Interview mit Ursel Beck aus dem Buch “Pandemische Zeiten”
Ursel Beck ist Mitglied im Bundesvorstand von Sol, im Sprecherrat der Mieterinitiativen Stuttgart und im Ortsverband DIE LINKE Stuttgart – Bad Cannstatt
Welche Auswirkungen haben die Ausgangsbeschränkungen auf die Wohnsituation?
Wie jede andere kapitalistische Krise trifft sie die Ärmsten am härtesten. Obdachlose haben überhaupt keine Wohnungen, in die sie sich zurückziehen können. Und dann haben sie jetzt aufgrund der Einschränkungen auch noch viel weniger ihrer Anlaufstellen, weil viele Tafeln und Sozialeinrichtungen geschlossen sind.
Wie viele Menschen betrifft das?
Die Zahl der Obdachlosen wird in Deutschland nicht offiziell ermittelt. Was Ausdruck davon ist, dass sie den Regierungen völlig egal sind. In Berlin wurden sie vor einigen Monaten von Ehrenamtlichen gezählt. Und heraus kam die erschreckende Zahl von 2.000 allein für Berlin. Bundesweit wird die Zahl der Obdachlosen auf 60.000 geschätzt. Dann gibt es ja noch viel mehr Menschen, die nicht als obdach- sondern „nur“ als wohnungslos bezeichnet werden. Das sind Menschen, die in Notunterkünften und Sammelunterkünften zusammengepfercht sind oder bei Verwandten und Freunden auf der Couch schlafen. Das sind in Deutschland ungefähr eine Million Menschen. Einerseits dürfen wir uns nicht mehr mit Freunden treffen, gleichzeitig werden aber Geflüchtete und Wohnungslose in Sammel- und Notunterkünften zusammengepfercht und müssen sich mit vielen Fremden sanitäre Einrichtungen und Küchen teilen. Die Polizei wird in Parks geschickt um Kontaktsperren durchzusetzen. Um Wohnverhältnisse, in denen Kontaktvermeidung gar nicht möglich ist, kümmert sich niemand. Das ist absolut skandalös.
Viele, die eine Wohnung haben, leben ja auch viel zu beengt.
So ist es. Es gibt Familien mit zwei Erwachsenen und vier Kindern auf 55 Quadratmeter. Aus meiner Aktivität in der Mieterinitiative kenne ich Familien, da teilen sich vier Kinder ein 16 Quadratmeter großes Zimmer mit Stockbetten. Die Klamotten sind unter den Betten verstaut. Da gibt es keinen Platz mehr für Schreibtische fürs home schooling.
Wie halten die Menschen das aus?
Die Wohnverhältnisse verschärfen den Klassengegensatz. Wer in einer Villa mit einem Zimmer und PC für jede Person, großzügigen Gemeinschaftsräumen, Hobby- und Fitnessraum, Sauna, einem großen Garten mit Swimmingpool und was sonst noch alles lebt, der kann es gut aushalten. Der mag die Ausgangsbeschränkung sogar romantisieren. Wer aber isoliert oder beengt wohnt, für den brutalisieren sich die Verhältnisse. Hier muss es zwangsläufig zu Spannungen, psychischen Problemen, zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt und zu mehr Suiziden kommen.
Das ist bisher so gut wie kein Thema
Leider. Das zeigt die Verachtung für die arbeitende Klasse durch die herrschende Klasse und ihre Regierungen. Sie packen dieses Problem einfach noch oben drauf auf die ohnehin schon prekären Verhältnisse, die Existenzängste und Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen.
Was müsste passieren?
Schutz vor Corona braucht ein Zuhause. Obdach- und Wohnungslosen muss eine Wohnung angeboten werden. Alle beengten Wohnverhältnisse wie Sammelunterkünfte und überbelegte Wohnungen müssen sofort aufgelöst werden. Auch Menschen – in der Regel sind es Frauen, Kinder und Jugendliche – die der häuslichen Gewalt entfliehen wollen, brauchen eine sichere Wohnung. Es kann doch nicht sein, dass einerseits durch Kontaktverbote Tode durch Ausbreitung des Corona-Virus verhindert werden sollen und dann Wohnverhältnisse zugelassen bleiben, die hoch infektiös sind oder mehr Menschen durch häusliche Gewalt ihr Leben verlieren.
