Gewerkschaften raus aus dem Co-Management!

Kämpferischer Kurs nötiger denn je

Die Lohnabhängigen sind mit den Folgen der Kombination aus wirtschaftlicher Krise und Pandemie doppelt getroffen. Das bedeutet neue, große Herausforderungen für den gewerkschaftlichen Kampf. Mit Sozialpartnerschaft und Co-Management können die kommenden Auseinandersetzungen nicht gewonnen werden.

von Torsten Sting, Rostock

Im Frühjahr 2020, dem bisherigen Tiefpunkt, waren sechs Millionen abhängig Beschäftigte in Kurzarbeit. Gerade für Kolleg*innen in kleineren Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt und wo kein Tarifvertrag gilt, bedeutet das bis heute massive Gehaltseinbußen. Selbst die Bundesregierung muss in einem Bericht zugeben, dass von Einkommensverlusten gerade „Gering-und Normalverdiener“ betroffen sind. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gestiegen und liegt offiziell wieder in der Nähe von drei Millionen. Existenzängste haben weite Teile der Arbeiter*innenklasse erfasst. 

Aber es gibt auch Arbeiter*innen, die noch mehr zu tun haben, als vor der Krise. Die Beschäftigten bei der Post und bei Amazon seien hier stellvertretend genannt. Insbesondere sind es aber die Kolleg*innen im Gesundheitswesen, die im Kampf gegen das Corona-Virus eine extrem hohe Belastung erfahren.

Beschäftigte, häufig Frauen, die nun im Homeoffice arbeiten, müssen zudem noch die Kinder versorgen, Hilfe bei den Hausaufgaben gegeben usw.  

Objektive Probleme

Die schlechtere wirtschaftliche Lage hat die Beschäftigten und mit ihnen die Gewerkschaften in die Defensive befördert.  Das Leben wurde durch die Pandemie auf den Kopf gestellt und musste neu sortiert werden. Die Angst, sich mit dem Virus anzustecken, war und ist ein zentraler Aspekt unseres Alltags. Dies ist ein wichtiger Faktor, der unser Zusammenleben allgemein erschwert und auch den Kampf für die eigenen Interessen auf gewerkschaftlicher und politischer Ebene komplizierter gemacht hat. Betriebe im Dienstleistungsbereich, in denen der Großteil der Kolleg*innen nun alleine zu Hause arbeitet, können zweifellos schwerer bestreikt werden. Belegschaften, die sich in der Kurzarbeit befinden, neigen aus Angst vor Arbeitsplatzverlust weniger dazu, offensive Forderungen zu stellen Und natürlich ist es so, dass ein Teil der Beschäftigten aus Furcht vor einer Infektion derzeit nur schwer  zu Aktionen und Demonstrationen zu bewegen ist. Umso wichtiger wäre es, dass die Gewerkschaften einen Plan entwickeln, wie sie diese Schwierigkeiten überwinden können.

Rolle der Führung

Als Konsequenz aus ihrer sozialpartnerschaftlichen Logik habe die Spitzen der Gewerkschaften jedoch von Anfang an den Schulterschluss mit den Arbeitgeber*innen und der Bundesregierung geübt. Sie sehen in den Kapitalist*innen des „eigenen“ Landes  Partner*innen, die im internationalen Wettbewerb unterstützt werden müssen.

Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann war nur konsequent, als er ein Herunterfahren der Industrie mit der Begründung ablehnte, dass dann „unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen“ würde. Dabei können sich aktuell insbesondere große Konzerne wieder über Gewinnsteigerungen freuen. BMW konnte seinen Gewinn im ersten Quartal verfünffachen, Daimler gar verneunfachen. Die Pläne für radikalen Arbeitsplatzabbau werden deshalb nicht verworfen. Stattdessen nutzen viele Konzernbosse die Krisenstimmung, um Angriffe gegen die Beschäftigten zu fahren, die schon lange in den Schubladen liegen, wie es aus der Wunschliste des Gesamtmetall-Arbeitgeberverbandes deutlich wurde.

Die Gewerkschaftsspitzen verzichten darauf, die Herrschenden herauszufordern. So passte es ins Bild, dass der 1. Mai 2020 nur online durchgeführt und die Demonstrationen zum ersten mal überhaupt abgesagt wurden. Leider  verzichtet der DGB auch dieses Jahr vielerorts auf  die traditionelle Demo und vergibt damit eine Chance, die wachsende Wut der arbeitenden Menschen aufzugreifen und (unter Berücksichtigung der nötigen Hygienemaßnahmen) für die eigenen Ziele zu mobilisieren.

