Wilder Streik bei Spargel Ritter

Saisonarbeiter*innen wehren sich gegen feudale Zustände – Bericht von der Demonstration in Bornheim

Am Montag, 18. Mai fand in Bornheim bei Bonn beim Spargel- und Erdbeerproduzenten Ritter eine Demonstration von Erntehelfer*innen und Unterstützer*innen statt. Am Freitag waren sie bereits in den wilden Streik getreten, weil in dem insolventen Betrieb katastrophale Verhältnisse herrschen. Mit der Demonstration sollte mehr Druck gemacht werden. Sol-Mitglieder aus Aachen waren dabei.

Von Christian Walter, Aachen

Am Freitag berichtete der WDR über die Situation, eine Lokalzeitung lieferte weitere Details: Löhne wurden nur teilweise ausgezahlt, trotz Corona-Pandemie müssen die Arbeiter*innen dicht gedrängt in Container-Baracken hausen. Es gibt unzureichende sanitäre Einrichtungen ohne warmes Wasser, die zudem nicht gereinigt werden. Die Verpflegung war teilweise verdorben oder ungekocht. Trotzdem wurde Geld für Unterkunft und Essen einbehalten.

Es gab schnell Solidaritätsbekundungen von vielen linken Gruppen. Lokale LINKE-Vertreter*innen boten am Samstag Betroffenen juristische Unterstützung an. Einzelne suchten laut Medienberichten Unterstützung beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Vor allem aber die anarcho-syndikalistische „Freie Arbeiter*innen-Union“ unternahm Anstrengungen, kam mit einigen Kolleg*innen ins Gespräch und konnte nach eigenen Aussagen mehrere von ihnen organisieren. Damit hat sie als Gewerkschaft das Recht, die Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Trotzdem wurde ihr der Zutritt zu den Unterkünften verwehrt.

Die Betroffenen wurden als Saisonarbeitskräfte aus Rumänien geholt, drei Monate lang sollten sie bei der Spargel- und Erdbeerernte eingesetzt werden. Doch nach gerade mal einem Monat entschied die Gesellschafterversammlung des insolventen Betriebs, die Spargelernte aufgrund der coronabedingten geringen Nachfrage abzubrechen. Manche Arbeiter*innen konnten bei der Erdbeerernte weiter arbeiten, für viele gab es jedoch nichts mehr zu tun. Ihnen wurde gesagt, dass ihr Vertrag aufgehoben würde und sie auf eigene Rechnung nach Rumänien zurück fahren müssten – was für viele unbezahlbar wäre. Bis zum Dienstag (einen Tag nach der Demonstration) hätten sie die Unterkunft zu räumen. Obdachlosigkeit in einem fremden Land wäre die Folge gewesen. Offenbar möchte der Involvenzverwalter den Betrieb auf Kosten der Saisonarbeiter*innen sanieren. Geld für zahlreiche Sicherheitskräfte ist gleichzeitig da.

Demonstration

Um mehr Druck aufzubauen rief die FAU zu einer Demonstration auf. Sie sollte um neun Uhr morgens vor den Container-Baracken starten. Wir kamen etwa eine halbe Stunde vorher an.

Da war noch nicht sonderlich viel los: Mehrere Mitglieder der LINKEN waren da, an ihren Fahnen zu erkennen. Sie kamen aus dem Ort und der näheren Umgebung. Auch einige andere standen und saßen in der Umgebung, allesamt Unterstützer*innen. Betroffene selbst waren noch nicht da.

Mit der Zeit füllte sich der Platz und es kamen einzelne Arbeiter*innen, um sich das anzuschauen. Eine Solidaritätserklärung der linksjugend [‘solid] NRW in deutscher und rumänischer Sprache wurde ausnahmslos von allen Arbeiter*innen genommen und aufmerksam gelesen. Darin wurde auch die Forderung nach einem Branchentarifvertrag aufgestellt. Doch zur Versammlung stellte sich niemand, sie wurde eher vom Rande beäugt. Erst als ein paar Frauen aus den Baracken kamen und die anderen vehement aufforderten, für ihr Geld zu kämpfen, kamen immer mehr. Sie waren auch die Entschlossensten, stimmten Sprechchöre an („Bani, Bani!“ – „Geld, Geld!“) und berichteten den Unterstützer*innen und anwesenden Presseleuten von ihrer Situation.

Einen richtigen Plan, wie genau mehr Druck aufgebaut werden sollte, schien niemand zu haben. Irgendwann sickerte aber durch, dass eine Demonstration zu den Erdbeerfeldern und einer Sortieranlage durchgeführt werden sollte. Dort würde man weitere Arbeiter*innen treffen. Bis die Demonstration ermöglicht wurde dauerte es jedoch noch lange – die Polizei karrte erst über zehn große Mannschaftswagen mit Verstärkung an – fast eine komplette Hundertschaft! – und behinderte die Demo mit absurder Schikane. So mussten alle Ordner*innen die Personalien angeben, es dauerte über eine halbe Stunde, bis die Polizei sie penibel überprüft hatte. In der Zwischenzeit wurden die zur Ernte eingesetzten Arbeiter*innen, wie wir später erfuhren, in ein Nachbardorf gefahren und dort in Bussen festgehalten.