Wo sollen die Wohnungen bei der Wohnungsnot so schnell herkommen?
Es gibt in Deutschland genug Wohnungen, die aus spekulativen Gründen leer stehen. Ferienwohnungen und Hotels stehen jetzt auch leer. Die Kommunen müssen diesen Leerstand sofort für eine menschenwürdige Unterbringung beschlagnahmen. Für Opfer von häuslicher Gewalt muss in jeder Kommune rund um die Uhr eine Hotline mit schneller und effektiver Hilfe eingerichtet werden. Das muss genauso über alle Kanäle kommuniziert werden, wie die ganzen Allgemeinverfügungen und Verordnungen.
Aufgrund von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit haben jetzt noch mehr Menschen Schwierigkeiten, ihre Miete zu bezahlen. Die Regierung behauptet, mit ihrer Gesetzesänderung würden Menschen davor geschützt, ihre Wohnung zu verlieren.
Das ist eine glatte Lüge. Es wurde nur beschlossen, dass diejenigen, die nachweislich wegen Corona in den Monaten April bis Juni 2020 ihre Miete nicht bezahlen können, nicht gekündigt werden können. Die Mietschulden aus diesen drei Monaten bleiben aber bestehen und müssen bis Juni 2022 mit Zinsen nachbezahlt werden. Dabei bekommen ja die Mieter*innen ihren entgangenen Lohn nicht nachbezahlt. Wovon sollen sie dann später die Miete bezahlen?
Bei Mieter*innen, denen aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit der Lohn wegbricht und die in der Zeit von März bis Juni 2020 erstmals einen Antrag auf Hartz IV stellen, wird für sechs Monate auf eine Vermögensprüfung und auf die Einhaltung der Mietobergrenzen verzichtet. Wenn der Hartz-IV-Empfänger aber 12 Monate später noch immer in einer Wohnung mit einer Miete über der zulässigen Mietobergrenze wohnt, kann sich das JobCenter weigern, die Miete über der Mietobergrenze zu bezahlen. Anstatt zu sagen, dass Mietschulden an Miethaie nicht bezahlt werden müssen, finanziert der Staat sechs bzw. 12 Monate lang deren Profit.
Und was passiert danach?
Die Mieter*innen müssen sich entweder eine billigere Wohnung suchen oder weiter mit einer hohen Miete den Vermieter bereichern. Die extrem hohen Profite auf dem Wohnungsmarkt werden von der Bundesregierung nicht in Frage gestellt.
Wer seine Miete zweimal hintereinander nicht bezahlt oder über einen längeren Zeitraum Mietschulden in der Höhe von zwei Monatsmieten hat, kann wie bisher fristlos gekündigt werden. Es ist davon auszugehen, dass es dann zu einer Welle von Zwangsumzügen und Räumungsklagen kommen wird.
Und was ist mit Mietschulden vor der Corona-Krise?
Mietschulden vor Corona führen weiter zu Wohnungskündigungen und Zwangsräumungen. Alle Räumungstitel aus Mietschulden vor April 2020 können vollzogen werden. Sie werden wegen Corona allenfalls aufgeschoben aber nicht aufgehoben.
Werden Zwangsräumungen derzeit durchgeführt?
Aus Berlin ist bekannt, dass eine Akelius-Mieterin Mitte März zwangsgeräumt werden sollte, obwohl für sie Corona-Quarantäne angeordnet war. Die Zwangsräumung konnte in letzter Sekunde noch verhindert werden. Inzwischen ist es so, dass die Ordnungsämter die Außendienste wegen Corona so heruntergefahren haben, dass keine Zwangsräumungen durchgeführt werden können. Zivilgerichtsverfahren finden auch keine mehr statt. Deshalb bekommen die Vermieter vorerst keine Räumungstitel.
