„Fall Relotius“ oder mehr?

Quelle: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/image/title/SP/2018/52/2048 Urheber: Katja Kollmann, Johannes Unselt, Suze Barret, Iris Kuhlmann

Über die Rolle der Medien in der kapitalistischen Gesellschaft

Eine vorweihnachtliche Überraschung der besonderen Art erreichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Der Reporter Claas Relotius, soll über Jahre hinweg Artikel geschrieben haben, die deutlich von der Wahrheit abwichen. „Er schrieb über Leute, die er nicht getroffen oder sogar erfunden hatte, er beschrieb Szenen, die es so nie gab.“ (Stellungnahme der Chefredaktion des „Spiegel“ vom 20.12.18). Dieser „Fall“ hat nicht nur den „Spiegel“ aufgeschreckt, sondern die ganze deutsche Medienlandschaft.

Von Torsten Sting, Rostock

Der „Spiegel“ geht offensiv mit der Affäre um. Auf seiner Website nahm für einige Tage die Berichterstattung großen Raum ein, die Titelgeschichte des Wochenmagazins vor Weihnachten ist dem Fall gewidmet. Es werden Fehler eingeräumt und eine breite Untersuchung ankündigt. Bei den großen Verlagen schimmert weniger Schadenfreude durch, denn die Angst in den Strudel mitgerissen zu werden ist groß. Aus guten Gründen. Wird mit dieser Affäre doch die eh schon stark angeschlagene Reputation der Medien (und allgemein der Herrschenden) weiter untergraben. Zudem: Claas Relotius hat für fast alle großen, bundesweiten Zeitungen in den letzten zehn Jahren geschrieben und galt als einer der Shooting Stars der Branche, der viele Preise abgeräumt hat. Ob „Die Welt“, „FAZ“ oder „Die Zeit“. Sie alle haben jetzt „aufzuklären“, inwiefern der Autor in ihrem Namen, Märchen erzählt hat.

Veränderungen in der Medienlandschaft

In den letzten Tagen wurde viel über journalistische Standards, Moral und die Persönlichkeit des betreffenden Autors, aber weniger über die generelle Entwicklung der Branche geschrieben. Es stellt sich die Frage, was ist der Nährboden, auf dem der „Fall Relotius“ gedeihen konnte?

Mit dem Aufkommen des Internets hat sich insbesondere die Presselandschaft massiv verändert. Das klassische Printgeschäft geht deutlich zurück, die Anzeigenerlöse sinken tendenziell und setzen somit die Profitmargen unter Druck. Die online-Angebote können diese Entwicklung bei vielen Verlagen (noch) nicht ausgleichen. Eine Folge ist, dass einige Zeitungen komplett vom Markt verschwanden, zum Beispiel die deutsche Ausgabe der „Financial Times“. Andere renommierte Blätter, etwa die „Frankfurter Rundschau“ hangeln sich von einer Existenzkrise zur anderen. Diese Entwicklung hat den Konzentrationsprozess erhöht, Redaktionen wurden zusammengelegt. Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ oder die „Funke Mediengruppe“ sind Beispiele dafür. Innerhalb eines Verlages wird ein Großteil der Zeitung für mehrere Blätter zentral erstellt. Die Unterschiede schwinden und machen somit das Produkt noch weniger attraktiv, was zu weiteren Absatzeinbussen führt und den Druck auf die Belegschaften erhöht.

In den letzten zwanzig Jahren hat es bei vielen Verlagen massive Einsparungen beim Personal gegeben. Nur noch wenige Medien verfügen über ein ausgebautes Netz an eigenen Korrespondent*innen in aller Welt. Viele Journalist*innen sind nicht fest angestellt, sondern müssen sich als „Freie“ hart durch kämpfen. Das erhöht den Druck mit aufsehenerregenden Stories die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um Artikel auch verkaufen zu können.

Social Media

Die rasante Entwicklung der Social Media hat die Krise der klassischen Medien, weiter verschärft. Via Facebook oder Twitter ist es heute vielen Usern möglich selber „Nachrichten zu machen“. Die Schnelligkeit dieses Mediums verschärft den Druck, möglichst schnell am Markt zu sein, möglichst viele Klicks zu generieren um damit die Attraktivität der online-Angebote zu erhöhen und Werbeeinnahmen zu steigern. Auch das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“, ist dem allgemeinen Trend der Medien hinterhergelaufen. Schaut man sich die Titelgeschichten der letzten Jahre mal an, ist ein eindeutiger Trend zu spektakulären und reißerischen „Aufmachern“ festzustellen. Gerade im Hinblick auf die hochstilisierte Gefahr des Islamismus.

Alternative Medien

Die Arbeiter*innenbewegung und Linke hat allen Grund den Mainstream-Medien grundlegend zu misstrauen. Das bedeutet nicht, dass alles erstunken und erlogen ist, was uns präsentiert wird. Aber wir sollten uns die Nachrichten immer mit dem Wissen aneignen, dass diese nicht von „unabhängigen“ und „der Wahrheit verpflichteten Journalist*innen“ verkündet werden. Medien sind letztlich ein wichtiger Baustein für die Klassenherrschaft der Kapitalisten. Daraus kann es nur eine Schlussfolgerung geben. Die Gewerkschaften, DIE LINKE und soziale Bewegungen brauchen ihre eigenen Massenmedien. Ob klassisch gedruckt oder digital. Wir haben ein Interesse an der wahrheitsgetreuen Darstellung der Realität. Ist diese doch ein wichtiges Mittel um immer mehr Menschen wach zu rütteln, sie zu ermutigen für ihre eigenen Interessen und gegen den Kapitalismus zu kämpfen.