Vor 60 Jahren: Der Mord an Lumumba

Foto: Harry Pot, CC0, via Wikimedia Commons

Der Kampf um wirkliche Unabhängigkeit ist für den Kongo nicht beendet

Wenn man in die Tasche greift, um sein Handy herauszuholen hält man ein blutiges Produkt in der Hand. Wenn man seine Familie oder Freund*innen anruft oder ihnen eine Nachricht schreibt, dann tut man das mit Technik, die ohne Gold, Wolfram, Coltan und Kobalt aus kongolesischen Minen nicht hätte hergestellt werden können.

von Steve Hollasky, Dresden

Was wir zu hohen Preisen kaufen, was alle paar Jahre – viel früher als nötig –den Geist aufgibt und wir uns folglich neu beschaffen müssen, wird hergestellt, mittels Rohstoffen, die Arbeiter*innen im Herzen Afrikas zu Niedrigstlöhnen und unter unsäglichen Arbeitsbedingungen aus dem Boden holen.

Die Gewinner dieses üblen Spiels, in dem die einen sich halb und nicht selten ganz zu Tode schuften und die anderen ihr Geld hergeben sollen, dass sie in ebenfalls unterbezahlten Jobs verdienen, sind global agierende Konzerne, deren Eigentümer in der sogenannten ersten Welt sitzen. Die Verlierer*innen dieses Spiels sind die arbeitenden Menschen weltweit und der Kongo. Einmal hatte dieses Land die Hoffnung, dass es anders kommen möge. Es waren die Monate nachdem der Kongo seine Unabhängigkeit erkämpft hatte und Patrice Emergy Lumumba zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.

„Unsagbares Elend“

Wer wird je die Schüsse vergessen, die so viele unserer Brüder töteten, oder die Zellen, in welche diejenigen gnadenlos geworfen wurden, die nicht länger dem Regime der Inhumanität gehorchen wollten, der Unterdrückung und Ausbeutung durch die Kolonialisten?“
Patrice Lumumba, 30.06.1960

Spätestens 1885 begann jene Zeit des „unsagbaren Elends“, wie Lumumba sie genannt hatte, für den Kongo. Damals nahm der belgische König Leopold II. das Land in seinen Privatbesitz, ernannte eine nur ihm verantwortliche Regierung und bildete eine Armee, die „Force publique“. Jede öffentliche Kontrolle war damit unmöglich. Weder die Kongoles*innen, noch die belgische Arbeiter*innenbewegung, die die Kolonialisierung hart kritisierte, hatten eine Möglichkeit mitzusprechen. Selbst Informationen flossen nur spärlich aus dem Land, dem Leopold den euphemistischen Namen „Freistaat Kongo“ gab.

In der Öffentlichkeit erklärte Leopold II. immer wieder, seine Ziele seien die Eindämmungen des Sklavenhandels und die Zivilisierung des von ihm annektierten Gebiets. Mehr hätte die Realität nicht mit den schöngefärbten Aussagen kollidieren können. Kongoles*innen arbeiteten ohne Schutzausrüstung in von belgischen Firmen besessenen Minen; sie rodeten Wälder, starben unter den erschütternden Arbeitsbedingungen und an – nicht selten von den Kolonialherren eingeschleppten – Krankheiten. Sie legten als Sklav*innen den Grundstein für die belgische Kautschukindustrie und holten Gold und Kupfer aus dem heimischen Boden.

Der Zugang auch nur zu grundlegender Bildung wurde ihnen verwehrt. Wer aufbegehrte, Widerworte gab oder einen der Kolonialherren, Angehörigen der weißen Elite oder ein Mitglied der „Force publique“ auch nur falsch ansah, wurde geschlagen oder an Ort und Stelle getötet.

Geprügelt wurde von weißen Aufsehern häufig mit Peitschen aus Nilpferdhaut. Wer zu hundert Schlägen verurteilt wurde, der wusste, es war ein Todesurteil. Doch auch wer weniger Schläge bekam, litt noch monatelang, mitunter sein ganzes Leben unter den ihm zugefügten Wunden, die sich im Klima des Kongo und ohne ärztliche Versorgung schnell entzündeten.

Die angeblich unzivilisierten „Wilden“ fürchteten in Wirklichkeit die barbarischen Weißen. Die ihnen als Mörder gegenübertraten und in der Spätphase von Leopolds Herrschaft auch noch Kinder entführten, um sie in Waisenhäusern zu treuen belgischen Soldaten zu erziehen.