Bis dahin war eine Masse von 150 bis 200 Menschen zusammengekommen, fast die Hälfte davon selber betroffene Arbeiter*innen. Die FAU, die aufgerufen hatte, war gut sichtbar, außerdem DIE LINKE, der Studierendenverband SDS und der Jugendverband linksjugend[‘solid]. Eine kleine Gruppe von Mitgliedern der ver.di-Jugend war mit einem Transparent vertreten, ebenso eine Delegation von Gewerkschafter*innen des Essener Klinikums. Außerdem viele Menschen mit selbstgemalten Schildern, auf denen die Ausbeutung insbesondere von migrantischen Arbeiter*innen kritisiert wurde. Auch die Sol war mit einer Fahne sichtbar.

Die Demo zog kämpferisch, vor allem mit Slogans in rumänischer Sprache, zu dem Erdbeerfeld. Dort angekommen fand man jedoch keine Arbeiter*innen, die man zum Mitdemonstrieren aufrufen konnte – sie waren weggebracht worden. Es herrschte ein großes Fragezeichen. Einige Leute pflückten Erdbeeren und verteilten sie, ein Mensch packte seine Gitarre aus und sang Lieder. Es war eher eine Mittagspausen-Atmosphäre als die einer harten Streik-Auseinandersetzung.

Nach einiger Zeit tauchte der insolvente Besitzer auf. Er wurde von den Streikenden herzlich empfangen. Sie schilderten, übersetzt durch einen FAU-Dolmetscher, ihre prekäre Lage und erklärten gleichzeitig, dass sie in den letzten Jahren, also vor der Insolvenz, zufrieden mit ihm waren. Die Löhne wären gut gewesen, es gab sanitäre Anlagen, das Essen war genießbar. Der Besitzer wiederum erklärte, wie es zur Insolvenz gekommen sei: 2018 habe ein Orkan einen Schaden von mehreren hunderttausend Euro hinterlassen, 2019 habe die Feldsalaternte unter massivem Herbstregen gelitten, wodurch abermals mehrere hunderttausend Euro Verlust angefallen seien. Dann wäre eine Forderung der Krankenkasse gekommen, die ihm den letzten Schlag versetzt habe.

Ein Arbeiter berichtete, dass der Insolvenzverwalter Einigen vor einer Woche 100 Euro für den Rückflug sowie die ausstehenden Lohnanteile versprochen habe, wenn sie einen Aufhebungsvertrag unterschreiben würden. Dieses Angebot sei für die Allermeisten aber kein Thema gewesen. Insgesamt hätte es viele unterschiedliche Infos und Angebote für unterschiedliche Arbeiter*innen gegeben, daher auch die große Verunsicherung und Aufregung. Als man erfahren habe dass Manche weiter Lohnanteile ausgezahlt bekamen, die Meisten aber nicht, sei man in den Streik getreten. Die Familien in Rumänien seien auf das Geld angewiesen. Man wolle die vereinbarten drei Monate für das vereinbarte Gehalt arbeiten.

Es gebe viel Druck und den Versuch seitens des Insolvenzverwalters, die Belegschaft zu spalten. Dagegen würde man sich aber wehren: „Entweder bleiben wir alle oder niemand!“ sagte einer. Gegen diese Geschlossenheit gebe es harte Schikane. So berichtete ein Arbeiter, es gäbe Aushänge mit ID-Nummern von Arbeiter*innen, die weggeschickt werden sollen. Wer sich weigere, würde selbst die versprochene geringe Auszahlung des verbleibenden Lohns nicht bekommen.

Die FAU beschränkte sich an dieser Stelle auf das Dolmetschen, eine kurze juristische Aufklärung und ein Versprechen: Da es sich bei den Mietverträgen für die Unterkunft in den Containern um Werksmietverträge handele, seien sie an den Arbeitsvertrag gebunden. Eine Kündigung und damit ein Rauswurf sei nicht möglich, Obdachlosigkeit drohe nicht. Ebenso habe man Arbeitsverträge mit festgelegtem Lohn über drei Monate bekommen, das stehe den Arbeiter*innen auch zu. Wenn der Arbeitgeber keine Arbeit zu tun habe sei das sein Problem, Löhne müsse er dennoch auszahlen. Wenn der Insolvenzverwalter am Nachmittag kommen würde (für den Zeitpunkt war die Auszahlung der offenen Lohnanteile angekündigt) würden FAU-Vertreter*innen das begleiten und dafür sorgen, dass niemand über den Tisch gezogen oder starkem Druck ausgesetzt werde.

Daraufhin bewegte sich die Masse in Feierlaune zurück zu den Baracken. Es gab keine Aufrufe an die Unterstützer*innen, möglichst vor Ort zu bleiben, der Protest war zu Ende.

