Es war vorher auch so stressig…

Zur Situation im Supermarkt – Interview mit Stephan*, Mitarbeiter bei Kaufland

Wie war die Situation bei Kaufland vor dem Ausbruch der Corona-Krise?

Es gab in der Vergangenheit viele Probleme mit den Marktleitern, die die Kolleg*innen schikanieren. Es wird oft ein großer Druck aufgebaut und wir sollen immer schneller arbeiten. Personalausfälle können wir meist nicht abdecken. Manchmal – besonders im Weihnachtsgeschäft – werden mit den Schichten Ruhezeiten nicht eingehalten. Unbequeme Mitarbeiter*innen oder auch chronisch Kranke werden gegängelt, dass sie das Unternehmen möglichst verlassen. Die Arbeitsverträge sind sehr unterschiedlich, was es auch schwer macht, hier Solidarität herzustellen. Viele arbeiten in Teilzeit und müssen einen Zweitjob machen, damit sie über die Runden kommen. Die meisten Filialen haben so wie wir keine Betriebsräte und deshalb kann man dagegen nur schwer was machen.

Wie ist die Situation jetzt in der Corona-Krise?

Es hat sich nicht so viel geändert. Es wurden einige Aushilfen und Sicherheitskräfte geholt, die aufpassen sollen, dass die Kund*innen Einkaufswagen nehmen und Abstand halten. Die waren aber nur kurz für das Ostergeschäft da. Die Lager sind sehr voll, wodurch mehr Waren verräumt werden müssen. Aber es war vorher schon so stressig, dass das jetzt gar nicht so auffällt.

Es wird berichtet, dass die Beschäftigten ohne ausreichenden Gesundheitsschutz oder Sonderleistungen arbeiten müssen. Wie ist das bei dir?

Wir haben an den Kassen Plexiglasscheiben und Desinfektionsmittel bekommen. Abstände sollen eingehalten werden, aber in den engeren Gängen ist das gerade beim Einräumen der Waren sehr schwierig. Die meisten Kund*innen halten sich an die Abstandsregeln, aber nun mal nicht alle. Wir werden nicht dazu angehalten, Mundschutz oder Handschuhe zu tragen. Es ist sehr schwierig, mit Handschuhen Kleingeld abzuzählen.

Es wurde sogar das Verbot der Sonntagsarbeit aufgehoben. War das eine sinnvolle Maßnahme?

Die Kolleg*innen haben vor der Krise gern mal einen Sonntag gearbeitet, weil es bei uns 100 Prozent Zuschläge gab. Aber jetzt ist den meisten schon klar, dass das keine Hilfe ist, sondern ein Angriff auf unsere Arbeitsbedingungen.

In den Medien werden gerade die niedrig bezahlten und schweren Jobs im Einzelhandel und der Krankenpflege als „systemrelevant“ eingestuft. Von den Balkonen klatschen Teile der Bevölkerung, um ihre Solidarität auszudrücken. Politiker, die tatsächlich etwas an den Arbeitsbedingungen ändern könnten, sind voller Lob. Reichen dir und deinen Kolleg*innen diese Lobeshymnen?

Am wichtigsten ist der ausreichende Schutz. Es wird gerade stattdessen zur individuellen Entscheidung der Kolleg*innen, ob sie einen Mundschutz verwenden oder andere Maßnahmen einfordern. Leute, die gefährdet sind, sollten bei voller Bezahlung freigestellt werden. Jeder hier im Laden setzt sich einem hohen Risiko aus, dafür müsste es 100 Prozent Zuschlag mindestens geben, besonders da alle jetzt viele Überstunden machen müssen.

Wie reagiert ver.di gerade auf die Situation?

Ver.di hat sich zumindest bei uns gar nicht blicken lassen.

Wäre es jetzt nicht an der Zeit, die Forderungen nach besserer Bezahlung, Ost-West-Angleichung und Allgemeinverbindlichkeit des Flächentarifs umzusetzen?

Es wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt mit Streik zu drohen. Natürlich müsste auf die Stimmung in der Bevölkerung und auf die Versorgung Rücksicht genommen werden. Es könnte auch gestreikt und nebenbei organisiert werden, dass die Menschen an notwendige Lebensmittel und Drogerieartikel kommen. Die meisten Beschäftigten sind schon an der Grenze der Belastbarkeit. Vor allem muss mehr Personal her und die, die schon da sind brauchen vernünftige Verträge, nicht nur Stunden- und Abrufverträge.

In anderen Bereichen wie Amazon oder im Gesundheitswesen gibt es immer mehr Initiativen, in denen sich Beschäftigte zusammenschließen und an die Öffentlichkeit treten, zum Teil auch außerhalb offizieller Strukturen. Wie sieht es bei Euch aus?

Da gibt es bei uns leider nichts. Die Kolleg*innen sind bisher große Belastungen gewohnt. Eine Frage wäre jedoch, wie mit dem Gesundheitsschutz umgegangen wird. Wenn es bei uns in der Filiale einen Corona-Fall gäbe, würde wahrscheinlich nicht viel unternommen werden, um uns zu schützen. Oberste Priorität ist, den Markt nicht schließen zu müssen.

Wie ist das Bewusstsein unter den Kaufland-Beschäftigten?

Den meisten ist schon klar, dass es vor allem um Profit geht. Aber es gibt wenig Möglichkeiten sich zu organisieren, so ohne Betriebsrat und alles. In den Filialen, wo es Betriebsräte gibt, wird oft gestreikt; aber es gibt leider keine Vernetzung oder Initiativen von ver.di uns zusammenzubringen. Im Gegenteil, die Beschäftigten in Filialen ohne gewerkschaftliche Organisierung oder Betriebsrat werden dann oft als Streikbrecher*innen eingesetzt.

Meinst du, aus der jetzigen Corona-Krise und der bereits beginnenden Wirtschaftskrise ergibt sich eine Chance zu gesellschaftlicher Veränderung?

Das denke ich schon. Die Leute sind ja nicht doof. Sie werden sehen, dass die Umsätze seit Jahren da sind und wir nur schuften müssen. Wenn es eine Perspektive für Gegenwehr gibt, sind sie bestimmt da. Statt das Gewerkschaften und DIE LINKE ständig auf Kuschelkurs gehen, müssen sie klar aufzeigen, wo das Geld ist und dass locker die Löhne angehoben und unsere Arbeitsbedingungen verbessert werden könnten. Sie müssten auch erklären, dass die profitorientierte Wirtschaftsweise Schuld an der Krise ist. Es wird nur nach Profitabilität gewirtschaftet und nicht nach dem, was Sinn macht oder gesund wäre. Wahrscheinlich bräuchten wir gar nicht so viele und große Läden, um die Menschen zu versorgen. Es wird kein leichter Weg die Führungen der Gewerkschaften und der LINKEN auf einen anderen Kurs zu bringen, aber es gibt ja bereits gute Ansätze wie die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften). Das wird auch nicht leichter, wenn die Krise erstmal hereinbricht und die Leute geschockt sind. Die Beispiele von Kämpfen wie bei Amazon sind ein großartiges Beispiel und auch Vorbild, das kann vielen Mut machen.

*Vollständiger Name der Redaktion bekannt.