten.
In den fünfziger Jahren begannen andere Sektionen, die gleichen Methoden anzuwenden und mit linken Reformisten gemeinsame Zeitschriften zu gründen, zum Beispiel “Sozialistische Politik” (1954-1966) in Deutschland oder “La Gauche” bzw. “Links” in Belgien. (Im Unterschied dazu haben wir während unserer langen entristischen Arbeit immer eigene Zeitungen herausgegeben und unsere Ideen nicht versteckt.) Verbunden war dies wieder mit überspannten Erwartungen, denen die Wirklichkeit nicht entsprach. Wieder wurde die Kluft durch Anpassung an die linken Reformisten überbrückt. Kellner sagt selbst, dass die Entscheidung zum Entrismus “eine ordentliche Dosis Spekulation” (S. 94) enthielt.
Ende der sechziger Jahre gab es eine politische Radikalisierung (Stichwort Mai ’68). Das Vereinigte Sekretariat beendete den Entrismus und gründete offene Organisationen. Kellner kritisiert, dass dies in Deutschland zu spät geschehen sei, weshalb z.B. der Maoismus in der außerparlamentarischen Opposition Tausende von AnhängerInnen bekam. (S. 96) Er ignoriert dabei, dass ein Großteil dieser Radikalisierung bald in die Sozialdemokratie und die Jusos zurückströmte und dort zu einer gewaltigen Gärung führten. Unsere britischen GenossInnen konnten 1970 dort die Mehrheit der Jungsozialisten (Labour Party Young Socialists – LPYS) gewinnen und bis Mitte der achtziger Jahre von einhundert auf über 8.000 Mitglieder anwachsen. Gleichzeitig wuchsen wir von einer britischen Organisation mit ein paar Mitgliedern in Irland zu einer auf allen Kontinenten vertretenen Internationale an. Gemessen daran sind die Erfolge, die das Vereinigte Sekretariat durch seine Arbeitsmethoden erreichte, wesentlich bescheidener. Dass wir Anfang der neunziger Jahre, als die Arbeit innerhalb der Jusos unfruchtbar wurde, zu langsam reagierten, war dem gegenüber ein kleinerer Fehler.