Unter den Kongoles*innen machte schnell eine Geschichte die Runde, die zeigt, wie sie die weißen Kolonialherren sahen: Die von Leopold eingesetzte Kolonialregierung verfügte, dass jene Dörfer, die nicht ihre Quoten im Sammeln von Kautschuk erfüllten, bestraft würden. Munition wurde an Soldaten der „Force publique“ ausgegeben und in den Dörfern, die zu wenig Kautschuk ablieferten, zum Vollstrecken von Todesstrafen verwendet. Um sicher zu gehen, dass die Kugeln auch nicht zu anderen Zwecken eingesetzt wurden, waren die Soldaten verpflichtet, den Erschossenen eine Hand abzuschneiden. Häufig jedoch gingen die Soldaten lieber mit der verteilten Munition jagen. Um für diesen Missbrauch nicht bestraft zu werden, hackten sie einfach willkürlich ausgewählten Unglückseligen die Hände ab und überließen sie ihrem Schicksal.

Diese Praxis griff derart um sich und erschien den Opfern so unmotiviert, dass sie nach Erklärungen suchten. Schließlich schöpften die Kongoles*innen den Verdacht, die Hände kämen in die Fleischrationen der Soldaten. Es ist schwierig einzuschätzen, was schlimmer ist, die Wirklichkeit oder die Geschichte, die sich Kongoles*innen zu deren Erklärung erdacht hatten.

In Belgien taufte einer der Abgeordneten den mit den Kautschukprofiten finanzierten Triumphbogen Leopolds II. um in „Bogen der abgetrennten Hände“.

Wann immer Leopold II. das Geld ausging, suchte er bei Banken und privaten Investoren um Hilfe, verteilte großzügig Grabungs- und Ausbeutungsrechte. Die mit den Konzernen geschäftlich verwickelten Banken gewährten ihrerseits zinslose Darlehen an große Unternehmen. Die verdienen sich im Kongo eine goldene Nase.

Als George Washington Wiliams, ein afro-amerikanischer Anwalt, 1890 den Kongo bereiste, erlebte er grausame Zustände, deren Beschreibung sich bis heute nur schwer ertragen lassen. Die belgische Regierung betreibe in großem Ausmaß Sklavenhandel, keiner der Kolonialbeamten spreche die Sprache der Einheimischen. Kongolesische Arbeiter*innen würden mit Ochsenketten aneinander gebunden, die sich tief in das Fleisch der Menschen eingraben würden. Folter und Mord seien überall an der Tagesordnung. Erstmals prägte Wiliams den Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Leopold II. reagierte auf das öffentliche Aufsehen, das Wiliams‘ Bericht weltweit machte, in einem Interview, in dem er den Kongoles*innen unterstellte, sie seien über Jahrhunderte allesamt Kannibal*innen gewesen. Man müsse ihnen mit allen Mitteln die „heilige Pflicht der Arbeit nahebringen“. Wie vielen Menschen diese „heilige Pflicht“ das Leben kosten sollte, ist bis heute nur in Ansätzen zu schätzen. Man geht von etwa der damaligen Hälfte der Einwohner*innen, gut zehn Millionen, in der Zeit von 1885 bis 1905 aus. Die belgischen Herrschenden hatten nichts weniger als einen Genozid begangen!

Belgien knickt ein

„… dass diese Unabhängigkeit im Kampf gewonnen wurde, ein beharrlicher und begeisterter Kampf, andauernd von Tag zu Tag, ein Kampf in welchem wir nicht unterzukriegen waren durch Entbehrungen oder Leiden und uns nicht scheuten Blut zu opfern.“

Patrice Lumumba, 30.06.1960

Es ist der 29. Januar 1960, Patrice Lumumba hat da nicht einmal mehr ein Jahr zu leben, als Belgien zu einem Runden Tisch nach Brüssel einlädt. Dort soll geklärt werden, wie es mit dem Kongo weitergehen könnte. Monatelang waren die Großstädte des afrikanischen Landes von Aufständen erschüttert worden, die die „Force publique“ genauso wenig unter Kontrolle hatte bringen können, wie die Streiks in den Bergwerken. Innerhalb der „Force publique“ hatten sich kongolesische Soldaten, denen der Aufstieg in Offiziersränge verwehrt war, mehr und mehr geweigert den Befehlen belgischer Kommandeure zu gehorchen.

