DIE LINKE vor dem Parteitag

Sozialistisch und kämpferisch oder Teil des Establishments?

Personalentscheidungen in Parteien sind auch Richtungsentscheidungen. Nachdem Katja Kipping und Bernd Riexinger erklärten, nach acht Jahren im Amt nicht wieder für den Vorsitz der Linkspartei zu kandidieren, könnte es also spannend werden. Die Neubesetzung der Parteispitze beim Ende Oktober in Erfurt stattfindenden Bundesparteitag scheint nun jedoch nur eine Formalie zu werden. Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow sind medial und durch Prominenz und Gremien der Partei quasi schon ins Amt berufen. Für die Richtung der Partei bedeutet das: nichts wird sich ändern. Das ist nicht gut.

von Sascha Staničić

Denn die Entwicklung der Partei geht in die falsche Richtung. Dass sich das auch bei der Wahlunterstützung nieder schlägt, zeigten zuletzt die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, wo DIE LINKE im Landesdurchschnitt über ein Prozent verlor. Auch bei den Meinungsumfragen zur Bundestagswahl stagnieren die Werte bei circa acht Prozent. In einer Zeit, in der das Land von der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten getroffen wird und eine wachsende Zahl von Beschäftigten Sorge um den Arbeitsplatz hat, sollte eine sozialistische Partei zulegen können. Doch DIE LINKE wird nicht als grundlegende Alternative zu den etablierten pro-kapitalistischen Parteien gesehen, sondern nur als der linke Flügel des Establishments, der keinen wirklichen Unterschied macht, wenn er in der Regierung ist.

Corona

Auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie hat die Partei sich nicht ausreichend von der Regierung abgesetzt, um als politische Alternative wahrgenommen zu werden. Auch wenn sie auf dem Papier viele richtige Forderungen aufstellt, wie deutliche Lohnerhöhungen für das Pflegepersonal oder die Ausrüstung von Schulen mit Luftfiltern für den Winter, wurde sie wohl vor allem durch die grundlegende Unterstützung des Regierungskurses durch die Spitze der Bundestagsfraktion wahrgenommen. Sie trägt dadurch eine Mitverantwortung dafür, dass die einzige wahrnehmbare Opposition zum Regierungskurs bei den Corona-Leugner*innen liegt, was wiederum die Große Koalition gestärkt hat.

Regierungsbeteiligungen

Diese Wahrnehmung hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass DIE LINKE in Bremen, Thüringen und Berlin mehr oder weniger geräuschlos mitregiert. Ein wesentlicher Unterschied im Umgang mit der Pandemie, aber auch hinsichtlich der sonstigen Politik ist in diesen Bundesländern im Vergleich zu anderen nicht zu erkennen. 

Auch vom viel beschworenen „Regieren in Bewegung“ bleibt bei einer genaueren Betrachtung nicht viel übrig. In Berlin hat der rot-rot-grüne Senat vor allem auf den Druck sozialer Bewegungen reagiert, wie das wahrscheinlich jede andere Regierung auch getan hätte. Hier hat DIE LINKE sicher einen Beitrag dazu geleistet, dass ein Mietendeckel zustande gekommen ist, der für viele Mieter*innen reale Verbesserungen bedeutet, sollte er vor Gericht Bestand haben, aber gleichzeitig hat sie die Möglichkeit der Privatisierung von Schulgebäuden und Teilen der S-Bahn genauso mitgetragen, wie sie nicht verhindert, dass die Beschäftigten beim Charité Facility Management (CFM) immer noch für einen Tarifvertrag streiken müssen und die linke Kiezkneipe Syndikat geräumt wurde. In Thüringen wird mit der CDU paktiert, in Bremen wurden die Preise im öffentlichen Nahverkehr erhöht und ein Polizeigesetz beschlossen, dass den Staatsorganen mehr Überwachungsmöglichkeiten bietet.

