Gewerkschaften und die Krise

Kämpfen statt “mitgestalten”!

Kein Tag vergeht ohne eine neue Hiobsbotschaft über Stellenabbau oder gar Entlassungen in einem Betrieb der Auto- und Zulieferindustrie, aber auch anderen Unternehmen wie Thyssen-Krupp oder Siemens. Die Zukunftsängste wachsen, weil Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren gehen sollen.

von Angelika Teweleit, Berlin

Die IG Metall schreibt, dass allein in Baden-Württemberg 160 Unternehmen dabei seien, “Sparprogramme durchzudrücken, von Kündigungen bis hin zu Standortschließungen”. Gleichzeitig ist die Rezession noch nicht in der gesamten Wirtschaft angekommen. In vielen Bereichen herrscht immer noch massiver Personalmangel, insbesondere bei den besser ausgebildeten und bezahlten Fachkräften. 

Im Zusammenhang mit Stellenabbau werden statt der wirtschaftlichen Lage häufig Schlagworte wie “Transformation”, “Digitalisierung” und “Wandel” genannt. Dahinter verbergen sich in Wirklichkeit Rationalisierungsprogramme. Vor allem soll die Flexibilisierung weiter vorangetrieben werden. Wenn nun durch Absatzrückgänge Verluste gemacht werden, wollen die Bosse, dass die Beschäftigten durch Lohnkürzungen, Stellenabbau und Entlassungen dafür zahlen.

Bündnisse mit Regierung und Bossen

Die Führungen der DGB-Gewerkschaften reagieren wie immer mit Rezepten der Sozialpartnerschaft. Unter dem schönen Namen “Rat der Arbeitswelt” hat Arbeitsminister Heil einen “Sachverständigenrat” unter Leitung der Siemens-Personalchefin Janine Kugel und dem ehemaligen ver.di-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske einberufen. Solche runden Tische mit Vertreter*innen aus Unternehmen, Politik und Gewerkschaften sind besonders in Krisenzeiten beliebt. Auch haben der Industrieverband BDI und der DGB eine gemeinsame Erklärung verfasst. Das darin geforderte milliardenschwere Investitionsprogramm besteht jedoch nicht darin, den Personalnotstand in Krankenhäusern, Schulen und Kitas endlich zu beseitigen. Stattdessen geht es darum, Milliardenpakete für die Rettung der Profite bereitzustellen, zum Beispiel über Kaufprämien für E-Autos oder auch eine Million Ladestationen, was aber nicht helfen wird, die CO2-Emissionen zu verringern.  

Die mit der Merkel-Regierung ausgehandelten Programme zu Kurzarbeit und Kaufprämien in der letzten Krise 2008/2009 wurden von den Gewerkschaftsführungen als Erfolg verbucht. Doch ob solche Maßnahmen noch einmal Massenentlassungen in Großkonzernen verhindern, und wenn für wie lange, steht in den Sternen. 

Auch von den letzten zehn Jahren wirtschaftlichem Aufschwung hatte die Masse der Beschäftigten wenig. Anders sah die Welt der Bosse aus. Allein 2018 haben die im Dax vertretenen Unternehmen 95 Milliarden Euro verdient.  Das Vermögen der BMW Erben Stefan Quandt und Susanne Klatten erhöhte sich 2018 allein durch die Dividenden der BMW-Aktien um 6,8 Millionen Euro pro Tag auf insgesamt 34 Milliarden Euro. Diese Summe, die beide privat zur Verfügung haben, entspricht etwa einem Zehntel der Ausgaben aus dem gesamten Bundeshaushalt im Jahr 2019!

