Feminismus für die 99 Prozent

Ein Manifest, die Welt zu verändern?

Welche Kraft braucht es, um die Diskriminierung und Spaltung zu beenden, die aufgrund das kapitalistischen Systems besteht? Können globale Frauenbewegungen zur entscheidenden Triebfeder für den Wandel werden? Ist die organisierte Arbeiter*innenklasse somit redundant? Christine Thomas rezensiert eine neue Veröffentlichung, die mit der Behauptung aufwartet, Antworten auf diese Fragen zu haben.

Christine Thomas, aus der Mai-Ausgabe der „Socialism Today“, Monatsmagazin der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der Sol und Sektion des CWI in England und Wales)

Am Internationalen Frauentag sind in diesem Jahr wieder Millionen von Frauen und Männern auf die Straße gegangen und haben sich ein weiteres Mal an weltweiten Protesten gegen geschlechtsspezifische Unterdrückung beteiligt. In einigen wenigen Ländern waren auch „feministische“ Streiks zum Bestandteil dieses Widerstands-Tages geworden ist. Kurz vor dem 8. März haben 24 prominente Autorinnen und Aktivistinnen aus neun Ländern eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in sie dazu dazu aufrufen, den feministischen Kampf auf eine neue Ebene zu heben. Vorgeschlagen wird darin die Organisation „transnationaler Treffen und Versammlungen der Bewegungen“ als „Notbremse“, „die in der Lage ist, den kapitalistischen Zug aufzuhalten, der mit voller Fahrt unterwegs ist und alles Humanitäre sowie den Planeten, auf dem wir leben, in die Barbarei treibt“.

Drei dieser Feministinnen, die Autorinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser, haben sich zusammengetan und gewissermaßen ein zuversichtliches Programm für die globale Frauenbewegung verfasst. Es ist ein feministisches Manifest für die viel zitierten 99 Prozent der Bevölkerung. Darin behaupten sie, die Bewegung erfinde und definiere alles neu: den Streik, die Arbeiter*innenklasse und den Klassenkampf. Das sind mutige Thesen. Während es in diesem Manifest einiges gibt, das wir unterstützen würden, so weist es dennoch politische und theoretische Schwächen auf, die die weltweiten Frauenbewegungen durchdringen und von denen sogar einige Marxist*innen beeinflusst werden.

Die Autorinnen positionieren sich eindeutig auf dem antikapitalistischen Flügel der Bewegung. Der Kapitalismus, so argumentieren sie, wird bestimmt von einer schonungslosen Jagd nach Profit und nährt sich selbst durch die Ausbeutung der Arbeitskräfte und der Selbstbedienung in der Natur, an öffentlichen Gütern und unbezahlter Arbeit. Die aktuelle Krise findet nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene statt sondern ist als systemisch zu bezeichnen. Es handelt sich demnach um eine Krise, die zeitgleich in den Bereichen Ökonomie, Ökologie, Politik und sowie der gesellschaftlichen Reproduktion stattfindet. Diese Krise „epochalen Ausmaßes“ führt zum Absturz der Lebensstandards, einer drohenden Umweltkatastrophe, verheerenden Kriegen, massenhafter Flucht, Rassismus, Xenophobie und einer Rücknahme hart erkämpfter sozialer und politischer Rechte. Der Feminismus für die 99%, so halten sie entgegen, muss antirassistisch, anti-imperialistisch, gegen den Krieg, öko-sozialistisch und – vor allem – antikapitalistisch sowie internationalistisch sein.