Zwei Korrekturen

Eine Frage, in der Kellner eine falsche Position vertritt, ist die Frage der “Arbeiterregierung” bzw. “Arbeiter- und Bauernregierungen”. Er sagt, sie können “unter gewissen Umständen sogar zunächst von Parteien gebildet werden, die nicht für die sozialistische Revolution sind”. (S. 48) Später (S. 66) schreibt er in Bezug auf die Diskussion auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) (1922) von einer “auf eine Parlamentsmehrheit zurückgehenden gemeinsamen Regierung von (insbesondere sozialdemokratischen und kommunistischen) Parteien der Arbeiterbewegung”. Die Folge wären “Massenbewegungen, an deren Ende die Bildung von Räten und die Eroberung der politischen Macht stehen könnten”. Der Unterschied zwischen einer solchen und einer “Scheinarbeiterregierung” wäre, dass die Sozialdemokratie genügend unter dem Druck der eigenen Basis steht.
Hier verschiebt Kellner die marxistische Position. Als die SPD noch eine “Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung” war, war der Druck der Basis die Voraussetzung, dass sie überhaupt irgendwelche Verbesserungen durchgeführt hat. Aber eine parlamentarische Koalitionsregierung, die sich bei ihrer Politik auf den bürgerlichen Staatsapparat stützt, kann nie und nimmer mehr sein als eine “scheinbare Arbeiterregierung”. In der Resolution des 4. Kominternkongresses hieß es ausdrücklich: “Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie aus dem Kampfe der Massen selbst geboren wird, sich auf kampffähige Arbeiterorgane stützt, die von den untersten Schichten der unterdrückten Arbeitermassen geschaffen werden.” “Kampffähige Arbeiterorgane” wie Räte können also nicht am Ende einer Arbeiterregierung stehen, sondern müssen am Anfang stehen.
Ein Punkt, in dem Kellner unbedingt zugestimmt werden kann ist die Ablehnung der Vorstellung, dass das sozialistische Bewusstsein von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen wird. Diese Ansicht hat Lenin einmal (in “Was tun” 1902, Lenin Werke Band 5, S. 385, 394f.) unter dem Einfluss des damaligen SPD-Theoretikers Kautsky vertreten, sie aber später korrigiert und vor allem durch seine eigene Praxis widerlegt. Nach Lenins Tod wurde das in Vergessenheit geratene Zitat von den Stalinisten ausgegraben und diente als eine der Rechtfertigungen für ihre Diktatur über die Arbeiterklasse. Trotzki hat es in seiner Stalin-Biographie ausdrücklich für falsch erklärt. Trotzdem haben verschiedene trotzkistische Gruppen es sich gelegentlich zu eigen gemacht. Allerdings übertreibt Kellner etwas, wenn er umgekehrt behauptet, der Satz aus Marx” Feuerbachthesen, dass die Erzieher erzogen werden müssen, sei die “Geburtsstunde des Marxismus” (S. 9) Ebenfalls widersprechen würde ich, wenn er Lenin ein Schwanken zwischen Substitutionalismus (Stellvertreterpolitik) und “libertären” Ansichten attestiert und “Staat und Revolution” zu Lenins “am meisten “libertären’ Buch” erklärt (S. 23). Als “Libertäre” bezeichnen sich einige AnarchistInnen. Lenin hat von seinem Kampf gegen die “Komiteetschiks” innerhalb der Bolschewiki auf dem 3. Parteitag 1905 bis zu seinem Kampf gegen Stalin auf dem Sterbebett 1923 eine einheitliche Politik verfolgt. Dabei hat er, wie es seine Art war, das in der jeweiligen Situation Erforderliche scharf betont. Zur Zeit der Oktoberrevolution, als Lenin “Staat und Revolution” schrieb, sind die besten AnarchistInnen zu MarxistInnen geworden, aber nicht Lenin zum “Libertären”!

Warum die Zersplitterung?

