Gemeineigentum statt Belegschaftsaktien

Bernd Riexingers Vorschlag für Belegschaftsaktien ist keine Lösung 

Anlässlich der Daimler-Aktionärsversammlung im Mai 2019 hat der Parteivorsitzende von DIE LINKE, Bernd Riexinger, seine Empörung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Aktionäre der Autoindustrie trotz Dieselskandal „ein fettes Stück vom Kuchen“ bekommen und die dreißig größten Dax-Konzerne 43 Prozent ihrer Gewinne (52 Milliarden Euro) an Dividende ausschütten. 

Von Ursel Beck 

Bernd Riexinger weist in einer Erklärung vom 22.5.2019 zurecht darauf hin, dass die Dividenden auf Kosten der Beschäftigten, der Gesellschaft und des Klimaschutzes entstanden sind. Seine Schlussfolgerung: „An die Bereicherung von Großaktionären muss ein einfaches Prinzip treten: Statt jährlich hohe Dividenden für die Superreichen, jährlich wachsende Belegschaftsanteile – bis hin zu einer Sperrminorität für Belegschaften.“

Bernd Riexinger fordert, das Aktiengesetz so zu ändern, dass die Aktionäre in 2020  keine Dividende erhalten, sondern die Summen vollständig in Belegschaftsanteile umgewandelt werden. Innerhalb der nächsten drei Jahre soll ein Anteil von dreißig Prozent Belegschaftseigentum aufgebaut werden. Für diesen Block an Belegschaftsaktien sollen rechenschaftspflichtige Vertreter*innen in die Aktionärsversammlung und in den Aufsichtsrat entsandt werden. „Damit haben die Belegschaften eine Sperr-Minderheit, ein Veto gegen Standortschließungen und unsinnige Managemententscheidungen“, so Bernd Riexinger. Dietmar Bartsch,  Fraktionsvorsitzender von DIE LINKE im Bundestag forderte im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal bei VW, den Aktienanteil von zwanzig Prozent des Landes Niedersachsen in Belegschaftsaktien zu überführen.

Aktiengesetz = Gesetz fürs Kapital

Bernd Riexinger erklärt, für seinen Vorschlag der Umwandlung der Ausschüttung der Dividende in Belegschaftsansteile  müsse nur Paragraf 174 des Aktiengesetzes geändert werden. Allerdings gibt es im Aktiengesetz einen  Paragrafen, der die von Bernd Riexinger eingeforderte Rechenschaftspflicht ausschließt. In Paragraf 404 ist die strikte Geheimhaltungspflicht der Aufsichtsräte festgeschrieben. Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter*innen, die es heute bereits in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne gibt, dürfen noch nicht mal an Betriebsräte Informationen aus den Aufsichtsratssitzungen weitergeben. Wer es macht, riskiert nicht nur eine Kündigung, sondern sogar eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Hinzu kommt, dass selbst Aufsichtsräte an die wirklich wichtigen Informationen gar nicht herankommen und in wichtige Managemententscheidungen überhaupt nicht eingebunden sind. Kein Vorstand eines Autokonzerns hat den Aufsichtsrat über die milliardenschweren Betrügereien mit Abschalteinrichtungen und Kartellen informiert. 

