Die AfD nach der Bundestagswahl

Weidel, Chrupalla, Höcke, Meuthen – der Kampf ist eröffnet

Nachdem während des Wahlkampfes Ruhe an den hart umkämpften Fronten innerhalb der AfD herrschte, zeigte spätestens die Pressekonferenz nach dem Wahlsonntag, dass nun die Auseinandersetzung umso härter und offener fortgesetzt wird.

Von Steve Hollasky, Dresden

Man kann Dinge stets positiv und negativ formulieren. Aus Sicht der AfD dürfte es als positiv zu bewerten sein, dass bei der diesjährigen Pressekonferenz zur Einschätzung der Bundestagswahl kein hochkarätiges Mitglied die Partei verlassen hat. Andererseits hätten sich viele führende AfD’ler*innen gefreut, wäre Meuthen den Weg seiner Amtsvorgängerin Frauke Petry gegangen, die 2017 den Pressetermin nach dem Urnengang nutzte, um den Rechtspopulisten in aller Öffentlichkeit den Rücken zu kehren. Wie dem auch sei.

Verbaler Boxkampf

Vor den Augen der anwesenden Pressevertreter*innen lieferten sich in diesem Jahr Parteichef Jörg Meuthen und Spitzenkandidatin Alice Weidel einen verbalen Boxkampf, der die Pressekonferenz zum Startschuss der wiederaufgenommenen Fraktionskämpfe innerhalb der AfD werden ließ.

Nicht einmal über den genauen Ablauf des Termins waren sich die Anwesenden einig. Das zeigte sich als Tino Chrupalla seine Darlegungen damit beendet, sich bei den Familien der AfD-Wahlkämpfer*innen und Alice Weidel, nicht aber bei Jörg Meuthen, zu bedanken. Im Anschluss an dessen Feststellung, dass er zwar nicht „100 Prozent zufrieden“ aber doch „stolz auf das Ergebnis“ sei, wurden sich Weidel und Meuthen zunächst nicht einig, wer dem ersten Redner folgen sollte.

Nach ein wenig Hin und Her rief anschließend dann doch Meuthen zum „Mut zur Wahrheit“ auf. Man dürfe sich das Ergebnis nicht wie die von ihm so betitelten „Altparteien“ schönreden. Die AfD hatte bei den Wahlen zum Bundestag 2,3 Prozentpunkte verloren und damit einmal mehr einen Rückschlag einstecken müssen.

Man habe 900.000 Wähler*innenstimmen eingebüßt und dies bedürfe einer „klaren und schonungslosen Analyse“, die Meuthen mithilfe einer „Nachwahlbefragung“ mit Fakten unterlegen wolle. Sowohl das Wahlprogramm, als auch das Spitzenkandidat*innen-Duo habe es vermocht, dass die „Kernklientel bedient“ werde. Neue Wähler*innenschichten habe man nicht gewinnen können, auch wenn die CDU/CSU deutlich geschwächt worden sei. Für Meuthen scheint klar, Aussagen wie der im Wahlprogramm geforderte DEXIT, also der Austritt Deutschlands aus der EU, hätten Wähler*innen abgestoßen. Man habe ja sogar an die Grünen verloren! In der Konsequenz habe dies dazu geführt, dass man „sehr stark die eigene Blase bedient“ habe. Auf Nachfrage eines Journalisten, ob er noch als Parteivorsitzender geeignet sei, erwiderte Meuthen, wenn man Personalfragen nach der Wahl stelle, dann eher nicht in Richtung des Vorsitzenden, sondern in Richtung des „Spitzenpersonals der Wahl“. Mochte Meuthen diese Aussage dann auch einschränken mit der Anmerkung, er finde diese „Personalisierung“ falsch, konnte er dennoch kaum deutlicher werden.

Weidel dankte dann ihrerseits Tino Chrupalla, nicht aber Jörg Meuthen und betonte gleich mehrmals, sie lasse sich das Ergebnis ihrer Partei nicht schlecht reden – von niemandem. Die AfD habe sich endgültig etabliert.