Kellner versucht im letzten Teil seines Buches eine Erklärung für die große Zersplitterung des Trotzkismus zu finden. Da er das Problem nicht platt damit erklären will, dass alle anderen Strömungen von Verrätern geführt seien, vertieft er sich in die Psychologie von Kleingruppen. Er entwickelt vor allem zwei Argumentationen: wenn Kleingruppen wachsen wollen, sind ihre Mitglieder sich oft nicht einig, auf welchem Weg sie das erreichen können, streiten sich deswegen und spalten sich aus diesem Grund auch ziemlich leicht, da der Verlust eines Teils der Kleingruppe gemessen an dem erhofften Gewinn neuer Mitglieder akzeptabel erscheint. Zweitens schöpfen oft führende Mitglieder einer Kleingruppe sehr viel Selbstwertgefühl aus dieser Stellung und haben Angst, das bei einer Vereinigung zu einer größeren Gruppe zu verlieren.
Ich will nicht behaupten, dass an diesen Erklärungen überhaupt nichts dran sei, aber mir scheinen doch zwei Aspekte bedeutsamer:
Erstens die Frage des Programms und der Perspektiven. Trotzki sagte immer wieder, dass eine Organisation durch ihre zahlenmäßige Stärke bedeutsam sein könne oder durch ihre politische Klarheit. Daraus ergibt sich natürlich, dass die verhältnismäßig winzigen trotzkistischen Gruppen natürlich auf ihre politische Klarheit großen Wert legen müssen. Aber wenn sie sie gar nicht haben? Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein sorgte Trotzki mit seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung für ein bewunderswertes Maß an Klarheit. Und gerade im Zweiten Weltkrieg kam es unter den damaligen schwierigen Bedingungen zu Vereinigungen in mehreren Ländern. In den Niederlanden, Belgien und Frankreichs vereinigten sich Anhänger von Sneevliet, Vereeken und Molinier, die Mitte der dreißiger Jahre der trotzkistischen Bewegung angehört hatten, aber in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre mit ihnen gebrochen hatten, sich mit den Sektionen der Vierten Internationale. In Großbritannien vereinigten sich die beiden trotzkistischen Organisationen 1944. In den USA begannen 1945 Vereinigungsverhandlungen zwischen der trotzkistischen Socialist Workers Party und der 1940 von ihr abgespaltenen Workers Party, deren Erfolg mehrfach zum Greifen nahe schien. Damals wurde es noch als Abweichung von der Norm empfunden, wenn sich in einem Land mehr als eine Organisation auf Trotzki berief. Die große Zersplitterung der trotzkistischen Bewegung begann erst, als die Vierte Internationale nicht in der Lage war, sich in der Nachkriegssituation zurecht zu finden.
Zweitens hat Trotzki auch psychologische Faktoren herangezogen, um Konflikte und merkwürdige und wenig hilfreiche Verhaltensweisen in der trotzkistischen Bewegung zu erklären, aber nicht die Psychologie des Menschen an sich oder die Psychologie der Kleingruppe, sondern Klassenpsychologie, die Psychologie von ArbeiterInnen und vor allem von KleinbürgerInnen. Er ging davon aus, dass in den trotzkistischen Gruppen meist die soziale Zusammensetzung nicht dem Ideal von Arbeiterorganisationen entsprach, sondern oft der Anteil der KleinbürgerInnen und speziell kleinbürgerlichen Intellektuellen hoch war. Diese können eine positive Rolle spielen, aber nur wenn sie mit ihrer sozialen Herkunft brechen und sich ganz auf die Seite der Arbeiterklasse schlagen. Der lange Nachkriegsaufschwung der fünfziger und sechziger Jahre war keine günstige Zeit, sich in der Arbeiterbewegung zu verankern und die Organisationen zu “proletarisieren”. Dann kam die Studentenbewegung um 1968, an der sich zum Beispiel Kellners Vereinigtes Sekretariat mit großer Begeisterung beteiligte (S. 100f.). Die großen Bewegungen der ArbeiterInnen, die es damals auch gab (zum Beispiel in Deutschland gewerkschaftliche Mobilisierungen gegen die Notstandsgesetze 1968, Lehrlingsbewegung, eine Zunahme “wilder Streiks” von den “Septemberstreiks” 1969 bis zum Höhepunkt 1973 u.a.) wurden nicht in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt.
Verschlimmert wurde diese soziale Zusammensetzung noch dadurch, dass die heute von Kellner zu Recht kritisierte Vorstellung, das Klassenbewusstsein müsse von außen in die Arbeiterklasse getragen werden, damals kaum umstritten war und viele StudentInnen daraus das Recht ableiteten, ArbeiterInnen zu schulmeistern und für rückständig zu erklären, wenn denen das nicht schmeckte. Diese soziale Zusammensetzung und die von Trotzki und vielen vor ihm (der deutsche Marxist Franz Mehring schrieb schon 1905 eine Artikelserie, welche Rolle Intellektuelle in der Arbeiterbewegung spielen sollen und welche nicht) beschriebene Psychologie von Kleinbürgern und kleinbürgerlichen Intellektuellen ist wichtiger für die psychologische Seite der Erklärung als Kellners Kleingruppen-Psychologie.

Für wen ist das Buch geschrieben?