Die Autorinnen des Manifests verorten die geschlechtsspezifische Unterdrückung ganz klar in den Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft. Sie liegen richtig, wenn sie sagen, dass der Kapitalismus die Unterordnung der Frau nicht erfunden hat, weil sie bereits in verschiedenen Formen in allen vorangegangenen Klassen-Gesellschaften existiert hat. Doch der Kapitalismus verfügt über seine eigenen, modernen Formen des Sexismus, untermauert von neuen institutionellen Strukturen. Geschlechtsspezifische Gewalt basiert auf hierarchischen Machtstrukturen, die die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht mit der Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ und zur gesellschaftlichen Klasse verknüpft. Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt muss daher systemisch geführt, und mit dem Kampf für Reformen auf rechtlicher Ebene und mit einer „exit option“ für Überlebende (Flüchtlinge, Wohnraum usw.) sowie mit dem Kampf gegen jegliche Form von Gewalt in der kapitalistischen Gesellschaft verbunden werden.

Auf gleiche Weise kann der Kampf, um die Sexualität vom „Zeugungsakt, normativen Familienstrukturen und an die Klassen-Zugehörigkeit und das Geschlecht geknüpfte Restriktionen sowie vom Rassismus“ und vom „Konsumdenken“ zu befreien, sich nicht darauf beschränken, Gesetze zu sichern. Die strukturellen Bedingungen dürfen nicht unangetastet bleiben. Sexualität zu befreien erfordert „eine nicht-kapitalistische Form von Gesellschaft, die die materielle Grundlage für die sexuelle Befreiung sicherstellen kann“. Gerechtigkeit im Reproduktionsprozess kann nicht isoliert betrachtet werden von der Forderung nach einer kostenlosen und für alle zugänglichen Gesundheitsversorgung, die nicht am Profit ausgerichtet ist. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit sollte nicht dazu führen, dass alle zu den gleichen schlechten Bedingungen arbeiten. Die Forderung nach Lohngleichheit sollte verbunden werden mit der Forderung nach einem großzügigen Mindestlohn, Arbeitnehmerrechten und neuen Wegen zur Organisation der Haus- und Pflegearbeit. Die Emanzipation auf rechtlicher Ebene muss Hand in Hand gehen mit der Bereitstellung einer öffentlichen Daseinsversorgung und sozialem Wohnungsbau. Kurz: „Ohne den Rückbau des Kapitalismus kann die sexuelle und geschlechtsspezifische Unterdrückung nicht beendet werden“.

Besondere Kritik üben die Autorinnen an der liberalen (bürgerlichen) Form des Feminismus. Hierbei geht es um den „konzernfreundlichen Feminismus“ von „facebook“-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg, die Frauen ermahnt, sich näher an die Chefetagen der Unternehmen heranzuwagen. Dieser „Feminismus der oberen 1%“, sagen Arruzza, Bhattacharya und Fraser, führt nur dazu, dass Frauen der herrschenden Klasse die gleichen Möglichkeiten wie die Männer ihrer gesellschaftlichen Klasse haben, um die Ausbeutung am Arbeitsplatz und gesellschaftliche Unterdrückung zu verwalten. Demgegenüber zielt der Feminismus der 99 Prozent darauf ab, die Anliegen der verarmten Frauen, der Frauen aus der Arbeiter*innenklasse, aus ethnischen Minderheiten und Frauen aus den migrantischen Communities in den Vordergrund zu rücken.

Die Autorinnen liegen völlig richtig, wenn sie über die „zunehmende Abgrenzung“ zwischen Frauen aus der Oberschicht und dem Leben der Mehrheit schreiben. Und es ist sicherlich auch wahr, dass die kapitalistische Krise offenbart hat, wie bankrott der liberale Feminismus in den Augen vieler Frauen ist. Zu sagen, dass der liberale Feminismus bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 „sein Waterloo erlebt“ hat, als Hillary Clinton die weibliche Wählerschaft nicht motivieren konnte, ist allerdings eine Übertreibung und unterschätzt gleichzeitig die Rolle, die liberale Feminist*innen in einigen Frauenbewegungen in der Welt noch spielen werden. Letzteres gilt vor allen Dingen für die USA selbst, wo die drei Autorinnen aktiv sind. Die Krise hat der Unterstützung für liberalen Feminismus sicherlich einen Dämpfer verpasst. Diese Spielart des Feminismus ist am Boden, aber nicht bereits vollkommen überwunden, und sozialistische Feminist*innen müssen ihr mit aller Kraft entgegengetreten.

