Kein Aufatmen nach den Landtagswahlen!

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Gegen die AfD braucht es gemeinsame Kämpfe und eine wirklich linke Alternative

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen setzt sich der Niedergang von SPD und CDU fort. Die Verluste für DIE LINKE sind massiv. Auch wenn die AfD in keinem der beiden Länder stärkste Kraft geworden ist, kann von Aufatmen keine Rede sein.

von Tom Hoffmann, Berlin

Viele Menschen in Ost und West werden verständlicherweise erleichtert sein, dass die AfD in Brandenburg und Sachsen nicht als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorgegangen ist. Doch das bedeutet weder einen Rückschlag für die AfD noch dass die ganzen sozialen Probleme und Zukunftsängste, die zu ihrem Aufstieg beigetragen haben, verschwunden wären. Linke, Gewerkschafter*innen und antirassistische Aktivist*innen müssen die notwendigen Schlussfolgerungen aus diesem Wahlergebnis ziehen, um eine Strategie zu entwickeln, die die AfD tatsächlich stoppen kann.

Wer kann schon aufatmen?

Die Schlagzeilen der bürgerlichen Nachrichtenportale sprechen nach der Wahl von einem „Aufatmen“. Doch für die Mehrheit der Beschäftigten und Jugendlichen kann davon keine Rede sein. Sie werden in Brandenburg und Sachsen aufs Neue eine wie auch immer gefärbte Variante jener pro-kapitalistischen Politik bekommen, die den Aufstieg der AfD erst möglich gemacht hat. Und der Aufstieg der Rechtspopulisten ist unübersehbar: In beiden Ländern ist sie zweitstärkste Kraft mit 27,8 Prozent (+18,1) in Sachsen sowie mit 23,7 Prozent (+11,5) in Brandenburg. Eine Verschnaufpause gibt es höchstens für die Spitzen der sogenannten „Volksparteien“ SPD und CDU, welche jeweils knapp stärkste Kraft in Brandenburg bzw. Sachsen bleiben. Nach den Umfragen der letzten Wochen war das längst nicht ausgemacht und mussten sie mit heftigeren Niederlagen rechnen, die unmittelbar den Fortbestand der Großen Koalition im Bund in Frage gestellt hätten. Aber was gilt heute für sie schon als Verschnaufpause: In beiden Ländern fahren CDU und SPD ihr jeweils schlechtestes Ergebnis ein. In Sachsen erzielt die SPD mit 7,6 Prozent sogar ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt in ihrer Geschichte. So groß ist der Legitimationsverlust, so groß ist die politische Instabilität in der Bundesrepublik bereits fortgeschritten, dass das bürgerliche Establishment über solch einen Ausgang erleichtert ist. Doch das ändert nichts daran, dass die Zukunft der GroKo alles andere als gewiss ist. Die anstehende Halbzeitbilanz, die Wahl zur SPD-Spitze und die Debatten über die Ausrichtung der CDU können zu ihrem Ende und anschließenden Neuwahlen führen.

Gestiegene Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung ist in beiden Wahlen deutlich gestiegen (17,5 Prozent in Sachsen und 13,4 Prozent in Brandenburg). Vor allem die AfD konnte von den Nichtwähler*innen gewinnen. Gleichzeitig hat auch eine größere Zahl von Menschen an der Wahl teilgenommen, um einen Sieg der AfD zu verhindern und die Regierungspartei gewählt. So kommt es, dass der freie Fall der CDU in Sachsen und der SPD in Brandenburg, abgedämpft wurde. Doch trotz dieses Anstiegs bei der Wahlbeteiligung ist es nötig festzustellen, dass in Sachsen jede*r Dritte und in Brandenburg fast vierzig Prozent der Wahlberechtigten gar nicht gewählt haben. Der Anteil der Menschen, die sich von von keiner Partei – auch nicht von der AfD als angeblichem Protest-Angebot – vertreten fühlen, ist weiterhin der größte. Dort liegt das entscheidende Potenzial für DIE LINKE, um Wähler*innenstimmen zu mobilisieren. Für diese Menschen aus der Arbeiter*innenklasse muss sie überzeugende Interessenvertretung werden.

