„Zwangsbündnis“ in Sachsen

Foto: Pawel Sosnowski / Sächsische Staatskanzlei

Am 20.12. wurde mit der Wahl Michael Kretschmers zum Ministerpräsidenten die bundesweit dritte „Kenia-Koalition“ inthronisiert

In der Livesendung des Mitteldeutschen Rundfunks (mdr) von der Wahl des Ministerpräsidenten, erklärte Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp noch, der Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und Grünen für das Bundesland Sachsen besitze derart detaillierter Regeln für den Umgang miteinander, wie bislang kein anderer. Auf diese Weise sollten „Abstimmungspannen“ vermieden werden. Die erste folgte dann dennoch auf dem Fuß: Statt der 66 Stimmen, die die drei Regierungsfraktionen im Landtag auf sich vereinigen, erhielt Ministerpräsident Michael Kretschmer nur 61 und damit genau eine mehr als nötig.

Von Steve Hollasky, Dresden

Kretschmer führt die neue Landesregierung nun planmäßig für die nächsten fünf Jahre. Bei den Landtagswahlen im September hatten sowohl CDU als auch SPD schwere Einbußen hinnehmen müssen. Die AfD war mit 27,5 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Um weiterhin Ministerpräsident zu bleiben, musste Kretschmer die Kabinettsliste um Minister aus den Reihen der Grünen erweitern. DIE LINKE hatte gut sieben Prozentpunkte im Vergleich zu 2014 verloren. Während seines Auftritts am 20. Dezember im Landtag fantasierte Jörg Urban, Landeschef der Alternative für Deutschland (AfD), über einen „Linksruck“ in der sächsischen Regierung. Mit einem Buch über die Geschichte der Autoindustrie, das er dem frisch gewählten Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) überreichte, wollte er diesen an seine angebliche Verantwortung der Industrie, also den Unternehmern gegenüber, erinnern.

Ministerriege steht für Überwachung und Sozialabbau

Große Sorgen müssen sich die Rechtspopulisten um Urban wegen des angeblichen „Linksrucks“ oder eines vermeintlichen Regierens gegen die Interessen der Kapitalisten wohl kaum machen. Allein schon die Liste der Personen, die künftig am Kabinettstisch Platz nehmen werden, ist ein Garant für einen Ausbau des Überwachungsstaates und den weiteren Abbau sozialer Leistungen.

Da wäre Hartmut Vorjohann (CDU). In seine Zeit als Finanzbürgermeister der sächsischen Landeshauptstadt fällt der Verkauf aller kommunalen Wohnungen an Fortress. Vor wenigen Jahren wurden diese Wohnungen dann von der Vonovia übernommen.

Die Folge dieser häufig kritisierten Maßnahme sind rasant steigende Mieten. Nach Angaben der Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) war die Mietsteigerung zwischen 2009 und 2014 in Dresden größer als in der bayerischen Landeshauptstadt München!

Mit dem Schritt der Privatisierung wurden die Dresdner Mieter*innen enteignet. Gerade für den von ihnen finanzierten Bau von Plattenbausiedlungen wie Gorbitz und Prohlis erhielten sie keinerlei Gegenleistung.

Thomas Schmidt (CDU) wechselt vom Landwirtschaftsressort in das neu geschaffene Ministerium für Regionalentwicklung. Als Kopf der Agrarwirtschaft im Freistaat war ihm, nicht zuletzt von den Grünen, vorgeworfen worden, für die hohe Nitratbelastung sächsischer Böden mit verantwortlich zu sein. Der Grund hierfür war seine allzu hohe Bereitschaft, landwirtschaftlichen Unternehmern Ausnahmegenehmigungen zum Düngen ihrer Felder zu erteilen. Diese „Sperrfristverschiebungen“ erlaubten diesen Unternehmen das Aufbringen von Gülle zu Zeiten, in denen das eigentlich untersagt ist.

Das Landwirtschaftsministerium wird Wolfram Günther von den Bündnisgrünen übernehmen. Er hatte in den letzten Jahren die Nitratbelastung und die Verantwortung der Christdemokraten hierfür wiederholt skandalisiert. Nun sitzt er mit Schmidt in einer Regierung.

Auf dem Stuhl des Innenministers bleibt Roland Wöller (CDU). Erst vor wenigen Monaten hatte dieser die Gründung der Sonderkommission Linksextremismus (SokoLinx) in Leipzig mit veranlasst. Insbesondere die Grüne Jugend Leipzig hatte diesen Schritt damals kritisiert. Kein Wunder, war doch Sachsen in den letzten Jahren vor allem durch eine Zunahme rechter Straftaten und Übergriffe bekannt geworden.