Einer der Wortführer der Revolte war Patrice Lumumba mit seiner MNC. Die von ihm mit ins Leben gerufene Partei, Movement nationale congolaise (Kongolesische nationale Bewegung), war die einzige, die im ganzen Land aktiv war. Noch während der Revolte war Lumumba verhaftet und misshandelt worden. Als sich der Runde Tisch in Brüssel traf, wurde schnell klar, dass man ohne den im Kongo weithin beliebten ehemaligen Postbeamten kaum zu einem Ergebnis kommen würde, welches auch im Kongo anerkannt werden würde. Der Druck auf Brüssel war enorm und so flog man den eloquenten Kongolesen direkt von der Zelle nach Brüssel.

Dort erwies er sich als ebenso geschickter wie unnachgiebiger Diplomat, dem es gelang Belgien zur Anerkennung der Souveränität zu bewegen. Die belgischen Unternehmen hatten vor allem die Hoffnung, diese Anerkennung möge nur ein Lippenbekenntnis sein. Vielleicht würden so die Unruhen enden. Dann könnte man die Rohstoffquellen in den Händen behalten und weiter ausbeuten. Wen interessierte schon, ob der Kongo offiziell eine Kolonie oder eine „unabhängige“ Republik ist? Die Kasse müsste stimmen, das würde reichen.

Und worüber sollte eine souveräne kongolesische Regierung schon herrschen? Der Verwaltungsapparat des gesamten Kongos war belgisch. Lediglich drei Beamte in diesem Riesenland von 250.000 Quadratkilometern Größe waren Kongolesen. Ganze dreißig Kongoles*innen hatten akademische Abschlüsse vorzuweisen. Es fehlte an allem: Medizinisches Pesonal, Ärzt*innen, Lehrer*innen, Schulen, Facharbeiter*innen; die belgische Krone hinterließ ein geschundenes Land, das den Weg in eine wirkliche Unabhängigkeit nicht gehen konnte und nach dem Willen der belgischen Herrschenden auch nicht gehen sollte.

Die Übergabe der Amtsgeschäfte sollte das unzweideutig zeigen. Am 30. Juni versammelte sich das neu gewählte Parlament und der Senat im Palast der Nation. Das Gebäude war nur notdürftig zum Sitz der gewählten Volksvertretung umgewidmet worden. Eigentlich sollte es in der Hauptstadt des Kongo das belgische Königspaar beherbergen, wenn dieses dort zu Besuch war. Und auch diese Stadt trug noch immer den Namen des belgischen Königs, der den Kongo einstmals zur Kolonie degradiert hatte: Leopoldville.

Der Festakt war genau durchgeplant. Als Redner traten der belgische König Baudouin und der kongolesische Präsident Kasavubu auf. Dessen gemäßigte Linie schien der belgischen Regierung für diesen Tag geeignet. Lumumba, dessen MNC bei den Parlamentswahlen mit 24 Prozent nicht nur zur stärksten Kraft geworden war, sondern den das Parlament zum Leidwesen der Kolonialherren unlängst zum Chef der Regierung bestimmt hatte, war als Redner nicht vorgesehen.

Baudouin erklärte in einer beschämenden Rede wie dankbar die Kongoles*innen doch für die belgische Herrschaft sein sollten. Sie habe ihnen die Zivilisation und den Fortschritt gebracht. König Leopold II. sei kein Eroberer gewesen. Viel mehr habe er ganz selbstlos dem Kongo Eisenbahnschienen gebracht. Und Präsident Kasavubu bedankte sich denn auch bei den belgischen Kolonialisten.

Für Lumumba gab es kein Halten auf seinem Platz mehr. Er stürmte ans Rednerpult und erzwang kurzerhand das Recht auf eine Ansprache. Er begrüßte die Kongoles*innen als siegreiche Kämpfer*innen für Unabhängigkeit, die ihren „Enkeln und Großenkeln, die glorreiche Geschichte unseres Kampfes für Freiheit weitererzählen“ würden. Der Tag der Unabhängigkeit solle sie mit Stolz erfüllen. Niemals sollten sie die brutale belgische Herrschaft vergessen. „Unsere Wunden sind zu frisch und viel zu schmerzhaft, um vergessen zu werden“. Man werde weder „die Massaker vergessen, in denen so viele umgekommen sind“ noch die Gefängniszellen, „in die jene geworfen wurden, die sich dem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“

Lumumba berichtete von Gewalttaten, Morden und Unterdrückung und er erklärte, das künftig der enorme Reichtum des Kongos allen Kongoles*innen zugute kommen solle.

Baudouin war außer sich! Noch während der Rede beugte er sich immer wieder zu Kasavubu und beschwerte sich über Lumumbas Blasphemie. Wie konnte er nur! Es kostete Baudouins Beraterstab einiges an Mühe, um ihn an der sofortigen Abreise zu hindern. Zumindest das abendliche Galadiner solle er noch einnehmen. Danach hielt den königlichen Spross nichts mehr in der Hauptstadt des Kongo.

