AfD-Bundesparteitag zeigt: der Stellungskrieg geht weiter
Gut 500 Delegierte kamen vergangenes Wochenende in Kalkar zusammen, um in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt den Bundesparteitag der AfD abzuhalten. Gekommen waren sie, um über das Rentenprogramm der rechtspopulistischen Partei abzustimmen. Doch das war schneller als gedacht nur noch ein Nebenereignis. Genauso wie Weidels abruptes Hinausstürmen aus einem Interview mit Phoenix und Gaulands Abtransport im Krankenwagen. Von sich reden machte wieder einmal Meuthen.
Von Steve Hollasky, Dresden
Nicht ganz 24 Minuten redete der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen vor dem Plenum des Parteitages. Nicht einmal fünf Minuten verwendete er darauf über den Leitantrag zur Sozialpolitik zu sprechen. Dort gab es für ihn schon seit Monaten nichts mehr zu gewinnen.
Seine Idee die Renten in Deutschland anhand des Kapitaldeckungsverfahrens zu finanzieren und dabei die gesetzliche Rentenversicherung fast in Gänze zu beseitigen, war längst gescheitert, als der promovierte Wirtschaftswissenschaftler seine Rede vor dem Parteitag hielt. Beerdigt wurden Meuthens neoliberale Rentenpläne, die eine komplett private Vorsorge zur Grundlage der Alterrsicherung machen wollten, durch einen Handstreich aus Thüringen. Dem Parteiflügel um den dortigen Landeschef Björn Höcke gingen Meuthens Vorschläge viel zu weit.
Und offenkundig würde private Vorsorge für das Alter nur denen helfen, die Geld in der Tasche hätten, um Rücklagen für den Lebensabend anzusparen. Nutznießer wären zudem die Unternehmer, die von der Zahlung von Rentenbeiträgen für ihre Beschäftigten befreit wären.
Dass derweil auch der Vorschlag aus Thüringen mehr als einen Fallstrick hat, hinderte die bürgerliche Medien vielfach nicht daran, die Anhänger*innen des Thüringer Vorschlags als „sozialnationalen“ Flügel zu bezeichnen. Womit sie Höckes Propagandashow vom „sozialen Patriotismus“ auf dem Leim gegangen sein dürften. Sozial ist an den Rentenplänen, die Höckes Handschrift tragen bestenfalls der Umstand, dass sie weniger unsozial sind als Meuthens „jeder-sorgt-für-sich-allein“-Modell.
Der Vorschlag aus Thüringen will das Renteneintrittsalter flexibilisieren. Jede*r soll demnächst selbst entscheiden, in welchem Alter er oder sie in Rente geht. Dass diese Entscheidung dann doch nicht so freiwillig ist, zeigt der Umstand, dass auch auf dem Parteitag in Kalkar festgehalten wurde, dass eine höhere Lebenserwartung eben auch eine länger Lebensarbeitszeit nach sich ziehen müsse. Warum eigentlich, wurde nicht begründet. Hinzu kommt die schlichte Tatsache, dass der Rentensatz fällt, je früher man in Rente geht. Im Grundsatz entspricht dies den schon heute geltenden Regeln. Ein Schutz vor Altersarmut ist das nicht.
Allerdings soll demnächst der Staat Familien für jedes geborene Kind 20.000 Euro an Rentenbeiträgen erlassen und jedem Kind mit deutschem Pass und Lebensmittelpunkt in Deutschland bis zum 18. Geburtstag hundert Euro monatlich auf ein Konto einzahlen. Man kann nur vermuten, dass dieses Geld an anderer Stelle den Lohnabhängigen aus der Tasche gezogen werden würde, denn eine höhere steuerliche Belastung der Reichen und Superreichen hat auch dieser Parteitag der AfD nicht beschlossen, von Enteignung und demokratischer Kontrolle von großen Vermögen ganz zu schweigen. Von einer Partei die mal zur angeblich sozialen Marktwortschaft steht, wie Funktionsträger des sächsischen Landesverbandes gern verlauten lassen, oder aber zur „organischen Marktwirtschaft“, wie sich Höckes Kunstgriff nennt, ist auch nichts Anderes zu erwarten. Jegliches Versprechen sozialpolitischer Segnungen dürfte damit weniger wert sein als die Seite Papier, auf die sie gedruckt wurde.
Gut 89 Prozent der Delegierten stimmten schließlich für den Antrag aus Thüringen, für dessen Annahme sich auch Meuthen in seiner Rede aussprach. Doch damit war die demonstrierte Einheit vom Tisch und es flogen die sprichwörtlichen Fetzen.