Theorie der sozialen Reproduktion

Das Manifest ist geprägt von der „Theorie der sozialen Reproduktion“, die auch unter dem Begriff „people making“ firmiert, und ihrer Bedeutung für das „profit making“. Es handelt sich hierbei um eine vergleichsweise breit angelegte Theorie mit zahlreichen Varianten. Ein Aspekt bezieht sich dabei allerdings auf die unbezahlte Arbeit, die im familiären Bereich verrichtet wird. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Industriekapitalismus also eine Trennung zwischen bezahlter Arbeit, die außerhalb der Familienhaushalte verrichtet wird, und unbezahlter Arbeit, die in der Familie von Frauen ausgeübt wird, vollzogen hat. Diese Arbeit sorgt für den Erhalt der aktuellen Generation an Arbeitskräften und das Aufziehen der nächsten, wobei die Haltungen und Werte, die für das Funktionieren des kapitalistischen System zweckmäßig sind, weitergegeben werden. Es sei diese geschlechtsspezifische Aufteilung der Arbeit, die zum Unterbau für die untergeordnete Rolle der Frau in der Gesellschaft geworden ist. Und der Kapitalismus stützt sich bis heute auf die Haushaltsführung und Erziehung in der Familie, die vornehmlich ohne Anerkennung bleiben und in hohem Maße ans weiblich Geschlecht gekoppelt sind.

Diese Analyse stimmt in weiten Teilen mit dem überein, was wir in früheren Artikeln schon in der „Socialism Today“ geschrieben haben. Ein Teil der häuslichen Arbeit ist vom Kapitalismus zur Ware gemacht worden. Dennoch existiert, wie die Autorinnen geltend machen, ein klarer Unterschied zwischen wohlhabenden Frauen und Frauen aus armen Schichten bzw. der Arbeiter*innenklasse. Während erstere in der Lage sind, für andere (üblicher Weise ärmere Frauen) zu zahlen, damit diese ihre Häuser putzen oder für ihre Kinder oder die pflegebedürftigen Eltern sorgen, sehen sich letztere in zunehmendem Maße gezwungen, doppelte Arbeit zu verrichten. Durch den Einsatz eines „Rechners für unbezahlte Arbeit“, die auf Einkünften im Dienstleistungssektor basiert, ist das „UK Office for National Statistics“ zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Wert der unbezahlten im Haushalt verrichteten Arbeit im Jahr 2014 in Großbritannien (inklusive Heimwerker-Arbeiten) auf insgesamt über eine Billiarde brit. Pfund belief. Das entspricht 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 60 Prozent dieser Arbeit wurde demzufolge von Frauen verrichtet.

Über die Jahre hat es etliche Versuche gegeben, mit denen die Bedeutung der Reproduktion hervorgehoben werden sollte, um diese innerhalb eines marxistischen Rahmens mit der kapitalistischen Warenproduktion in Verbindung zu setzen und Lösungen zur Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung anzubieten. Während für Karl Marx nur Waren (inklusive der Dienstleistungen), die auf dem Markt verkauft werden, einen Tauschwert haben, haben Mariarosa Dalla Costa und andere „autonom-marxistische Feminist*innen“ in den 1970er Jahren versucht, Marx zu überarbeiten, indem sie einwendeten, dass unbezahlte häusliche Arbeit nicht nur einen Gebrauchswert sondern auch einen Tauschwert hat. Davon abgeleitet ist diese Arbeit ein Teil der ökonomischen Beziehungen im Kapitalismus. Diese verkehrte Interpretation der marxistischen Wirtschaftslehre bildete die theoretische Grundlage für die „Lohn für Hausarbeit-Kampagne“, die in jener Zeit aufkam.

