Das nahende Wagenknecht-Desaster

Foto: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c7/Wagenknecht%2C_Sahra%2C_2013.JPG von Wolkenkratzer [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], vom Wikimedia Commons

DIE LINKE braucht linke Positionen – nicht nur Sahra Wagenknecht hat diese verlassen

Am Samstag wird in Nordrhein-Westfalen die Landesliste der Linkspartei für die Bundestagswahl gewählt. Auf Listenplatz 1 kandidiert Sahra Wagenknecht, unterstützt von einer Mehrheit des Landesvorstands. Nachdem in den letzten Tagen erste Zitate aus ihrem am 14. April erscheinenden neuen Buch „Die Selbstgerechten“ bekannt wurden, ist eine heftige Debatte entbrannt. Denn diese Zitate lassen darauf schließen, dass die Autorin ihren politischen Rechtsschwenk der letzten Jahre nicht nur fortsetzt, sondern auch DIE LINKE und viele linke Aktivist*innen frontal angreift.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundesssprecher und Mitglied der LINKEN und der AKL

Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich mit den politischen Ideen in Wagenknechts neuem Buch und auch mit ihrer Corona-Politik beschäftigen und wollen hier nur einige Gedanken zu der aktuellen Auseinandersetzung äußern (hier findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung von uns mit Wagenknechts migrationspolitischen Positionen).

Man muss blind sein oder nicht sehen wollen, um nicht zu erkennen, dass Sahra Wagenknecht seit einigen Jahren ein Projekt verfolgt, das nichts mit der LINKEN zu tun hat. Inhaltlich hat sie sich von ihren früheren linksreformistischen Positionen hin zu einer Mischung aus Linkspopulismus, Nationalismus und Marktwirtschaftsfetischismus bewegt. Organisatorisch beweist sie bei jeder Gelegenheit ihre Ignoranz gegenüber der Partei und deren Gremien und hatte schon mit dem Projekt „Aufstehen“ versucht eine organisatorische Basis für eine neue Partei zu legen. Dieses ist ziemlich kläglich gescheitert. Der Gedanke aber offenbar nicht gestorben. Es ist wohl kein Zufall, dass die Wagenknecht-Unterstützer Ralf Krämer und Harri Grünberg auf facebook sowohl nach dem Bundesparteitag der LINKEN, wo sie und andere Wagenknecht-Freunde es nicht in den Parteivorstand geschafft haben, im Februar als auch in den letzten Tagen die Frage eines „Plan B“ bzw. einer Parteineugründung aufgeworfen haben.

Richtige Fragen – falsche Antworten

Wagenknecht hat als Ursache für die Probleme der Linkspartei und der Linken generell eine Abwendung von Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten und eine Hinwendung zu Identitätspolitik, akademischen Milieus und liberalem Moralismus ausgemacht. Wir haben in den Debatten zu Wagenknechts Positionen in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass sie, zumindest teilweise, richtige Fragen aufwirft, aber falsche Antworten gibt. Und letzteres ist entscheidend für die Bewertung ihrer politischen Positionen.

Auch wir haben argumentiert, dass DIE LINKE gegen Sahra Wagenknecht verteidigt werden musste und muss, weil ihr Projekt nur zu zwei Ergebnissen führen konnte, die beide ein Desaster darstellen: hätte sie eine Mehrheit in der Partei gewonnen, hätte sich die Partei in ihrer Haltung von linken, internationalistischen Positionen verabschiedet und für nationalistische Positionen geöffnet und wäre sie weniger Mitgliederpartei und mehr Wahlverein geworden. Gewinnt sie keine Mehrheit – und das scheint auf Bundesebene mittlerweile klar zu sein, wird sie die Partei früher oder später spalten. Das Spaltprodukt wird dabei kein Schritt hin zu klaren linken und antikapitalistischen Positionen sein, sondern eine Spaltung nach rechts und damit die gesamte Linke schwächen. Es ist offensichtlich, dass Wagenknecht ihre Kandidatur für den Bundestag auf der Liste der LINKEN als Vehikel benutzt, um in eine aussichtsreichere Position zu kommen, eine solche Spaltung in Zukunft durchzuführen.