Meuthens Eröffnung
Den Großteil seiner Rede verwendete Meuthen darauf, die Politik nicht weniger Funktionsträger*innen seiner eigenen Partei zu attackieren. In etwas mehr als einer Viertelstunde erteilte der Co-Vorsitzende der gesamten Politik der AfD in den letzten Monaten eine rüde Absage: Es sei richtig die Bundesregierung für ihre Coronapolitik deutlich zu kritisieren, so der Europaparlamentarier, es sei aber nicht klug von einer Coronadiktatur zu sprechen. Auch die Reform des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag am 11. November vorgenommen hatte, sei kritikwürdig, aber die Verwendung des Begriffs Ermächtigungsgesetz verharmlose die NS-Diktatur, hielt der Co-Vorsitzende unter abwechselnden Buh-Rufen und Applaus fest.
Mit dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933 hatten die Nazis mit Zustimmung der bürgerlichen Parteien den deutschen Reichstag ausgeschaltet, indem sie alle gesetzgeberischen Kompetenzen des Parlaments auf die Reichsregierung übertragen hatten.
Die Vorfälle im Bundestag an dem Tag, an dem zwei Abgeordnete der AfD Demonstrant*innen Zugang zum Reichstagsgebäude verschafft hatten, die dort Parlamentsmitglieder bedrängt hatten, verurteilte Meuthen gleichfalls. Die dafür Verantwortlichen würden „rumkrakeln und rumprolln“ und andere dazu einladen. Scheinbar ist Meuthen in dem für seine soziale Position nicht unüblichen Vorurteil befangen, dass im Reichstag gezeigte Verhalten habe irgendetwas mit proletarischem Auftreten zu tun.
Genau das seien die Vorfälle, wegen denen dann „Scharen von Leuten“ die AfD nicht mehr wählen würden, womit der Co-Parteichef auf die aktuell niedrigen Umfragewerte anspielte. Im RTL-Trendbarometer war die AfD unmittelbar vor dem Parteitag auf 7 Prozent und damit hinter DIE LINKE gerutscht. Zur Bundestagswahl hatte sie noch 12,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können.
Auch die Zusammenarbeit zwischen der AfD und der Querdenker“-Bewegung unterzog Meuthen einer harschen Kritik, weil man dort eben auch Menschen finde, bei denen „tragischerweise das Geradeausdenken noch nicht einmal richtig funktioniert, geschweige denn echtes Querdenken“. Die AfD werde „nicht mehr Erfolg erzielen“, rief Meuthen vor seinen Zuhörer*innen aus, wenn sie „immer derber, immer enthemmter, immer aggressiver“ auftrete. Sie werde da jetzt schnell „die Kurve“ kriegen oder „in ganz, ganz schwere See geraten“ prophezeite Meuthen.
Die Reaktionen auf die Generalabrechnung des Co-Vorsitzenden mit der eigenen Partei hätten unterschiedlicher nicht sein können. Während Teile des Saals und wenige Mitglieder des Präsidiums Meuthens Rede stehend applaudierten, hörte man auch nicht wenige „Pfui“-Rufe. Dennoch konnte sich der Parteitag zu keiner Aussprache über Meuthens Rede durchringen.
Tumultartige Szenen
Erst tags darauf, am Sonntag, folgte eine fast zweistündige von Zwischenrufen und Geschäftsordnungsanträgen immer wieder unterbrochene Diskussion im Plenum. Auslöser war ein Antrag des Freiburger Rechtsaußen Dubravko Mandic und ein diesbezüglicher Änderungsantrag der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Birgit Bessin, die erst kürzlich im Ringen um die Nachfolge von Andreas Kalbitz an der Spitze der Landtagsfraktion in Brandenburg kläglich gescheitert war. Kalbitz selbst war auf Betreiben Meuthens die Mitgliedschaft in der AfD aberkannt worden, weil er Mitglied der Republikaner und diverser rechtsextremer Gruppierungen gewesen war, dies aber bei seiner Bitte um Aufnahme in die AfD nicht angegeben hatte.
Sowohl der Antrag von Mandic als auch der von Bessin zielten darauf ab, Meuthens innerparteiliches Auftreten in den letzten Monaten zu rügen – wenn nicht formal, so doch mit Worten.
In der anschließenden Debatte rief Jürgen Pohl vom Saalmikrofon aus unter großem Applaus Richtung Meuthens Sitzplatz: „Herr Dr. Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei.“ Ebenso unzweideutig wurde der Parteichef von Alexander Wolf in Schutz genommen. Das Mitglied der Hamburger Bürgerschaft hatte 1989 den Republikanischen Hochschulbund mit ins Leben gerufen und musste während seiner Rede zahlreiche Zwischenrufe von Meuthengegner*innen hinnehmen. Thorsten Weiß, der für die Rechtspopulisten im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, warf dem Co-Vorsitzenden vor, eine andere Partei zu wollen.
Als der aus Thüringen stammende Stephan Brandner, der vor dessen Auflösung dem „Flügel“ um Höcke und Kalbitz zugerechnet wurde, Meuthen aufforderte „zurück in unsere Familie“ zu kommen und ihm versicherte, „wir nehmen Dich auch gern wieder auf“, erntete er empörte „Nein“-Rufe aus dem Plenum.
