Ihr Verlauf und ihre Bedeutung
Wir veröffentlichen hier einen Artikel aus dem Jahr 2009 zum damaligen 60. Jahrestag der Chinesischen Revolution:
Der Jahrestag der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober wird vom chinesischen Regime benutzt, um über Massenarmut, steigende Arbeitslosigkeit und staatliche Repression hinwegzutäuschen. Verschwiegen wird, welche damals erkämpften Verbesserungen des Lebensstandards heute abgeschafft sind. Wir wollen zum 60. Jahrestag an die gigantischen Errungenschaften der Revolution erinnern, der Frage nachgehen, wie diese erreicht werden konnten und aufzeigen, wie polarisiert das Land heute ist.
von Michael Koschitzki, Berlin
Im Sommer 1949 gewann die Volksbefreiungsarmee unter dem Führer der Kommunistischen Partei Mao Tse-Tung gegen die kapitalistische Kuomintang-Regierung die Oberhand, entwaffnete zwei Millionen Soldaten und brachte den größten Teil Chinas unter ihre Kontrolle. Den Grundstein für den Sieg der zum größten Teil aus Bauern bestehenden Armee legte das Versprechen, die Ländereien der Großgrundbesitzer auf die Kleinbauern zu verteilen.
Am 1. Oktober 1949 rief Mao die Volksrepublik China aus. Die Betriebe, die in den Händen der Kuomintang-Bürokratie waren, wurden enteignet. Obwohl damit ein Drittel der Wirtschaft verstaatlicht war, hatte Mao nicht vor, mit dem Kapitalismus zu brechen. Vielmehr sprach er davon, dass China noch fünfzig Jahre Kapitalismus vor sich hätte. Streiks von ArbeiterInnen wurden niedergeschlagen und den Kapitalisten zugesagt, ihr Eigentum zu schützen. Die Landreform sollte darauf beschränkt werden, nur einige Gebiete von den reichsten Bauern neu aufzuteilen.
Dennoch bekamen es die Kapitalisten mit der Angst zu tun und begannen, ihre Betriebe zu schließen. Die Kommunistische Partei unter Mao sah sich gezwungen, den Großteil der Wirtschaft zu verstaatlichen und 1953 den ersten Fünf-Jahres-Plan zu beschließen.
Errungenschaften
Nachdem die Wirtschaft nicht mehr den Gesetzen des Marktes unterworfen war, sondern geplant wurde, konnte sich China enorm entwickeln. Die Preissteigerungen (acht Millionen Prozent in zwölf Jahren) wurden gestoppt und für jeden eine Grundversorgung sichergestellt. Die Fortschritte übertrafen alles, was Indien oder andere Länder der neo-kolonialen Welt, die kapitalistisch blieben, in der gleichen Zeit erreichten. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg zwischen 1949-79 von 40 auf 70 Jahre. Während 1949 noch 80 Prozent Analphabeten waren, konnte 1979 fast jeder lesen und schreiben.
Das war nur möglich, weil der Konkurrenzmechanismus, der in der Marktwirtschaft immer wieder zu Krisen von Überproduktion und Überkapazitäten führt, beseitigt wurde. Da die Wirtschaft planmäßig organisiert wurde, konnte die Arbeitslosigkeit ausgeschaltet werden. Die Planungsbehörden konnten Arbeitskräfte, Produktionsmittel, Technik zusammenbringen und effizienter nutzen. Auf Basis der Verstaatlichungen gelang es, Mittel und Gelder anzuhäufen und größere Investitionen zu tätigen, um die Wirtschaft weiter zu bringen.
Stalinismus
An der Spitze von Staat und Planungsbehörden stand jedoch eine Clique von Bürokraten, die jede Beteiligung der Beschäftigten abwürgte und für die in erster Linie die Aufrechterhaltung der eigenen Privilegien zählte.
Errichtet wurde ein Regime nach dem Vorbild der Sowjetunion. Aber nicht der Sowjetunion unter Lenin, sondern unter Stalin. Während in Russland nach der Oktoberrevolution 1917 Räte existierten, konnte nach Lenins Tod 1924 eine Clique um Stalin die politische Macht an sich reißen und jede Form von Arbeiterdemokratie unterdrücken. Die Ursachen dafür lagen vor allem in der Isolation der Revolution und der Rückständigkeit des Landes.
Mao Tse-Tung schrieb zum 60. Geburtstag Stalins 1939: „Liebe und Verehrung des chinesischen Volkes für Stalin (…) kommen aus vollem Herzen.“ In der Volksbefreiungsarmee installierte Mao ein bürokratisches Regime nach Stalins Vorbild. Dieser Apparat hatte nach 1949 das Sagen. Die Ansätze für eine Arbeiterdemokratie, die es in Russland nach 1917 gab – Rätestrukturen, jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionäre, Beseitigung von Privilegien –, wurden in China von Anfang an vereitelt.
