Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!

Armutsrisiko in Deutschland steigt weiter an

Trotz wirtschaftlichen Wachstums verzeichneten die Armutszahlen in den vergangenen Jahren einen stabilen Anstieg. Die kapitalistische Krise und die Corona-Pandemie, welche Menschen in Armut überdurchschnittlich hart trifft, verschärft die Lage zusätzlich.

Von Jonas Rütter, Dortmund

Jahrzehnte neoliberaler Propaganda haben ein Bild von Armut als individuelles Versagen, schlechter Bildung oder schlichter Faulheit gezeichnet. Armut ist aber keineswegs selbstverschuldet, sondern Ergebnis des kapitalistischen Systems und seiner Verwertungslogik. 

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung lebt in Deutschland jedes fünfte Kind mit einem Armutsrisiko. Das sind etwa drei Millionen Kinder und Jugendliche, die entweder in Armut leben oder von Armut bedroht sind.

Dem statistischen Bundesamt zufolge stieg das Armutsrisiko in Deutschland im vergangenen Jahr auf einen Höchstwert von 15,9 Prozent an. Als Armutsschwelle gilt dabei sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens pro Haushalt und liegt bei einem Einpersonenhaushalt für das Jahr 2019 bei 1074 Euro.

Besonders betroffen von Armut sind Erwerbslose, Alleinerziehende, Migrant*innen und Familien mit drei oder mehr Kindern.

Hartz IV: Armut per Gesetz

Mit der Agenda 2010 wurde durch Hartz IV ein System der strukturellen Armut geschaffen. Menschen, die mit Sanktionen gezwungen werden, praktisch jeden Job anzunehmen, dienen dabei Unternehmen nur als kurzfristige Arbeitskraft, ohne echte Chance, in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen zu werden. Nötig wäre eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich um die Arbeit auf die gesamte Gesellschaft aufzuteilen.

Corona und Kurzarbeit

Durch die kapitalistische Wirtschaftskrise und die Corona-Pandemie hat sich die Lage noch deutlich verschärft. Jobverlust und Kurzarbeit stellen ein weiteres Armutsrisiko dar. Beschäftigte, die einen durchschnittlichen Lohn und zur Zeit vom Staat ein Kurzarbeitergeld in einer Höhe von zwischen sechzig Prozent und achtzig Prozent ausgezahlt bekommen, sind schon rein statistisch einem Armutsrisiko ausgesetzt. Im Mai waren in Deutschland 6,7 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen. Im Juli haben sich im Vergleich zum Vorjahr 635.000 Menschen mehr erwerbslos gemeldet. 

Das Virus trifft die Armen besonders hart. Das Risiko, durch eine Infektion mit dem Corona-Virus in ein Krankenhaus eingeliefert werden zu müssen, ist bei armen Menschen doppelt so hoch. Wie schon in vergangenen Krisen werden auch jetzt Milliarden an Banken und Konzerne gezahlt, während für Millionen nichts als Applaus und ein warmer Händedruck übrig bleibt. Mit den gewaltigen Finanzpakten von Bundesregierung und EU werden, wie schon in der Krise 2007/8, die Verluste vergesellschaftet und gleichzeitig die Gewinne weiter privatisiert um die Profite aufrecht zu erhalten.

Leiharbeit und Werkverträge

Der Rückgang der tariflich und gut bezahlten Arbeitsplätze ist ein weiteres Ergebnis der neoliberalen Politik der letzten zwanzig Jahre. Befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit und Werkverträge üben zusätzlich Druck auf die Löhne der regulär Beschäftigten aus. Die Folge sind stagnierende Löhne und die Erschaffung eines riesigen Billiglohnsektors.

Reiche werden immer reicher

Jedes Jahr werden neue Zahlen über die weltweite Vermögensverteilung veröffentlicht. Eine immer kleiner werdende Zahl an Superreichen häuft dabei immer unvorstellbarere Summen an Geld und Reichtümern an. Jeff Bezos, der Besitzer von Amazon, hat alleine im Jahr 2020 sein Vermögen um 74 Milliarden Dollar auf 189,3 Milliarden Dollar erhöht. In den vergangenen zehn Jahren seit der Finanzkrise konnte das Kapital auf dem Rücken von Millionen von Beschäftigten verlässlich Profite erwirtschaften. Der absurde Reichtum weniger bedeutet Armut und Ausbeutung für die Masse der Menschen.

Sozialistische Alternative notwendig

Als Sofortmaßnahme zur Bekämpfung von Armut ist eine vernünftige Grundsicherung notwendig. Weg mit Agenda 2010 und dem Hartz IV-System  und stattdessen soziale Mindestsicherung und Mindestrente von 750 Euro plus Warmmiete und 600 Euro pro Kind — ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikane. Der Mindestlohn muss sofort auf dreizehn Euro als ersten Schritt zu fünfzehn Euro erhöht werden. Die Reichen sollen dafür zahlen, denn Geld ist genug da. Reichtum und Unternehmensprofite müssen stärker besteuert werden. Die Menschen müssen selbstbestimmt über die Wirtschaft entscheiden können. Die demokratische Kontrolle und Verwaltung von Banken und Konzernen ist notwendig, um die Wirtschaft nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt zu planen und Armut endgültig zu beenden. 

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