Wer die ökonomische Macht hat,  hat die  politische Macht

Für die von Bernd Riexinger und Dietmar Bartsch vorgeschlagene Verwandlung der Dividenden in Belegschaftsaktien gibt es im Bundestag keine Mehrheit. Und wenn es sie geben würde, dann würden die DAX-Konzerne ihre ganze ökonomische Macht dagegen auffahren. Es sei daran erinnert, dass Oskar Lafontaine als Finanzminister der SPD-GRÜNE-Regierung von September 1998 bis März 1999 geringfügige Steuererhöhungen für die Konzerne und den Wegfall von Steuerprivilegien für  Energie- und Versicherungskonzerne  plante. Das führte sofort zu einer Machtdemonstration aus den Konzernzentralen. Daimler drohte mit der Verlegung des Firmensitzes von Stuttgart nach Detroit. Energie- und Versicherungskonzerne drohten unverhohlen mit Massenentlassungen und der Schließung und Verlagerung von Standorten. Sechs Monate nach der Wahl hatten die Konzernchefs durch den Rücktritt von Lafontaine erreicht, was sie wollten. Der Dax stieg innerhalb weniger Stunden nach Lafontaines Rücktritt um 300 Punkte bzw. sechs Prozent. Würde den DAX-Konzernen durch Parlamentsbeschluss ihre Dividende weggenommen, würde das sofort auf eine vergleichbare Machtdemonstration hinauslaufen. Dann gibt es nur die Alternative, die Beschäftigten in den Betrieben für die Übernahme der Konzerne in öffentliches Eigentum und deren demokratische Verwaltung zu organisieren, oder zu kapitulieren. Lafontaine hat sich 1999 entschieden vor den Konzernen und ihrem Kanzler Gerhard Schröder zu kapitulieren.

Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit

Beschäftigte können über eine Sperrminorität über Belegschaftsaktien ihre Interessen nicht durchsetzen und auch keine Standortschließungen verhindern. Der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit bleibt bei Belegschaftsaktien bestehen. Kapital vermehrt sich nur durch Profit. Und Profit ist die unbezahlte Arbeit der Arbeiter*innen und Angestellten. Die kapitalistischen Aktionäre wollen möglichst hohe Dividenden und die Arbeiter*innen gute Löhne und sichere Arbeitsplätze. Wenn die Kapitalbesitzer nicht genug Profit machen, können Sie ihr Kapital abziehen. Banken können Gelder sperren oder Betriebe in die Insolvenz treiben, wenn die Belegschaftsvertreter*innen nicht ihren Vorgaben entsprechen. 

Konkurrenzkampf

Im Kapitalismus stehen die Unternehmen im Konkurrenzkampf gegeneinander um möglichst viele Marktanteile. Selbst wenn einer Belegschaft ein Betrieb ganz gehören würde, müsste sie sich im Konkurrenzkampf gegen Konkurrenzbetriebe behaupten. Die Belegschaften der verschiedenen Autokonzerne müssten weiter Produkte produzieren, die auf dem kapitalistischen Markt einen Absatz finden. Wenn der Absatz zurückgeht und die Gewinne sinken, führt das dazu, dass die Vertreter*innen der Belegschaftsaktionäre Lohneinbußen und Entlassungen zustimmen müssten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das ist ein Grund weshalb bei DAX-Konzernen, die vielen Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter*innen in den Aufsichtsräten noch nicht mal die leiseste öffentliche Kritik gegen Managemententscheidungen von sich geben und sich nicht zuletzt auch wegen der hohen Vergütung und sonstiger Privilegien als Co-Manager verhalten. 

Montanmitbestimmung

Bei der 1951 eingeführte Montanmitbestimmung für Bergbau und Stahlindustrie haben die Vertreter der Anteilseigner und die Vertreter*innen der Beschäftigten die gleiche Zahl von Vertreter*innen im Aufsichtsrat. Zusätzlich gibt es einen „neutralen“ Vertreter im Aufsichtsrat. Es gibt einen Arbeitsdirektor im Vorstand, der nicht gegen den Willen der Arbeitnehmer*innenvertreter bestellt werden kann. Das ist meist ein Gewerkschaftsfunktionär. Die Montanmitbestimmung hat die Schließung von Zechen und Stahlbetrieben, die Vernichtung von hunderttausenden von Arbeitsplätzen und die Verarmung des Ruhrgebiets nicht verhindert. Aktuell sollen bei Thyssen-Krupp weitere 6000 Arbeitsplätze vernichtet und in Bochum ein ganzes Stahlwerk geschlossen werden. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Thyssen-Krupp ist IG Metall-Gewerkschaftssekretär Markus Grolms. Arbeitsdirektor bei Thyssen-Krupp ist Oliver Burkhard. Er war bis 2012 Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Er sagte gegenüber dem Stern: „Betriebsbedingte Kündigungen wollen wir vermeiden, sind aber in Ausnahmen möglich“. Das zeigt, dass sich Gewerkschafter*innen, die in Aufsichtsräten sitzen  Entscheidungen im Profitinteresse der Konzerne und gegen die Interessen der Beschäftigten treffen. Im Gegensatz zu Bernd Riexinger empörten sich diese von den Belegschaften gewählten Aufsichtsräte nicht über die 52 Milliarden, die dieses Jahr als Dividenden an die Geschwister Quandt, an den Porsche-Piech-Clan und all die anderen reichen und superreichen Aktionäre der DAX-Konzerne ausgeschüttet wurden. 

