Pro und Contra Mandatszeitbegrenzung in der LINKEN

Ein Kommentar zur Frage der demokratischen Verfasstheit einer sozialistischen Partei

Innerhalb der Linkspartei und des innerparteilichen Zusammenschlusses Antikapitalistische Linke (AKL) wird darüber debattiert, wie die Partei demokratisch aufgebaut werden kann und wie bürokratische Strukturen verhindert werden können. Teil der Debatte ist auch, wie ein Primat der Partei über die Parlamentsfraktionen auf allen Ebenen hergestellt und verhindert werden kann, dass Abgeordnete die Parlamentsmandate als Selbstbedienungsladen zur Lösung der eigenen sozialen Frage ausnutzen können.

Von Sascha Staničić

Diese Debatte ist wichtig und es sollten dringend Maßnahmen ergriffen werden, um diese Ziele zu erreichen. Doch welche Maßnahmen sollten das sein? Kontrovers wird unter anderem über die Begrenzung von Amtszeiten auf acht Jahre und eine strikte Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat diskutiert. Diese Maßnahmen werden von vielen Parteilinken, gerade auch von AKL-Mitgliedern, unterstützt und es hat zu Unverständnis und Fragen geführt, warum Sol-Mitglieder in solchen Regelungen keine Garantie für eine demokratische Verfasstheit der Partei sehen und sogar der Meinung sind, dass sie in bestimmten Situationen der Parteilinken und damit der Durchsetzung wirklich sozialistischer Politik in der Partei schaden können und deshalb nicht als starre Regeln aufgestellt werden sollten.

Wenn man diese Frage von einem prinzipiellen Blickwinkel aus betrachtet, muss man sich mit dem Verhältnis der politischen Programmatik und der Strukturen einer Organisation beschäftigen. Hier besteht zweifellos ein Wechselverhältnis: beides kann sich gegenseitig beeinflussen. Aber die organisatorische Form ist erst einmal Ausdruck des politischen Programms und der hinter dem Programm stehenden Ideologie. In einer Partei, die in ihren politischen Vorstellungen nicht mit der kapitalistischen Demokratie brechen und sie durch eine Arbeiter*innendemokratie ersetzen will, wird man kaum arbeiter*innendemokratische Strukturen finden können, wird die Möglichkeit der permanenten Kontrolle der Gewählten durch ihre Wähler*innen immer unterentwickelt sein. Umgekehrt ist ein formell sozialistisches, arbeiter*innendemokratisches Programm keine Garantie gegen undemokratische Strukturen und Bürokratisierungstendenzen, jedoch aber die entscheidende Voraussetzung. Trotzdem müssen auch in einer sozialistischen oder marxistischen Organisation Regeln gelten, die eine Bürokratisierung erschweren.

Grenzen organisatorischer Regeln

Erste Schlussfolgerung aus dem Gesagten ist aber, dass es nicht möglich sein wird, die Politik einer Partei wie der LINKEN durch strukturelle Regeln zu entscheiden. Nötig ist der offene Kampf für ein sozialistisches Programm. Und das nicht nur auf Parteitagen in den Kämpfen um Resolutionstexte, sondern in der Auseinandersetzung mit der gesamten Mitgliedschaft um die politische Theorie und Praxis. Nur eine politisch geschulte und selbstbewusste Mitgliedschaft wird die Leitungsgremien einer Partei kontrollieren und den Kurs selbst bestimmen können.

Dieser Kampf muss für alle wirklichen Sozialist*innen in der LINKEN oberste Priorität haben. Organisatorische und strukturelle Fragen sind dem untergeordnet. Es gibt aber natürlich organisatorische Fragen, die von prinzipieller Bedeutung im Kampf für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft und die Errichtung einer sozialistischen Arbeiter*innendemokratie sind und solche, die in der gegenwärtigen Situation eher einen taktischen Charakter haben.

Wir würden folgende organisatorische Regeln als Prinzipien verteidigen und wenden sie innerhalb der Sol auch an: demokratische Entscheidungsprozesse auf Versammlungen, zu denen alle Mitglieder oder die von den Mitgliedern auf bestimmten Ebenen delegierten Mitglieder eingeladen werden; die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von allen Funktionsträger*innen; das Verbot durch die Ausübung von Parteiämtern oder -mandaten materielle Privilegien zu erzielen und daraus folgernd die Begrenzung von Hauptamtlichenlöhnen auf maximal einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn und die Auflage an Abgeordnete, keine Privilegien anzunehmen und alle Einkünfte, die über einem durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn liegen, an die Partei und Bewegungen der Arbeiter*innenklasse abzuführen. Ohne eine solche Selbstverpflichtung sollte niemand als Kandidat*in für ein Parlamentsmandat aufgestellt werden. Denn: das gesellschaftliche Sein schafft das Bewusstsein. Eine abgehobene materielle Lebenssituation beeinflusst das Bewusstsein und die Politik von Funktionär*innen und Mandatsträger*innen.