Während sich Baudouin grenzenlos über die Insubordination eines Regierungschefs ärgerte, dem er im Grunde rein gar nichts zu sagen hatte, und Kasavubu sowie zahlreiche andere versöhnliche Stimmen wütend über Lumumbas mutige Rede waren, empfing ihn die Menge vor dem Palast der Nation mit stürmischem Applaus. Für sie war die Rede ihres Premierministers ein Art von Befreiung. Erstmals hatte ein Kongolese den Kolonialherren ins Gesicht gesehen und ihnen gesagt, welcher Verbrechen sie sich schuldig gemacht hatten. Und wenigstens Lumumba hatte ihnen nicht für die Unabhängigkeit gedankt, sondern die Wahrheit ausgesprochen. Diese Souveränität war unter großen Opfern erkämpft worden.

Eine Welt von Feinden

Schauen Sie sich Lumumba nur an… Er ist ein Barbar… Unsere Offiziere haben… geheult vor Wut, statt in einer mannhaften Geste die Erde von seiner blutigen Frechheit zu befreien.“

Professor für Moralphilosophie Marcel de Corte, 27.07.1960

Wir müssen den loswerden.“

US-Präsident Dwight D. Eisenhower, 18.08.1960

Mochte die Rede Lumumbas zur Unabhängigkeit auch im Kongo voller Begeisterung aufgenommen worden sein, in den Hauptstädten der kapitalistischen Welt erntete er dafür bestenfalls Verachtung. Mit Sorge nahm man dort Lumumbas Pläne zur Kenntnis, die Kupfer-, Cobalt- und Goldminen aus den Händen privater Eigentümer zu nehmen und verstaatlichen zu wollen. Sein Versprechen, der Reichtum des Kongos möge allen zugute kommen, konnte Lumumba kaum auf andere Art halten. Die privaten Unternehmen saugten das Land aus, beuteten Bodenschätze und menschliche Arbeit ohne jede Gewissensregung aus. Die westlichen Regierungen setzten hingegen alles daran, damit das so bleiben würde.

Die schon am Tag nach Lumumbas Rede einsetzende Pressekampagne hätte kaum größer sein können. Peter Scholl-Latour, der sich in diesen Tagen als Korrespondent der ARD im Kongo aufhielt, malte das Bild vom kreuzgefährlichen Irren: „Aber ist es nun das Mephisto-Bärtchen oder die wie Billardkugeln rollenden Augäpfel hinter den Brillengläsern? Der Mann hat etwas Beängstigendes. Sein Kopf ist der eines afrikanischen Lenin.“ Der Spiegel glaubte für die Zukunft des Kongos an eine „Diktatur Lumumbas“, diese Furcht vertreibe Europäer aus dem zentralafrikanischen Land. Der belgische „Standaard“ spekulierte darüber, ob sich Lumumba während seiner Reise in die USA an einer weißen Empfangsdame in seinem Hotel vergreifen werde und verlangte die Besetzung des Kongos durch UN-Blauhelme. Man könnte die Liste der Abscheulichkeiten ewig fortsetzen. So gut wie kein konservatives Blatt hielt sich zurück. Doch viel bedeutender als die persönlichen Angriffe war, dass die Zeitungen ein internationales Eingreifen im Kongo forderten, welches das Ziel haben sollte, Lumumba zu stürzen.

In Washington fürchtete man Lumumbas Pläne, die Eigentümer der großen Minen zu enteignen. Die USA bezogen Uran aus dem Kongo. Selbst das spaltbare Material für die Atombombe, die auf Hiroshima fiel, kam von dort. Bereits in den 1960er Jahren wurden fünfzig Prozent des globalen Uranbedarfs aus kongolesischen Gruben gedeckt. Das Land belieferte die Welt mit siebzig Prozent der Industriediamanten und 75 Prozent des Kobalts.

Verstaatlichungen im Kongo hätten den kapitalistischen Geschäften weltweit geschadet. Lumumba durfte damit nicht durchkommen!