Wir haben die Forderung abgelehnt, Hausarbeit zu entlohnen. Unsere Kritik daran begründeten wir nicht allein mit unserem theoretischen Blickwinkel sondern auch deshalb, weil diese Forderung die Geschlechter-Stereotype sowie die traditionelle Rolle der Frau als Pflegepersonal und Hausarbeiterinnen im Endeffekt verstärkt. Stattdessen haben wir die Forderung nach einer Vergesellschaftung der unbezahlten Arbeit aufgestellt, die im Haushalt ausgeübt wird. Demzufolge muss die Hausarbeit von öffentlich zugänglichen Diensten übernommen werden: Kinderbetreuung, Altenpflege, öffentliche Restaurants etc. Damit einhergehen muss natürlich ein garantiertes und angemessenes Mindesteinkommen für diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sind, Zugang zu einem bezahlten Arbeitsverhältnis zu bekommen.

Frauen im Streik

Die „Theorie der sozialen Reproduktion“, wie sie von den Autorinnen des nun vorliegenden Manifests interpretiert wird, legt nicht dar, dass unbezahlte Hausarbeit einen Tauschwert hat. Dennoch wird darin angeführt, dass das Funktionieren des Kapitalismus zutiefst von dieser abhängt, da sie die Arbeitskraft der Arbeitskräfte erschafft, aufrecht erhält und wiederherstellt. Und die zuletzt Genannten sind es schließlich, die den Mehrwert erschaffen, aus dem sich der Profit der Kapitalist*innen generiert. Indem sie sich auf diese Theorie stützen, argumentieren die Autorinnen, dass die globalen Frauenbewegungen am letzten 8. März den Klassenkampf durch die „Neuerfindung“ des Streiks aus dem „engen“, „althergebrachten“ marxistischen Korsett der Lohnausbeutung am Arbeitsplatz herausbefördert haben. Das ist eine reduktionistische Konzeption des Klassenkampfs, die wie niemals geteilt haben.

Wenn Frauen sich „nicht nur bei bezahlter Arbeit, sondern auch bei Hausarbeit, Sex und Lächeln“ zurückhalten, so geht aus dem Manifest hervor, dann machen sie die unbezahlte Arbeit sichtbar und verdeutlichen, welche enorme Macht sie potentiell haben. Schließlich sei es die Frau, „deren bezahlte wie unbezahlte Arbeit die Welt am Laufen hält“. Es ist zwar immer hilfreich und wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie der Kapitalismus finanziellen wie ideologischen Nutzen ebenso aus der unbezahlten Arbeit von Frauen in der Familie wie auch aus der Rolle zieht, die diesem Umstand zukommt, wenn es um die Aufrechterhaltung und Verstärkung der Unterdrückung von Frauen geht. Die Einschätzung der Autorinnen, was die Wirksamkeit des Streiks im Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion angeht, ist jedoch bei weitem übertrieben. Um es ganz offen zu sagen: Wer nimmt denn Notiz davon, wenn Frauen nicht kochen oder putzen, sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern oder einen Tag lang Sex verweigern? – Lediglich ihre engsten Familienangehörigen und ihr persönliches Umfeld! Wenn man die Idee eines Streiks in der Reproduktionstätigkeit aufwirft, so kann das eines gewissen propagandistischen Wert haben. Der Vorschlag ist aber kein Beitrag, der den Weg zur Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in puncto Hausarbeit weisen könnte.

Es ist auf jeden Fall eine positive Entwicklung, dass die Idee des Streiks seit 2017 zum zentralen Aspekt des 8. März geworden ist, der damit die Blumen- und Aromatherapie abgelöst hat, welche den Weltfrauentag in vielen Ländern schon fast zu einem zweiten Muttertag gemacht zu haben schien. Mit dem Streik kommt es zu einer Rückbesinnung auf die Geschichte und die kämpferischen Wurzeln des Klassenkampfs, die der Internationale Frauentag hat. Das Manifest nimmt allerdings keine klare Unterscheidung zwischen dem Streik auf reproduktiver Ebene und dem im Betrieb vor, als seien beide gleichwertig und gleich effektiv.