Das ist auch der Hintergrund weshalb VONOVIA, die Deutsche Wohnen und andere Wohnungskonzerne im März nach außen verkündet haben, dass sie derzeit auf Räumungen verzichten. Man erklärt quasi eine nicht durchführbare Zwangsräumung zur Kulanz.
VONOVIA und die Deutsche Wohnen haben angekündigt, dass sie vorerst auf Mieterhöhungen, Kündigungen und Zwangsräumungen verzichten? Wie schätzt Du das ein.
Das ist die übliche Masche. In der Öffentlichkeit versuchen sie sich immer mieterfreundlich darzustellen. Sie lenken davon ab, dass ihre Mieten schon viel zu hoch sind und viele Mieter*innen durch diese Mieten bereits vor Corona in die Verschuldung getrieben wurden. Hinzu kommt, dass sie die Mieten oft gar nicht mehr erhöhen können, weil sie den Spielraum der Mietspiegel bereits ausgeschöpft oder sogar überschritten haben. Was sie aber beibehalten, sind horrende Wiedervermietungsmieten. Aktuell bietet VONOVIA zum Beispiel eine fast 70 Jahre alte 60 Quadratmeter große Wohnung in der Stuttgarter Innenstadt für 991 Euro Kaltmiete an. Das ist ein Quadratmeterpreis von 16,52 Euro. Das hat überhaupt nichts mit den realen Kosten zu tun. Damit machen die einen extrem hohen Profit. Nach den jetzt vorgelegten Zahlen für 2019 bezahlt jeder Mieter von jedem Euro Kaltmiete bei der VONVIA 37 Cent und bei der LEG 41 Cent für die Dividende an die Aktionäre.
Ein Mietenstop oder Mietsenkungen sind also nicht in Sicht?
So ist es. Und das gilt nicht nur für die privaten Immobilienkonzerne. Die Mainzer Wohnbau – eine städtische Wohnungsgesellschaft – hat am 18. und 19. März 2020 an 4.300 Mieter Mieterhöhungsschreiben verschickt. Das mussten sie aufgrund der massiven Proteste der Mieter wieder zurücknehmen. Aber sie haben es probiert. Das heißt, Lokalpolitiker der Regierungsparteien, die uns gerade erzählen, dass niemand Angst haben muss in der Corona-Krise seine Miete nicht mehr bezahlen zu können, haben diese Mieterhöhung in den Aufsichtsgremien der Mainzer Wohnbau beschlossen und diesen Beschluss nach Ausbruch von Corona auch nicht sofort revidiert.
Der Deutsche Mieterbund fordert einen staatlichen Fonds, der die Miete als Zuschuss oder Darlehen übernimmt, wenn Mieter diese nicht bezahlen können. Was hältst Du davon?
Das geht gar nicht. Damit würde man den Miethaien ihre hohen Profite mit unseren Steuergeldern mitfinanzieren. Es zeigt, dass der von der SPD kontrollierte Mieterbund die Profitmacherei mit Wohnungen nicht in Frage stellt. Es ist auch kein Zufall, dass die Forderung nach diesem staatlichen „Sicher-Wohnen-Fonds“, zusammen mit dem Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft erhoben wird. Der Mieterbund hat auch dieses miserable Gesetz zur Stundung der Mietschulden begrüßt und verlangt nur die Nachbesserung auf sechs Monate und den Wegfall der Verzugszinsen.
Nun gibt es ja auch Kleinvermieter, die selbst Bankkredite laufen haben, selber in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen durch die Krise und darauf angewiesen sind, dass sie ihre Mieteinnahmen bekommen
Ja, die gibt es in jedem Fall. Das ist eine Minderheit der Vermieter, zu denen aber auch abhängig Beschäftigte gehören. Die werden von der Immobilienlobby vorgeschoben. Klar ist, dass sie nicht ihrer Existenz beraubt werden dürfen. Da ist es auch nötig, dass der Staat eingreift. Aber erst mal sollten dann die Banken verstaatlicht werden, die an Krediten verdienen. Dann können die Kreditzinsen gesenkt oder sogar auf null reduziert werden und die Tilgung gestreckt werden. Staatliche Mietzuschüsse oder die Übernahme von Mietschulden sind zusätzlich denkbar. Die Bedürftigkeit der Vermieter muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden.
