Amazon-Beschäftigte in den USA: „We have the power!“

Die sich entwickelnde Revolte der US-Arbeiter*innenklasse

„Und meine Botschaft an Herrn Bezos (Milliardär und Inhaber von Amazon) ist einfach. Ich halte nichts von ihrer Macht. Sie denken, Sie sind mächtig? Wir sind diejenigen, die die Macht haben. Was werden Sie tun, ohne unsere Arbeit? Sie werden kein Geld haben. Wir haben die Macht. Wir erwirtschaften das Geld für Sie. Vergessen Sie das niemals… Ich bekomme Anrufe von Amazon-Beschäftigten aus dem ganzen Land und sie alle wollen auch die Arbeit niederlegen… Wir beginnen eine Revolution, und die Menschen im ganzen Land unterstützen uns.“

von Peter Taaffe

Das sind die großartigen Worte des kämpferischen Arbeiters, Chris Smalls, der am vergangenen Montag die Arbeitsniederlegung im Amazon-Standort auf Staten Island im Bundesstaat New York mitorganisierte. Diese Worte sind hoch symptomatisch für eine sich anstauende Stimmung der Opposition innerhalb der amerikanischen Arbeiter*innenklasse – aber nicht nur von ihnen, sondern der Massen weltweit – gegen die diktatorische Klasse der Bosse, die sich erhoffen mit dem US-Präsidenten Donald Trump trotz Massenentlassungen brutale Kürzungen gegen eine in ihren Augen vermeintlich wehrlose Arbeiter*innenklasse durchzusetzen. Die Reaktion von Chris Smalls und den Arbeiter*innen in diesem Amazon-Lager verdeutlichen die Welle der Opposition – eine riesige heranziehende Revolte vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien und weltweit – welche sich Bahn bricht und in der nächsten Periode exponentiell anwachsen wird.

Zwei ähnliche Berichte, die sich mit diesem Fall befassen, erschienen in der britischen Presse: einer im “liberalen” Guardian in dem auch die kämpferischen Kommentare dieses Arbeiters zur “Revolution” vorkommen und ein anderer im Sprachrohr des Finanzkapitals, der Financial Times, in dem diese Kommentare fehlen. Und das ist kein Zufall. Selbst die Berichte in der Financial Times können schlussendlich ihren Weg zu den Arbeiter*innen in Großbritannien und anderswo finden. Auf diese weise können beide Berichte Amazon-Arbeiter*innen in Großbritannien und in anderen Ländern in einem größeren wirtschaftlichen Zusammenhang, durch unsere Zeitung, zur Nachahmung inspirieren: Das Motto „kenne deinen Feind“ ist hier zutreffend.

In der Tat ist die fesselnde Schilderung, wie sich diese Amazon-Arbeiter*innen gegen die Strafmaßnahmen der Bosse erhoben, ein kraftvoller Ausdruck des grundlegenden Wandels, der in der amerikanischen Arbeiter*innenbewegung stattfindet, was wiederum auf die kommende Massenrevolte hinweist – insbesondere unter der Peitsche des maroden amerikanischen Kapitalismus und seines abstoßendsten nationalen Vertreters, Donald Trump. Chris Smalls schreibt: “Als ich mich bei Amazon bewarb, war die Stellenbeschreibung einfach. Sie besagte, dass man einen Highschool-Abschluss oder einen GED (General Educational Development) haben und fünfzig Pfund heben können müsse. Und das war’s. Nun, wegen Covid-19 wird uns gesagt, dass die Arbeiter bei Amazon ‘das neue Rote Kreuz’ seien. Aber wir wollen keine Helden sein. Wir sind normale Menschen. Ich habe keinen medizinischen Abschluss. Ich wurde nicht für den Einsatz als Ersthelfer ausgebildet. Man sollte nicht von uns verlangen, dass wir unser Leben riskieren, um zur Arbeit zu kommen. Aber das tun wir.”