Am diesjährigen 8. März wird niemand Notiz von nicht geputzten Haushalten und nicht zubereiteten Mahlzeiten genommen haben. Sehr wohl aber davon, dass in einigen Städten keine Busse und Züge gefahren sind. Die Verweigerung bezahlter Arbeit – auch wenn es nur für einen Tag geschieht – kann gerade deshalb effektiv sein, weil damit die Abläufe im kapitalistischen System zum Erliegen kommen oder zumindest in Frage gestellt und weil damit die Profite geschmälert werden. Auf diese Weise bekommen die abhängig Beschäftigten – ganz gleich ob männlich oder weiblich – einen Eindruck davon, welche kollektive Macht sie eigentlich haben. Darüber hinaus wird so die zentrale Rolle klar, die die Kolleg*innen spielen können und müssen, um dieses System zu beenden, das nur Ausbeutung und Unterdrückung hervorbringt.

Im Vergleich zu einem unbefristeten Streik, der so lange fortgesetzt wird, bis die Forderungen der Arbeiter*innen erfüllt sind, ist auch der eintägige Streik eine angemessene Protestform. Ein höheres Niveau wäre natürlich erreicht, wenn es zum Generalstreik kommt, der auf die Frage zuläuft, die bislang ohne Antwort geblieben ist: Wer hält die Gesellschaft am Laufen – die Kapitalist*innen oder die Arbeiter*innenklasse? Für die Autorinnen des Manifests hat der Streik hingegen einen rein symbolischen Wert, mit dem das Problem der Unterdrückung der Frau herausstellt wird, der jedoch nicht zum Bestandteil einer Strategie wird, um dieses Problem zu beenden.

Forderungen nach Soziallohn

Konfuser wird es, wenn die Autorinnen ihre Definition dessen darlegen, was die gesellschaftliche Reproduktion jenseits der unbezahlten Hausarbeit ausmacht. Wir würden zustimmen, dass vergangene Kämpfe, die in reicheren Ländern von der Arbeiter*innenklasse geführt worden sind, ein wichtiger Faktor gewesen sind, um den Staat zu zwingen, die Verantwortung für einige Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion zu übernehmen, die zuvor in den „privaten“ Haushalten bedient worden sind. Dies ist in der Form von Sozialleistungen geschehen (z.B. für Rentner*innen, Erwerbslose oder über das Kindergeld) oder durch öffentliche Dienstleistungen. Marx betrachtete diese Arbeit als „unproduktiv“ – auf gar keinen Fall im abwertenden Sinn sondern insofern, als dass durch sie keine Waren produziert werden, die dann in den Verkauf gehen und aus der sich somit ein Mehrwert ableiten lässt. Dennoch ist sie Bestandteil des „Soziallohns“, einer Leistung für die abhängig Beschäftigten, die über Steuern aus dem Gesamt-Mehrwert finanziert wird, den sie selbst geschaffen haben.

Angesichts einer Profitabilitätskrise und aufgrund des zu Ende gehenden Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Kapitalist*innen und ihre politischen Repräsentant*innen einen gnadenlosen Feldzug begonnen, der sich nicht nur gegen die Löhne und die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen beschränkt, sondern auch gegen den Soziallohn. Diese Angriffe sind durch die Austeritätspolitik verschärft worden, die seit der Wirtschaftskrise von 2008 in vielen Ländern losgetreten worden ist. Durch Kürzungen und Privatisierungen im Bereich der staatlichen Dienst- und Sozialleistungen sind die Kapitalist*innen in zweierlei Hinsicht erfolgreich gewesen: Auf diese Weise haben sie sowohl ihren Anteil am Steueraufkommen reduziert als auch diese Form von Arbeit zur Ware gemacht. Das hat neue profitable Märkte geschaffen, die sie ausbeuten können. Die Menschen (und vor allem die Frauen) aus der Arbeiter*innenklasse sind dadurch in eine unhaltbare Situation geraten. Sie müssen nun für Dienstleistungen zahlen, die plötzlich als Ware angeboten werden, und sollen dies mit Löhnen oder Sozialleistungen bewältigen, die heruntergefahren worden sind. Die Alternative besteht nur noch darin, dass sie die entsprechenden Aufgaben als zusätzliche Bürde selbst tragen, normalerweise zusätzlich zu ihrer außerhalb des privaten Haushalts bezahlten Arbeit.