Diese Regeln wiegen aus unserer Sicht weitaus schwerer, als die Frage von Amts- und Mandatszeitbegrenzung und die Rotation von Ämtern. Es sollte skeptisch stimmen, wenn Genoss*innen, die sich der Parteilinken zurechnen (und teilweise selbst in bestimmten Funktionen innerhalb linker Strukturen oder der Gewerkschaften weitaus länger Funktionen inne hatten), sich zwar für eine Amts- und Mandatszeitbegrenzung auf acht Jahre und eine Trennung von Amt und Mandat aussprechen, aber selbst nicht bereit sind, ihr Einkommen auf einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn zu begrenzen oder die Umsetzung dieses Prinzips auch einzufordern. Es stellt sich auch die Frage, weshalb eigentlich eine Mandatszeitbegrenzung auf acht Jahre, also zwei Legislaturperioden, gefordert wird und es fällt auf, dass Abgeordnete nach zwei Jahren im Bundestag ihre Pensionsansprüche erworben haben. In diesem Sinne lenkt die Debatte um Amts- und Mandatszeitbegrenzung auch von den oben genannten weitaus wichtigeren organisatorischen Maßnahmen gegen eine Bürokratisierung der Partei durch die Entwicklung materieller Eigeninteressen ab.

Was stärkt linke Politik?

Nun wird man uns entgegnen, dass das eine das andere ja nicht ausschließt. Das ist richtig. Und es ist keine Frage, dass es erstrebenswert ist, wenn Ämter und Mandate rotieren. Dies jedoch nur, wenn Kandidat*innen zur Verfügung stehen, die ähnliche Qualitäten wie die Amts- und Mandatsinhaber*innen haben und für sozialistische Inhalte stehen. An dieser Stelle wird es kompliziert und wir müssen sowohl von der Realität als auch der Zielsetzung des Aufbaus sozialistischer Kräfte ausgehen. Tatsache ist, dass die sozialistische Linke sowohl in der Linkspartei als auch den Gewerkschaften zur Zeit so schwach ist, dass sie personell nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Eine starre Festlegung auf Ämterrotation und Amts- und Mandatszeitbegrenzung, wie auch auf eine vollständige Trennung von Amt und Mandat bedeutet, dass man es im Zweifelsfall vorzieht, dass jemand, der oder die keine eindeutigen sozialistischen Positionen bezieht, ein Amt oder Mandat einnimmt, als dass ein*e wirkliche Sozialist*in dieses länger als acht Jahre ausübt. Das Ergebnis wäre weder eine Stärkung der sozialistischen Kräfte noch der parteiinternen Demokratie, sondern eine Schwächung.

Machen wir es konkret: Jeremy Corbyn war seit 1983 Abgeordneter des britischen Unterhauses. Das britische Wahlrecht ermöglichte es einigen wenigen aufrechten Parteilinken ihr Abgeordnetenmandat zu verteidigen, obwohl die Partei von Tony Blair zu einer neoliberal-prokapitalistischen Partei gemacht worden war. Hätten Corbyn und andere ihr Mandat nach acht Jahren aufgeben müssen, wären sie sehr wahrscheinlich durch Parteirechte ersetzt worden und wären die Voraussetzungen für seine Wahl zum Parteivorsitzenden, die auch in seinem überregionalen Bekanntheitsgrad aufgrund seiner parlamentarischen Tätigkeit lagen, kaum gegeben gewesen.

Was wäre gewesen, wenn Karl Liebknecht schon früher ins Parlament gewählt worden wäre und aufgrund einer Mandatszeitbegrenzung 1914 kein Abgeordneter gewesen wäre? Der Kampf gegen die Kriegsunterstützung durch die Mehrheits-SPD wäre enorm erschwert gewesen.

Und auch in der jüngeren Geschichte der LINKEN kann man es zwar kritisch sehen, dass einige der der Parteilinken zuzuordnenden Abgeordneten offenbar weder Willens noch in der Lage waren, sich dadurch ersetzbar zu machen, dass sie andere Genoss*innen der Parteilinken so entwickelt und „aufgebaut“ haben, dass diese ihren Platz einnehmen können. In der konkreten Situation ist es dann aber immer eine Abwägungsentscheidung, ob es sinnvoller ist, ein Mandat über zwei Legislaturperioden hinaus zu besetzen oder das Risiko einzugehen, dass dieses an eine*n Vertreter*in der Parteirechten oder eine*n „Wackelkandidat*in“ fällt.