Nicht nur Wagenknecht kritisieren

DIE LINKE gegen Wagenknecht verteidigen sollte aber nicht heißen, die Politik der Partei in allen Fragen und den Kurs der Parteiführung und vor allem der Fraktionen in Bundestag und Landtagen und der Minister*innen in den Landesregierungen in Bremen, Berlin und Thüringen zu verteidigen. Die Parteilinke muss eine unabhängige Position formulieren und deutlich machen, dass die reale, praktische Politik insbesondere in den Landesregierungen keine linke Politik ist, weil Abbau von Krankenhausbetten (Bremen), Privatisierung der S-Bahn (Berlin), Zusammenarbeit mit der CDU (Thüringen) und Exekution von Abschiebungen (in allen drei Ländern) weder links noch internationalistisch ist. Dass sich nun auch die zum linken Parteiflügel zuzurechnende neue Co-Vorsitzende Janine Wissler offen für eine Koalition mit SPD und Grünen ausgesprochen hat, sollte genauso deutlichen Widerspruch der Parteilinken hervorrufen und die Alarmglocken läuten lassen.

Das jedoch kritisiert Sahra Wagenknecht gar nicht. Sie hat in der Vergangenheit sogar explizit zur Unterstützung von Koalitionen mit SPD und Grünen, also prokapitalistischen Sozialabbau-Parteien, aufgerufen. Sie kritisiert bestimmte tatsächlich existierende Phänomene, wie die mangelnde Verankerung der LINKEN unter Arbeiter*innen, weist diesen aber Ursachen zu, die nicht zutreffen, wie die Haltung der LINKEN zu Einwanderung oder Unterstützung für antirassistische und antisexistische Bewegungen. Dass es aber gerade die Beteiligung an unsozialer und arbeiter*innenfeindlicher Politik, das Auftreten als Regierungspartei im Wartestand, die Wahrnehmung als der linke Teil des Establishments statt als Anti-Establishment-Kraft sind, die verhindern, dass DIE LINKE zur Hoffnungsträgerin von mehr Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten wird, ist nicht Wagenknechts Sichtweise.

Identitätspolitik

Nicht alles, worauf sie hinweist, ist also falsch bzw. eine Erfindung. Stichwort: DIE LINKE und Identitätspolitik. Identitätspolitik ist für DIE LINKE und die linken Bewegungen insofern tatsächlich ein Problem, wenn der Kampf gegen die spezifische Unterdrückung von Frauen, Migrant*innen, Schwarzen, LGBTQ*-Menschen so geführt wird, dass er Spaltungen innerhalb der Arbeiter*innenklasse vertieft statt dabei zu helfen, diese zu überwinden. Das Problem ist dann aber nicht der Kampf gegen diese Unterdrückungsformen, sondern das Programm und die Methoden mit denen dieser geführt wird. Darüber muss sich in der LINKEN und der Linken auseinander gesetzt werden, darum muss gerungen werden. Die Sol vertritt in dieser Debatte die Haltung, einen entschiedenen Kampf gegen jede Form der Unterdrückung zu führen und diesen zu verbinden mit den Kämpfen um soziale Rechte, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, günstigen Wohnraum, einen höheren Mindestlohn etc. Und: diese Kämpfe als antikapitalistische, sozialistische Kämpfe zu führen – weil sowohl die Ausbeutung und Entrechtung der Arbeiter*innenklasse und die Unterdrückung von den oben genannten Menschen ihre tiefere Ursache in der kapitalistischen Klassengesellschaft haben. Das ist der Weg, um Spaltungen innerhalb der Arbeiter*innenklasse zu überwinden und Einheit herzustellen.

Sahra Wagenknechts Kritik an Identitätspolitik versucht jedoch nicht Spaltungslinien zu überwinden, sondern sie vertieft sie, weil sie den Kampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung dem Kampf für die sozialen und ökonomischen Rechte der Arbeiter*innenklasse entgegen stellt, ersteren als Hindernis für letzteren versteht. Und mehr. Wagenknecht schreibt: „Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein.“ Das müssen Opfer rassistischer oder sexistischer Diskriminierung als Verhöhnung empfinden und so vertieft Wagenknecht ihrerseits Spaltungen, auch wenn sie behauptet, das Gegenteil bewirken zu wollen.

Das hat dann nichts mehr mit linker Politik zu tun, sondern damit landet sie in letzter Konsequenz bei nationalistischen und auch frauenfeindlichen Positionen.