Bilanz

Auf dem Rückweg nach Aachen bilanzierten und diskutierten wir dieses Vorgehen. Zum einen meinen wir, dass eine kämpferische Gewerkschaft mal hätte nachfragen sollen, warum denn der insolvente Eigentümer nicht darauf geachtet hat, dass „seine“ Saisonarbeiter*innen vernünftig behandelt werden – auch während des Insolvenzverfahrens. Er muss schon davon gewusst haben, bevor die Arbeiter*innen sich zum wilden Streik entschlossen hatten, und hätte beispielsweise über Politik, Gewerkschaften oder Medien Möglichkeiten gehabt dem entgegen zu wirken. Zum anderen mag es für rumänische Saisonarbeiter*innen möglicherweise „gute Arbeit“ sein, für den Mindestlohn hart zu schuften und in billigen Sammelunterkünften untergebracht zu werden, das liegt sicher auch daran, dass das verdiente Geld in der Heimat deutlich wertvoller ist. Es ist und bleibt jedoch eine heftige Ausbeutung, die kritisiert und bekämpft werden muss. Auch hätte die Offenlegung der Geschäftsbücher gefordert werden können, denn es ist schon seltsam, von einer Zahlung an die Krankenkasse derart überrascht zu werden, dass man Insolvenz anmelden muss. Vor allem jedoch hat sich die FAU vor Ort dazu entschieden, die Protest-Demo zu beenden. Das passierte freilich mit der Zusicherung an die Arbeiter*innen, sie weiterhin zu unterstützen. Doch der Protest war das stärkste Gewicht in dieser Auseinandersetzung. Man hätte vor das Büro oder den Wohnort des Insolvenzverwalters fahren und dort protestieren können oder vor Büros politischer Parteien Unterstützung einfordern können. Stattdessen fuhren die meisten Unterstützer*innen nach Hause, nur Wenige bleiben vor Ort.

Kurz nachdem wir wieder in Aachen angekommen waren, mussten wir auf twitter lesen, dass einem Arbeiter seine ID-Karte weggenommen wurde und er mit den Worten „Es ist jetzt zu Ende!“ weggeschickt wurde. Gewerkschafter wurden von mit Messern bewaffneten privaten Sicherheitskräften bedroht. Die Lohnauszahlung sollte in das Containerdorf verlegt werden, wo der FAU der Zutritt verwehrt wird. Damit könnte sie die Auszahlung nicht begleiten und Betroffene unterstützen.

Natürlich gab sie sich damit nicht zufrieden und nutzte korrekterweise auch juristische Mittel, um die Arbeiter*innen zu unterstützen. Sie blieb vor Ort weiterhin präsent, unterstützte Betroffene nach Kräften und lieferte Informationen. Sie konnte mit Hilfe eines Fachanwalts durchsetzen, dass zumindest dieser die Lohnauszahlung begleiten durfte. Auch dabei sei es zu der Ausübung von Druck gekommen, Arbeiter*innen wären aufgefordert worden 600 bis 700 Euro zu nehmen und dafür Erklärungen zu unterzeichnen, die jegliche weitere Ansprüche unmöglich gemacht hätten. In diesem Kampf wurden fast im Minutentakt krasse Skandale geliefert.

Die FAU hat wichtige Arbeit dabei geleistet, den Arbeiter*innen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen und sie dabei zu unterstützen, für ihr Recht zu kämpfen. Sie hat sich dabei aber mehr an der Seite der Arbeiter*innen und nicht als ihre Führung wahrgenommen (was auch dem anarcho-syndikalistischen Selbstverständnis entspricht). Dabei verfügen ihre Aktivist*innen über ein Repertoire an Erfahrungen aus anderen Kämpfen, an denen sie beteiligt waren oder die sie studiert haben – im Gegensatz zu den meisten Arbeiter*innen, die vor allem wütend, verzweifelt und ratlos waren. In so einer Situation ist es wichtig, politische Führung zu übernehmen: Nicht an sich zu reißen, nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern sensibel und mitnehmend, aber eben doch führend. Mit so einem Vorgehen hätte ein größerer Sieg errungen werden können und die Kraft auch von prekarisierten Saisonarbeiter*innen wäre viel deutlicher geworden. Trotzdem muss festgestellt werden, dass diese kleine Organisation im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten einen großen Anteil daran hatte, dass zumindest ein Teilsieg errungen werden konnte.

Das wäre eigentlich die Aufgabe der DGB-Gewerkschaften mit ihren ungleich stärkerem Gewicht gewesen. Sie glänzten jedoch durch Abwesenheit, abgesehen von der Delegation der ver.di-Jugend.

Diese Auseinandersetzung macht auch deutlich, dass der Staat in solchen Fragen niemals auf der Seite der Arbeiter*innenklasse steht. Trotz Corona-Pandemie wurde auf höchster staatlicher Ebene dafür gesorgt, dass billige Erntehelfer*innen vor allem aus Rumänien einreisen durften – oftmals wurden sie sogar eingeflogen. So sollten die Spargel- und Erdbeerernten und damit die Profite der Erzeuger und der Handelskonzerne gesichert werden. Dass der Staat aber selbst bei so offenkundig krassem Vorgehen des Insolvenzverwalters nicht einschreitet lässt sogar einen anwesenden Polizisten zweifeln. Er meinte: „Eigentlich müsste der sofort in den Knast!“

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