Abschluss Galeria Kaufhof Karstadt: Fünf Jahre Lohnverlust

Sanierungstarifvertrag schreibt Lohnverzicht bis Ende 2024 fest

Als die Kolleg*innen zum Warnstreik am 12. und 13. Dezember, also mitten im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft, gerufen wurden, hatten sie sicher mit vielem gerechnet: Möglicherweise ein Nachgeben der Geschäftsführung gegenüber der Rückkehr in den Flächentarif des Einzelhandels und wenn nicht, dann ein Streik zu Weihnachten. Für viele dürfte es eine böse Bescherung gewesen sein, als am 20.12. verkündet wurde, dass sie in Zukunft gerade auf das Weihnachtsgeld verzichten müssen.

Von René Arnsburg, Berlin

Nachdem das Management des zukünftigen Handelskonzerns Galeria Kaufhof Karstadt am 13. Dezember alle Verhandlungsergebnisse vom Tisch wischte und sogar noch Absenkungen forderte, wurde vom Verhandlungsführer Orhan Akman zurecht gesagt: „Das ist eine unverschämte Provokation, die fast zum vollständigen Scheitern der Tarifverhandlungen geführt hat.” Bis zum 19. Dezember wurde dem Unternehmen Zeit gegeben, seine Aussagen zu überdenken und es wurde bereits ein Weihnachts-Streik auf die Tagesordnung gesetzt. Um den Druck auf die Beschäftigten zu erhöhen, der während des Weihnachtsgeschäftes ohnehin enorm ist, wurde gezielt die Meldung in den Medien gestreut, dass der Handelskonzern Millionenverluste nach der Übernahme schreibe und der zweitägige Warnstreik sein Übriges getan hätte.

Überraschendes Verhandlungsergebnis

Mit Spannung wurde das Ablaufen der Frist erwartet. Am 20. Dezember hieß es plötzlich, dass es nicht nur ein Verhandlungsergebnis, sondern gar einen (Sanierungs-)Tarifvertrag gäbe. Die ausgehandelten Bedingungen wurden den Kolleg*innen nicht zur Abstimmung vorgelegt. Das erinnert sehr an die Runde des Flächentarifs im Sommer 2019, als die Ergebnisse meilenweit von den Forderungen entfernt waren. Nach einigen örtlich begrenzten Warnstreiks, wurde das Ergebnis in einem Bundesland nach dem anderen übernommen und die Kampfkraft blieb ungenutzt. Hier wurde der Abschluss sogar in der Presse verkündet, bevor die Tarifkommissionen überhaupt darüber beraten und abstimmen konnte. Eine Abstimmung unter der Mitgliedschaft oder breitere Beratungen waren auch hier nicht vorgesehen.

Nicht wenige dürften sich ungläubig die Augen gerieben haben, angesichts dessen, was hier „für sie“ verhandelt wurde. Zwar bekommen die Kolleg*innen bei Karstadt Sports und in den Warenhäusern 10,47 Prozent mehr Gehalt (was keine Erhöhung, sondern ein Ausgleich zum vorherigen Absenkungstarif war). Dafür müssen aber alle Beschäftigten, inklusive Kaufhof, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten. Somit stehen nicht nur die 10,47 Prozent lediglich auf dem Papier, sondern es wurde noch ein handfester Lohnverlust bei Kaufhof ausgehandelt. Dies wurde für Standortsicherung und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2024 zugestanden. Dass Unternehmen tausend Wege finden, diese Regelungen zu umgehen und Stellenabbau auf andere Weise betreiben, spüren Beschäftigte ständig am eigenen Leib. Die Rückkehr in die Fläche soll ab 1.1.2025 geschehen, bis dahin bleibt es bei 97 Prozent des Flächentarifs, also dem Verzicht, den die Kolleg*innen bei Kaufhof ohnehin schon Jahren üben. Die zukünftigen Erhöhungen des Flächentarifvertrags sollen automatisch an die gut 25.000 Beschäftigten weitergegeben werden. Insgesamt sind ihnen somit nicht nur fünf Jahre lang die Hände gebunden, für sich selbst bessere Ergebnisse zu erkämpfen, sondern sie können nicht einmal ihr Gewicht in die gemeinsame Tarifrunde in der Fläche werfen, um bessere Ergebnisse zu erkämpfen. Angesichts dieses Abschlusses wirkt die Vorteilsregelung für ver.di-Mitglieder wie blanker Hohn: 270 Euro Einkaufsgutschein pro Jahr als Gegenleistung für die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Das wird nicht ausreichen, die Leute vom Nutzen einer Gewerkschaft zu überzeugen und vom Austritt abzuhalten.