Stellvertreter*innenpolitik

Kampf? Das ist eigentlich nicht der richtige Begriff im Zusammenhang mit Wagenknechts Positionen, denn sie steht mehr als andere für Stellvertreter*innenpolitik. Die von ihr viel benannten Arbeiter*innen sind Objekte und keine Subjekte, die ihr Schicksal und ihr Leben selbst in die Hände nehmen sollen – durch Selbstorganisation, Gewerkschaften, Streiks und Revolution. Sie spricht und schreibt nur über Arbeiter*innen, hat selbst aber nichts mit diesen zu tun. Im Gegenteil: sie ist Millionärin, lebt in einer schicken Villa und geht auf die Geburtstagsparty von CSU-Politiker Gauweiler und feiert dort mit Markus Söder und AfD-Unterstützern. Und nein, das ist kein Neid, sondern nur ein Hinweis auf den Marxschen Satz, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt (aber auch das gilt nicht nur für Sahra Wagenknecht, sondern auch für die mit hohen Diäten und Privilegien ausgestatteten Bundestagsabgeordneten und Minister*innen der LINKEN).

Diese Haltung drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass Sahra Wagenknecht mit den Mitgliedern der Partei DIE LINKE in selbstgefälliger Arroganz umgeht. Um die Debatten und Beschlüsse der Partei schert sie sich nicht. Sie macht ihr Ding. Früher als Fraktionsvorsitzende im Bundestag, nun in einer Talkshow nach der anderen.

Neue Qualität

Ihr neues Buch scheint nun eine neue Qualität darzustellen, wie die unten an diesen Artikel angehängten Zitate zum Ausdruck bringen, wobei wir uns gerne korrigieren, wenn wir das ganze Buch gelesen haben und dieser Eindruck sich als falsch erweisen sollte, womit wir nicht rechnen.

Verwundern kann das nicht, denn bei Wagenknechts Positionen handelt es sich nicht um einzelne Fehler oder Übertreibungen, sondern um eine politische Linie, die sich deutlich herauskristallisiert hat und die sie nun offenbar konsequent zu Ende argumentiert.

Wagenknecht nicht wählen!

Was bedeutet das nun für die Wahl zur Landesliste in NRW? Die Stimmen werden lauter, die fordern, Wagenknecht nicht zu wählen. Diese Forderung wurde in den letzten Wochen schon von einigen Gliederungen der Partei aufgestellt. Sol-Mitglieder hatten in der linksjugend[‘solid] einen entsprechenden Beschluss beantragt (siehe hier).

Wir haben die Kandidatur des AKL- und SAV-Mitglieds Angela Bankert für Listenplatz 1 von Anfang an unterstützt. Es ist richtig, Sahra Wagenknecht eine klare antikapitalistische Position entgegenzustellen. Es ist wichtig, dass diese nicht verwässert wird, um vermeintlich breitere Teile der Partei zu erreichen. Insbesondere die grundsätzliche Opposition gegen Regierungskoalitionen mit prokapitalistischen Parteien, die Angela Bankert vertritt, muss beibehalten und in den Wahlkampf und die Bundespartei eingebracht werden.

Das Wagenknecht-Lager versucht nun, die Delegierten der Vertreter*innenversammlung faktisch zu erpressen. Ohne Wagenknecht werde DIE LINKE Stimmen verlieren, heißt es, und gleichzeitig wird mit einem Plan B, einer Parteineugründung gedroht. Wir fordern alle Delegierten auf, nach politischen Gesichtspunkten zu entscheiden und nicht nach der Frage, welche Kandidat*in die vermeintlich meisten Stimmen mobilisieren kann.

Hinzu kommt: es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass DIE LINKE ohne Wagenknecht als Kandidatin weniger Stimmen erzielt. Bei den letzten Bundestagswahlen war nicht der Düsseldorfer Wahlkreis von Wagenknecht der beste in Bezug auf die entscheidenden Zweitstimmen in NRW. Wagenknecht schreckt zweifelsfrei auch Wähler*innen ab, andere mag sie mobilisieren. Welche Seite unterm Strich größer ist, mag niemand mit Sicherheit zu sagen. Schlimmer als ein paar Stimmen weniger ist aber eine prominente LINKE-Abgeordnete, die die Positionen der Partei mit Füßen tritt und im Laufe der nächsten Jahre ihr Mandat zur Spaltung der Partei und Bildung einer neuen, linkspopulistisch-nationalistischen Partei nutzt.