Sozialisierungsforderung

In den 1970er und 1980er Jahren haben Stahlarbeiter*innen die Frage der Sozialisierung der Stahlindustrie auf die Tagesordnung gesetzt. So hieß es in einer einstimmig vom Vertrauenskörper von Mannesmann-Huckingen Duisburg im Februar 1979 angenommenen Resolution: „Deshalb fragen wir danach, in welche Zielperspektive unsere tägliche Auseinandersetzung eingebunden sein muss, wenn wir nicht noch ein Leben lang immer wieder aufs neue den Strategien der Kapitaleigner und ihren unmenschlichen Auswirkungen hinterherlaufen wollen…

  • müssen wir nicht wieder – wie schon eine Generation vor uns – die Frage stellen: wer produziert zu wessen Nutzen? Und daraus den Schluss ziehen, dass wir die Diskussion über die Sozialisierung der großen Industrie auf die Tagesordnung setzen?
  • Müssen wir nicht gegen die uneingeschränkte Verfügung der Kapitaleigner über den technischen Fortschritt, Investition, Produktion, ihr Tempo, ihre Richtung, Strategien und Forderungen entwickeln, die darauf zielen, dass wir selbst Herr über die Produktion werden? „ (Quelle: kritisches Gewerkschaftsjahrbuch 1979/80)

Auf dem IGM-Gewerkschaftstag 1983 wurde die Forderung nach der Vergesellschaftung der Stahlindustrie beschlossen. Die IG Metall hat aber nie einen Kampf um die Durchsetzung dieser Forderung geführt. 

DIE LINKE

Die Forderungen nach Sozialisierung in der Stahlindustrie in den 1970er und 1980er Jahren war keine automatische Folge der Krise der Stahlindustrie. Sozialistisch denkende Arbeiter*innen waren ausschlaggebend für die Schaffung solcher Mehrheitsverhältnisse in der IG Metall. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass bereits bei Gründung der IGM im Jahr 1950 das Ziel „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen marktbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum“ in die Satzung aufgenommen wurde.

Die Krise der Autoindustrie und die des  Kapitalismus insgesamt macht es dringend erforderlich klassenkämpferisches, antikapitalistisches und sozialistisches Bewusstsein neu aufzubauen und sozialistische Positionen in die Betriebe und Gewerkschaften zu tragen. Die Partei DIE LINKE hätte dafür die Verantwortung, wenn sie ihrem sozialistischen Anspruch gerecht werden will. Leider wird die Partei dieser Aufgabe nicht gerecht. Zwar unterstützt sie hin und wieder antikapitalistische Forderungen, wie die nach der Enteignung der Immobilienkonzerne oder wenn Bernd Riexinger die Verstaatlichung der Fluggesellschaften fordert. Diese Forderungen sind aber nicht Teilforderungen eines offensiv nach außen getragenen schlüssigen  Programms zur Abschaffung des Kapitalismus und für eine sozialistische Demokratie. Noch schlimmer ist, dass einmal erhobene radikale Forderungen durch entgegengesetzte Forderungen wieder relativiert werden. So unterstützt DIE LINKE die Forderung  nach Überführung des DAX-Konzerns VONOVIA in öffentliches Eigentum durch Enteignung. Mit der Forderung nach Umwandlung der Dividenden der DAX-Konzerne in Belegschaftsaktien wird diese Forderung aber wieder zurückgenommen. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 forderte DIE LINKE „Unternehmen der Daseinsvorsorge, Banken und Versicherungen, Energiekonzerne, Unternehmen der Pharma- und medizinischen Industrie, der Post, der Telekommunikationsinfrastruktur sowie weitere Schlüsselindustrien in öffentliche (oder genossenschaftliche) Hand und in gesellschaftliche Eigentumsformen zu überführen. Wir wollen die großen Stromkonzerne entmachten und in öffentliches Eigentum überführen.“  (Seite 78 Wahlprogramm Bundestagswahl 2017). 