Geheimdienstoperationen liefen an. Der CIA-Chef Allen Dulles entsandte den umtriebigen Geheimagenten Lawrence Devlin in den Kongo. Im Gepäck 100.000 US-Dollar und unbegrenzte Kompetenzen. Mordpläne, einer irrwitziger als der andere, wurden geschmiedet. Man wollte Lumumbas Zahnpasta vergiften und angeblich diskutierte man gar darüber, einen Virus im Land zu verbreiten, der auch den Regierungschef töten sollte. Was wirkte wie die Ausgeburt schlechter James-Bond-Filme und einem Haufen geheimer Utensilien, hatte einen blutigen Kern: Lumumba, das stand spätestens ab August 1960 fest, sollte – wenn sich kein anderer Weg fand – sterben.

Zunächst wollte man jedoch vorrangig die Rohstoffe für die westlichen Konzerne sichern: Der Löwenanteil war in der südlichen Provinz Katanga zu holen. Nicht weniger als vierzig Prozent der kongolesischen Ausfuhren stammten aus Katanga. Dort saß das belgische Unternehmen „Union Miniere“ fest im Sattel.

Mit belgischer und US-amerikanischer Unterstützung verkündete der örtlicher Politiker Moise Tshombe die Trennung der Provinz vom Mutterland. Bei Tshombe brauchte man sich keine Sorgen machen, dass er die Geschäftsinteressen der kapitalistischen Konzerne irgendwie gefährden würde. Tshombe war eine Marionette, den sein unbedingter Wille zur Macht und sein Hass auf Lumumba für diesen Job geeignet erscheinen ließen,

UNO gegen Kongoles*innen

Als sich die imperialistischen Mächte vor dem Ersten Weltkrieg in Den Haag trafen, um Regeln festzulegen, die es im Krieg einzuhalten gelte, schrieb die Marxistin Rosa Luxemburg, man dürfe sich im Kampf gegen Kriege nicht auf diese Mächte, ihre internationalen Vereinbarungen und Konferenzen verlassen. Die Haager Landkriegsordnung war für Luxemburg keine Hilfe im Kampf gegen Krieg und Kriegsgefahr, weil sie die eigentliche Ursache des Krieges, den Kapitalismus, naturgemäß nicht infrage stellte.

Die UNO, nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen und in der Zeit bis 1990 von kapitalistischen und stalinistischen Staaten beherrscht, konnte nur Schein-Hilfe leisten, um dem Kongo aus der von den westlichen Industrienationen heraufbeschworenen Krise zu helfen. Ein bisschen Kosmetik hier, eine Lieferung von Hilfsgütern da. Doch nicht einmal diesen Schein wahrte die UNO im Kongo.

Während die Provinz Katanga von belgischen Fallschirmjägern besetzt und die Teilung des Landes somit besiegelt wurde, zogen UN-Blauhelme im Kongo ein, ohne Katanga zu besetzen. Die Friedenssoldaten der Vereinten Nationen kamen alle aus westeuropäischen Staaten. Keine einzige afrikanische Nation hatte Blauhelme stellen dürfen.

Dennoch hatte Lumumba zunächst große Hoffnungen auf die UNO, oder eher Illusionen. Nachdem der UN-Sicherheitsrat beschließt, Blauhelme in den Kongo zu entsenden, begrüßt Lumumba diese Entscheidung in einer Ansprache stürmisch. Es handle sich um „einen großen Sieg für das kongolesische Volk“. Der Beschluss der UNO habe dafür gesorgt, das „die Söldner der Kolonialisten und die Imperialisten gescheitert“ seien. Tshombe in Katanga, der nur deren „Strohmann“ sei, sei ebenfalls gescheitert.

Wie falsch Lumumba die Rolle der UNO damals einschätzte, erwies sich nur zwei Tage nach Lumumbas Stellungnahme zu deren Einsatz. Dag Hammarskjöld, Generalsekretär der Vereinten Nationen, flog nach Elisabethville, der Hauptstadt des abtrünnigen Katanga, wo er mit Godefroid Munongo, dem Außenminister Tshombes über den Einzug von Truppen der Vereinten Nationen in Katanga verhandelte. Auf die Frage Munongos, wie sich die UNO denn verhalten würde, wenn Lumumba versuchen sollte der Separation Katangas durch den Einsatz der Armee ein Ende zu setzen, erwiderte Hammarskjöld, dass ihm die Position Tshombes als „rechtmäßiger erscheint als die des Herrn Lumumba“. Die Protokolle der Sitzung offenbaren deutlich, dass Hammarskjöld die UNO gegen Lumumba in Stellung gebracht hatte und sind in ihren Aussagen derart diskreditierend, dass Tshombe Hammarskjöld in den kommenden Monaten mithilfe der Aufzeichnungen unter Druck setzen wird.

