Wie kann die Bewegung erfolgreich sein?
Seit Frühsommer diesen Jahres waren mehr als ein Drittel der Bevölkerung Hong Kongs auf den Straßen, um gegen das von der Regierung unter Carrie Lam vorgelegte Auslieferungsgesetz und für demokratische Rechte zu demonstrieren.
von Marlene Frauendorf, Berlin
Der Gesetzesentwurf war ein Auslöser der Bewegung, aber es wurden auch Forderungen nach weitergehenden demokratischen Rechten laut. Die Wut über massive Polizeigewalt gegenüber den Demonstrant*innen heizte die Bewegung zusätzlich an.
Wo stehen die Proteste?
Den Höhepunkt der Bewegung bildete der Generalstreik am 5. August, an dem sich drei Millionen Hong Konger*innen beteiligten. Auch nach dem Start von Uni und Schule ebben die Proteste nicht ab und das trotz massivem Druck von Uni-Autoritäten und Polizei, weitere Demonstrationen zu unterlassen. Mitte August wurde der Flughafen von Protestierenden und Beschäftigten lahmgelegt.
Die Regierung drohte einerseits damit, das Internet abzuschalten und eine Ausgangssperre zu verhängen, andererseits musste sie, unter dem massiven Druck der Bewegung, das Auslieferungsgesetz zurücknehmen.
Das führte aber nicht zum Ende der Demonstrationen. Jetzt ist für den weiteren Verlauf der Bewegung das Programm und eine organisierte Führung zentral.
Rolle der Arbeiter*innenklasse
Obwohl es viele soziale Probleme gibt, wie hohe Lebenshaltungskosten und einen schrecklichen Wohnungsmarkt, sind soziale Forderungen auf den Demos kaum sichtbar.
Das liegt auch daran, dass die Mittelschicht die Proteste dominiert. Die Arbeiter*innen in Hong Kong gehen auf die Straße, aber nur in Teilen. Notwendig ist, dass sie mit ihren Forderungen und einem eigenem Programm in die Bewegung eingreifen. Eine wichtige Forderung wäre beispielsweise die nach der Vorbereitung eines weiteren Generalstreiks gegen staatliche Repression, für volle demokratische Rechte wie unter anderem der Presse- und Meinungsfreiheit, das Recht unabhängige Gewerkschaften zu organisieren für eine Regierung im Interesse der Arbeiter*innenklasse.
China
Wichtig ist, hier auch eine Verbindung von Arbeiter*innen in Hong Kong und in China aufzubauen. Das chinesische Regime unter Xi Jinping, welches in diesem Monat zum 70. Jahrestag des Sieges von Mao Tse Tung und der roten Armee gegen den Imperialismus eine Staatsfeier abhalten wird, gibt sich nach wie vor den Namen “kommunistisch”. Doch die dort herrschende Bürokratie unterdrückt die Arbeiter*innenklasse gewaltsam und hat eine Art Staatskapitalismus eingeführt, in dem sie selbst die hauptsächlichen Nutznießer sind, aber auch andere Konzerne wie VW oder Siemens Profite machen können. China hat die größte Arbeiter*innenklasse der Welt, oft in riesigen Fabriken konzentriert. Was das chinesische Regime am meisten fürchtet, ist die Aktivierung von Arbeiter*innen. Deshalb sind die Arbeiter*innen in China der wichtigste Bündnispartner für die Bewegung in Hong Kong. Mit jeglichen Illusionen in westliche Mächte wie USA, Großbritannien und anderen, die ebenfalls nur die Interessen ihrer Konzerne durchsetzen wollen, muss gebrochen werden.
Organisation und Programm
Hauptsächlich organisiert sich die Bewegung über Social Media. Sie muss hin zu koordinierten Aktionen der Beschäftigten. Auf Versammlungen in den Nachbarschaften und Arbeitsplätzen könnten Vertreter*innen für Komitees gewählt werden, und die nächsten Schritte der Proteste planen. Es ist unabdingbar, dass die Beschäftigten und jungen Leute diskutieren, welche Forderungen ihr Leben wirklich verbessern würden. Es sollten nicht nur demokratische, sondern auch Forderungen nach besseren Lebensbedingungen aufgestellt werden, inklusive der Frage danach, wer die ökonomische und gesellschaftliche Macht hat. Damit die Arbeiter*innenklasse über ihr Leben entscheiden kann, müssen privatisierte Schlüsselindustrien, Banken und Konzerne verstaatlicht werden, aber wichtig ist dabei – gerade auch in Hinblick auf die Situation in China – die staatlichen Betriebe unter die demokratische Kontrolle und Verwaltung der Masse der arbeitenden Bevölkerung zu stellen. Eine Bewegung mit dieser Ausrichtung und einem solchen Programm für sozialistische Veränderung könnte ein enormes Echo in China, ganz Asien und weltweit bekommen.
Dieser Artikel ist aus der Oktober-Ausgabe der sozialistischen Zeitung Solidarität.