Ich habe zu Beginn dieser Rezension geschrieben, dass die ersten beiden Teile des Buchs über weite Strecken richtige Darstellungen enthalten. Das bedeutet leider nicht, dass sie auch leicht verständlich wären. Kellner schreibt in der Einleitung von “Leserinnen und Lesern […], die in der einen oder anderen Weise auf trotzkistische Aktive gestoßen sind — in den Gewerkschaften, in den neueren sozialen Bewegungen, in der politischen Bildungsarbeit — und sich dafür interessieren, wofür dieser ominöse “Trotzkismus’ eigentlich steht.” Mir scheint aber, dass man das weiter einschränken muss. Es gibt in diesen Organisationen und Bereichen eine ganze Reihe von Altlinken, die mit der marxistischen Ausdrucksweise vertraut sind, sich aber nie mit dem Trotzkismus wirklich auseinandergesetzt haben, weil der zu der Zeit, als sie aktiv geworden sind, verteufelt wurde. Wenn solche Menschen jetzt sich ernsthaft mit dem Trotzkismus beschäftigen wollen, finden sie in den beiden ersten Teilen viel Brauchbares.
Ich fürchte aber, dass LeserInnen, die nicht auf diese Weise “vorbelastet” sind, ein Problem damit haben, werden, dass zu viel angesprochen und zu wenig ausgeführt wird, dass ihnen Namen und Begriffe an den Kopf geworfen werden, ohne dass sie erklärt werden (oder erst viele Seiten später). Zum Beispiel heißt es S. 15, dass Trotzki im Gefängnis “Darwin, Michailowski, Plechanow — und Antonio Labriola” las. Wenn der Leser bzw. die Leserin bis Seite 51 durchhält, erfahren sie, dass Plechanow ein Theoretiker der russischen Sozialdemokratie und der “Papst” des russischen Marxismus war. Sonst werden die meisten nur mit dem Namen Darwin etwas anfangen können.
Mit der Aussage, dass die Sowjets in der russischen Revolution 1905 eine “alternative Staatsmacht vom Typ der Pariser Kommune” (S. 18) waren, werden viele LeserInnen wenig anfangen können. Dass damit Prinzipien wie Arbeiterlohn für Funktionäre und jederzeitige Abwählbarkeit gemeint sind, ist leider nicht allgemein bekannt. Die Erwähnung der “austromarxistischen Führer wie Victor Adler oder Otto Bauer” (S. 22) hilft in dieser Form noch weniger. Nach Trotzki war die Bezeichnung “Austromarxismus” eine “geographische Höflichkeit” für Ansichten, die in Wirklichkeit kein Marxismus sondern Pseudomarxismus waren. Die Beschreibung, dass diese Parteiführer umfassendes Wissen hatten und gelehrt waren, aber keine Revolutionäre, sagt das Wesentliche aus. Man braucht nicht noch einen Begriff einführen, den viele LeserInnen nicht kennen werden und der den mit ihm bezeichneten zu viel Ehre antut.
Auf der selben Seite wird Zimmerwald erwähnt, aber erst auf Seite 71 verraten, dass dort im Jahre 1915 eine Konferenz stattfand. Dass an dieser Konferenz SozialistInnen aus den gegeneinander Krieg führenden Parteien teilnahmen und gemeinsame Beschlüsse fassten, erwähnt er auch dort nicht. Auf Seite 24 schreibt er, dass Trotzki Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten wurde, ohne zu verraten, was ein Volkskommissar war.
Literarische Anspielungen tragen auch nicht zur Lesbarkeit bei. Es ist ja schön, dass Kellners Schillers Ballade “Die Kraniche des Ibikus” kennt, in der es heißt: “die Szene wird zum Tribunal”. Aber bei Schiller ging es darum, dass in einem Theater (Szene) Zuschauer ein Verbrechen ausplaudern und deshalb vor Gericht (Tribunal) kommen. Dass Trotzki seine Rolle als Angeklagter vor Gericht genutzt hat, um die Rätebewegung zu verteidigen und den Zarismus anzugreifen (S. 20), ist doch ein etwas anderer Vorgang. Geradezu peinlich wird es, wenn Kellner auf Seite 141 schreibt, die Formulierungen “unter sich keinen Sklaven” und “über sich keinen Herrn” aus Brechts “Einheitsfrontlied” stünden in der “Internationale”.

Das Buch ist erschienen im Schmetterling Verlag. Stuttgart 2004

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