Die Tarifrunden im Öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie wurden trotz guter Stimmung unter den Beschäftigten, nicht zu größeren Mobilisierungen genutzt. Wiederholt wurden Tarifverträge abgeschlossen, die lange Laufzeiten haben. In der Metall- und Elektroindustrie wurde  „ein automatisch wirksamer Entlastungsmechanismus für krisenbetroffene Betriebe“ vereinbart. Hier droht ein Präzedenzfall, in dem die Löhne an die Geschäftsentwicklung gekoppelt werden.

Und selbst bei Firmen, die boomen, wie die Deutsche Post AG, hat in diesem Falle, die ver.di-Spitze keine Offensive für deutliche Gehaltssteigerungen gefahren und nur ein laues Ergebnis erzielt. 

Eine nächste wichtige Tarifrunde steht im Handel an. Hier muss ver.di in die Offensive gehen – nicht nur, weil viele Handels- und Supermarktketten Riesenprofite verzeichnen, sondern auch, weil diese Kolleg*innen gerade in der Pandemie mit zu denjenigen gehören, die an der Front stehen – und seit vielen Jahren in der Regel für ihre Tätigkeit bei gleichzeitig steigender Arbeitsbelastung viel zu gering bezahlt werden. Klar ist, dass ein Arbeitskampf in diesem Bereich die volle Solidarität aus allen DGB-Gewerkschaften wie aus der arbeitenden Bevölkerung braucht, um gewonnen werden zu können. Dasselbe gilt natürlich auch für diejenigen Kolleg*innen bei der Bahn, die von der GDL in einen wichtigen Arbeitskampf geführt werden.

Fallbeispiel Lufthansa

Wohin der Weg führt, wenn im Rahmen der kapitalistischen „Sachzwänge“  agiert wird, kann man gut bei der Lufthansa nachvollziehen. Vor dem Hintergrund der Pandemie und dem drastischen Rückgang des Flugverkehrs, geriet die größte europäische Airline in eine fundamentale Krise. Letztendlich haben alle beteiligten Gewerkschaften von Cockpit, über UFO bis hin zu ver.di dem Druck nachgegeben. Jetzt werden zehntausende Arbeitsplätze vernichtet und deutlichen Einkommenseinbußen der Weg geebnet. 

ver.di schloss eine Vereinbarung für die 35.000 am Boden beschäftigten Kolleg*innen ab. Auf insgesamt 200 Millionen Euro müssen diese nun verzichten: „Freiwilliger“ und „sozialverträglicher“ Arbeitsplatzabbau wird mit der Vereinbarung unterstützt.

Vergessen ist hier der alte Leitspruch:“ Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze“. Natürlich waren die Kampfbedingungen  schwer. Die Kolleg*innen befanden sich in Kurzarbeit, durch den radikalen Einbruch des Flugverkehrs waren die Druckmittel beschränkt und auch das Selbstbewusstsein der Kolleg*innen angeknackst. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Auseinandersetzung politisch zu führen. Als der Bund bei der Lufthansa einstieg und damit vor allem den Milliardär Karl Heinz Thiele „rettete“, hätte ver.di dies offensiv aufgreifen können. Es wäre nötig gewesen, für die komplette Verstaatlichung der Lufthansa unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten zu kämpfen. Dies hätte mit dem Ziel des Erhalts aller Arbeitsplätze mittels Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und ökologischer Verkehrsplanung verbunden werden können. Die Chance war da, den Kampf bei der Lufthansa mit anderen, vergleichbaren Kämpfen wie bei der TUI zu verbinden. 

