Dokumentiert: Stellungnahme der ver.di-Personalrätin Dorit Hollasky aus Dresden
Dieser Tarifvertrag ist rekordverdächtig: in kürzester Zeit, ohne Aufforderung zur Verhandlung durch die Mitgliedschaft, ohne ihre Beteiligung beim Abschluss, im Umlaufverfahren abgestimmt, wurde am 1.4.2020 bekannt gegeben, dass ver.di mit dem VKA einen Tarifvertrag zur Kurzarbeit im Öffentlichen Dienst abgeschlossen habe. Zwar ist die Äußerungsfrist noch nicht abgelaufen, jedoch wird das Ergebnis schon überall öffentlich bekannt gegeben und gelobt.
War dieser Tarifvertrag notwendig?
Als Ziel des TV erklärt ver.di zwei Punkte. Erstens sollen die Kommunen entlastet werden. Allerdings handelt es sich beim Kurzarbeitergeld ebenfalls um Steuermittel, die nur aus einem anderen Topf kommen. Die Unterstützung der Kommunen wäre also auch unkomplizierter möglich gewesen. Zweitens sollen die Beschäftigten abgesichert werden. Hier ist nicht klar, wieso dieses Problem überhaupt aufgeworfen wurde. Beschäftigte mit unbefristeten Arbeitsverträgen im Öffentlichen Dienst haben gesicherte Arbeitsverhältnisse. Durch Einführung dieses Tarifvertrages werden sie überhaupt erst verunsichert, weil damit von Gewerkschaftsseite bestätigt wird, dass es äußere und wirtschaftliche Umstände geben kann, die eine Kündigung rechtfertigen würden. Sie folgt damit der Logik, dass öffentliche Dienstleistungen und Daseinsfürsorge sich „rechnen“ müssten. Dadurch besteht die große Gefahr, dass die VKA einen ähnlich lautenden Tarifvertrag für die Zukunft und für andere Situationen (z.B. wirtschaftliche Krisen) behalten wollen wird.
Bei den konkreten Inhalten des Tarifvertrages (TV) gibt es sehr viele offene Fragen.
- Für wen soll der TV gelten? Im Schreiben des Tarifsekretariats vom 3.4.2020 steht, dass Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Jobcenter, die Bundesagentur für Arbeit und Bereiche der Kinderbetreuung nicht betroffen sein werden – doch schon im nächsten Abschnitt und auf S. 3 der Info des Tarifsekretariats werden die geschlossenen Kindertageseinrichtungen als konkretes Beispiel genannt, wo die Beschäftigungsverhältnisse erheblich in Gefahr geraten bzw. wo erheblicher Arbeitsausfall bestehen würde. Bei den Bereichen Ver- und Entsorgung sowie Verwaltung wird die Formulierung „dürfte Kurzarbeit kein Thema sein“ verwendet. Das „dürfte“ bei den Beschäftigten nicht zu mehr Sicherheit beitragen. Es wird unterschieden zwischen den „Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge“ (die nicht vom TV KUG betroffen sein sollen) und den „kommunalen Betrieben und Einrichtungen, die eigenwirtschaftlich tätig sind“ (für die der Tarifvertrag in Frage kommen soll). Hier werden Unterschiede gemacht, die nicht nachvollziehbar und vermittelbar sind. Wieso sind plötzlich Museen, Bäder, Kindertagesstätten, Theater keine „kommunale Daseinsvorsorge“ mehr? Für Beamte wird der Tarifvertrag naturgemäß nicht gelten, auch das wird Unmut hervorrufen.
- Als Voraussetzung muss ein „erheblicher Arbeitsausfall“ vorliegen und „andere Beschäftigungsmöglichkeiten nachweislich nicht vorhanden“ sein. Allerdings müssen diese Voraussetzung gegenüber der Agentur für Arbeit nur „glaubhaft gemacht“ werden, es besteht keine Beweispflicht. Außerdem soll festgelegt werden, dass der erhebliche Arbeitsausfall sowohl auf einem unabwendbaren Ereignis oder auf wirtschaftlichen Gründen beruhen kann. Als Beispiel für die wirtschaftlichen Gründe sind hier fehlende (Ticket-)Einnahmen bei Museen angeführt. Das ist unverständlich. Soll das bedeuten, dass selbst bei weiterlaufender, evtl. eingeschränkter Tätigkeit z.B. im Lager von Museen, in der Restaurationsabteilung o.ä., wegen der fehlenden Einnahmen ebenfalls Kurzarbeit angeordnet werden kann?
- Beteiligungsrechte der Personal- und Betriebsräte Während Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht vor Einführung der Kurzarbeit in ihrem Betrieb haben, sollen die Personalräte lediglich unterrichtet werden.
- Es wurde eine Ankündigungsfrist für die betroffenen Arbeitnehmer*innen von 7 Tagen festgelegt. Das ist eine sehr kurze Zeitspanne.
- Zur Höhe des Kurzarbeitergeldes Ja, 90 bzw. 95 % sind besser als die üblichen 60 bzw. 67% des Nettolohnes in anderen Bereichen. Und trotzdem werden auch hier die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abgewälzt. Es dürfte nicht wenige Beschäftigte geben, die die Notwendigkeit dieses Tarifvertrages nicht gesehen haben und nun enttäuscht von „ihrer“ Gewerkschaft sind. Die Forderung hätte lauten sollen: 100% Lohnfortzahlung für alle Beschäftigten, die auf Grund der Krise nicht oder weniger arbeiten können oder dürfen! Gemeinsam mit den anderen DGB Gewerkschaften hätten wir dafür eine Kampagne starten sollen. Das wäre ein echter Gebrauchswert der Gewerkschaft für die arbeitende Bevölkerung gewesen. Stattdessen werden so Unterschiede verfestigt – nun sogar zwischen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, aber auch zu anderen von Kurzarbeit Betroffenen.
Im Herbst steht die Tarifrunde Öffentlicher Dienst bevor – wie soll hier die Kampfkraft für einen guten Abschluss mobilisiert werden, wenn kurz zuvor freiwilliger Verzicht per Tarifvertrag festgeschrieben wurde? Auch für andere Forderungen setzen sich viele unserer Mitglieder ein, z.B. kostenloser öffentlicher Nahverkehr, kostenloser Zugang zu Museen und Sportstätten, mehr Personal im Sozial- und Erziehungsdienst, mehr Personal in den Krankenhäusern und insgesamt im Öffentlichen Dienst. Mit Abschluss dieses Tarifvertrages begeben wir uns in eine demütige Position. Wir bestätigen, dass sich Leistungen im Öffentlichen Dienst „rechnen müssen“. Es wird uns extrem schwer fallen, offensive Forderungen zu stellen und dafür zu kämpfen bzw. zu streiken.
Besonders skandalös in dem Verfahren ist die Nichtinformation und -beteiligung der Mitgliedschaft. Selbst die Bundestarifkommission wurde nur über die Verhandlungsergebnisse informiert und soll nun ohne Mitgliederbefragung im Umlaufverfahren über das Ergebnis abstimmen.
Hier fehlt jegliche Demokratie!
Unsere Forderungen sollten sein:
- Kein Lohnverzicht ohne Not – keine Unterschrift unter diesen Tarifvertrag!
- Keine Unterschiede für bestimmte Beschäftigtengruppen!
- 100% Lohnfortzahlung für alle!
Gewerkschaft lebt von Solidarität und dem Kampf um gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Lasst uns die Krise nutzen, um uns weiter zu organisieren, zu vernetzen und stark für eine bessere und soziale Gesellschaft einzutreten!
Dresden, 04.04.2020
Dorit Hollasky