Wir stimmen zu. Diese Worte werden bei Millionen von Arbeiter*innen auf der ganzen Welt Widerhall finden: Postangestellte, Lastwagenfahrer usw. und viele andere, die mit einer ähnlich skandalösen Situation konfrontiert sind. Chris Smalls weitere Kommentare: “Und jemand muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden, und diese Person sind Sie”, bezieht sich auf Jeff Bezos. Chris Smalls fährt fort: “Ich arbeite seit fünf Jahren bei Amazon. Bis ich letzte Woche aus dem Lagerhaus Staten Island in New York City gefeuert wurde, war ich Manager-Assistent, der ein Team von etwa 60 bis 100 “Kommissionierern” beaufsichtigte, die Artikel aus den Regalen nehmen und sie auf Förderbänder stellen, um sie zum Versand zu bringen.“

Doch dann, Anfang März, noch vor dem ersten bestätigten Fall von Coronavirus in der Einrichtung, wurden die Menschen krank: Müdigkeit, Schwindelgefühle, Erbrechen. Er informierte deshalb die Personalabteilung: “Hey, hier stimmt was nicht. Wir müssen das Gebäude unter Quarantäne stellen. Ich wollte, dass wir proaktiv und nicht reaktiv handeln. Das Management stimmte dem nicht zu und versicherte mir, dass sie ‘die CDC (Gesundheitsbehörde)-Richtlinien befolgen'”. Wie sehr ähnelt diese Situation zahllosen Arbeitsplätzen in Großbritannien, selbst in Krankenhäusern, in denen das gefühllose und unsensible Management versucht, die gleichen Methoden anzuwenden, und auf den Widerstand einiger Gewerkschaften – aber nicht aller – und der Arbeiter*innen stößt?

Mangelnder Schutz

So lautet auch die Beschreibung der bestehenden Zustände: “Der Mangel an Schutzmaßnahmen beunruhigte mich. Im Inneren des Lagers gibt es Handschuhe, aber sie sind nicht die richtigen. Sie sind aus Gummi statt aus Latex. Es gibt auch keine Masken. Handdesinfektionsmittel ist Mangelware. Es gibt nur begrenzte Reinigungsmittel. Die Menschen laufen mit ihrem eigenen persönlichen Handdesinfektionsmittel herum, aber viel Glück dabei, eines in einem Geschäft vor Ort zu finden. Aufgrund dieser Bedingungen fühlte ich mich nicht sicher, also nahm ich mir meinen bezahlten Urlaub, um zu Hause zu bleiben und nicht krank zu werden. Irgendwann ging mir jedoch die bezahlte Urlaubszeit aus, und ich musste wieder arbeiten gehen. Andere Kollegen haben diese Möglichkeit nicht. Viele meiner Kollegen und Freunde in der Niederlassung von Amazon haben gesundheitliche Probleme. Einige haben Asthma oder Lupus oder Diabetes. Andere sind ältere Menschen oder schwanger. Sie sind seit einem Monat nicht zur Arbeit gegangen, also wurden sie nicht bezahlt. Sie tun das nur, um ihr Leben zu retten: Wenn sie das Virus bekommen, könnten sie tot sein. Einer meiner Freunde, der Lupus hat, lebt bei seinen Verwandten, damit er keine Miete zahlen muss. Können Sie sich vorstellen, wenn er das nicht tun könnte? Dann wäre er wahrscheinlich obdachlos.”

Chris gibt hier nur wieder, was Millionen von Lohnabhängigen in den USA und in der ganzen Welt erlebt haben und heute noch erleben, auch in Großbritannien. Darüber hinaus ist sein Blick auf die “Obdachlosen” – das wahrscheinliche Schicksal vieler amerikanischer Arbeiter*innen, die aus den Betrieben geschickt wurden – eine erschreckende Erinnerung an das, was die Arbeiter*innenklasse in der “Großen Depression” der 1930er Jahre erlebte, was das Schicksal der amerikanischen Arbeiter*innenklasse heute sein könnte, wenn sie nicht zu Millionen kämpfen. Was dieser mutige Arbeiter zeigt, ist das wahrscheinliche Resultat der Angriffe der gierigen amerikanischen Kapitalisten und ihres narzisstischen Präsidenten Trump, einem der brutalsten gewerkschaftsfeindlichen Präsidenten der US-Geschichte. Dies wurde in dem erschütternden ITV-Programm am Donnerstag, dem 2. April, deutlich gezeigt: “Trump und das Virus”. Es skizzierte die schreckliche Zukunft für die wachsende Masse der hungrigen Obdachlosen, die unter Brücken in New York und anderen Städten der USA schlafen, sowie alle anderen Erniedrigungen, die sich aus dem spektakulären Niedergang des US-Kapitalismus ergeben.