Standortpolitik 

Die Interessen der Kapitalisten sind denen der Beschäftigten diametral entgegengesetzt. Trotzdem beschwören die Gewerkschaftsführungen weiterhin die gemeinsamen Interessen mit den Unternehmern zum Schutz des Standorts Deutschland. Das bedeutet Bereitschaft für Zugeständnisse, sobald die Bosse mit Produktionsverlagerung drohen. Auch im Hinblick auf die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr 2020 geht die IG Metall-Führung trotz einzelner kämpferischer Reden schon jetzt viel zu defensiv und kompromissbereit in die Auseinandersetzung, wenn sie davon spricht, “mindestens” einen Inflationsausgleich erreiche zu wollen. Es wird so getan, als ob es die Rekordgewinne der letzten Jahre nicht gegeben hätte.

ver.di

Trotz markiger Worte steht auch der neu gewählte ver.di-Vorsitzende Frank Werneke für den sozialpartnerschaftlichen Weg. Mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat er Gespräche über einen “Digitalisierungstarifvertrag” begonnen. Es ist zwar richtig, dass Veränderungen am besten tarifvertraglich abgesichert werden, damit nicht jede Dienststelle damit allein gelassen wird. Doch bei Gesprächen hinter verschlossenen Türen, ohne demokratische Beteiligung der Betroffenen, sind Zugeständnisse, wie weitere Flexibilisierungsmaßnahmen, vorprogrammiert. 

In den letzten Jahren hat es aufgrund des Nachholbedarfs im öffentlichen Dienst große Warnstreikmobilisierungen gegeben. Dazu kamen wichtige Arbeitskämpfe in Bereichen, die sonst nicht als schwere Bataillone der Arbeiter*innenklasse gesehen wurden, wie im Sozial- und Erziehungsdienst, Krankenhäusern, dem Einzelhandel, Amazon, dem Sicherheitsgewerbe und vielen mehr. Es gibt hier viele gute und kämpferische Ansätze, doch hat die ver.di-Führung das Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft.

Auch wenn der Zeitpunkt nicht klar ist, kommt eine Wirtschaftskrise auf die Arbeiter*innenklasse zu, die aller Wahrscheinlichkeit nach tiefer sein wird, als die von 2008/2009. Angesichts dessen werden Gewerkschaftsführungen gebraucht, die sich konsequent auf die Seite der Kolleg*innen stellen und zum den Kampf für die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Sozialleistungen mobilisieren. 

Die Tarifrunden für mehr als zehn Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie, im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, bei der Telekom und anderen könnten genutzt werden, um zu mobilisieren, damit die Kolleg*innen einerseits ihre eigene Kampfstärke kennenlernen und andererseits, um Bossen und Regierung ein klares Signal zu senden. 

Arbeitszeitverkürzung zum Thema machen

Den massiven Reichtum der letzten Jahre haben die Beschäftigten unter immer härter werdenden Arbeitsbedingungen erwirtschaftet. Das geht so weit, dass viele sich nicht mehr vorstellen können, wie sie das Rentenalter noch halbwegs gesund erreichen sollen. Bei Umfragen sagen viele Kolleg*innen, dass sie kürzere Arbeitszeiten wollen. Fatalerweise wird es von den Gewerkschaftsführungen so dargestellt, als sei Arbeitszeitverkürzung automatisch mit Lohnverzicht verbunden. Stattdessen muss die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn wie im Kampf um die 35-Stundenwoche im Jahr 1984 wieder aufgegriffen werden. Zudem ist notwendig, den vollen Personalausgleich zu fordern, damit die Kolleg*innen nicht dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit machen müssen.

Auf dem ver.di Bundeskongress wurde gegen die ursprüngliche Empfehlung der Antragskommission eine Diskussion über die 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im Leitantrag beschlossen. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass es nicht nur bei Kongressbeschlüssen bleibt, sondern dies in die konkrete Tarifpolitik einfließt, einschließlich einer Aufklärungs- und Informationskampagne zur Vorbereitung auf einen solchen Kampf.

Gemeinsam kämpfen

Die anstehenden Tarifrunden müssten genutzt werden, um gemeinsam Stärke zu zeigen und Solidarität untereinander aufzubauen, innerhalb der jeweiligen Branchen, sowie branchen- und gewerkschaftsübergreifend. 