Nährboden der AfD

Denn der soziale Nährboden, auf dem die AfD gedeihen konnte, kann auch ein Ansatzpunkt für linke und sozialistische Ideen sein. Dreißig Jahre nach der Restauration des Kapitalismus und des Verschacherns der ostdeutschen Industrie an westdeutsche Konzerne fehlt es insbesondere in ländlichen Regionen an Zukunftsperspektiven, guten Arbeitsplätzen und Infrastruktur. 1,2 Millionen Menschen arbeiten Vollzeit zu einem Niedriglohn – jede*r dritte Beschäftigte in Ostdeutschland. In den größeren Städten wie Leipzig, Dresden oder Potsdam steigen gleichzeitig die Mieten. Das ist das Ergebnis der pro-kapitalistischen Politik der letzten Jahrzehnte. Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass sich die AfD hier als Opposition zum Establishment aufspielen kann – vor allem wenn es kein authentisches Angebot von links gibt. In Sachsen sagen 83 Prozent und in Brandenburg 87 Prozent der AfD-Wähler*innen, dass es die einzige Partei ist, mit der man Protest ausdrücken kann. Sie kann außerdem die nicht zuletzt von den bürgerlichen Parteien und Medien über Jahre mit verbreiteten Ängste vor und Hetze gegen Migrant*innen kanalisieren. Die AfD-Landesverbände in Brandenburg und Sachsen werden zudem vom rechtsnationalistischen Flügel um Björn Höcke dominiert, der gezielt versucht soziale Demagogie mit rassistischer Stimmungsmache zu verbinden und im letzten Jahr in Chemnitz den Schulterschluss mit den Nazis gesucht hat. Es ist brandgefährlich, dass diese Kräfte nun auch die Stimmen vieler Beschäftigten bekommen. In Brandenburg stimmten 44 Prozent der Arbeiter*innen und 23 Prozent der Angestellten für die AfD! Das muss ein Weckruf für Gewerkschafter*innen und Linke sein.