Bei der aktuellen Auseinandersetzungen um die Braunkohle und das Ausbremsen der erneuerbaren Energien verzichtet  DIE LINKE auf die Forderung nach Überführung von  RWE und der Firmen, die den Braunkohleabbau in Ostdeutschland kontrollieren. Würde DIE LINKE diese Forderung stellen und mit der Forderung nach demokratischer Belegschaftskontrolle, Arbeitsplatz- und voller Lohngarantie für alle Beschäftigten verbinden und erklären, dass über diese verstaatlichten Betriebe alternative Beschäftigungsmöglichkeiten organisiert werden können, würde der AfD-Propaganda das Wasser abgegraben. Öffentlichkeitswirksam hätte die Fraktion im Landtag und Bundestag entsprechende Anträge einbringen können. Auch die Krise der Schlüsselbranche Autoindustrie beantwortet DIE LINKE nicht mit der Forderung nach Verstaatlichung. Sie fordert zwar die Umstellung der Autoproduktion auf ökologisch sinnvolle Mobilitätssysteme. Aber wie dies durchgesetzt werden kann, wird nicht beantwortet. Der Antrag  von Vertreter*innen der Antikapitalistischen Linken (AKL) bei der Parteivorstandssitzung am 1./2.9.2019, die Umstellung auf alternative Produktion zu ergänzen durch den Passus „dazu ist die Enteignung und Vergesellschaftung der Autoindustrie bei Erhalt aller Jobs und Löhne Voraussetzung“ wurde mehrheitlich abgelehnt. Bei einer Veranstaltung des Ortsverbandes von DIE LINKE Bad Cannstatt bezeichnete Bernd Riexinger die Überführung der Autoindustrie in Gemeineigentum sogar als „Wortradikalismus“ mit dem man sich von den Daimler- und Porsche-Arbeiter*innen isolieren würde. 

Die Forderung nach Belegschaftsaktien zeigt, dass die Führung von DIE LINKE die Illusion verbreitet, dass im Kapitalismus der Gegensatz zwischen Reich und Arm, zwischen der Klasse der Kapitalisten und der Arbeiter*innen aufgelöst werden könnte. Besonders bedenklich ist, dass Bernd Riexinger seinen Vorschlag der Belegschaftsaktien kurze Zeit nach dem Vorstoß von Juso-Chef Kevin Kühnert zur Enteignung von Immobilienkonzernen und von BMW gemacht hat. Bernd Riexinger und DIE LINKE insgesamt hätten den Vorstoß von Kevin Kühnert aufgreifen und klar machen müssen, dass neben den Immobilienkonzernen und BMW alle Konzerne und Banken durch Enteignung in öffentliches Eigentum überführt werden müssen, wie es ja auch im Bundestagswahlprogramm steht, und demokratische Verwaltung und Kontrolle in den Betrieben und ein demokratischer Produktionsplan im Interesse von Mensch und Umwelt entwickelt werden muss. Stattdessen hat DIE LINKE mit der Forderung nach Belegschaftsaktien den Eindruck erweckt, dass sie rechts von Kevin Kühnert steht. Kein Wunder also, wenn die Stuttgarter Nachrichten am 22.5.2019 kommentieren: „Der nassforsche SPD-Nachwuchspolitiker Kevin Kühnert, der eben mal die Vergesellschaftung von BMW forderte scheint die Linke sprachlos gemacht zu haben. Statt Vergesellschaftung fordert ihr Chef Bernd Riexinger nun die Einbehaltung von Dividenden zur Schaffung von Belegschaftsaktien, Kühnert ruft die Revolution aus, Linke-Chef Bernd Riexinger fordert die Änderung des Aktiengesetzes.“ Natürlich ruft Kevin Kühnert nicht die Revolution aus, wenn er einmal links blinkt, um dann wieder mit der SPD  rechts abzubiegen. Aber es ist ein Armutszeugnis für DIE LINKE-Führung, dass sie nicht offensiv für sozialistische Ideen wirbt, zumal  seit der Berliner Enteignungskampagne der Immobilienkonzerne wieder mehr über Sozialismus diskutiert wird. 