So aufgeschlossen, wie sich Hammarskjöld gegenüber Tshombe zeigen wird, so abweisend reagiert er auf Lumumba. Statt mit dem Chef der kongolesischen Regierung über die Situation im Land zu verhandeln, traf sich Hammarskjöld mit Tshombe und dem belgischen Außenminister Pierre Wigny, der – wie Lumumba dem Generalsekretär in einem Brief vorwarf – „im Aufsichtsrat mehrerer Bergwerksgesellschaften im Kongo sitzt und bei der Sezession Katangas seine Hände im Spiel hatte“. Mit anderen Worten, Hammarskjöld, der erste Mann der UNO, beriet sich mit einem Gewährsmann der Unternehmen über die Zukunft des Kongo, die dieses Land ausbeuteten und dabei nicht einmal davor zurückschreckten einen Bürger*innenkrieg vom Zaum zu brechen.

Wie wenig das Gesicht der Vereinten Nationen bereit war mit dem kongolesischen Regierungschef zu verhandeln, zeigten auch Hammarskjölds an Kasavubu gerichtete Noten. Darin forderte er den Präsidenten des Landes auf, für ein Vertrauensverhältnis zwischen UNO und dem Kongo zu sorgen. Was er damit meinte, schrieben US-amerikanische Diplomaten in Berichten an die Eisenhower-Administration. Darin heißt es, dass aus Sicht der UNO eine Zusammenarbeit mit Lumumba nicht weiter fortgeführt werden könnte. Lumumbas Gegner*innen im In- und Ausland schlossen die Reihen.

Der Mord

Das Hauptziel, das im Interesse von Kongo, Katanga und Belgien zu verfolgen ist, ist fraglos die endgültige Eliminierung Lumumbas.

Der Minister Belgiens für afrikanische Angelegenheiten Graf Harold d‘Aspremont Lynden, August 1960

Ende August 1960 begann Lumumba mit einer militärischen Kampagne zur Wiederangliederung Katangas. Mit Reden sammelte er Anhänger, die bereit waren die Streitkräfte zu unterstützen. Kaum, dass die Operation anlief, da empfing Lawrence Devlin ein Telegramm von CIA-Chef Allen Dulles höchstpersönlich, in dem „eine Entfernung“ Lumumbas zur „höchsten Priorität“ für die „herrschenden Kreise“ in den USA erklärt wurde, da man eine „kommunistische Machtergreifung im Kongo“ befürchte.

Inzwischen wurde Präsident Kasavubu zugleich von Seiten der UNO, der US-Administration, der belgischen Regierung, der Chefs internationaler Großkonzerne, der koloniale Elite und der katholischen Kirche im Kongo bedrängt Lumumba zu entlassen. Das kam einem Verfassungsbruch gleich, da der Präsident des Kongo dieses Recht nicht besaß. Doch schließlich tat Kasavubu wie geheißen und entließ Lumumba. Der eilte tags darauf ins Parlament und forderte in einer Rede die Abstimmung über seine Entlassung als Premier. Die Angeordneten stellten sich mehrheitlich hinter Lumumba. Die Schlacht war gewonnen und Lumumba wieder an der Spitze der Regierung.

Derweil ging die Offensive in Katanga schnell voran. Aufständische, die sich gegen Tshombes Diktatur in der südlichsten Provinz gewehrt hatten, verbündeten sich mit Regierungstruppen und drängten Tshombes Truppen Stück für Stück nach Süden.

Inzwischen waren US-Geheimdienstler auch auf den Chef der kongolesischen Armee zugegangen und hatten ihn für einen Aufstand gegen Lumumba gewonnen. Mobutu stoppte die bis dahin erfolgreiche Offensive und begab sich in die Hauptstadt, wo er durch Kasavubu zum Premier ernannt wurde. Mobutu ließ Lumumba festsetzen- Lumumba in Freiheit – das war bei Weitem zu gefährlich.

Ende November gelingt Lumumba die Flucht. Auf seiner Fahrt quer durch das Land, immer verfolgt von Mobutus Truppen, wird sein Tross in zahlreichen Dörfern gestoppt. Überall muss Lumumba unter großem Applaus Reden halten, was Lumumbas Vorankommen deutlich verlangsamt.

Postwendend weist die UNO die Blauhelme im Kongo an, Lumumba in keinem Fall zu helfen. Tatsächlich verweigern Truppen der Vereinten Nationen dem fliehenden, rechtmäßigen Premierminister die Hilfestellung, als er ihnen begegnet.

Während des Übersetzens über eine Fluss, ergriffen Mobutus Truppen Lumumba und seine Anhänger. Lumumba wird in einem Stützpunkz des kongolesischen Militärs in Thysville gefangen gehalten.