Linke Alternative sieht anders aus

Um die Rechten aufzuhalten, braucht es eine glaubwürdige und kämpferische Alternative von links, die sich mit den Banken und Konzernen und ihren politischen Vertretungen in CDU, SPD und Grünen anlegt und gleichzeitig klare Kante gegen Spaltung und Rassismus zieht. Denn gegen die AfD helfen keine moralischen Appelle, nur der gemeinsame Kampf aller Beschäftigten und sozial Benachteiligten um soziale Verbesserungen. Gleichzeitig muss man mit den Kolleg*innen, die die AfD gewählt haben, diskutieren und ihnen aufzeigen, dass sich deren Programm trotz mancher (leerer) sozialer Versprechung letztlich an den Interessen der Konzerne orientiert. Den Kampf gegen Rassismus in der Gesellschaft mit dem Kampf um zum Beispiel höhere Löhne und niedrige Mieten zu verbinden, ist vor allem auch Aufgabe der Gewerkschaften. DIE LINKE hat seit der Wiedervereinigung in Brandenburg und Sachsen leider vollkommen versagt, diesen Kampf zu organisieren und als Partei mit sozialistischem Anspruch diesem auch gerecht zu werden. Die Strategie der ostdeutschen LINKE-Führung, dass man mit pro-kapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen soziale Verbesserungen aushandeln kann, ist gescheitert und das nicht erst in den letzten fünf Jahren. Denn im Bündnis mit diesen Parteien ist die einzig Option die Verwaltung des Mangels: In Brandenburg, als Teil der rot-roten Landesregierung, hat DIE LINKE bereits bei der letzten Wahl 8,6 Prozent verloren. Aber auch in Sachsen hat sich mit dieser Strategie auf kommunaler Ebene nichts grundlegend geändert, wie zum Beispiel im Dresdener Stadtrat der letzten Legislatur. Es ist nicht die Aufgabe einer linken Partei, den Mangel zu verwalten, sondern den Kampf gegen die Reichen, Banken und Konzerne zu organisieren, die den Hals nicht voll kriegen. Die Quittung für ihre Politik hat DIE LINKE bei diesen Wahlen erhalten, wo sich ihr Ergebnis fast halbiert hat (-8,5 Prozent in Sachsen, -7,9 Prozent in Brandenburg). Es ist nötig, dass die ostdeutsche LINKE eine radikale Wende in die entgegengesetzte Richtung vollzieht. Der Platz der Partei muss in den Stadtteilen, Betrieben und Bildungseinrichtungen sein, hier muss sie mit den Lohnabhängigen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten in den Dialog treten und diesen bei Gegenwehr und Selbstorganisation helfen. DIE LINKE muss im Widerstand und den Bewegungen vor Ort präsent sein, wo sie den Kampf gegen Niedriglöhne, Wuchermieten, den Wegfall tarifgebundener Jobs und öffentlicher Infrastruktur usw. anstoßen bzw. führend mitorganisieren muss. Sie muss um Verbesserungen kämpfen und im realen Leben der Menschen einen Unterschied machen. Das natürlich ohne den Kampf gegen Rechts abzuschwächen. Auf dieser Grundlage könnte man dann auch das Ziel einer grundlegenden anderen, sozialistischen Gesellschaft mit Leben füllen. Die Plakate für „Demokratischen Sozialismus“ der sächsischen LINKEN wirkten stattdessen wie leere Glaubensbekenntnisse, wenn die Praxis der Partei völlig auf den Rahmen des bürgerlichen Parlamentsbetriebs fixiert ist. Die LINKE müsste stattdessen in allen Kämpfen (und auch im Parlament) aufzeigen, dass ohne die Abschaffung des kapitalistischen Profitsystems und seine Ersetzung durch eine sozialistische Demokratie kein nachhaltiges und gutes Leben für Alle machbar ist.

Was nun?

Die relativ stabile wirtschaftliche Lage in Deutschland scheint ihrem Ende entgegen zu gehen. Diese Zeit waren allerdings keine goldenen Jahre für die Beschäftigten, vor allem nicht in Ostdeutschland. Dass sich in diesen Jahren solch eine instabile politische Landschaft entwickelt hat, lässt erahnen, was die Zukunft bereithält. Die Oppositionsrolle wird vor diesem Hintergrund für die AfD in Ostdeutschland weiter ein Wachstumsrezept sein. Das kann für die Gesamtpartei allerdings auch das Konfliktpotenzial erhöhen, wenn die rumorenden Flügelkämpfe nach den Oktober-Landtagswahlen in Thüringen ausbrechen sollten.

DIE LINKE wird dort vermutlich versuchen, einen Regierungswahlkampf für Rot-Rot-Grün zu führen. Doch wenn die Partei nicht die Lehren aus den Wahlen zieht und ihre Ausrichtung grundlegend ändert, riskiert sie ihre Existenz. In den Landesverbänden und in der Gesamtpartei hat die Diskussion bereitsbegonnen, nach der Wahl in Thüringen wird sie vermutlich zunehmen. Dabei muss klar sein: Statt einer zweiten SPD braucht es eine kämpferische, sozialistische Partei, die Sprachrohr der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten ist, die aber gleichzeitig auch keine Abstriche an ihren antirassistischen Prinzipien macht. Die LINKE muss Kolleg*innen, Jugendliche und Aktive aus Bewegungen im Kampf gegen die sozialen Missstände, gegen die dafür Verantwortlichen und gegen die Rechtspopulisten zusammenbringen und eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus anbieten.