Die IG Metall könnte mit einer kämpferischen Ausrichtung schon im Frühjahr einen Auftakt machen. 24-Stunden-Warnstreiks wie 2018 sollten wieder durchgeführt werden, aber es sollte nicht damit enden. Für verbindende Forderungen wie die Einführung der 30-Stundenwoche für alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich und einem klaren Nein zu Entlassungen und Stellenabbau, könnten Hunderttausende Kolleg*innen motiviert und auch für einen unbefristeten Streik mobilisiert werden. Wenn, wie zu erwarten, die Unternehmen mit harten Bandagen darauf reagieren, müssten unmittelbar Solidaritätsstreiks in anderen Branchen wie zum Beispiel im öffentlichen Dienst organisiert werden. 

ver.di könnte ähnliche Forderungen für ihre Tarifrunde aufstellen (wie die 35-Stunden-Woche als ersten Schritt zur 30 Stunden-Woche) und dies auch gegenüber den Arbeitgebern klar machen. Auch wenn die IG Metall-Führung diese Chance nicht ergreift, könnte ver.di diese Forderung für die Bereiche Nahverkehr und Bund/Kommunen im Sommer aufstellen. Es könnte eine große tarifpolitische Bewegung auf den Weg gebracht werden, mit gemeinsamen Kundgebungen und Demonstrationen von Kolleg*innen aus den verschiedensten Bereichen. 

Eine solche Bewegung würde die Republik verändern. Gewerkschaftseintritte auf täglicher Basis könnten erreicht werden. Es würden viel mehr Möglichkeiten eröffnet, in schlecht organisierten Bereichen gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen. Die Stärke von Gewerkschaften würde so sichtbar wie seit Jahrzehnten nicht und das könnte auf viele – gerade auch jüngere – Kolleg*innen motivierend wirken, sich einzubringen. 

Verstaatlichung

In den Betrieben, wo jetzt mit Stellenabbau gedroht wird, muss zudem ein Kampf organisiert werden, anstatt weiteren Verzicht zu akzeptieren, angeblich um Stellen zu erhalten. Auch Kurzarbeiterregelungen stellen keine langfristige Lösung für die betroffenen Kolleg*innen dar. Auch die Suche nach neuen Investoren bedeutet bei Standortbedrohung doch letztlich nur, dass ein anderer Kapitalist mit neuen Erpressungsversuchen gegenüber der Belegschaft neue Abwehrkämpfe nötig macht. Stattdessen sollte die Forderung nach der Verstaatlichung des Betriebs unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch  die arbeitende Bevölkerung aufgestellt werden. Damit könnten Entlassungen verhindert, Arbeitsbedingungen verbessert, Einkommen gesichert werden. Gleichzeitig könnte, wo nötig, ein sinnvolles Konzept für Umstellung hin zu okölogisch sinnvoller Produktion angegangen werden. 

Politische Alternative

Anstatt, wie unlängst der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zur Fortsetzung der Großen Koalition aufzurufen, sollten die Gewerkschaften grundlegend ihre Unterstützung für alle Parteien aufkündigen, die für Sozialabbau und die Interessen der Bosse stehen. Eine kämpferische Gewerkschaftspolitik, die der Masse der Kolleg*innen eine Alternative aufzeigt, würde es auch rechtspopulistischen Rattenfänger*innen wie der AfD schwerer machen, in Betrieben Fuß zu fassen. Gleichzeitig ist wichtig, den Ansatz der LINKEN hin zu einer neuen politischen Interessenvertretung für die arbeitende Bevölkerung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms auszubauen.

Gemeinsam mit sozialen Initiativen und Bewegungen sowie der LINKEN könnten die Gewerkschaften für ausreichend bedarfsgerechte Wohnungen auf Grundlage von Kostenmiete,  eine bedarfsgerechte gesetzliche Personalbemessung in Krankenhäusern und in der Pflege, für eine Rente ab 60 und zwar oberhalb der Armutsgrenze, einen Mindestlohn von 13 Euro, einen kostenlosen ÖPNV und den massiven Ausbau des Schienenverkehrs mobilisieren. Nötig sind wirkliche Mobilisierungen auf der Straße und aus den Betrieben heraus, einschließlich Arbeitsniederlegungen bis hin zu politischen Streiks. 

Ein solcher Kurswechsel der Gewerkschaften kommt nicht von alleine und mag noch weit weg erscheinen. Aber er ist notwendig. Kämpferische Kolleg*innen und Betriebsgruppen müssen sich vernetzen und organisieren, um eine politische und personelle Alternative aufzubauen, egal in welcher Gewerkschaft.

Angelika Teweleit ist Mitglied der Bundesleitung der Sol. Außerdem ist sie Teil des Sprecher*innenkreises der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG).

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