Und selbst jetzt nimmt die Einmischung der westlichen Großmächte kein Ende. Die belgische Regierung warnt per Telegramm die kongolesischen Putschisten vor einer möglichen Befreiung Lumumbas und den daraus dann entstehenden Folgen. Selbst der CIA glaubt im Januar 1961 an eine Rückkehr Lumumbas an die Macht. Bestätigt sieht der Geheimdienst seine Einschätzung, als in Thysville einfache Soldaten rebellieren und Lumumbas Freilassung verlangen. Selbst auf Teile der Garnison der Hauptstadt greift die Revolte über.

Unterdessen fordert die belgische Regierung mit Nachdruck die Auslieferung Lumumbas an Tshombe in Katanga. Man ist sich sicher, dass der keine Gnade kennen wird. Auch Mobutu ist das vollkommen klar.

Am 17. Januar flog man Lumumba in die Provinz Katanga aus. Am ehesten könnte man ihn hier los werden. Schon auf dem Flug dorthin wurden Lumumba und zwei seiner engsten Vertrauten schwer misshandelt. Dem Ex-Premier schlug man die Schneidezähne aus, Belgische Offiziere organisieren ein Erschießungskommando, das noch an diesem 17. Januar zur Tat schreiten wird. Den Mord hält man geheim. Wenige Tage später werden belgische Soldaten die Leichen von Lumumba und seinen beiden Begleitern ausgraben, sie zerkleinern und dann in Säure auflösen. Während die Weltöffentlichkeit darüber streitet, ob Lumumba inhaftiert, freigelassen oder wieder auf den Regierungssessel zurückkehren soll, ist Lumumba längst nicht mehr am Leben. Erst gegen Mitte Februar wird sein Tod bekanntgegeben. Angeblich hätten ihn aufgebrachte Dorfbewohner*innen getötet.

Bis heute ist der Mord an Lumumba, angeordnet von höchsten staatlichen Stellen in Belgien und den USA, durchgeführt von deren Handlangern und geduldet von den Vereinten Nationen, nicht bestraft worden.

Lumumbas Fehler

Das Proletariat in kolonialen und halbkolonialen Ländern „ ist gezwungen, den Kampf um die elementarsten Aufgaben der nationalen Unabhängigkeit und der bürgerlichen Demokratie mit dem sozialistischen Kampf gegen den Weltimperialismus zu kombinieren. In diesem Kampf sind die demokratischen Forderungen, die Übergangsforderungen und die Aufgaben der sozialistischen Revolution nicht in besondere historische Epoche geschieden, sondern gehen unmittelbar auseinander hervor.“

Leo Trotzki, Übergangsprogramm, 1938

Als die russischen Bolschewiki in die revolutionären Prozesse in Russland eingriffen, war ihnen vollkommen klar, dass ihr Land aus wenigstens halbfeudalen Zuständen kam und es so gut wie keine bürgerliche Klasse gab, keine eigenständige Unternehmerschaft, die die bürgerliche Revolution zur Abschaffung feudaler Zustände hätte tragen können. Das idealtypische Modell einer bürgerlichen Revolution wie 1789 in Frankreich war auf Russland kaum anzuwenden. Viel mehr musste das Proletariat diese Aufgaben übernehmen und die Klärung der nationalen Frage, der Verteilung von Land und der Durchsetzung demokratischer Rechte lösen. Die Arbeiter*innenklasse konnte dann aber nicht stehenbleiben, sondern musste die Revolution in Permanenz in eine sozialistische überführen. Allein konnte das Proletariat diese enorme Last nicht tragen. Verbündete waren die landlosen und landarmen Bäuerinnen und Bauern. Diese „Theorie der permanenten Revolution“ war erstmals von Leo Trotzki formuliert worden und hatte schließlich Eingang in das theoretische Rüstzeug der Bolschewiki gefunden.

Wenn Lumumba immer wieder erklärte, eine wirkliche nationale Unabhängigkeit seines Landes vom kolonialen Joch wäre nur möglich, wenn die Rohstofflagerstätten und die Ausrüstung der großen Minengesellschaften in Staatseigentum überführt werden und somit die Konzerne aus dem Kongo vertrieben würden, sprach er, ohne es zu wissen, einen Teil dieser Theorie aus. Das machte Lumumba im Angesicht derer, die weiterhin Profit auf Kosten der Kongoles*innen erwirtschaften wollten, gefährlich. Diese Haltung ließ ihn zum Revolutionär werden.