Sicher ist, dass es viele LINKE-Mitglieder gibt, die sich drei Mal überlegen werden, ob sie für eine Wagenknecht-LINKE in NRW Wahlkampf machen werden. Und sicher ist auch, dass DIE LINKE dann Wähler*innen mobilisieren kann, wenn sie als kämpferische und oppositionelle Kraft auftritt, die sich in Stadtteilen, sozialen Bewegungen, Betrieben und Gewerkschaften verankert und deutlich macht, dass sie mit dem bürgerlichen Establishment nichts zu tun hat.

Es reicht also nicht, Sahra Wagenknecht am Samstag eine Abfuhr zu erteilen. Es geht darum in der LINKEN einen Kurswechsel einzuleiten. Denn Wagenknecht ist nicht die einzige, die linke Positionen verlassen hat. Das haben wesentliche Teile anderer Flügel der Partei, die auf Koalitionen mit SPD und Grünen setzen, auch begonnen. Wenn aus dieser Auseinandersetzung die Parteilinke gestärkt hervor geht, unabhängig vom Ausgang der Wahl, dann ist das das wichtigste Ergebnis. Wir rufen alle Genoss*innen der LINKEN, die unsere Haltung teilen deshalb auf, sich uns anzuschließen und mit uns gemeinsam auch die Antikapitalistische Linke (AKL) innerhalb der LINKEN zu stärken und in der Partei für einen kämpferischen und sozialistischen Kurs zu kämpfen.

Zitate aus Sahra Wagenknechts neuem Buch „Die Selbstgerechten“

S. 37: “Da die Gelbwesten die Vorgaben des linksliberalen Weltbildes beherzt ignorierten, wurden sie insbesondere von deutschen Lifestyle-Linken sofort rechtsradikaler Sympathien verdächtigt: “In Deutschland wäre eine solche Verbrüderung linker und rechter Gesinnung nicht denkbar.” monierte etwa der damalige Vorsitzende einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist. Auch bei den großen Anti-Corona-Demonstrationen, etwa jener im August 2020 in Berlin, sah der Vorstand derselben Partei nur “Verschwörungstheoretiker” und “Nazis” auf den Straßen, obwohl jeder, der Bilder dieser Kundgebungen unvoreingenommen betrachtet hat, die große Zahl relativ unpolitischer, aber eben unzufriedener Normalbürger kaum übersehen konnte. Ähnlich naserümpfend werden nahezu alle öffentlichen Aktionen kommentiert, bei denen die Akademikerquote unter 50 Prozent liegt und die vielleicht auch wegen dieser Arroganz von links am Ende tatsächlich häufig von Meinungsführern aus dem rechten Spektrum gekapert werden.“

S. 96: “Der langsame Abschied der SPD vom traditionellen Programm begann bereits in den siebziger Jahren, als die Generation der 68er und Nach-68er-Studenten die ehemalige Arbeiterpartei kaperte und der Arbeiteranteil unter ihren Mitgliedern auf 28 Prozent sank. Ein Teil der damaligen Akademiker entstammte immerhin dem Arbeitermilieu, ihre Eltern waren klassische SPD-Wähler … Die Wortführer der 68er-Bewegung waren indessen wohlhabende Bürgerkinder, die kulturell gegen die Elterngeneration aufbegehrten. …Der Angriff der neuen Bewegung galt aber nicht nur dem rechten und erzkonservativen Milieu, sondern richtete sich gegen den gesamten Wertekanon vom “Maß und Mitte” und gegen die damalige Gesellschaft, die immerhin den Arbeitern mehr Rechte, Konsummöglichkeiten und Aufstiegsoptionen eröffnet hatte, als sie jemals zuvor gehabt haben. …Mit dem Zustrom der durch die 68er-Ideen geprägten Jungakademiker begann die Entfremdung der Sozialdemokratie von der Arbeiterschicht.”

S. 99: “Linksliberale nehmen für sich in Anspruch, für Vielfalt, Weltoffenheit, Modernität, Klimaschutz, Liberalität und Toleranz zu stehen. Allem was nach linksliberalem Verständnis rechts ist, wird hingegen der Kampf angesagt: Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit, Provinzialität, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Islamophobie.

Glaube, Nation und Heimat sind den Linksliberalen Chiffren für Rückständigkeit.”