Trotz all dieser negativen Erfahrungen bei dem Versuch in Koalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien linke Politik durchzusetzen, versuchen wesentliche Kräfte der Parteiführung ein Jahr vor den Bundestagswahlen DIE LINKE nun auf einen Kurs Richtung Rot-Rot-Grün (bzw. Grün-Rot-Rot) im Bund festzulegen. Katja Kipping, Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und andere nutzen jede Gelegenheit, um eine solche Koalition vorzuschlagen. Auch ein Papier der scheidenden Vorsitzenden zusammen mit Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und dem Schatzmeister Harald Wolf orientiert auf ein solches Bündnis, wie auch der Entwurf für einen Leitantrag zum Bundesparteitag des Parteivorstands diese Handschrift trägt. Gleichzeitig versuchen vor allem Dietmar Bartsch und Gregor Gysi dem Bürgertum über die Massenmedien zu versichern, dass eine LINKE in der Bundesregierung brav sein und weder die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands noch die Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Disposition stellen wird. Gegen diese Aufweichung der außenpolitischen Grundsätze der Partei regt sich Widerstand, es wäre aber ein Fehler die Auseinandersetzung um die Frage der Regierungsbeteiligung auf die Frage von Militarismus und Außenpolitik einzuengen. Nötig ist eine klare Absage an die Regierungsträume und eine alternative Strategie durch die Parteilinke. Mit Ausnahme der Antikapitalistischen Linken (AKL) kann sich aber die Parteilinke nicht zu klaren Positionen durchringen. 

Rote Haltelinien?

Viele Parteilinke berufen sich in ihrer Opposition gegen R2G auf Bundesebene gerne auf diesen Passus des LINKE-Parteiprogramms: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.“ Doch auf diesen sogenannten roten Haltelinien die Strategie gegen eine Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien aufzubauen, ist zum Scheitern verurteilt. Denn ein Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und LINKE würde weder Kriegs-/Kampfeinsätze der Bundeswehr, noch Privatisierungen oder Sozialabbau vorsehen. Das schreiben Regierungen selten in ihre Regierungsprogramme und setzen es dann im Laufe ihrer Amtszeit trotzdem um. Aber dann wäre das Kind schon in den Brunnen gefallen. 

Für sozialistische Opposition!

Stattdessen sollten Parteilinke gänzlich anders argumentieren, wie Sol-Mitglieder es vorgeschlagen haben: Wir brauchen eine Offensive gewerkschaftlichen Widerstands und sozialer Bewegungen, um die als Folge der Wirtschaftskrise zu erwartenden Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen, soziale Sicherungssysteme und demokratische Rechte zurückzuschlagen und stattdessen Verbesserungen durchzusetzen. Das wird nur durch den Aufbau von Gegenmacht, Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten, Streiks und Massenproteste und den Aufbau einer starken sozialistischen Kraft möglich sein.

Die Regierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte – ob rot-grün, schwarz-gelb oder schwarz-rot – haben alle eine Politik gegen die Arbeiter*innenklasse betrieben. Begrenzte und unzureichende Zugeständnisse wie den Mindestlohn und Atomausstieg wurden nur unter Druck von Bewegungen gemacht. Es gibt keinen Grund – weder ihre reale Politik, ihre Programmatik, noch alle Erfahrungen ihres Regierungshandelns und personelle Aufstellung – anzunehmen, dass mit SPD und Grünen eine linke Politik im Interesse der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten, eine friedliche Außenpolitik und ein Ende des staatlichen Rassismus machbar ist. 

Eine Regierungsbeteiligung sollte nur in Frage kommen, wenn linke Politik dabei herauskommt, wenn die Macht der Banken, Konzerne und Superreichen tatsächlich herausgefordert würde, wenn sie zur Selbstorganisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten beitragen würde, wenn sie eine Hilfe bei der sozialistischen Veränderung der Gesellschaft wäre. Mindestens müssten Maßnahmen wie die Folgenden umgesetzt werden, wenn eine sozialistische Partei sich an einer Regierung beteiligt: Einführung einer Vermögenssteuer und drastische Steuererhöhungen auf Unternehmensgewinne, die Überführung zumindest der Banken, der Daseinsvorsorge, der Verkehrsunternehmen und anderer Schlüsselunternehmen in öffentliches Eigentum unter Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung, milliardenschwere Investitionsprogramme in Bildung, Gesundheit, Ökologie, Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, die Einführung einer armutsfesten Grundsicherung von 1200 Euro, Erhöhung des Mindestlohns auf 13 Euro, ein Verbot von Leiharbeit und des Missbrauchs von Werkverträgen, beschleunigter Ausstieg aus der Kohleenergie, Gewährung voller Staatsbürgerrechte für alle, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben und weiteres mehr. 