Dafür wurde nicht gekämpft

Es wurde eindeutig die Chance verpasst, in einer Eskalation der Streikmaßnahmen, die Kolleg*innen der Karstadt Warenhäuser in den Solidaritätsstreik zu rufen. Lange genug haben die Beschäftigten verzichtet, um Karstadt oder Kaufhof auf Ihrem Rücken zu sanieren, nur damit der neue Besitzer und Milliardär Benko übernimmt und noch mehr aus ihnen quetschen will. Um sich richtig für den Kampf zu rüsten, hätte es eine breite branchen- und gewerkschaftsübergreifende Solidaritätskampagne geben müssen und dann hätte das Druckmittel Weihnachtsgeschäft schon nach wenigen Tagen zum Einknicken bei der Geschäftsleitung geführt.

Von außen kann nur gemutmaßt werden, welches Regime im Fachbereich Handel bei ver.di herrscht. Nicht nur, dass Kompromisse oder gar Niederlagen bei Abschlüssen als große Erfolge der Verhandlungsführung gefeiert werden. Kritische Stimmen sind unerwünscht – wir erinnern uns an die Abmahnung gegenüber dem Sekretär Damiano Quinto wegen eines Facebook-Posts, der den Abschluss im Einzelhandel im Sommer kritisch beleuchtet. Trotzdem wurde Stefanie Nutzensberger erneut auf dem Bundeskongress zur Fachbereichsleiterin gewählt – mit dem schlechtesten Ergebnis von allen. Tarifverhandlungen werden als Chef(innen)sache hinter verschlossenen Türen geführt und die Ergebnisse werden denen, die sie betreffen nicht zur Diskussion und Entscheidung vorgelegt. Es stellt sich die Frage, ob die Verantwortlichen im Fachbereich nicht viel mehr an ihren guten Beziehungen zur Gegenseite interessiert sind, als daran, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Daran knüpft sich die Frage an, ob sie die richtigen Personen an den richtigen Stellen sind, die das Richtige vertreten.

Das Vertrauen in die Spitze im Fachbereich ist erschüttert und zurecht muss eine Antwort darauf gegeben werden, wie Arbeitskämpfe, aber auch die eigene Gewerkschaftsorganisation unter der Kontrolle und Entscheidungsgewalt der Mitgliedschaft steht, die sich nicht darauf beschränkt, alle paar Jahre Vorsitzende und Kommissionen zu wählen.

Mitglieder von Verhandlungs- und Tarifkommissionen, egal auf welcher Ebene, müssen jederzeit wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein und Funktionär*innen dürfen nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn beziehen. Es darf keine voreilige öffentliche Verkündung von Ergebnissen durch die Verhandlungsführung geben, damit die Beschäftigten sich zuerst ein Bild vom Verhandlungsstand machen können und nicht aus der Presse davon erfahren. Ergebnisse müssen ohne Druck aus den Medien oder von der Verhandlungsführung in den Betriebsgruppen und auf Delegiertenkonferenzen diskutiert und abgestimmt werden können, denn sie bestimmen, wie Zehntausende Kolleg*innen in Zukunft arbeiten und verdienen werden.

Auf der Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften diskutieren Aktive verschiedener DGB-Gewerkschaften darüber, wie Streiks und Gewerkschaften demokratisch geführt werden können und die Entscheidung wirklich bei denen an der Basis liegen kann, die kämpfen.

„AG 2 MEHR DEMOKRATIE IN ARBEITSKÄMPFEN UND GEWERKSCHAFTEN

Was können wir aus Erfahrungen lernen und wie können wir diese verallgemeinern? Von der Aufstellung der Tarifforderungen über die Streiktaktik bis zur Annahme eines Verhandlungsergebnisses ‒ fast überall machen Kolleg*innen die Erfahrung, dass ihre Kämpfe nicht in ihren eigenen Händen liegen. Aber es gibt auch ermutigende Beispiele.“

Meldet Euch jetzt zur Konferenz an: http://www.vernetzung.org/ticketspreise/