Die Frage ist ja auch, wer bezahlt solche Mietzuschüsse am Ende
Solche staatlichen Mietübernahmen müssten über eine Besteuerung von hohen Vermögen und Einkommen finanziert werden. Dazu gehören auch die Einkommen und Vermögen der Immobilienbesitzer. Die Uni Bonn und das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung haben ermittelt, dass die Immobilienwirtschaft in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2018 um etwa drei Billionen Euro reicher geworden ist. Das entspricht der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Diese Gewinne und Vermögenszuwächse der Vergangenheit müssen abgeschöpft werden. Die Streichung von Mietschulden wäre eines dieser Mittel. Wenn den Mieter*innen jetzt die Löhne ein- oder ganz wegbrechen, ist es doch erst recht nicht einsehbar, dass die Umverteilung von unten nach oben über die Mieten weitergeht. Die Immobilienkonzerne gehören enteignet und demokratisch verwaltet und bewirtschaftet. Allein durch den Wegfall der Dividendenzahlungen könnten bei der VONOVIA die Kaltmieten um 37% und bei der LEG um 41% gesenkt werden. Für alle Mieten muss eine reglementierte und kontrolliert Kostenmiete eingeführt werden.
Wie kann das funktionieren?
Wie früher bei den Sozialwohnungen müssen die Vermieter ihre Kosten als Grundlage für die Miethöhe offenlegen. Für die Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals dürfen nur die üblichen Sparzinsen angesetzt werden. Die Kontrolle muss über rechenschaftspflichtige Gremien erfolgen, die von Mieter*innen, den Beschäftigten, Mieterinitiativen und Gewerkschaften demokratisch gewählt und jederzeit abwählbar sind.
In einer Stellungnahme auf der Website der LINKEN Stuttgart hast Du auf den Zusammenhang zwischen hohen Mieten und Personalmangel in den Krankenhäusern hingewiesen.
Diesen Zusammenhang gibt es eindeutig. In den letzten Jahren wurden Personalwohnungen abgebaut und gleichzeitig sind die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt explodiert. Das städtische Klinikum in Stuttgart hatte im Jahr 2004 noch 1.590 Personalwohnungen. Im Jahr 2024 werden es nur noch 790 sein. Von dem Gehalt einer Pflegekraft und erst recht einer Reinigungskraft im Krankenhaus ist eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt in Stuttgart nicht finanzierbar. Neben den belastenden Arbeitsbedingungen ist die Wohnungsfrage ein Grund, weshalb Pflegekräfte nach 7,5 Berufsjahren aus ihren Beruf aussteigen und jetzt bei der Corona-Pandemie fehlen. Vier von fünf Krankenhäusern konnten vor der Corona-Krise ihre Stellen nicht besetzen. Bundesweit waren 17.000 Stellen offen. Die Landeskrankenhauskonferenz der betrieblichen Interessensvertretungen der Krankenhäuser in Nordwürttemberg hat bereits im Juli 2019 eine Erhöhung des Grundgehalts von Pflegekräften von 500 Euro, höhere Zulagen und mehr günstige Personalwohnungen gefordert. Wäre das passiert, wären von den geschätzten 120.000 bis 200.000 rückkehrwilligen ausgestiegenen Krankenpfleger*innen sicher welche zurückgekehrt und wir hätten jetzt nicht diese katastrophale Situation in den Krankenhäusern. Übrigens machen wir gerade auch die Erfahrung, dass sich das Lob an die systemrelevanten Krankenhausbeschäftigten in der Wohnungsfrage als Heuchelei entpuppt.
Inwiefern?