Es ist daher nicht überraschend, dass einige der am energischsten geführten Kämpfe in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Verteidigung der öffentlichen Daseinsversorgung ausgefochten wurden. Auch ist es nicht verwunderlich, dass gerade die Frauen aus der Arbeiter*innenklasse an der Spitze dieser Kämpfe stehen. Weil Frauen immer noch den Großteil der Verantwortung für die Haushaltsführung und die Fürsorge noch nicht unabhängiger Haushaltsmitglieder übernehmen, haben sie mehr mit staatlichen Dienstleistungen und Dienstleister*innen zu tun und sind stärker auf sie angewiesen. Diese gesellschaftliche Rolle erklärt auch, weshalb der Anteil der Frauen bei sozialen Kämpfen vor Ort oft so hoch ist. Dasselbe gilt für Kämpfe für den Umweltschutz, zur Verteidigung von Wohnraum oder zu ähnlichen Problemen, die mit „Konsumption“ zu tun haben. Und weil Frauen in vielen Ländern einen bedeutenden Teil der Erwerbstätigen im öffentliche Dienst ausmachen, standen sie bei Streiks in diesem Sektor an vorderster Front.

Häufig – darauf weisen die Autorinnen in ihrem Manifest hin – ist es dazu gekommen, dass Nutzer*innen und Anbieter*innen solcher Dienstleistungen in gemeinsamen und vereint geführten Kämpfen zusammengekommen sind. Die Lehrkräfte, die sich in mehreren US-Bundesstaaten an der jüngsten beeindruckenden Streikbewegung beteiligt haben, haben Forderungen nach besserer Bezahlung für die Beschäftigten mit Forderungen nach einer besseren finanziellen Ausstattung der Schulen insgesamt verbunden. Die streikenden Krankenpflegerinnen und Hebammen in Irland haben dasselbe gemacht, als sie sich sowohl auf die Bezahlung als auch auf die Finanzierung des Gesundheitssystems bezogen haben. Das alles ist aber nicht neu.

Seit der Schaffung des Sozialstaats haben die Menschen aus der Arbeiter*innenklasse heftige Kämpfe geführt, um den Bereich der öffentlichen Dienstleistungen auszuweiten bzw. zu verteidigen. Der Anteil, den die Frauen an diesen Kämpfen hatten, ist immer sehr hoch gewesen. Dennoch handelt es sich dabei nicht um eine besondere Form „feministischer“ Kämpfe oder ein Bestreiken der „gesellschaftlichen Reproduktion“. Es ging und geht immer um Kämpfe zur Verteidigung und Ausweitung des Soziallohns. Als solche sind sie Bestandteil des Klassenkampfs, bei dem es sich um einen vereinten Kampf der Arbeiter*innenklasse handeln muss, wenn er erfolgreich sein soll. Die Autorinnen sagen, sie wollen gesellschaftliche Reproduktion und Produktion zusammenbringen. In Wirklichkeit stellen sie aber eine falsche Gegensätzlichkeit her. Sie stellen das, was sie als neue, radikale und progressive feministische Kämpfe um die gesellschaftliche Reproduktion erachten, in Kontrast zu den „nachlassenden“, „früher einmal mächtigen“ betrieblichen Kämpfen der Gewerkschaften im männlich dominierten verarbeitenden Gewerbe. Darüber hinaus ist klar, dass die Autorinnen kein Vertrauen in den zuletzt genannten Bereich haben, wenn es um künftige Kämpfe geht.