Ebenso gehörten die Grünen zu den Kritiker*innen des neuen Polizeigesetzes. Erst im August hatten sie zusammen mit der Linkspartei Verfassungsklage gegen dieses Gesetz eingelegt. Das hält sie nicht davon ab, es in der Zukunft in der Regierung mit zu vollstrecken.

Inhaltslose Versprechungen

Ob die im 133seitigen Koalitionsvertrag vorgesehene „anonymisierte Wechselkennzeichnung“ von Polizeibeamt*innen in „geschlossenen Einheiten“ wirklich eine Verbesserung zum jetzigen Zustand darstellt, muss bezweifelt werden. Wie eine neue Studie der Ruhr-Universität Bochum zu Polizeigewalt beleuchtet hat, kommen die wenigstens Straftaten von Polizist*innen zur Anzeige. Das dürfte umso mehr gelten, als die staatlichen Organe mit dem neuen sächsischen Polizeigesetz weit mehr Zugriffsmöglichkeiten haben.

Der Koalitionsvertrag verspricht auch mehr pädagogisches Personal für die Schulen und KITAs im Freistaat. Für Schulen sollen pädagogische Assistenzstellen geschaffen werden. Diese sollen Lehrer*innen entlasten. Eine Senkung der Pflichtstundenzahlen für Lehrer*innen, in den 90er Jahren angeblich lediglich vorübergehend um zwei Wochenstunden ohne Gehaltsausgleich erhöht, steht für die Regierung nicht zur Debatte.

Bis 2030 will man in KITAs den Personalschlüssel auf 1:4 festsetzen. Damit verspricht die neue Regierung schon jetzt etwas, was eine nachfolgende Regierung halten muss. Es fällt aber nicht nur deshalb schwer, diese Versprechen ernst zu nehmen. Sie alle unterliegen einem Haushaltsvorbehalt. Gibt es aus Sicht der Landesregierung kein Geld, dann werden die Vorhaben eben nicht umgesetzt.

Damit schwebt über ihnen allen das Damoklesschwert der knappen Kassen. Da der Landtag vor einigen Jahren eine Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen hat, wird es dann auch nicht den Versuch geben, alternative Finanzierungsquellen zu erschließen.

Im ganzen Koalitionsvertrag taucht das Wort „Armut“ nicht ein einziges Mal auf, geschweige denn das Wege thematisiert würden, diese effektiv zu bekämpfen.

Der Koalitionsvertrag stellt zwar fest, dass man die Tarifbindung erhöhen will, was in dem Bundesland mit den wenigsten Tarifverträgen dringend nötig ist, doch Wege dahin werden nicht aufgezeigt. Ernst nehmen kann man solche Versprechen kaum. Zudem sollen die sächsischen Fachkräfte gut geschult werden, aber „Bildungsurlaub“ will Kretschmer ihnen nach eigener Aussage nicht gewähren. Denn der sei „unfair“ gegenüber den Unternehmern, wie der Ministerpräsident auf einem Sonderparteitag der CDU erklärte.

Im Wohnungsbau will die Landesregierung „kooperative, genossenschaftliche und gemeinwohlorientierte Modelle“ fördern. Ein Bekenntnis zum Sozialwohnungsbau in Form von kommunalem Eigentum würde sich anders lesen.

Angesichts all dessen von einem „Linksruck“ zu sprechen, ist nur dann möglich, wenn man sich wie die AfD eine marktradikale Politik im Interesse der Großunternehmen und Banken wünscht. Dafür wären die Rechtspopulisten ganz sicher bereit, noch viel weiter zu gehen als es die „Kenia-Koalition“ in Sachsen tun wird.

Was tut DIE LINKE?

DIE LINKE hat in den Wahlen im September schwere Verluste hinnehmen müssen. Eine der hauptsächlichen Ursachen hierfür ist das Auftreten der Partei in der Öffentlichkeit. Wahrgenommen wird sie hauptsächlich als Partei des Establishments. Dies vor allem auch aufgrund der Bereitschaft der LINKEN mit prokapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen zu regieren. Diese Parteien stehen für Sozialabbau, Abschiebungen und Beteiligung an Kriegen.

Auch in der sächsischen Landesregierung werden Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerung nicht lange auf sich warten lassen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer aufziehenden ökonomischen Krise und dem Dogma des Verbots Schulden aufzunehmen.