Gemeineigentum und sozialistische Demokratie

Das Profit- und Konkurrenzsystem Kapitalismus muss abgeschafft werden. Die Auto- und andere Konzerne, sowie die Banken und Versicherungen müssen durch Enteignung in Gemeineigentum überführt werden. Das darf aber nicht zu staatskapitalistischen Betrieben wie der Deutschen Bahn und auch nicht zu einer Diktatur und einer bürokratischen Misswirtschaft wie in der DDR führen. Vorstände und Aufsichtsräte der Konzerne müssen entlassen werden. Enteignete Betriebe müssen unter die Verwaltung von demokratisch von den Belegschaften, Gewerkschaften und der arbeitenden Bevölkerung gewählten Räten gestellt werden. Zusätzlich könnten Umweltorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen und andere relevante Initiativen und Organisationen beratend in diesen Räten vertreten sein. Damit sie sich nicht abheben und verselbständigen, dürften diese gewählten Vertreter*innen  nicht mehr verdienen als einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn. Sie müssen ihrer Wählerbasis gegenüber rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und abwählbar sein. Das setzt voraus, dass alle Entscheidungen transparent sind, die Basis sie diskutieren, kontrollieren und auch revidieren kann. Durch regelmäßige Team-, Abteilungs- und Betriebsversammlung können Belegschaften ständig kollektiv über Produktionsziele,  Prozesse und Entscheidungen diskutieren. Alle können ihre Vorschläge für eine Optimierung der Produktion, Verbesserung von Arbeitsbedingungen, Löhnen, Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, C02-neutrale Produktion und alle anderen Belange diskutieren und so an einem demokratischen und transparenten Entscheidungsprozess teilhaben. Die notwendige Arbeit würde auf alle Erwerbsfähigen verteilt und die Arbeitszeit für alle auf 25 oder 20 Stunden reduziert.  Durch den Wegfall des Herr-im-Haus-Regimes und jeglicher repressiver  Strukturen würde sich das Arbeitsklima radikal verändern. Angst und psychische Belastungen durch die Arbeit würden verschwinden. Kooperation anstelle von Konkurrenz und die  freie Entfaltung der Beschäftigten würden Motivation, Produktivität und Erfindergeist auf bisher ungekannte Höhen bringen. Betrügereien wie bei den Abschalteinrichtungen in der Autoindustrie würden sofort aufhören. 

