Alles Spinner?

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Zur Frage des Umgangs mit den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen

Seit einigen Wochen gibt es in Deutschland zunehmend Demonstrationen die unterschiedlich tituliert werden. Im Kern geht es um eine krude Mischung aus verschiedenen Kräften, die sich gegen die Politik der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus richtet. Wie sollten Linke mit diesem Phänomen umgehen?

Von Torsten Sting, Rostock

Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass es gute Gründe für Protest gibt. Die letzten Monate haben weltweit zu einer drastischen Einschränkung demokratischer Grundfreiheiten geführt. Der Lockdown hat große Belastungen für den Großteil der Bevölkerung hervorgerufen. Und letztlich entwickelt sich eine riesige Wirtschaftskrise: Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit steigt und die Unsicherheit nimmt zu.

Lockdown hat Klassencharakter

Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) in Baden-Württemberg schreibenin einem Diskussionspapier zurecht: „Kontaktsperren und soziale Distanzierung schonen die Produktion für den Profit, weil sie fast ausschließlich für das private und öffentliche Leben gelten. In Deutschland wurde in den meisten Industriebetrieben ohne bzw. mit völlig ungenügenden Schutz- und Hygienemaßnahmen durchgearbeitet. Beschäftigte müssen weiter in völlig überfüllten Bahnen und Bussen zur Arbeit und nach Hause fahren.  Die Autoindustrie wurde erst dann heruntergefahren als die Lieferketten unterbrochen waren und wieder hochgefahren, als die Lieferketten wieder funktionierten.

In einigen Bundesländern gab es völlig überzogene Ausgangs- und Kontaktsperren (wie Verbote, allein auf Parkbänken zu sitzen), Polizeiwillkür und -repression,  die Weitergabe von Namen von Infizierten an die Polizei und  den Aufruf zum Denunziantentum. Damit sollten der Bevölkerung und dem Einzelnen die Verantwortung für die Pandemie in die Schuhe geschoben werden. Mit dem im Bundestag Ende März verabschiedeten „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemiologischen Lage von nationaler Tragweite“ hat das Gesundheitsministerium eine weitgehende Ermächtigung zur  Beschneidung von Grundrechten erhalten.“

Wo bleibt die Linke?

Man sollte meinen, dass all die genannten Aspekte eine Steilvorlage für die politische Linke und die Gewerkschaften wäre, um zu Demonstrationen aufzurufen. Das ist aber leider nicht der Fall. Die Führung der Gewerkschaften setzt auf Verhandlungen hinter den Kulissen um kleine Verbesserungen (zum Beispiel beim Kurzarbeitergeld) zu erreichen. Letztlich übt sie aber einmal mehr den Schulterschluss mit Politik und Bossen. DIE LINKE kritisiert zwar einzelne Punkte der Regierungspolitik und betont richtigerweise, dass sich etwa im Gesundheitswesen die Dinge radikal ändern müssen. Aber anderseits gibt sich insbesondere die Führung der Bundestagsfraktion als „konstruktive Opposition“. So meinte Dietmar Bartsch zu den ersten Maßnahmen der Bundesregierung Ende März, es sei „ganz klar, dass wir die Grundrichtung teilen, es muss entschlossen gehandelt werden.“ Wenn es Unmut gibt, aber eine linke Alternative nicht angeboten wird, liegt es auf der Hand, dass andere Kräfte in diese Lücke stoßen und genau das passiert gerade.

Was sind das für Leute?

Bei diesen Demonstrationen kommt eine schräge Mischung unterschiedlicher Kräfte zusammen: Verschwörungstheoretiker, Impfgegner*innen, aber auch Rechtspopulisten und Faschisten. Zweifelsfrei gehören nicht alle Teilnehmer*innen zu solchen Gruppen, aber diese bestimmen den politischen Charakter dieser Demonstrationen, die unter dem Deckmantel weder links noch rechts zu sein, tatsächlich nach rechts offen sind und Anknüpfungspunkte für AfD und Nazis bieten.

Auf Bundesebene ist sicher Ken Jebsen, Macher der website kenfm.de, ein zentraler Ideengeber. Dieser spielt die Gefahr von COVID-19 herunter und vertritt die Auffassung, dass selbiges als „Trojanisches Pferd“ diene um demokratische Rechte einzuschränken. Letztlich sei dies alles auf eine weltweite Verschwörung von Bill und Melinda Gates zurückzuführen, die das Ziel hätten hohe Profite mit Impfstoffen zu verdienen usw.

An anderer Stelle werden wir auf die Ideen der Verschwörungstheoretiker näher eingehen. Fakt ist, dass sich neben dieser Figur und seinen Anhänger*innen auch Teile der AfD und offene Nazis beteiligen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die rechte Gegner*innen der Arbeiter*innenklasse und Gewerkschaften stärken könnte.

Wie sollte die Linke vorgehen?

Es ist daher richtig, dass sich bereits in verschiedenen Städten Gegenproteste entwickelt haben. Es ist falsch, wenn sich Linke an solchen Demonstrationen beteiligen. Wichtig ist dabei, dass die Linke die Demonstrierenden der „Hygienedemos“ nicht pauschal als Spinner oder Nazis verunglimpft. Dies macht es für die Linke unmöglich vernünftige Leute zu erreichen und spielt damit den Rechten in die Hände. Es sollte mit eigenen Inhalten protestiert werden: zum Beispiel für besseren Schutz der Beschäftigten im Gesundheitswesen argumentiert, für dessen Verstaatlichung geworben und deutlich gemacht werden, dass es das Profitstreben der Kapitalisten ist, dem wir den schlechten Zustand in den Krankenhäusern und Altenheimen zu verdanken haben. Zudem müssen wir vor Ort auf DIE LINKE und die Gewerkschaften zugehen und diese in die Pflicht nehmen, eigene Proteste zu organisieren. So könnten wir eine Alternative anbieten und (zumindest teilweise) den Rechten das Wasser abgraben.