Friedrich Engels‘ „Lage der arbeitenden Klasse in England“

Manifest Verlag legt sozialistischen Klassiker neu auf

Im letzten Herbst konnten wir den 200. Geburtstag Friedrich Engels‘, des Mitbegründers des Marxismus, feiern. Er war nicht einmal 25 Jahre alt, als sein erstes eigenes Buch erschien… und das war nicht irgendein Buch, sondern es wurde zum Klassiker.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

In den Jahren 1842 bis 1844 hielt sich der gelernte Kaufmann Engels in England und insbesondere in der Industriestadt Manchester auf. Nach seiner vorübergehenden Rückkehr nach Deutschland schrieb er nach „eigener Anschauung und authentischen Quellen“ eine Schilderung der dort gefundenen Verhältnisse.

„Sozialer Mord“

Engels schilderte sowohl die Arbeitsbedingungen als auch Ernährung, Kleidung, Wohnverhältnisse. Er beschrieb ihre Folgen wie Krankheiten, Kindersterblichkeit, allgemein verkürzte Lebenserwartung. In Zeiten von Corona bekommt die Schilderung, wie diese Verhältnisse die Verbreitung von Seuchen begünstigen, erschreckende Aktualität. Seine Schlussfolgerung war, dass diese Verhältnisse auf „sozialen Mord“ hinauslaufen. Er behandelte die periodischen Wirtschaftskrisen im Kapitalismus und die „industrielle Reservearmee“ der Arbeitslosen ebenso wie sexuelle Übergriffe gegenüber Arbeiterinnen.

Die Rolle der Arbeiter*innenklasse

Ursprünglich hatte Engels eine umfassendere Arbeit über die Sozialgeschichte Englands geplant. Er entschloss sich aber, aus dem geplanten Kapitel über die Arbeiter*innen ein eigenes Buch zu machen. Darin spiegelte sich seine Erkenntnis über die historische Bedeutung der industriellen Revolution und die Herausbildung einer Industriearbeiter*innenklasse  wider. Die Industriearbeiter*innen stehen auch im Mittelpunkt, während die Bergwerks- und Landarbeiter*innen in separaten Kapiteln behandelt werden. In einem eigenen Kapitel schilderte er sowohl die negativen als auch die positiven Folgen der irischen Einwanderung für die englischen Arbeiter*innen. Dabei idealisierte er die Arbeiter*innen durchaus nicht, sondern schilderte auch Züge wie Alkoholismus, Unwissenheit, Kriminalität. Aber statt die Arbeiter*innen zu verdammen, erklärte er, wie die unmenschlichen Verhältnisse auch solche Züge hervorbringen müssen. Auf der anderen Seite behandelte er aber auch den Klassenkampf, insbesondere die Streiks und den Chartismus als erste politische Arbeiter*innenbewegung und er kam zu der Schlussfolgerung, dass diese Klasse in all ihrer Widersprüchlichkeit den Kapitalismus stürzen wird. 

Nicht veraltet

Sicherlich unterschätzte er damals die Schwierigkeiten auf diesem Weg. Bei einer Neuauflage 1892 schrieb er selbst, dass das Werk „den Stempel seiner Jugend im Guten wie im Schlechten“ trug. Er konstatierte, dass die 1845 geschilderten „jammervollen Manöver und Kniffe“ zu Lasten der Arbeiter*innen in England der Vergangenheit angehörten. Damals war das schlimmste Elend beseitigt, gewisse Schutzmaßnahmen eingeführt (nicht zuletzt, weil sie den „Riesenkapitalisten gegen seine weniger begünstigten Geschäftskollegen“ Vorteile boten). Aber Engels wies darauf hin, dass in rückständigeren kapitalistischen Ländern ähnliche Verhältnisse wie in England 1844 herrschten … und das gilt für viele Länder der so genannten „Dritten Welt“ 2021 ganz ähnlich. Außerdem betonte er, dass der Wegfall solcher „kleinerer Beschwerden“ zeige, „dass die Ursache des Elends der Arbeiterklasse zu suchen ist nicht in jenen kleineren Übelständen, sondern im kapitalistischen System selbst“. Und nach ein paar Jahrzehnten Neoliberalismus können wir hinzufügen: Wenn sich das Kräfteverhältnis der Klassen zuungunsten der Lohnabhängigen verschiebt, wenn Sozialgesetze und Regulierungen zusammengestrichen werden, dann bewegt sich ein unregulierter Kapitalismus schnurstracks in eine Richtung, die in manchem an die Schilderungen von Engels erinnert. Hartz-IV-Empfänger*innen oder prekär Beschäftigte können nicht nur ein Lied, sondern ganze Opern davon singen, dass Behörden und Konzerne auch vor „jammervollen Manövern und Kniffen“ durchaus nicht zurückschrecken.  

Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. 

ca. 280 Seiten, 12,90 Euro, ISBN: 978-3-96156-104-9

www.manifest-buecher.de

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