S. 102: “Die Theorie hinter dem geschilderten Ansatz nennt sich Identitätspolitik. Sie steht im Zentrum des Linksliberalismus und liefert praktisch das Grundgerüst, auf dem das linksliberale Weltbild beruht. Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein. …

Da sich an identitätspolitischen Diskursen allerdings kaum Arme oder Geringverdiener beteiligen, hat das noch niemanden gestört. Sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Ethnie dagegen funktionieren immer. Wer nun mal weiß und hetero ist, kann es behelfsweise über den Lebensstil versuchen, also etwa als Veganer gegen die Mehrheit der Fleischesser. Auch religiöse Überzeugungen, soweit sie im betreffenden Land nur von einer Minderheit geteilt werden, können einen zum Opfer und damit unangreifbar machen.”

S. 107 f.: “In dieser Logik ist ein weißer heterosexueller Postzusteller mit 1000 Euro netto im Monat, der abends Medikamente nehmen muss, weil sein Rücken nach der Plackerei schmerzt, privilegiert gegenüber der Tochter einer aus Indien zugewanderten wohlhabenden Arztfamilie oder dem homosexuellen Sohn eines höheren Beamten, der gerade sein Auslandssemester in den USA beendet hat. Es ist nicht zuletzt die Schamlosigkeit, mit der sich Vertreter privilegierter Gruppen öffentlich zu Opfern stilisieren und daraus Ansprüche und Vorrechte ableiten…”

S. 158: “Drei Jahrzehnte neoliberaler Politik haben viele der einstigen Einschränkungen und Regelungen abgeräumt. Die Gewerkschaften sind heute nicht nur sehr viel schwächer als in ihren Blütezeiten, die linksliberale Erzählung von der Verpflichtung zu Weltoffenheit und Diversität führt auch dazu, dass sie sich kaum noch trauen, die Beschäftigung von Zuwanderern auch nur zu problematisieren.”

S. 160 f. “Immerhin ist der deutsche Niedriglohnsektor einer der größten in ganz Europa. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet heute in diesem Bereich. Seine Existenz geht zum einen auf die Arbeitsmarktreformen in der Zeit der SPD-Grünen-Koalition unter Gerhard Schröder zurück, die viele Schutzrechte von Beschäftigten aufgehoben und den Unternehmen die Möglichkeit gegeben hatte, großflächig reguläre Vollzeitjobs durch irreguläre Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Seither boomen Minijobs, Leiharbeit, Werkverträge oder Befristungen mit entsprechenden Auswirkungen auf das Lohnniveau. Dass die Löhne allerdings in vielen Branchen um bis zu 20 Prozent sanken und selbst ein jahrelang anhaltendes Wirtschaftswachstum daran nichts ändern konnte, das war allein wegen der hohen Migration nach Deutschland möglich. Denn nur sie stellte sicher, dass die Unternehmen die Arbeitsplätze zu den niedrigen Löhnen unverändert besetzen konnten.”

S. 192: “Hinzu kommt, dass die Vorwürfe und Unterstellungen, mit denen rechte Politiker in der öffentlichen Debatte attackiert werden, oft so überzogen sind, dass sie in Argumente für die Rechte umschlagen. Es ist ja richtig den Anfängen zu wehren. Aber wer den wirtschaftsliberalen Professor einer Verwaltungshochschule Jörg Meuthen verdächtigt, er wollte einen neuen Faschismus in Deutschland einführen, erreicht damit nur, dass Warnungen selbst da, wo sie berechtigt sind, nicht mehr ernst genommen werden. Wenn jedes AfD-Mitglied ein Nazi ist, was ist dann Björn Höcke?”

S. 200 „Ähnlich gelagert ist die Problematik beim zweiten Thema. Tatsächlich hat die monatelange Klimabewegung “Fridays for Future” Klimaschutzziele nicht etwa populärer gemacht, sondern sie werden heute von weniger Menschen unterstützt als über all die Jahre zuvor. Dabei schlug die Stimmung nicht erst in Folge der Corona-Krise um, als existenzielle Verunsicherungen und Arbeitsplatzängste die Klimadebatte überlagerten, sondern bereits im Frühjahr 2020.“

S. 206: Dass Mitgliedern einer wie immer definierten Gemeinschaft eher vertraut wird als denen, die nicht dazugehören, ist keine irrationale Marotte, sondern ein Verhalten, das sich jahrhundertelang bewährt hat.“