Extinction Rebellion: Aufstand wofür?

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Hinter der neuen Bewegung steckt wenig Programm und Plan

Extinction Rebellion, oder kurz XR, will nach eigener Aussage „den für das Klima nötigen umfassenden und tiefgreifenden Wandel herbeiführen“. Doch sind ihre Prinzipien, Werte und Forderungen dafür passend? Was ist notwendig, um den benötigten Wandel herbeizuführen?

Von Tobias Koschmieder, Aachen

XR will nach eigener Aussage eine auch für zukünftige Generationen lebenswerte Welt schaffen, dazu sei die Aktivierung von 3,5 Prozent der Menschheit nötig, dies zeige sich bei historischen Beispielen. Welche dies sein sollen, erklären sie nicht. 

Die XR-Aktivist*innen wollen „ihre Komfortzone verlassen, um eine Kultur der Regeneration“aufzubauen“, dazu heißen sie ausdrücklich jede*n – unabhängig von der politischen Überzeugung – willkommen, sprechen sich aber gegen jegliche Form der Diskriminierung aus, explizit auch gegen Klassendiskriminierung. Allerdings gibt es verschiedene Hinweise darauf, die den fortschrittlichen Charakter der XR-Initiator*innen in Frage stellen. 

Forderungen

XR stellt kaum Forderungen auf. Sie begründen das damit, dass die Wissenschaft schon lange genug Möglichkeiten angeboten habe, wie der Klimawandel aufzuhalten ist. XR verbreitet drei sehr allgemeine Hauptforderungen: Erstens sollen die Politik und Medien die Wahrheit über den Klimawandel und dessen Ernsthaftigkeit verbreiten. Zweitens soll die Politik den Klimanotstand ausrufen. Und drittens sollen Bürger*innenversammlungen stattfinden, die Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Dabei sollen die Teilnehmenden per Losverfahren ermittelt werden. Das sorge dafür, dass Lobbyverbände keinen Einfluss auf die Entscheidungen nehmen können.

Zur Durchsetzung ihrer Vorschläge setzt XR auf massenhaften zivilen Ungehorsam, häufig die Besetzung von Knotenpunkten im Straßenverkehr, um mediale Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zu generieren.

Let’s talk about the system

Es ist begrüßenswert, wenn Menschen bereit sind, zu handeln und Probleme anzugehen. Und XR hat damit Recht, dass der Klimawandel ein systemisches Problem ist – erklärt jedoch leider nicht, ob sie das kapitalistische System oder etwas anderes meinen.

Wenn es das System ist, das den Klimawandel verursacht, dann müssen Forderungen und Aktionsformen sich gegen das System richten und darauf abzielen, dieses System zu überwinden. Die Forderungen von XR sind aber in keiner Weise ausreichend, um den Kapitalismus auch nur anzugehen.

Glauben wir XR, dann würde es reichen, wenn die Länder den Klimanotstand ausrufen und Bürger*innenversammlungen organisiert würden. Der Klimanotstand sagt aber nur aus, dass alle zukünftigen Projekte in Bezug auf Klimaschädlichkeit überprüft werden sollen und hat keine bindende rechtliche Wirkung. 

Selbst wenn die Bürger*innenversammlungen unbestechlich wären, was sie nicht sind, da Kapitalisten natürlich auch kurzfristig eingesetzte Menschen bestechen könnten, verfügten sie über keine Macht, um ihre Empfehlungen in die Tat umzusetzen. Die Politiker*innen würden vermutlich ihre Ergebnisse einfach ignorieren. Das liegt aber nicht an den einzelnen Politiker*innen, sondern am Kapitalismus und um ihn zu überwinden brauchen wir mehr als machtlose Versammlungen. Dazu brauchen wir eine Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse.

Wie die Welt verändert werden kann

Es ist die Arbeiter*innenklasse, die die potenzielle wirtschaftliche Macht besitzt, um Dinge zu ändern. Wenn die RWE-Angestellten streiken würden bis das Unternehmen komplett auf erneuerbare Energien umstellt, würde RWE sehr schnell aus der Braunkohle raus müssen.

Aber die Arbeiter*innen erreichen wir nicht, indem wir sie auf dem Weg von der Arbeit nach Hause dazu zwingen, länger als notwendig in ihrem Auto zu sitzen oder ihnen sagen, dass es auf einem toten Planeten eh keine Arbeit mehr gibt, wie sich bei den jüngsten Protesten in London deutlich gezeigt hat, wo Pendler*innen auf XR-Aktive losgingen. Die erreichen wir, indem wir Alternativen anbieten und diese auch in unseren Forderungen klar formulieren.

Bisher arbeitet der Großteil der Menschheit für Wenige und diese Wenigen treffen die Entscheidungen über unseren Planeten und damit über unsere Zukunft. Das können sie, weil ihnen die Produktionsmittel, also Maschinen, Fabriken, usw. gehören. Wenn wir diese aber enteignen und das öffentliche Eigentum demokratisch durch Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse kontrolliert und verwaltet würde, dann könnten wir wirklich im Interesse der Allgemeinheit wirtschaften.

Wir können die Kontrolle über Betriebe und Unternehmen den Angestellten, Vertreter*innen aus Umwelt- und Verbraucherschutz geben. So könnte sichergestellt werden, dass die Beschäftigten ihre Jobs behalten, die Umwelt geschützt würde und wir alle uns das leisten können, ohne unseren Lebensstandard zu senken. Wir könnten beispielsweise beschließen, mehr Busse und Bahnen  herzustellen, die in einem ausgebauten Streckennetz häufiger fahren und kostenlos sind, so dass man auf Fahrten im Auto mehr und mehr verzichten könnte. Wir könnten sofort das Ende der Kohleenergie läuten. Und das ist nur der Vorgeschmack auf das, was möglich ist, wenn die Wirtschaft nicht den Profiten von Wenigen, sondern den Bedürfnissen von Allen dient.

Der Artikel stammt aus der November-Ausgabe der “Solidarität” und wurde am 26.10.2019 fertig gestellt. Neuere Entwicklungen um Äußerungen des Extinction Rebellion-Gründers Hallam konnten nicht berücksichtigt werden.

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