Vorgeschichte
China bot am Anfang des 20. Jahrhunderts ein Bild starker wirtschaftlicher und sozialer Widersprüche. Der Sturz der Dynastie 1911 führte nicht zur Errichtung einer bürgerlichen Demokratie, sondern zum Zerfall des Landes in Einflussgebiete einzelner Warlords, die eigene Zollgrenzen errichteten. Das Land war gebeutelt vom deutschen, britischen und japanischen Imperialismus. Die drückenden Pachtlasten machten zudem den chinesischen Bauern das Leben schwer.
Die Kuomintang (KMT) wurde zum Sammelbecken von bürgerlichen, nationalistischen Strömungen. Die Kommunistische Partei entstand 1921 unter dem Eindruck der Russischen Revolution, bei der Gründung hatte sie nur 57 Mitglieder.
Chinesische Revolution 1925-27
Am 30. Mai 1925 brach eine Streikwelle in ganz China los, die in eine revolutionäre Bewegung münden sollte.
In dieser Zeit hatte die Kuomintang im Süden Chinas große Gebiete unter ihrer Kontrolle und stellte dort die Regierung. 1926 begann unter General Tschiang Kai Shek der Nordfeldzug gegen die anderen Warlords.
Bis April 1927 konnte die Kommunistische Partei Chinas auf 50.000 Mitglieder anwachsen. Auf Anweisung der von Stalin beherrschten „Kommunistischen Internationale“, der Komintern, hatte sich die chinesische KP aber der KMT angeschlossen und sich ihr untergeordnet. Das geschah gegen den Protest vieler KP-Mitglieder, die sich jedoch der Autorität der Komintern beugten. Die Komintern war seit Mitte der zwanziger Jahre ein Instrument zum Machterhalt der Kreml-Bürokratie geworden. Da eine erfolgreiche sozialistische Revolution und eine Rätedemokratie in einem anderen Land in scharfem Kontrast zur Herrschaft Stalins gestanden hätte, versuchte die Komintern jeden Schritt in diese Richtung zu verhindern. Der KP Chinas schrieb Stalin vor, gegen den Imperialismus einen „Block der vier Klassen“ zu bilden. Man durfte auch keine Kritik an der KMT mehr äußern.
Permanente Revolution
Nach der Russischen Revolution 1905 entwickelte der Marxist Leo Trotzki die „Theorie der Permanenten Revolution“. Diese Theorie fand ihre eindrucksvolle Bestätigung in der Russischen Revolution 1917.
In der Epoche des Imperialismus, so Trotzki, ist die einheimische Kapitalistenklasse in den rückständigen Ländern auf das Engste mit dem Großgrundbesitz verflochten. Auch in China gab es kein eigenständiges Bürgertum, das die Aufgaben der bürgerlichen Revolution (Landreform, Beendigung der Kleinstaaterei, Überwindung der Dominanz des Adels, Förderung der Industrie) hätte durchführen können. Die chinesischen Kapitalisten waren historisch gesehen zu spät gekommen und fürchteten die Arbeiterklasse schon zu sehr, die besonders im Süden Chinas stark entwickelt und in großen Fabriken konzentriert war. Darum konnten sie sich auch nicht aus der Abhängigkeit des Imperialismus befreien.
Die Arbeiterklasse war die einzige Kraft, die in der Lage war, die bürgerlich-demokratischen Aufgaben in Angriff zu nehmen. Die Bauern schwankten immer wieder zwischen den Kapitalisten und dem Proletariat, unterstützten mal die einen, mal die anderen. Sie selber waren durch ihre Stellung auf den Höfen zu versprengt und zu keiner längerfristigen, einheitlichen Aktion in der Lage. Weil sie auf die Erträge angewiesen waren, blieben sie ihrem Land nie all zu lange fern. Zwar gab es in China zahlreiche heroische Bauernrevolten, wie den „Boxeraufstand“, aber keine führte dazu, eine Regierung im Interesse der unterdrücken Massen etablieren zu können.
Die ArbeiterInnen – die in Städten, in großen Fabriken in direktem Kontakt miteinander standen – waren dagegen in der Position, ein kollektives Bewusstsein zu entwickeln, gemeinsam in Aktion zu treten und erfolgreich eigene Strukturen zu schaffen; erst Kampforgane, später alternative Machtorgane. Wie in Russland bildeten sich auch in China 1925-27 Räte.
Wenn die Arbeiterklasse an die Macht gelangt, kann sie sich aber nicht mit der bürgerlichen Revolution zufrieden geben. Schließlich gerät sie direkt in Konflikt mit der Bourgeoisie und muss für die Enteignung der Produktionsmittel kämpfen. In „Permanenz“ geht sie von den Aufgaben der bürgerlichen zur sozialistischen Revolution über. In einem Agrarland hat eine sozialistische Revolution allein aber keine Zukunft, darum muss sie so schnell wie möglich auf andere Länder ausgedehnt werden.
Trotzki und die Linke Opposition warnten damals die KP China vor einer Unterordnung unter die KMT.
