Deutschland vor den Wahlen

Politik im Interesse des Kapitals geht weiter 

Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der „Solidarität“* ist völlig offen, wie die nächste Bundesregierung aussehen wird. 

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Kapitalnahe Gruppen und zahlreiche bürgerliche Medien haben die vielen Fehler Annalena Baerbocks genutzt, um den Höhenflug der Grünen zu beenden. Eine grüne Kanzlerin würde dann doch zu viele Erwartungen wecken. Armin Laschet hat sich nicht weniger dämlich verhalten und insbesondere aufgrund seiner Auftritte während der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen viele der ohnehin begrenzten Sympathien verspielt. Lachender Dritter ist die Sozialdemokratie mit Finanzminister Olaf Scholz als Kanzlerkandidat. Diese hat Ende August die Grünen in den Meinungsumfragen überholt und ließ zuletzt sogar die Union hinter sich. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise, der Pandemie, der wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und vor allem der Frage, wer die Kosten der Pandemiebekämpfung und wirtschaftlichen Rettungspakete schultern soll, könnte man meinen, dass die anstehende Bundestagswahl zu großer Polarisierung und Politisierung führen würde. Nach den ersten Wahlkampfwochen war davon nichts zu spüren. Das ist Ausdruck davon, dass die Parteien, die um die Kanzler*innenschaft kämpfen, seit Jahren auf allen Ebenen wunderbar kooperieren und sich nicht in grundsätzlichen Fragen unterscheiden. 

Pandemie-Politik

Anderthalb Jahre Pandemie-Politik haben das noch einmal eindrucksvoll gezeigt, schließlich haben ja hier die Ministerpräsident*innen zusammen mit der Bundesregierung den Kurs fest gelegt und zeichnen gemeinsam, einschließlich des thüringischen LINKE-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, verantwortlich für die arbeiter*innenfeindliche Corona-Politik. Und diese geht weiter.

Die von der Bundes- und den Landesregierungen beschlossenen neuen Regeln zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind eine Fortsetzung ihrer verfehlten Corona-Politik. Einmal mehr wird der Klassencharakter dieser Politik deutlich: während die Profitinteressen der Pharmaindustrie und der Kapitalist*innen insgesamt weiter geschützt werden, sollen die Antigen-Schnelltests in Zukunft kostenpflichtig sein und werden Schülerinnen und Schüler einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt.

Für sichere Schulen!

Denn besonders weit gehen die Rücknahmen von Schutzmaßnahmen in den Schulen. 

Dabei wäre ein sicherer Schulbetrieb möglich durch mehr Personal, das einen guten Wechselunterricht ermöglicht, wirksame und regelmäßige Testungen aller Schüler*innen, eine bessere Digitalisierung und Ausstattung aller Schüler*innen mit Endgeräten, sowie Luftfilter in allen Klassenräumen. So gut wie nichts davon wurde umgesetzt. Trotzdem geht das neue Schuljahr in allen Bundesländern im Präsenzunterricht ohne Wechselsystem los. 

Gleichzeitig wird nun das Impfen von Kindern ab 12 Jahren empfohlen. Aber Impfungen von Kindern ab zwölf Jahren werden die Schulen, in denen Schülerinnen und Schüler ab sechs Jahren sind, nicht zu sicheren Orten machen. Denn das ist klar: auch bei einem geringen Prozentsatz schwerer Verläufe unter Kindern und Jugendlichen steigt die absolute Zahl mit der absolut höheren Zahl der Infektionen, die durch die Delta-Variante zu erwarten ist. Ob Impfung von Kindern und Jugendlichen vor allem zum eigenen Schutz oder dem Schutz anderer dient, ist letztlich zweitrangig. Für den Pandemieverlauf und die Verhinderung weiterer Infektionen wäre es sinnvoll, aber nur erreichbar wenn durch Transparenz über die Forschungsdaten- und Ergebnisse Vertrauen in die Impfungen geschaffen wird. Ein direkter oder indirekter Druck, sich impfen zu lassen oder gar eine Impfpflicht, darf bei Kindern und Jugendlichen genauso wenig ausgeübt werden, wie bei Erwachsenen.

Die Regierenden machen also weiter wie bisher im Kampf gegen Corona. Statt Geld für wirkungsvolle und notwendige Maßnahmen in die Hand zu nehmen, werden die Unternehmen finanziell weiter subventioniert und die Pharmakonzerne geschützt. Schon wieder werden Lockerungen zu früh und zu weitgehend umgesetzt. Das ist eine Corona-Politik im Interesse des Kapitalismus, so wie die gesamte Politik dieser Parteien im Interesse des Kapitalismus ist.

Kämpfe vorbereiten

Und das bedeutet: egal, wie die Bundesregierung nach dem 26. September zusammengesetzt sein wird: sie wird in der einen oder anderen Form der Arbeiter*innenklasse die Rechnung für die massiv gestiegene Staatsverschuldung präsentieren. Die Vertreter*innen der Kapitalist*innen haben ihre Forderungen schon aufgestellt: Senkung der Unternehmenssteuern, Rente ab 68 oder gar 70, weniger Urlaubstage, Leistungskürzungen für gesetzlich Krankenversicherte, keine Regulierung von Spekulation und Mieten. Die Kürzungspläne der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg zeigen, dass die Grünen an der Regierung daran nichts ändern werden. Gleichzeitig werden die Unternehmen versuchen, bei den Beschäftigten die Daumenschrauben anzudrehen, um ihre Profitraten zu erhöhen. Weitere Angriffe auf gewerkschaftliche Rechte sind auch zu erwarten, das zwischenzeitliche Verbot des Warnstreiks an den Vivantes-Kliniken in Berlin zeigt, wohin die Reise geht.

Gewerkschaften und Linke müssen sich auf harte Zeiten vorbereiten. Nur durch eine Stärkung der Organisationen der Arbeiter*innen und der Linken und durch Klassenkampf von unten, wird den zu erwartenden Angriffen Einhalt geboten werden können. Dringender denn je braucht es eine klare antikapitalistische Perspektive und ein sozialistisches Programm.

* = Dieser Artikel wurde am 27. August geschrieben und in der September-Ausgabe der Solidarität veröffentlicht. Neuere Entwicklungen sind nicht berücksichtigt.