Das Kräfteverhältnis

Folgt man dem Manifest, so sind die Klasse und der Klassenkampf für den „Feminismus für die 99 Prozent“ zwar wichtig, die beiden Kategorien können aber nicht länger in herkömmlicher Weise betrachtet werden. Die globale Frauenbewegung verändere demnach die Auffassung von beidem. Im Gegensatz zu den „mythischen Marxisten“, wie sie im Manifest bezeichnet werden, sind wir nicht der Ansicht, dass die globale Arbeiter*innenklasse nur diejenigen umfasst, die einer Lohnarbeit nachgehen. Zur Arbeiter*innenklasse zählen auch Erwerbslose, Rentner*innen, Pfleger*innen und die Familien von Arbeiter*innen. Genauso wenig betrachten wir die Arbeiter*innenklasse als „undifferenzierte, homogene Einheit“ oder hegen die Annahme, dass es sich bei „den Arbeiter*innen“ nur um aufrechte, weiße Männer handelt, die in Fabriken arbeiten. Die kapitalistischen Prozesse, zu denen es in den letzten Jahrzehnten gekommen ist, haben ganz erheblich dazu beigetragen, dass sich die Zusammensetzung der Arbeiter*innenschaft in vielen Ländern merklich verändert hat. Der Dienstleistungssektor ist größer geworden, Arbeit ist prekärer geworden und Frauen haben heute zahlenmäßig einen viel größeren Anteil an der Gesamtheit der Erwerbstätigen.

Es gibt, wie die Autorinnen sagen, „Konfliktlinien“ aufgrund von Geschlechterzugehörigkeit, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung etc. Dabei handelt es sich um Unterschiede, die der Kapitalismus „zur Waffe umfunktioniert“ hat, um unsere Kämpfe zu spalten und zu schwächen. Wir stimmen mit den Autorinnen vollkommen darin überein, wenn sie sagen, dass wir solche Unterschiede anerkennen und sie ernst nehmen sollten und dass wir sie nicht nur an bestimmten Tagen im Kopf haben sollten, wie es einige Anhänger*innen der Identitätspolitik tun. Stattdessen sollten wir daran arbeiten, Einigkeit und Einheit herzustellen und „das spaltend wirkende Gegeneinander zwischen Identitätspolitik und Klassen-Politik überwinden“. Darüber hinaus stimmen wir völlig mit der Idee überein, dass der Kampf gegen den Kapitalismus, auf den die unterschiedlich gelagerten Unterdrückungsmuster zurückgehen und durch den sie verstärkt werden, die beste Möglichkeit darstellt, diese Spaltung zu überwinden.

Nur, wie kann man den Kapitalismus bekämpfen? Diese Frage wird an keiner Stelle beantwortet. Für Marxist*innen kommt die Hauptrolle in diesem Kampf der Arbeiter*innenklasse mit allen denkbaren Geschlechtern zu. Die Arbeiter*innenklasse ist die Kraft, die aufgrund ihrer Rolle im Produktionsprozess und hinsichtlich der Schaffung des Profits nicht nur ein eindeutiges subjektives Interesse daran hat, die kapitalistische Ausbeutung zu beenden, sie hat auch das Potential, um als kollektive Kraft entsprechend zu agieren. Das bedeutet auch, dass sie die Aufgabe angehen kann, um eine neue Gesellschaft aufzubauen, die auf kollektivem Eigentum und demokratischer Kontrolle ebenso basiert wie auf geplanten Wirtschaftsabläufen.

