In NRW bestimmt die Wirtschaft über die Corona-Politik
Aktuell wird in der Öffentlichkeit über die Rolle von Unternehmen bezüglich der Corona-Politik der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfahlen diskutiert. Die Medien sprechen über den Einfluss von Großspendern auf die Politik. Man sollte die Sache aber bei Namen nennen: Korruption.
Von Jens Jaschik, Sol Dortmund
Im Fokus der Landesregierung NRW stehen die Interessen des Kapitals. Das hat sie mit Beginn ihrer Amtszeit deutlich gemacht und auch während der Corona-Krise hat sich nichts daran geändert. Kein Wunder, dass zu den beschlossenen Lockerungsmaßnahmen die Wiedereröffnung des Einzelhandels und der Möbelhäuser gehört. CDU-Landesminister für Gesundheit und Arbeit Karl-Josef Laumann erklärt ganz offen, dass es sich hier „um ein klares wirtschaftliches Interesse“ handelt. Der Sprecher des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie bedankt sich auf Twitter für die „wirtschaftsnahe Entscheidung“. Aber es war die Wirtschaft selbst, die ganz klar mitentschieden hat.
Zur Begründung der Lockerungsmaßnahmen beruft sich die Landesregierung auf die Heinsberg-Studie. Finanziert wurde die Studie von verschiedenen Konzernen. Die Gries Deco Company spendete 10.000 Euro an die PR-Agentur Storymachine, welche für die Social-Media-Kampagne der Heinsberg-Studie zuständig ist. Die 33 Filialen des Möbelhauses Depot, die zur Muttergesellschaft Gries Deco Company gehören, sind inzwischen wieder geöffnet. Firmenchef und CDU-Mitglied Christian Gries spendete zum Wahlkampf 2017 der CDU 49.900 Euro. Parteispenden über 50.000 Euro müssen durch den Deutschen Bundestag öffentlich gemacht werden. Ein anderer Financier der Bewerbung der Heinsberg-Studie ist die Unternehmensgruppe Deutsche Glasfaser, die eng mit dem NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart von der FDP zusammenarbeitet.1 2
Zusätzlich beruft sich CDU-Ministerpräsident Armin Laschet auf den von der Landesregierung eingerichteten Expertenrat zur Corona-Krise. Während man in diesem Rat Vertreter*innen der Beschäftigten vergeblich sucht, findet man dafür zahlreiche Wirtschaftsvertreter*innen. So gehören dem „Expertenrat“ neben dem Virologen Henrik Streeck, der auch Autor der Heinsberg-Studie ist, zum Beispiel die baden-württembergische Unternehmerin Nicola Leibinger Kammüller an, die unter anderem Vorsitzende der Geschäftsführung des Maschinenbauer „Trumpf“, Kuratoriumsmitglied der Robert Bosch Stiftung, Mitglied des Aufsichtsrats der Siemens AG und der Axel Springer SE, sowie Mitglied des Beirats der Landesbank Baden-Württemberg und der BW-Bank ist. 2017 spendete sie der CDU 18.600 Euro und ihr Unternehmen Trumpf der CDU sogar 100.000 Euro und der FDP 50.000 Euro. Oder Claudia Nemat, Vorstandsmitglied der Telekom und Mitglied des Verwaltungsrat von Airbus. Oder Michael Hüther, unter anderem Mitglied der Atlantik-Brücke, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der Ludwig-Erhardt-Stiftung und der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Bei allen Mitglieder*innen des „Expertenrates“ finden wir Verbindungen zu Konzernen und Banken, zu wirtschaftsnahen Stiftungen und Unternehmer-Netzwerken.3 4
Offiziell erklärt die Landesregierung, dass (Partei)-Spenden und Verbindungen zur Wirtschaft nichts mit der Einberufung in den „Expertenrat“, den Ergebnissen der Heinsberg-Studie oder den politischen Entscheidungen der Landesregierung zu tun haben. CDU und FDP mögen viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Aber die Tatsachen sprechen für sich. Über die Politik entscheidet die Wirtschaft.
Wer bestimmt über die Maßnahmen?
Im Kapitalismus entscheidet im Großen und Ganzen am Ende immer die Wirtschaft über die Politik, trotz Parlamenten und Wahlen. Die Aufgabe des Staates ist es nicht, als neutraler Vermittler zwischen verschiedenen Interessengruppen zu agieren, sondern als ideeller Gesamtkapitalist die Interessen der herrschenden Klasse, den Eigentümer*innen der Banken und Konzerne, durchzusetzen. Parlamentarier*innen sind nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet, und nicht ihren Wähler*innen oder ihren Wahlversprechen. CDU, SPD, Grüne und AfD haben scheinbar kein Gewissen, schließlich handeln sie hauptsächlich im Interesse ihrer Geldgeber.
Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts hat Korruption perfektioniert und diese ist ein fester Bestandteil des Systems. Die Anfangszeit des Kapitalismus, als das Wahlrecht noch vom Einkommen abhing, ist längst vorbei. Und auch ist es nicht mehr nötig, dass im Geheimen schwarze Aktenkoffer voll Bargeld den Besitzer wechseln – was sicherlich noch oft genug geschieht. Politiker*innen kann man inzwischen viel einfacher kaufen. Schon Lenin stellte 1917 in seiner Schrift „Staat und Revolution“ die rhetorische Frage, ob es nicht (indirekte) Korruption ist, wenn Politiker*innen nach ihrer Polit-Karriere plötzlich in den Aufsichtsräten großer Konzerne sitzen. Etwas, was wir in Deutschland oft genug beobachten können. Kapitalisten üben ihren Einfluss über Parteispenden oder Entlohnungen für Reden aus, alles völlig legal. Hinzu kommt, dass Lobbyisten jederzeit im Bundestag, im Kanzleramt oder in den Landtagen ein- und ausgehen können, und zahlreiche Verbindungen durch Institute, Stiftungen und Netzwerken, wie der Atlantikbrücke, aufrecht erhalten werden.
Die Interessen der einfachen Bevölkerung, der Arbeiter*innenklasse, werden nur umgesetzt, wenn es Druck von unten gibt. Auch kleine Zugeständnisse wurden nur umgesetzt, weil das politische Establishment Angst hatte, Unterstützung zu verlieren. Je stärker der Druck von Unten, umso mehr können wir durchsetzen. Die herrschenden Parteien werden im Zuge der sich gerade entwickelnden Weltwirtschaftskrise immer weniger bereit sein, die Lebenssituation der einfachen Bevölkerung zu verbessern. Stattdessen werden wir allgemeine Angriffe auf unseren Lebensstandard erleben. Deswegen müssen wir uns organisieren, und auf der Straße und im Betrieb für unsere Interessen kämpfen. Daher brauchen wir kämpferische Gewerkschaften, die mit der Sozialpartnerschaft brechen – die Sol setzt sich hierfür mit der VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften ein – und eine sozialistische, klassenkämpferische LINKE, die offensiv für die Interessen der Arbeiter*innenklasse eintritt und es mit den Banken und Konzernen und ihren politischen Helfershelfern aufnimmt.
Aktuell versucht sich die SPD in NRW als Kritikerin der Landesregierung zu präsentieren. Das ist reine Heuchelei. Als die SPD noch zusammen mit den Grünen in NRW an der Macht war, wurde auch ihre Politik von den Interessen der Wirtschaft geleitet. Weil die LINKE.NRW es 2017 nicht in den Landtag schaffte, fehlt dort jetzt eine starke oppositionelle Kraft. Die Sol setzt sich dafür ein, dass die einfachen Menschen – Arbeiter*innen, Schüler*innen, Studierende, Gewerkschafter*innen, Pflegekräfte usw. – über die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und Betriebsschließungen entscheiden, und wir kämpfen für eine sozialistische Demokratie in der die Mehrheit der Menschen demokratisch über Politik und Wirtschaft bestimmt und nicht eine kleine Minderheit.
Friedrich Engels über Korruption
In seiner 1891 veröffentlichten Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ schreibt Friedrich Engels zur Frage der Korruption innerhalb der bürgerlichen Demokratie:
„In den meisten geschichtlichen Staaten werden außerdem die den Staatsbürgern zugestandenen Rechte nach dem Vermögen abgestuft und damit direkt ausgesprochen, dass der Staat eine Organisation der besitzenden Klasse zum Schutz gegen die nichtbesitzende ist. (…) Diese politische Anerkennung des Besitzunterschieds ist indes keineswegs wesentlich. Im Gegenteil, sie bezeichnet eine niedrige Stufe der staatlichen Entwicklung. Die höchste Staatsform, die demokratische Republik, die in unsern modernen Gesellschaftsverhältnissen mehr und mehr unvermeidliche Notwendigkeit wird und die Staatsform ist, in der der letzte Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie allein ausgekämpft werden kann – die demokratische Republik weiß offiziell nichts mehr von Besitzunterschieden. In ihr übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus. Einerseits in der Form der direkten Beamtenkorruption, (…), andrerseits in der Form der Allianz von Regierung und Börse, die sich um so leichter vollzieht, je mehr die Staatsschulden steigen und je mehr Aktiengesellschaften nicht nur den Transport, sondern auch die Produktion selbst in ihren Händen konzentrieren und wiederum in der Börse ihren Mittelpunkt finden.“
Auch nach über hundert Jahren bleibt Friedrich Engels’ Analyse aktuell.
1 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/spenden-corona-storymachine-laschet100.html
2 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-04/heinsberg-studie-hendrik-streeck-storymachine-armin-laschet
3 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/spenden-corona-storymachine-laschet100~_page-2.html#articleStart
4 https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerpraesident-armin-laschet-beruft-expertenrat-corona