Das bedeutet, dass dieses Problem nicht durch starre Regeln gelöst werden kann, sondern nur durch den Aufbau einer starken Parteilinken, durch politische Schulung und ein Bewusstsein und eine Kultur in der Partei, die danach trachtet eine Rotation von Ämtern dann möglich zu machen, wenn es politisch sinnvoll ist. Dabei sind die materiellen Privilegien für Abgeordnete das entscheidende Element, das dazu führt, dass diese ihre Mandate so ungerne abgeben. Würde das wegfallen und ein Mandatsverlust keine großen materiellen Auswirkungen haben, würde sich das Problem der auf ihren Sitzen klebenden und alles für eine Wiederwahl tuenden Abgeordneten viel weniger stellen.

Trennung von Amt und Mandat?

Die Frage einer strikten und umfassenden Trennung von Parteiamt und Abgeordnetenmandat stellt sich noch etwas anders. Es ist zweifelsfrei ein Problem, dass sich die Machtzentren in der LINKEN, wie allen Parteien, in der Regel viel mehr in den Parlamentsfraktionen befinden, als in den Parteigremien. Die Abgeordneten sind mit mehr finanziellen Mitteln ausgestattet und werden medial mehr wahr genommen, als die Parteivorstände. Das ändert sich aber nicht durch eine Trennung von Amt und Mandat. Eine absolute Trennung von Amt und Mandat kann sogar einen gegenteiligen Effekt haben, nämlich die Loslösung der Fraktionen von den Parteigremien zu verstärken. Denn dann sind keine Abgeordneten formell verpflichtet, sich den Parteigremien gegenüber zu verantworten und deren Beschlüsse umzusetzen. Sahra Wagenknecht hatte es als Fraktionsvorsitzende der LINKE-Bundestagsfraktion in der Regel nicht nötig, an Sitzungen des Parteivorstands teilzunehmen. Wenn sich Parteivorstandsmitglieder, die auch Teil einer Fraktion sind, als Botschafter*innen der Partei in der Fraktion verstehen, kann das sogar einen positiven Effekt haben, geben sie dem Druck des bürgerlichen Parlamentarismus nach, wird es einen negativen haben. Aber auch das ist nicht durch starre Regeln zu lösen.

Noch problematischer wird diese Fragestellung auf der kommunalen Ebene, wo DIE LINKE, insbesondere in kleinen Kommunen, oftmals gar nicht über ausreichend qualifiziertes Personal für Vorstandsämter und Ratsmandate verfügt. Hier kann die Gefahr, in den kommunalpolitisch-parlamentarischen Sumpf zu geraten auch nicht durch formelle Regeln abgewendet werden, sondern nur durch bewusstes politisches Handeln und die personelle Stärkung der Partei mit überzeugten Sozialist*innen. Aber sowohl eine strikte und absolute Trennung von Amt und Mandat als auch eine Mandatszeitbegrenzung auf acht Jahre wird auf der kommunalen Ebene die Gefahr beinhalten, dass die Kräfte der Parteilinken möglicherweise nicht gestärkt, sondern geschwächt werden.

Aus all diesen genannten Gründen hält die Sol es nicht für sinnvoll, diese real existierenden Probleme mit starren organisatorischen Regeln lösen zu wollen. Die Wahlen innerhalb der LINKEN finden immer noch frei statt. Es gibt immer die Möglichkeit Gegenkandidat*innen zu Amtsinhaber*innen aufzustellen. Die Tatsache, dass jemand Amtsinhaber*in ist, ist zwar in der derzeitigen Parteirealität ein Vorteil für eine Wiederwahl, sollte es aber bei einer aufgeklärten und politisch geschulten Mitgliedschaft nicht sein.

In jedem Fall sollte sich die Parteilinke auf andere notwendige Veränderungen der Parteistruktur und -arbeit konzentrieren: Verbot von Privilegien durch Ämter und Mandate, Begrenzung von Hauptamtlichenlöhnen und Diäten auf maximal einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn, jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionsträger*innen, Programme zur marxistischen Schulung der Mitgliedschaft und vor allem der Kampf für ein kämpferisches, sozialistisches Programm und eine ebensolche Praxis auf der Straße, in den Betrieben, Nachbarschaften und Bildungseinrichtungen.

Sascha Staničić ist Bundessprecher der Sol und Mitglied im AKL-Länderrat.

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