Räteregierung 

Räte in Betrieben würden zusammen mit Stadtteilräten eine lokale Regierung bilden, Vertreter*innen wählen für eine regionale, landes- und bundesweite Räteregierung. Auch hier würden die gleichen demokratischen Regeln von jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit gelten und Vertreter*innen nur einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn für ihre Funktion bekommen. In einer solchen Rätedemokratie gäbe es keine Konkurrenz zwischen den Betrieben, sondern Kooperation. Entsprechend den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt würden Produktionspläne und Pläne zur Verteilung der Ressourcen erarbeitet. Die Verschwendung von Arbeitskraft, Energie und Rohstoffen wäre Vergangenheit. Die Nettoprofite der Dax-30-Konzerne betrugen im Jahr 2018 insgesamt 91 Milliarden Euro. Dieser Profit, der in Höhe von 52 Milliarden an die Aktionäre ging und von dem 39 Milliarden in von Profitmaximierung bestimmte Investitionen ging,  würde den Beschäftigten und der Gesellschaft für höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, in die Schaffung von gesellschaftlich nützlichen und gut bezahlten Arbeitsplätzen, in Investitionen in öffentlichen Verkehr, Krankenhäuser, Schulen, Kitas usw. zur Verfügung stehen. Durch Investitionen in ländliche Gebiete kann die Kluft zwischen Stadt und Land  aufgehoben werden, Pendler*innenströme reduziert, unsinnige Gütertransporte gestoppt werden. Nötige Transporte würden umweltfreundlich organisiert.  In einer weltweiten sozialistischen Demokratie würden durch die Aufhebung der Konkurrenz, Konflikte und Kriege zwischen Nationalstaaten aufhören. Genauso wie auf nationaler Ebene würde im Sozialismus auf internationaler Ebene ein Produktionsplan und eine ganz neue Verteilung von Ressourcen und eine sinnvolle Arbeitsteilung zum Vorteil aller organisiert. 

Gewerkschaften zu Kampforganisationen machen

Bernd Riexinger wird uns entgegnen, die Verstaatlichung der Konzerne in sei unrealistisch. Auf den ersten Blick mag das so erscheinen. Während die Umwandlung von Dividenden in Belegschaftsaktien aber keine Lösung ist, ist die Durchsetzung von Gemeineigentum an Produktionsmitteln und eine demokratisch geplante Wirtschaft ein gangbarer Weg und die einzige Alternative zu kapitalistischer Ausbeutung, Chaos und Klimakatastrophe. Die Erarbeitung des gesellschaftlichen Reichtums durch sie gibt der Arbeiter*innenklasse das Recht und die Macht die private Aneignung durch die Kapitalisten und deren private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel aufzukündigen. Durch kollektive Gegenwehr, durch Streiks und Betriebsbesetzungen kann sie die Macht der Kapitalisten brechen. Besonders in der Krisenbranche Autoindustrie hat die Arbeiterklasse eine enorme Macht. Hier gibt es eine historische Rekordbeschäftigung von 835.000 Menschen, meist in Betrieben von tausenden und zehntausenden Arbeiter*innen und Angestellten. Viele Dax-Konzerne haben die massenweise Vernichtung von Arbeitsplätzen geplant: 30.000 bei VW, 18.000 bei der Deutschen Bank, 6000 bei Thyssen-Krupp, 6000 bei  BASF, 2700 bei Siemens, 1200 bei der Telekom usw. Belegschaften werden früher oder später gezwungen für ihre existentiellen Interessen zu kämpfen. Damit diese Kämpfe zur Abschaffung des kapitalistischen Wahnsinns und zur Rettung der Menschheit vor der Klimakatastrophe führen, müssen die Gewerkschaften von der Basis her in  Kampforganisationen verwandelt und sozialistisches Bewusstsein in den Betrieben und Gewerkschaften geschaffen werden. Es ist dringend notwendig, dass DIE LINKE dafür ihren Beitrag leistet. 

Ursel Beck ist Sprecherin der LINKEN in Stuttgart Bad Canstatt und Mitglied des Sol-Bundesvorsands. Sie ist Autorin der im Manifest-Verlag erschienenen Broschüre „1968: Jahr der Revolte“ und des Sol-Programms für die Autoindustrie. Dieser Artikel erschien im Januar 2020 im Magazin “sozialismus heute”.