Sollten SPD und Grüne ihre Versprechen aus dem Wahlkampf ausnahmsweise mal ernst meinen und den Mindestlohn erhöhen oder eine höhere Besteuerung der Reichen durchsetzen, können sie immer auf die Stimmen der LINKEN zählen. Auch einer Abwahl der CDU aus dem Kanzlerinnenamt sollte DIE LINKE nicht im Wege stehen, aber sie darf sich weder durch eine Koalition noch andere Verträge an pro-kapitalistische Parteien wie SPD und Grüne binden. 

Es ist auch keine Frage, dass es nicht leicht sein wird, eine Opposition gegen eine Regierungsbildung mit SPD und Grünen in Teilen der Arbeiter*innenklasse, und nicht zuletzt auch unter Aktiven in Bewegungen und Gewerkschaften, zu vermitteln. Alles ist besser, als eine weitere konservativ geführte Regierung, werden viele denken.

Aber eine konsequente sozialistische Oppositionspolitik, massives Engagement in den bevorstehenden gewerkschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen und eine Politik der parlamentarischen Einzelfallentscheidung würde es möglich machen, dass DIE LINKE trotzdem aus einer solchen Situation gestärkt hervorgeht.

Wissler und Henning-Wellsow

Manche hoffen nun, dass Janine Wissler als zukünftige Co-Parteivorsitzende ein Bollwerk gegen einen weiteren Rechtsruck der LINKEN darstellen wird oder gar eine Linksverschiebung der Partei bewirken wird. Sie hat zweifelsfrei in ihrer Arbeit als hessische Landes- und Fraktionsvorsitzende immer wieder eine bewegungsorientierte Parteiarbeit eingefordert und umgesetzt und die Notwendigkeit grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen betont. Deshalb sollten Parteilinke ihre Wahl zur Co-Vorsitzenden unterstützen. Aber allein die Tatsache, dass sie im Team mit einer der profiliertesten Vertreter*innen rot-rot-grüner Koalitionen antritt, zeigt, dass damit zu rechnen ist, dass das Amt sehr viel mehr die Kandidatin verändern, als die Kandidatin das Amt (bzw. die Partei) verändern wird. Denn um den Status Quo in der Linkspartei zu ändern, müsste man ihn erst einmal in Frage stellen. Das geschieht nicht, sondern er wird durch dieses Team zementiert. Dass Janine Wissler zuweilen linksradikale Positionen vertritt, aber keine prinzipielle Gegnerin von Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen ist, hat sie seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur gegenüber den Medien klar gestellt. Es sei auch daran erinnert, dass sie in Hessen selbst mit SPD und Grünen eine Regierungsbildung sondierte und diese nicht an der LINKEN gescheitert ist. So tut sich die Gefahr auf, dass es gerade Vertreter*innen der Parteilinken sein könnten, die – sollte eine Regierungsbildung mit SPD und Grünen nach den Bundestagswahlen rechnerisch möglich sein – dafür die argumentative Munition liefern werden. Auch deshalb ist es nötig, dass die Antikapitalistische Linke (AKL) und alle Gegner*innen eines solchen Kurses in den anstehenden Debatten klare Kante zeigen und die Kräfte sammeln – um ein solches politisches Selbstmordkommando der Partei zu verhindern und, sollte es doch soweit kommen, die Basis für eine starke linke Opposition dagegen zu legen. 

Sascha Staničić ist Delegierter der AKL zum Bundesparteitag und Mitglied der Sol-Bundesleitung.

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