Das Manifest legt in korrekter Weise dar, dass die Wirtschaftskrise die Glaubwürdigkeit der politischen Eliten beschädigt hat, was zu einer Ablehnung der „Politik nach herkömmlicher Art“ geführt hat. Wir erleben einen Moment des „politischen Erwachens“, eine Chance auf „gesellschaftliche Transformation“. Die Ablehnung der etablierten politischen Parteien hat zu einem „eklatanten Vakuum auf der Führungs- und Organisationsebene“ geführt, und es ist festzustellen, dass viele nach neuen Ansätzen, Organisationen und Bündnisformen Ausschau halten. Welche Form aber wird das alles annehmen? Der „Feminismus für die 99 Prozent“, so verkündet das Manifest, zählt zu den gesellschaftlichen Kräften, die „in die Bresche gesprungen“ sind – auch wenn sie das Feld mit rechtsgerichteten Kräften teilen und in Konkurrenz zueinander stehen.

Hervorgehoben wird, dass es sich bei der globalen Frauenbewegung nicht um eine isolierte Bewegung handeln darf. Das Manifest fordert, dass sie sich zusammenschließen muss mit antirassistischen und Umweltaktivist*innen, mit Gewerkschafter*innen und Aktiven in den Betrieben, mit Leuten, die sich für die Rechte von Migrant*innen oder der LGBTQ+Community einsetzen und mit jenen, deren Kampagnen mit der öffentlichen Daseinsversorgung beschäftigen und die sich gegen Krieg und Imperialismus richten. Kurz gesagt geht es um alle Bewegungen, die für die viel zitierten 99 Prozent der Bevölkerung kämpfen. Die Frauenbewegung muss zu einer gemeinsamen Kraft mit anderen antikapitalistischen Bewegungen auf diesem Erdball werden. „Nur auf diese Weise wird es möglich sein, die Macht und Vision zu generieren, mit der die gesellschaftlichen Institutionen aufgelöst werden können, die uns unterdrücken“. Was die Autorinnen nicht erklären, ist, wie das Verhältnis zwischen den vielgestaltigen Bündnispartner*innen in dieser Koalition der 99 Prozent aussieht oder wie sie in der Praxis vorgehen muss, um den Kapitalismus abzuschaffen.

Arruzza, Bhattacharya und Fraser stellen eine sehr entscheidende Frage: „Wer wird den Prozess der gesellschaftlichen Transformation anführen, in wessen Interesse und mit welchem Ergebnis?“. Wenn man ihr Manifest liest kann allerdings die einzige Schlussfolgerung daraus bestehen, dass die Autorinnen meinen, die führende Rolle würde nicht von der organisierten Arbeiter*innenklasse mit all ihren Geschlechtern eingenommen. Stattdessen sei die globale feministische Bewegung zentral für den Wandel. Demzufolge wird es keine politische Partei der 99 Prozent geben, eine Partei, die auf der Arbeiter*innenklasse basiert und welche die Kräfte zusammenbringen kann, die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung in all ihren Formen bekämpfen, wozu auch die Frauenbewegung gehört. Von einer solchen Partei, die ein revolutionäres Programm und eine revolutionäre Strategie zur Überwindung des Kapitalismus verfolgt, ist keine Rede. Es wird von uns erwartet, dass wir vielmehr von einer „gerechten Welt“ ausgehen, „deren Wohlstand und Naturreserven von allen geteilt werden“, in der „Gleichheit und Freiheit Voraussetzungen sind und nicht nur Hoffnungen“. Diese Welt sei durch die globale feministische Bewegung in einem unstrukturierten „antikapitalistischen“ Bündnis erreichbar. Es wird keine Strategie vorgestellt, mit der eine solche Bewegung den Kapitalismus überwinden kann – seine Herrschaft über die ökonomischen Verhältnisse, seine mächtigen Ideologie-Fabriken und staatlichen Apparate – , um mit der Umwandlung der Gesellschaft im Interesse der 99 Prozent zu beginnen.

„Feminism for the 99%: a manifesto“

von Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser

Verlag: „Verso“

2019

7.99 brit. Pfund