Gesundheitswesen

Über viele Jahre bereits hat ver.di berechtigte Kritik an den Zuständen im Gesundheitswesen geübt. Die Patient*innen und die Beschäftigten zahlen mit ihrer Gesundheit oder gar mit ihrem Leben die Quittung für eine Politik, die mit der Agenda 2010 und dem Fallpauschalensystem in Verbindung steht. Viele Umfragen belegen, wie hoch die Unterstützung dafür ist, dass das Gesundheitswesen nicht Profitinteressen ausgesetzt sein darf. Daran könnte ver.di ansetzen, die Bevölkerung mobilisieren und mit den Kämpfen in den Krankenhäusern für mehr Personal verbinden. Hier gab es zwar in den letzten Jahren Erfolge, in dem Tarifverträge in einigen Krankenhäusern abgeschlossen werden konnten. In Berlin soll nun endlich eine gemeinsame Kampagne der Beschäftigten von Vivantes und Charité für mehr Personal und auch die Angleichung der Tochtergesellschaften an den TVÖD stattfinden. Dies ist eine wichtige Auseinandersetzung, die volle Unterstützung auch aus den anderen DGB Gewerkschaften und aus der Bevölkerung braucht. Ausgehend davon muss der Druck auf die ver.di-Führung erhöht werden, eine solche Kampagne auch bundesweit zu planen. Hier fordern Aktive im Gesundheitswesen die Einberufung einer Aktivenkonferenz als ersten Schritt. (Siehe www.herzschlagwordpress.com) 

Raum für die Rechte

Durch den weitgehenden Verzicht auf Mobilisierung und Widerstand  haben es die Gewerkschaftsbürokratien zusammen mit der Spitze der LINKEN zu verantworten, dass deutliche Kritik an der gesellschaftlichen Elite faktisch nur von den selbsternannten „Querdenkern“ und damit von der politischen Rechten wahrnehmbar ist. Auch, wenn derzeit die AfD viel mit ihren innerparteilichen Konflikten zu tun hat und nicht von dem zunehmenden Ansehensverlust des politischen  Establishments profitieren kann, bleibt sie eine Partei, die für die Ziele der Gewerkschaften gefährlich ist. Mit Fortschreiten der Krise ist es bei weiterem Versagen der Gewerkschaftsspitzen wahrscheinlich, dass die radikale Rechte wieder erstarkt.

Die Gewerkschaften sollten deshalb auch dringend die Aufgabe erfüllen, sich konsequent für eine Bekämpfung der Pandemie im Sinne der Arbeiter*innenklasse einusetzen.

Was tun?

All die nicht von der Hand zu weisenden Probleme sind nicht unüberwindbar. Es gab etliche Proteste, gar Massenbewegungen, sei es gegen Rassismus im Sommer 2020 oder zum Beispiel die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ in Berlin. Letztere hat es trotz der Pandemie mit zahlreichen Aktionen und Demonstrationen auf der Straße geschafft, ein zentrales Thema zu setzen und die politische Debatte nach Links zu verschieben. Und das alles ohne großen, professionellen Apparat! Man stelle sich vor, was alles möglich sein könnte, wenn die Gewerkschaften zusammen mit der LINKEN ihre Mittel einsetzen würden um konsequent für ihre Ziele zu kämpfen!

Mit Demonstrationen und Streiks sollte mobil gemacht werden, um Arbeitsplätze zu verteidigen und mit Forderungen zu verbinden, dass die Reichen die Kosten für die Krise zu zahlen haben, wie auch für einen Infektionsschutz, der im Interesse der Masse der Bevölkerung ist und sich nicht nach Profitinteressen ausrichtet.

Opposition nötig

Erfolgreiche Kämpfe sind möglich, auch zu Zeiten der Corona-Pandemie. Dafür ist aber Druck von unten nötig. Damit sich dieser auch durchsetzen kann, müssen sich kritische Kolleginnen und Kollegen an der Basis zusammenschließen. Dafür gibt es mit mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) einen wichtigen Bezugspunkt (www.vernetzung.org).

Jenseits des Kapitalismus 

Darüber hinaus brauchen wir auch in den Gewerkschaften wieder grundlegende Debatten über die wirklichen Ursachen der Misere. Die Corona-Pandemie zeigt mit aller Brutalität, wie menschenverachtend und ineffizient zugleich der Kapitalismus ist. Wer heute ohne eine Vision jenseits dieses Systems an die Gewerkschaftsarbeit ran geht, kann schnell auf der politischen Intensivstation landen. Historisch waren immer jene Kolleg*innen  die entschiedensten und erfolgreichsten Kämpfer*innen in den Gewerkschaften, für die klar war, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist, sondern der Ausgangspunkt für eine radikal demokratische und sozialistische Gesellschaft sein muss, die den menschlichen Bedürfnissen gerecht wird.  n

Torsten Sting ist Betriebsrat*, ver.di Vertrauensmann* und Mitglied des Bundesvorstands der Sol (Funktionsangaben dienen nur zur Kenntlichmachung der Person)