Unsere Mieterinitiative musste Mitte März 2020 in zwei Fällen aktiv werden, um Krankenhausbeschäftigte vor der Wohnungslosigkeit zu retten. In einem Fall sollte eine Reinigungskraft am Klinikum Stuttgart Ende März ihr Appartement im Personalwohnheim wegen des geplanten Abrisses Mitte 2021 verlassen. Sie hatte aber nicht wie versprochen eine Ersatzwohnung bekommen. In einem anderen Fall hatte sich das Jobcenter kategorisch geweigert, einer alleinerziehenden Pflegehelferin mit Hartz-IV-Aufstockung die Miete einer Wohnung zu übernehmen weil sie um 100 Euro über der von der Stadt festgelegten Mietobergrenze für Hartz-IV-Empfänger lag. Die Kollegin musste wegen Eigenbedarf aus ihrer Wohnung und hatte lange nach einer Wohnung gesucht und endlich eine gefunden, die mit 610 Euro Kaltmiete für 60 Quadratmeter noch unter dem Durchschnittspreis bei Wiedervermietung lag. In beiden Fällen haben wir durch Öffentlichmachung bzw. mit der Drohung das öffentlich zu machen, erreicht, dass die Kolleginnen ihre Wohnungen behalten können bzw. vom Jobcenter finanziert bekommen. Aber es zeigt, dass selbst unter dieser Stresssituation für die Beschäftigten in den Krankenhäusern zusätzlicher Stress durch drohende Wohnungslosigkeit verursacht wird.
Was kommt auf die Mieterinitiativen jetzt zu?
Die Lage wird sich voraussichtlich dramatisch zuspitzen. Immer mehr Mieter*innen werden ihre Miete nicht bezahlen können, weil die Löhne einbrechen oder ganz wegbrechen. Wir haben von der Mieterinitiative Ende März 2020 eine Rundmail über unseren Verteiler verschickt. Wir haben allen Mieter*innen angeboten, die Probleme mit der Bezahlung der Miete oder Ärger mit dem Jobcenter haben, sich bei uns zu melden. Wir müssen auch überlegen, einen Flyer zu produzieren und ihn möglichst breit verteilen. Mieter*innen müssen sich noch mehr und besser organisieren. Konkret stellt sich die Aufgabe, Mietzahlungsstreiks oder besser gesagt, Mietzahlungsboykotte zu diskutieren und zu organisieren. Es kann doch nicht sein, dass Adidas bei 3,2 Milliarden Gewinn Mietzahlungen boykottieren will und Menschen, die die Miete nicht mehr bezahlen können, weil sie schlicht und einfach kein Geld mehr haben, sich für die Miete verschulden. Die für den 28.3.2020 geplanten Mietendemos werden nachgeholt werden. Der Kampf gegen die Mieterhöhungen muss mit dem Kampf gegen den Mangel im Gesundheitswesen, gegen Entlassungen, Lohnkürzungen und Sozialabbau verbunden werden. Hier sind vor allem die Gewerkschaften gefordert. Das Kampfpotenzial in den Betrieben muss endlich eingesetzt und der Schulterschluss mit der Mietenbewegung aufgenommen werden. Es ist höchste Zeit, dass die Gewerkschaften die Forderung nach Enteignung der Immobilienkonzerne offensiv unterstützen. Es ist doch peinlich, dass im März 2020 verschiedene Sozialverbände in dem Aufruf der „Sozialen Plattform Wohnen“ fordern, Wohnungsgesellschaften, die mit Wohnraum spekulieren, zu vergesellschaften, aber die Gewerkschaften die Eigentumsfrage gar nicht stellen, obwohl das auch im Interesse der Beschäftigten der Immobilienkonzerne wäre.
Was erwartest Du von der Partei DIE LINKE?