Insofern ist die vom Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Rico Gebhardt, am 22.12. gegenüber dem Neuen Deutschland (ND) skizzierte Linie der Oppositionsarbeit der LINKEN katastrophal. “Wir wollen beides“, heißt es dort, „Unterschiede zwischen den Koalitionsparteien herausstellen, zugleich aber einen guten Draht zu Grünen und SPD pflegen, auch außerhalb des Parlaments”. Unterdessen wird sich die AfD sehr wahrscheinlich als Fundamentalopposition präsentieren und auf diese Weise die Wut vieler Menschen im Freistaat auflesen.

Für Gebhardt ist die Koalition ein „Zwangsbündnis“, kein „Zukunftsbündnis“. Aber gerade deshalb ist sein Reflex, mit Grünen und SPD weiter gut zusammenzuarbeiten eben verhängnisvoll, wenn diese doch gleichzeitig Teil dieses „Zwangsbündnisses“ sind.

„Business as usual“ scheint schockierender Weise der Slogan der gesamten LINKEN in Sachsen zu sein. In der Landeshauptstadt wird sie Anfang Januar die Fortsetzung der Kooperation mit SPD und Grünen im Stadtrat beschließen. Auch bei der Kommunalwahl in diesem Jahr hatte die LINKE schwere Einbußen erlitten.

Was müsste sie tun?

Im Wahlkampf wollte sich DIE LINKE betont radikal darstellen. Sie plakatierte großflächige Plakate, auf denen vom „demokratischen Sozialismus“ die Rede war. Im Grunde genommen war das vollkommen richtig. In einer Zeit, in der Kapitalismus global Klimazerstörung, Kriege, Flucht und Elend und vor Ort Pflegenotstand, Armut, Niedriglohn und Rassismus bedeutet; in einer solchen Zeit muss man dringend eine grundlegende gesellschaftliche Alternative aufzeigen.

Doch DIE LINKE verpasste zu erklären, was genau denn „demokratischer Sozialismus“ heißen soll und wie er erreicht werden kann. Aber auch, was das für ihre konkrete Politik bedeutet, so wurde der Slogan zu einer leeren Phrase. Und sie verpasste zu erklären, was er nicht heißen soll. Nur wenn sie das tut, kann sie Erfolge haben.

Dabei geht es darum klar zu sagen, dass Sozialismus eben nichts mit dem bürokratischen, undemokratischen Regimen des Ostblocks zu tun hat. Aber eben auch nichts gemein hat mit einer Welt, in der für den Profit alles über den Haufen geworfen wird. Man muss den Menschen konkret zeigen, was anders und besser wird, wenn man das kapitalistische Eigentum zu Gunsten von demokratisch verwaltetem, gesellschaftlichem Eigentum abschafft.

Aktuell würde das heißen, dass DIE LINKE zu Beginn des neuen Jahres in Sachsen zu einer Konferenz einladen sollte, auf der mit Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen, Organisationen von Migrant*innen und Initiativen von Pflegenden und Mieter*innen darüber diskutiert wird, welche Schritte man gehen muss, um die soziale Situation aller hier lebender Menschen zu verbessern und rassistische Übergriffe einzudämmen. Diejenigen, die dort mit der LINKEN debattieren würden, wären – anders als Grüne und SPD in der Regierung – wirkliche Partner im Kampf um eine sozialistische Gesellschaft.

Man könnte direkt mit den Betroffenen darüber diskutieren welche Maßnahmen man im Kampf für bezahlbaren und guten Wohnraum ergreifen müsste. Oder wie wir am besten für eine bedarfsgerechte Pflege kämpfen könnten und wie wir in Sachsen die prokapitalistische und rassistische AfD stoppen könnten.

Der LINKEN fiele dabei vor allem die Aufgabe zu, ganz plastisch zu erklären, weshalb kapitalistisches Eigentum das eigentliche Problem ist: Weil es die Voraussetzung für eine Welt ist, in der es nur um den Profit der Besitzer*innen dieses Eigentums geht. Und ebenso könnte sie darstellen, weshalb gesellschaftliches Eigentum an Banken und Konzernen eine Hilfe wäre: Weil es die Voraussetzung dafür ist, dass demokratisch darüber entschieden wird, wofür wir den gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum einsetzen wollen.

Das wäre allemal besser, als in Richtung Regierungsbänke zu schielen. Wenn DIE LINKE nicht endlich wirklich das Steuer herumreißt, droht sie nicht mehr aus der momentanen Krise herauszufinden.

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