Lumumba sollte mit all dem Recht behalten, aber er, der gesehen hatte welche Kraft die Kongoles*innen im Kampf gegen die belgische Kolonialherrschaft an den Tag gelegt hatten, übersah vollkommen die Bedeutung der Massen, die ihm doch zujubelten. Es gab keinen Versuch diese enorme Kraft zu bündeln, Ausschüsse armer Bäuerinnen und Bauern und Komitees von Arbeiter*innen zu bilden. Diese wären in der Lage gewesen, die kolonialen Großgrundbesitzer zu enteignen und deren Land zu verteilen. Ebenso wären die Arbeiter*innen, organisiert in Räten, fähig gewesen den ausländischen Kapitalisten Rohstoffe und Minen abzunehmen.

Die sezessionistische Macht eines Tshombe, die Intrigen von Mobutu, sie alle stützten sich auf den durch die Kolonialherren hinterlassenen Staatsapparat. Ein Staatsapparat dessen Brutalität Lumumba selbst zu spüren bekommen hatte. Er kannte ihn und als dieser Staatsapparat anfing, angeleitet von den Interessen kapitalistischer Firmen, gegen ihn zu intrigieren, war Lumumba noch nicht einmal sonderlich überrascht.

Doch er war noch nicht in der Lage diesen Apparat zu ersetzen. Das wäre er aber gewesen, das wären die kongolesischen Massen gewesen, wenn Lumumba frühzeitig den Aufbau von Doppelstrukturen in Angriff genommen hätte. Diese Strukturen hätten dann auch die Bewaffnung der armen kongolesischen Massen ermöglicht, um Verschwörer wie Tshombe oder Mobutu aufzuhalten.

Ein weiterer Fehler Lumumbas war die Art der Partei, die er geformt hatte. Die Movement nationale congolaise, war zwar die einzige politische Kraft, die im gesamten Kongo verankert war, ihr Programm betonte die Notwendigkeit der nationalen Befreiung, aber sie unterbetonte die Verbindung dieses Kampfes mit dem Kampf um soziale Befreiung. Doch beide Kämpfe werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie gemeinsam geführt werden. Dieser Grundsatz zählte zur Zeit Lumumbas ebenso wie er heute für die afrikanischen Länder zählt.

Drei lange Jahrzehnte nach Lumumbas Tod würde Mobutu den Kongo, der nun den Namen Zaire trug, beherrschen. Mobutu ließ zu, dass der Kongo durch internationale Firmen ausgebeutet wurde. Gestützt auf die Herrschenden in den USA tyrannisierte Mobutu mit seiner unumschränkten Macht das zentralafrikanische Land. Sein Vermögen belief sich zum Ende seines Lebens auf etwa zwei Milliarden Dollar.

Gestürzt wurde er von Kabila, der Lumumba noch persönlich gekannt hatte. Diesen Umstand führte Kabila ebenso ins Feld wie die Tatsache, dass der lateinamerikanische Revolutionär Ernesto Che Guevara 1964 für mehrere Monate im Kongo versuchte eine Armee aus den Rebellen Kabilas zu formen, die in der Lage sein sollte das Land zu befreien. Che Guevara wendete sich schnell von dem korrupten und machtversessenen Kabila ab, in dem er nach eigenem Bekunden einen „Scheißkerl“ erkannte. Kaum dass Kabila 1997 an den Schalthebeln der Macht saß, verteilte er die Pfründe neu. Ob er jemals wirklich an Sein angebliches Vorbild Lumumba geglaubt hat, wird sein Geheimnis bleiben. Als er dem Kongo vorstand, war jedenfalls nicht mehr viel von diesen Empfindungen übrig. Der Kongo blieb das Opfer westlicher Großkonzerne.

Wenig später fiel Kabila dem Anschlag eines seiner Personenschützer zum Opfer. Danach stürzte der Kongo endgültig ins Chaos. Bürger*innen- und Interventionskrieg waren die Folge, dessen Ausmaße so erschütternd waren, dass man in Afrika vom Afrikanischen Weltkrieg sprach. In den europäischen Medien spielte all das kaum eine Rolle. Nur die Rohstofflieferungen gingen in all diesen Zeiten unaufhörlich weiter. Sie mehrten den Reichtum Weniger und die Armut und das Elend Vieler. Den Sieg gegen dieses Prinzip wird man nur international, gemeinsam erkämpfen können. Lumumbas Leben wurde vor sechzig Jahren durch eine Bluttat ein Ende gesetzt, nicht jedoch seinem Traum von einem unabhängigen Kongo.

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