Konterrevolution
In der Revolution von 1925-27 war die Arbeiterklasse die treibende Kraft. In der Stadt Shanghai übernahm sie sogar einen Monat vor Eintreffen der Armee von Tschiang Kai Shek die Macht und kontrollierte das gesamte öffentliche Leben. Auch in Kanton gab es einen erfolgreichen Arbeiteraufstand. Allerdings wurden diese Erhebungen im April 1927 von Tschiang Kai Shek blutig niedergeschlagen, die KP verboten, Tausende Kommunisten umgebracht. Trotzdem forderte die Komintern die KP auf, die Waffen nicht gegen die KMT zu erheben. Im Zuge dessen wurde die KP aus den Städten vertrieben. Teile von ihr, unter ihnen Mao Tse-Tung, flüchteten aufs Land.
Der lange Marsch
In den Gebieten, die die KP erobern konnte, begann sie mit einer Neuaufteilung des Landes und senkte die Pachtlasten. So konnte sie mehr und mehr die Unterstützung der Bauern gewinnen. Die KMT-Regierung ging militärisch dagegen vor. 1934 wurde die KP China zur Flucht gezwungen. Sie machte sich mit 90.000 Mann zum „Langen Marsch“ auf. Ihre Zahl dezimierte sich auf 7.000. Mao konnte sich durch die Ausschaltung von Opponenten zum Führer der KP aufschwingen. Durch den dreifachen Lohn für Offiziere und Privilegien, wie Frau und Familie mit auf den Marsch nehmen zu dürfen, etablierte sich schon in der Bauernarmee eine Bürokratie.
Die Situation änderte sich mit dem Angriff Japans auf China. Auf Anweisung Moskaus bot die KP China der KMT eine erneute Kollaboration gegen den japanischen Imperialismus an. Die Armee der Kuomintang erhielt sogar materielle Unterstützung durch die Sowjetunion. Die KP China fürchtete jedoch dieses Mal um ihren Machterhalt und gab die Eigenständigkeit ihrer Armee nicht auf.
Während des Krieges war die Armee unter Mao die einzige, die einen entschlossenen Kampf gegen Japan führte, während die KMT-Streitkräfte und Gouverneure mit Japanern paktierten und das Umfeld der KMT von Spekulanten und Schmugglern dominiert wurde. Diejenigen, die gegen den Imperialismus kämpfen wollten, gingen zur KP über. Nach der Niederlage Japans 1945 war die KP China enorm gestärkt.
Sieg der KP China
Mao bemühte sich erneut, eine Übereinkunft mit der KMT-Regierung zu erzielen. Die KMT versuchte jedoch, gegen die gestärkten Kommunisten vorzugehen. Die KMT hatte durch ihre Rolle im japanischen Krieg aber weiter an Rückhalt verloren. Viele Soldaten liefen zur Volksbefreiungsarmee der KP über. Bald konnten Maos Truppen die Macht an sich reißen.
Es waren ganz besondere, einmalige Faktoren, die es damals ermöglichten, dass eine Bauernarmee die Macht übernehmen konnte. Die schwache Kapitalistenklasse Chinas hatte sich bereits jahrzehntelang unfähig gezeigt, Wirtschaft und Gesellschaft weiter zu entwickeln. Ihre Armee bröckelte. Der US-Imperialismus hatte 1945 auch Probleme, die bürgerlichen Kräfte Chinas zu stützen. Unter den GIs gab es eine enorme Kriegsmüdigkeit; „Bring the boys back home“ hieß es. In dieses entstehende Machtvakuum konnte nun Maos Armee stoßen.
Mao versuchte alles, um den Kapitalismus zu wahren. Er war aber damit konfrontiert, dass das ausländische Kapital abzog und die KMT-Truppen ins heutige Taiwan flüchteten. Dazu kam eine dramatisch veränderte internationale Situation: Mit der Stärkung der Sowjetunion durch den Verlauf des Zweiten Weltkriegs und der Schaffung des Ostblocks bekam der Stalinismus erheblich mehr Gewicht. In Kombination mit der enormen Erwartung der Massen auf grundlegende Verbesserungen (weite Teile der neo-kolonialen Welt wurden damals übrigens von Aufständen erschüttert) drängten all diese Faktoren Mao schließlich zu Verstaatlichung, staatlichem Außenhandelsmonopol und der Planwirtschaft.
Die Bauernarmee, die damals siegte, förderte mit ihren militärischen Strukturen von Anfang an eine Kommandoherrschaft in China. Wären die Arbei-terInnen im Jahr 1949, wie 1925-27, massenhaft in Aktion getreten, hätten sie sicherlich erneut Rätestrukturen entwickelt und damit die Basis für eine sozialistische Demokratie schaffen können. Stattdessen sorgten Maos Bauernarmee und der Einfluss Moskaus dafür, dass es leider keine Ansätze für eine Arbeiterdemokratie gab. Dank der Planwirtschaft konnten zwar 500 Millionen Menschen von Armut und Hunger befreit werden. Die bürokratische Planung und die Ein-Parteien-Herrschaft verhinderten jedoch, dass China nach 1949 den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft einschlagen konnte.