Vor der gegenwärtigen Krise hat es eine Reihe von Berichten und Büchern gegeben, die den langsamen und glanzlosen Niedergang des US-Kapitalismus beschrieben haben, welche wir sowohl in der Zeitung The Socialist als auch im Magazin Socialism Today besprochen haben. Eines dieser anschaulichen Bücher ist ‘The Unwinding’, das im Oktober 2013 in Socialism Today rezensiert wurde. Ein weiteres jüngeres Buch ist ‘Dignity: Seeking Respect in Back Row America” des Fotojournalisten Chris Arnade, das implizit die wachsende Revolte beschreibt, die sich seit langem zusammenbraut und die sich nun vor unseren Augen entfaltet, insbesondere in seinen grafischen Fotografien und Worten der Opfer des amerikanischen Kapitalismus. Wir hoffen, dass wir dies in den nächsten Wochen in einer unserer Publikationen noch einmal Revue passieren lassen können, so anschaulich ist das Bild, das sie vom sozialen und wirtschaftlichen Verfall Amerikas über einen längeren Zeitraum beschreiben.

Unmenschliche Arbeitsbedingungen

Nichts kann jedoch die einfachen Erklärungen der Arbeiter*innen über die Bedingungen der unmenschlichen und höllischen Arbeitsbedingungen ersetzen, mit denen sie konfrontiert sind. “Ein weiteres Problem ist, dass Amazon Zwangsüberstunden auferlegt hat, um mit der Nachfrage aller, die online bestellen, Schritt zu halten. Das Ergebnis ist, dass Amazon-Mitarbeiter*innen bis zum Umfallen arbeiten werden, nur damit sie zusätzlich zu ihrem regulären Lohn zwei Dollar pro Stunde verdienen können. Wissen Sie, wie ich das nenne? Blutgeld. Kolleg*innen, die zusätzliches Geld verdienen wollen, arbeiten bis zu sechzig Stunden pro Woche und riskieren dabei ihr Leben. Einige arbeiten auch, obwohl sie krank sind. Wenn die Leute husten und niesen, sagen sie, oh, es sind nur Allergien. Es ist eine beängstigende Zeit, jetzt im Warenlager zu sein”.

Er endet: “Als ich letzten Dienstagmorgen wieder zur Arbeit ging, sprach ich mit einem Teammitglied, das sehr krank aussah. Sie sagte mir, sie befürchte, dass sie Corona habe und habe versucht, sich testen zu lassen. Ich sagte ihr, sie solle nach Hause gehen und sich etwas ausruhen. Dann, zwei Stunden später, hatten wir ein Manager-Meeting. Da erfuhren wir, dass wir einen ersten bestätigten Krankheitsfall im Betrieb hatten. Das Verrückte daran war, dass die Geschäftsleitung uns anwies, es den Kolleg*innen nicht zu sagen. Sie hielten es sehr geheim. Ich dachte, die Geheimhaltung sei falsch, also erzählte ich, sobald ich die Sitzung verließ, so vielen Leuten wie möglich von der Situation. Kurz danach begann ich, E-Mails an das Gesundheitsamt des Staates New York, den Gouverneur, die CDC usw. zu schicken.“

“Ich habe alles getan, was ich konnte, um dieses Lagerhaus zu schließen, damit es ordnungsgemäß hygienisch gereinigt werden konnte, aber die Regierung ist zu überfordert, um jetzt zu handeln. Da wurde mir klar, dass ich selbst etwas tun musste. Ich glaube, sie haben mich ins Visier genommen, weil ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe. Die Sache ist die, es wird nicht funktionieren. Ich beschloss, das Bewusstsein unter den Arbeiter*innen im Gebäude zu verstärken. Ich hatte Treffen in den Gemeinschaftsräumen, und Dutzende von Arbeiter*innen kamen zu uns, um über ihre Sorgen zu sprechen. Die Leute hatten Angst. Wir gingen zum Büro des Geschäftsführers, um die Schließung des Gebäudes zu fordern, damit es desinfiziert werden konnte. Wir sagten auch, dass wir für die Dauer dieser Zeit bezahlt werden wollten. Eine weitere Forderung von uns war, dass Menschen, die aufgrund der gesundheitlichen Rahmenbedingungen nicht zur Arbeit gehen können, bezahlt werden. Warum müssen sie riskieren, sich mit dem Virus anzustecken, um Essen auf den Tisch zu bringen? Dieses Unternehmen verdient Milliarden von Dollar. Dennoch stoßen unsere Forderungen und Bedenken auf taube Ohren. Es ist verrückt. Es ist ihnen egal, ob wir krank werden. Amazon denkt, wir seien entbehrlich.”