Die LINKE muss die Heuchelei der anderen Parteien in Sachen Corona-Krisenmanagement und Wohnungspolitik anprangern und der Bevölkerung klar machen, dass das eine Politik im Interesse der Reichen und Superreichen, der Banken und Konzerne ist. Die Reden im Bundestag müssen dafür genutzt werden. Stattdessen hat die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed die Corona-Gesetze am 25.3.2020 in ihrer Rede im Bundestag als „Hilfspaket“ gelobt, das „viele gute Regelungen enthält, mit denen wir einverstanden sind“. Die Linksfraktion im Bundestag tut so, als ob die Regierung in die richtige Richtung geht, es müssten nur noch ein paar Ergänzungen kommen. Die Fraktionsmitglieder im Bundestag reden auch alle von „wir“, als ob es objektiv gemeinsame Interessen zwischen allen Parteien gäbe. Wer so die Grenzen zwischen den bürgerlichen Parteien und der LINKEN verwischt, muss sich dann auch nicht wundern, dass DIE LINKE nicht mehr als Oppositions- und Protestpartei sondern als Teil des prokapitalistischen Politikbetriebs wahrgenommen wird.
Immerhin unterstützt DIE LINKE die Enteignungskampagne der Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin
Sie war aber nicht politische Wegbereiterin dieser Kampagne, sondern hat sich der Bewegung angepasst. Jetzt in der Corona-Krise lässt DIE LINKE die Enteignungsforderung hinten runterfallen. In dem vom Parteivorstand Ende März 2020 beschlossenen Programm gegen die Corona-Krise fehlt die Enteignungsforderung. Dabei steigt die Brisanz der Enteignung, zumal allein die fünf größten Konzerne in den nächsten Monaten 1,6 Milliarden Dividende für 2019 ausschütten wollen und gleichzeitig immer mehr Mieter*innen ihre Miete nicht bezahlen können. Auch sonst werfen ja immer mehr die Eigentumsfrage auf. So gibt es eine Petition von Pflegefachkräften, die bis Ende März 2020 von mehr als 300.000 Menschen unterschrieben wurde. Darin wird z. B. gefordert, dass „im Notfall auch durch die Verstaatlichung von Herstellern“ dafür gesorgt werden muss, dass „Schutzmaterialien“ für Pflegekräfte beschafft und organisiert werden. Selbst bisher neoliberale Regierungen greifen zu Verstaatlichungsmaßnahmen, weil die Lage anders nicht mehr beherrschbar ist. Das ist eine Steilvorlage für DIE LINKE. Wann, wenn nicht jetzt, können wir deutlich machen, dass die Verteilung der Ressourcen über den Markt nicht im Interesse der Masse der Bevölkerung funktionieren kann und der Kapitalismus abgeschafft gehört.
Nur, wenn national und international das Gesundheitssystem, die Banken und Konzerne in gesellschaftliches Eigentum überführt und demokratisch verwaltet und kontrolliert werden, können die Ressourcen genutzt, die Zahl der Todesopfer durch Corona reduziert und die ganzen anderen unsinnigen Opfer auf dem Altar des Profitsystems gestoppt werden. DIE LINKE muss in diese Debatte um die Verstaatlichung offensiv mit sozialistischer Programmatik eingreifen. Es muss dabei klar gemacht werden, dass weder staatskapitalistische Unternehmen wie die Deutsche Bahn noch eine bürokratische und repressive Staats- und Planwirtschaft wie in der DDR sozialistisch sind bzw. waren. Wir müssen eine positive Vision aufzeigen, wie mit den riesigen Ressourcen und Technologien weltweit eine Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse von Mensch und Umwelt aufgebaut werden kann. Wir haben hier jetzt nur von Deutschland gesprochen. Aber Corona und Kapitalismus herrscht international. Die UN hat neulich die Zahl der Wohnungslosen weltweit mit 1,8 Milliarden Menschen angegeben. Wenn man sich anschaut, was jetzt in Indien, Südafrika oder anderen Teilen der ex-kolonialen Welt durch Corona für eine humanitäre Katastrophe auf die Menschheit zukommt, dann übersteigt das alles was wir bisher in Italien und an anderen Corona-Brennpunkten erlebt haben. Für mich zeigt sich immer dringender, dass eine andere Welt möglich und eine sozialistische Welt nötig ist.