Der sächsische Landeschef Jörg Urban warf Meuthen weiteres Parteispalten vor und bezeichnete die Querdenker als Partner der AfD.
Schließlich stimmte der Parteitag dann doch für einen Geschäftsordnungsantrag, der erklärte, man werde sich mit den Anträgen von Mandic und Bessin nicht befassen. Das wirkte nach einer derart hitzigen Debatte ungewollt komödiantisch, hatten sich die Delegierten doch inzwischen gut zwei Stunden ob der Causa Meuthen in den Haaren gelegen.
Wer hat in Kalkar gewonnen?
Die Delegiertenkonferenz in Kalkar war ein Gefecht, kein Sozialparteitag, als der sie deklariert war. Doch es war eines von der Sorte, bei dem es schwer ist einen wirklichen Sieger auszumachen. Einmal mehr scheinen beide Seiten ihre Positionen gefestigt zu haben. Die Fronten sind derweil so verhärtet, dass es immer schwerer fällt an eine gütliche Einigung zu glauben. Wäre da nicht die Bundestagswahl im nächsten Jahr, die es aus Sicht vieler AfD-Funktionär*innen ohne Zweifel dringend nötig macht sich zusammenzuraufen, will man nicht das Risiko eingehen an der Fünfprozenthürde zu scheitern und damit Posten und somit auch das eigene Auskommen zu verlieren. Von warmen Parlamentssitzen aus rebelliert es sich einfach zu gemütlich.
Und so kann es sein, dass nach dieser Heerschau zwischen den „Gemäßigten“ und den Rechten die Spaltung zwar in der Luft liegt, aber organisatorisch doch nicht vollzogen wird, zumindest nicht bis zur Bundestagswahl.
Dabei ist schon die Darstellung des „Meuthen-Flügels“ als gemäßigt vollkommen falsch. Es fällt schwer die Abschaffung der Erbschaftssteuer, die Privatisierung von Rente und Arbeitslosenversicherung – von den AfD-Neoliberalen immer wieder gefordert – als „gemäßigt“ zu bezeichnen. Ganz zu schweigen von den nicht eben seltenen rassistischen Ausfällen von Meuthen Beatrix von Storch und Co.
Aber dieser Flügel konnte in der Nachwahl der Bundesvorstandsmitglieder deutlich an Boden gewinnen. Alle drei im Bundesvorstand neu zu besetzenden Posten gingen an Leute aus dem „Meuthen-“Flügel“. Zugleich entstammt das Rentenkonzept dem „Höcke-Flügel“. Ein Remis. Beide Seiten haben gewonnen und verloren zugleich.
Spaltet sich die AfD?
Man kann die Frage getrost mit Ja beantworten. Es wäre nicht die erste Spaltung der Partei. Gründervater Lucke, Ex-Vorsitzende Frauke Petry und Poggenburg, einst einer der Einheizer des völkischen „Flügels“ – sie spalteten sich mit ihren Anhänger*innen ab. Lediglich eines der drei Spaltprodukte existiert noch. Und auch die liberal-konservativen Reformer führen ein Schattendasein.
Die Frage ist nicht, ob die AfD sich spalten wird, sondern wann und wie. Im Moment scheint Vieles denkbar: Selbst das Entstehen zweier rechter Parteien, eine neoliberal-rassistisch, die andere sozialdemagogisch-völkisch, die in den Bundestag einziehen, ist sehr wohl möglich (zum Einzug in den Bundestag reicht ja ein Ergebnis von mindestens fünf Prozent in einem Bundesland).
Beide Parteien müssten dann entschieden von der Arbeiter*innenbewegung bekämpft werden. Und das würde bedeuten eine Bewegung aufzubauen, die die Coronamaßnahmen der Bundesregierung, die im Grunde Finanzspritzen für die großen Vermögen sind, von links infrage zu stellen. Kämpfe gegen Entlassungen und für die Verstaatlichung von Unternehmen und deren demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Lohnabhängigen zu führen, wenn diese mit Entlassungen drohen. Und es heißt auch gemeinsam gegen Abschiebungen und rassistische Hetze zu kämpfen, denn die Lohnabhängigen sind nur stark, wenn sie über vermeintliche ethnische und religiöse Grenzen hinweg gemeinsam für Verbesserungen kämpfen und schließlich den Kapitalismus abschaffen.
Das zu verhindern liegt im Interesse der AfD und aller eventuell aus ihr entstehender Parteien. Man ist niemals „sozial“ und „national“ zugleich.
Auf dem Parteitag schienen beide Lager in der AfD beinahe gleichstark. Entscheidend wird sein, wer in den nächsten Monaten Erfolge einfahren kann. Dabei hat sich Meuthen als Stehaufmännchen erwiesen. Ob das reichen wird, steht in den Sternen.