Über die Klasseninteressen hinter der Wirtschaftspolitik
Laut amtlicher Statistik ist die deutsche Wirtschaft im 2. Quartal (April bis Juni) um ein Promille geschrumpft. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet für das dritte Quartal einen weiteren leichten Rückgang. Damit wäre die deutsche Wirtschaft bereits seit Frühjahr in einer „technischen Rezession“. Handelt es sich nur um eine kurze Eintrübung, wie es sie zum Beispiel 2012 vor dem Hintergrund der so genannten „Schuldenkrise“ in Südeuropa auch gab, oder um den Beginn einer tiefen Wirtschaftskrise?
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Die Wirtschaftsdaten haben sich in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Das gewerkschaftsnahe Institut IMK berechnete die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Juli mit 36,6 und im September mit 59,4 Prozent. Der Geschäftsklimaindex des Münchner IFO-Instituts sank innerhalb eines Jahres bis August 2019 von 103,8 auf 94,3. Das ist fast so niedrig wie bei der „technischen Rezession“ Ende 2012. Die Angaben für die wirtschaftlichen Erwartungen fielen von 100,9 auf 91,3. Das Ifo-Institut kommentierte: „Ein ähnlicher Pessimismus unter den Industriefirmen war zuletzt im Krisenjahr 2009 zu beobachten. Bei keiner der deutschen Schlüsselindustrien zeigten sich Lichtblicke.“
Die Ausfuhren deutscher Autos sanken in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 14 Prozent.
Die Probleme breiten sich von der Autoindustrie auf Maschinenbau, Chemie, Logistik etc. aus. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) meldete für das erste Halbjahr 2019 einen Auftragsrückgang um neun Prozent. Die Industrieproduktion sank im Juli gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent. Der Markit-Einkaufsmanagerindex lag Anfang September für Deutschland bei 43,5 (für die Eurozone bei 47,0), ein Wert unter 50 signalisiert ein Schrumpfen der Wirtschaft.
Konsum
Die wichtigste Stütze der Wirtschaft ist zur Zeit der private Konsum. Aber offene Stellen gehen zurück, im Dienstleistungsbereich gab es den stärkste Rückgang seit Dezember 2007. Die Kurzarbeit hat sich – von einem sehr niedrigen Ausgangswert – mehr als verdreifacht (von 12.000 im Mai 2018 auf 41.000 im Mai 2019). Bisher hat es noch keinen nennenswerten Rückgang des Konsums aus Angst vor der Wirtschaftslage gegeben. Es ist normal, dass sich Rezessionen mit zeitlicher Verzögerung auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln. Wenn Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit drastisch ansteigen, Löhne stagnieren oder fallen, kann auch diese Stütze der Konjunktur wegbrechen. Dann kann es zu einer tieferen Krise kommen. Die hohe Exportabhängigkeit und der große Anteil der Industrie an der Wirtschaft machen die deutsche Wirtschaft aufgrund der Krisentendenzen in der Weltwirtschaft derzeit besonders verwundbar.
Was tun gegen die Krise?
Bürgerliche Ökonom*innen und Politiker*innen sind für Maßnahmen gegen die Rezession, die ihre Klasseninteressen widerspiegeln. Obwohl andere Teile der Eurozone und die USA noch nicht in einer Rezession sind, ergreifen US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank EZB Maßnahmen gegen den Abschwung. Beide senkten im September die Leitzinsen, die Fed um 0,25 Prozent, die EZB senkte die bereits negativen Zinsen um ein weiteres Promille. Die erst Ende 2018 eingestellten Anleihenkäufe durch die EZB sollen ab November wieder aufgenommen werden (mit 20 Milliarden Euro im Monat). 2006 bis 2008 senkte die Fed die Zinsen von 5,5 Prozent auf 0 bis 0,25 Prozent. Jetzt liegen sie bereits bei 1,75 bis 2 Prozent, der Spielraum für Senkungen ist also geringer. Die EZB ist nie aus dem Krisenmodus herausgekommen. Abgesehen davon haben die Maßnahmen in den vergangenen zehn Jahren wenig für die Konjunktur bewirkt, sondern vor allem zu einer Aktien- und Immobilienblase geführt. Die Reichen, die dadurch noch reicher geworden sind, verlangen jetzt Steuergeschenke … als ob die Leute, die im Aufschwung mit ihrem Geld spekuliert haben, es ausgerechnet in der Krise produktiv investieren würden. Trotzdem hat Finanzminister Scholz die weitgehende Abschaffung des „Soli“ auch mit der Konjunktur begründet.
Neue Agenda 2010?
Der BASF-Chef Brudermüller forderte im August gar eine neue Agenda 2010, vor allem eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Er und seinesgleichen wollen die Lohnkosten noch weiter senken, damit die deutsche Wirtschaft weiter hohe Exportüberschüsse hat. Aber dass Deutschland gerade von der Krise besonders betroffen ist, liegt an der starken Exportabhängigkeit. Andere Länder nieder konkurrieren und ihnen zugleich immer mehr verkaufen, kann auf die Dauer nicht funktionieren.
Zweifellos sind die Forderungen nach öffentlichen Investitionen sinnvoller. Aber auch hier stellt sich die Frage, wofür das Geld investiert wird. Zu Recht hat DIE LINKE bei den Haushaltsberatungen die Investitionslücke von 57 Milliarden Euro bei der Bahn beklagt. Aber wenn die Bahn ihr Geld ausgibt, um Projekte wie Stuttgart 21 bis zum bitteren Ende weiterzubauen oder auf der ganzen Welt Verkehrs- und andere Unternehmen aufzukaufen, genügt die Forderung nach mehr Geld nicht. Ebenso ist zu befürchten, dass „öffentliche Investitionen für den Klimaschutz“ teils eine Tarnbezeichnung für Hilfen für die Autoindustrie sind, den klimaschädlichen Autoverkehr mit Elektroautos noch jahrzehntelang fortzusetzen, statt entschlossen den öffentlichen Personen- und Güterverkehr auszubauen. Wir dürfen uns nicht damit benebeln lassen, dass öffentliche Ausgaben „der Wirtschaft“ nützen, sondern müssen fragen, ob sie der Masse der Bevölkerung und der Umwelt nützen. Und solche Ausgaben erreichen wir nur durch Klassenkampf.
Aber auch unterstützenswerte politische Maßnahmen beseitigen nicht die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Ein Entkommen aus den wiederkehrenden Krisen mit all ihren schrecklichen Folgen für die Arbeiter*innenklasse weltweit, ist nur durch eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftssystems zu einer sozialistisch-demokratischen Planwirtschaft möglich.