Dann beschlossen 50 bis 60 Beschäftigte, den Arbeitsplatz zu verlassen, und einige von ihnen sprachen mit der Presse. Chris fuhr fort: “Es war schön, aber leider glaube ich, dass es mich meinen Job gekostet hat. Am Samstag, einige Tage vor der Arbeitsniederlegung, teilte mir Amazon mit, dass sie mich unter ‘medizinische Quarantäne’ stellen wollten, weil ich mit einer Person Kontakt hatte, die krank sei. Es machte keinen Sinn, weil sie keine anderen Personen unter Quarantäne stellten. Ich glaube, sie haben mich ins Visier genommen, weil ich im Rampenlicht stehe. Die Sache ist die, es wird nicht funktionieren. Ich bekomme Anrufe von Amazon-Beschäftigten aus dem ganzen Land und sie alle wollen auch die Arbeit niederlegen. Wir beginnen eine Revolution, und die Menschen im ganzen Land unterstützen uns.“

Doch Amazon bekam mehr Widerstand, als sie erwartet hatten: Der New Yorker Generalstaatsanwalt forderte eine Untersuchung der “skandalösen Entlassung von Chris Smalls”.

Mega-Monopol steht Revolte gegenüber

Dieses Megamonopol, das jeden Tag etwa 270.000 Arbeiter benötigt, um seinen Betrieb in den USA reibungslos aufrechtzuerhalten, sieht sich einer gewaltigen Revolte gegenüber. Weltweit beläuft sich die gesamte Belegschaft des Unternehmens auf 800.000. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu massiven nationalen Streiks der Beschäftigten bei Amazon sowie zu internationalen Vernetzungen dieser potentiell mächtigen Kraft kommen kann.

Vor allem deutet dies auf die wachsende Revolte der amerikanischen Arbeiter*innenklasse hin, die die Ereignisse in den USA in der nächsten Zeit entscheidend beeinflussen kann. Dies hat sich durch die Amtszeit von Trump beschleunigt. Und doch ist es erschreckenderweise nicht ausgeschlossen, dass er bei den Präsidentschaftswahlen im November zurück an die Macht kehren kann, so kläglich ist die Opposition der kapitalistischen Demokraten mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden. Dies könnte selbst dann geschehen, wenn er vom ehemaligen Präsidenten Obama unterstützt wird, der darauf aus ist, die Stimmen der Afroamerikaner*iinnen und Frauen durch die Nominierung einer weiblichen Vize-Präsidentschaftskandidatin, Elizabeth Warren, zu gewinnen. Auf der anderen Seite beginnen einige Demokraten in ihrer Verzweiflung damit, dafür zu werben, dass der Gouverneur des Staates New York, Andrew Cuomo, wenigstens auf der Kandidatenliste steht; er hat sich zumindest in der Opposition zu Trump als wortgewandt erwiesen.

Die ganze Situation in den USA schreit jedoch nach der Gründung einer Arbeiter*innen-Massenpartei, indem man mit den Demokraten bricht und eine Kraft schafft, die den Klassenhass jener Arbeiter wie Chris Small und Millionen anderer politisch nutzbar machen kann, die sich instinktiv, aufgrund ihrer eigenen Erfahrung, in den Fabriken und an den Arbeitsplätzen, aber auch in der politischen Praxis unerbittlich gegen den amerikanischen Kapitalismus und Trump stellen.

Die US-Arbeiter*innenklasse könnte immer noch der Amboss sein, auf dem das Schicksal nicht nur der USA, sondern der Welt geformt werden kann. Sie hat ein immenses Machtpotenzial, aber sie muss politisch und organisatorisch von den konservativen Zwängen der zu Unrecht so genannten “Freunde der Arbeit” befreit werden. Es sind jene Arbeiter*innen bei Amazon und Millionen anderer, die für mächtige unabhängige Gewerkschaften kämpfen, verbunden mit der Idee einer sozialistischen demokratischen Massenpartei der Arbeiter*innenklasse, die die Macht übernehmen und Amerika und die Welt neu gestalten kann.

Peter Taaffe ist Politischer Sekretär und ehemaliger Generalsekretär der Socialist Party England und Wales. Der Artikel erschien am 6. April auf socialistworld.net im englischen Original.

Print Friendly, PDF & Email