Was steckt hinter dem Streit?

Auch den anwesenden Journalist*innen blieb nicht verborgen, dass einerseits Chrupalla und Weidel andererseits Meuthen auf der Pressekonferenz nicht harmonierten, um es milde zu formulieren. Entsprechende Nachfragen folgten. Doch weitaus entscheidender als die Gestaltung der persönlichen Beziehungen zwischen den Köpfen der AfD, ist die Frage nach dem Hintergrund der Streitereien unter den Rechtspopulisten.

Weder Weidel noch Chrupalla waren Meuthens Wunsch als Spitzenkandidat*innen im Wahlkampf. Dass sich Meuthen bei dieser Entscheidung nicht durchsetzen konnte, sondern die vom offiziell aufgelösten innerparteilichen völkischen Netzwerk „Flügel“ unterstützen Weidel und Chrupalla das Rennen machten, gilt als eine seiner schwersten Niederlagen im Machtkampf in den Reihen der AfD.

Diese Scharte hofft er nun anscheinend mit seinen Angriffen auf Chrupalla und Weidel auszuwetzen. Sie standen an der Spitze des Wahlkampfes, mit ihnen hat die AfD jede*n fünfte*n Wähler*in verloren. Und für Meuthen noch entscheidender: Auch der hinter dem Duo stehende „Flügel“ von Björn Höcke hat eine Mitverantwortung für die Wahlniederlage. Sollte man diese Bilanz so in die Köpfe der AfD-Mitgliedschaft setzen können, hätte Meuthen gehörig Boden gut gemacht in einer Auseinandersetzung, die über eine weitere Rechtsentwicklung der AfD entscheiden könnte.

Die ist Meuthen nicht erst seit dieser Wahl ein Dorn im Auge. Schon seit Anfang 2019 will der seine Partei erklärtermaßen auf Regierungskurs bringen. Allzu radikal wirkende Floskeln könnten da störend wirken, regieren wird man nicht allein. Koalieren aber könnte man höchstens mit der CDU und die gilt es wiederum nicht zu verprellen. Will man als Erzkonservativer rebellieren, sollte man es besser so tun, dass man mit seiner Rebellion niemanden vor den Kopf stößt. Allein das macht Meuthen längst nicht zu einem Gemäßigten, wie er immer wieder gern in den Medien beschrieben wird. Meuthen ist auf seine Art radikal, oder eher fundamentalistisch, denn bis zur Wurzel des Problems, wie Marx den Begriff „radikal“ verstanden hat, will Meuthen nicht gehen. Eher das Problem verschärfen. Meuthen ist marktfundamentalistisch. Der Markt geht ihm über alles. Selbst die Rentenversicherung würde Meuthen allzugern privatisieren.

Ihm gegenüber steht Björn Höcke, die Führungsfigur des offiziell aufgelösten völkischen Flügels, er setzt gern auf soziale Demagogie. In seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ schwadroniert ausgerechnet der selbsternannte Gewerkschaftsgegner darüber, dass er die Errungenschaften von fünfzig Jahren Arbeiter*innenbewegung sichern wolle. Im Grunde also zwei Seiten einer Medaille. Höcke und Meuthen schützen den Kapitalismus auf ihre Art. Höcke schwächt mit seiner rassistischen und offen gewerkschaftsfeindlichen Argumentation die arbeitende Bevölkerung, weil er sie spaltet. Meuthen hingegen will die Lasten der Krise auf die lohnabhängig Beschäftigten abwälzen. Da fällt es schwer, in Kategorien wie „gemäßigt“ zu denken.

Wer macht die bessere Figur?

Ein scheinbar unumstößliches Gesetz der AfD lautete: „Legst du dich mit Höcke an, sind deine Tage als Parteivorsitzender gezählt“. Bernd Lucke, der Gründer der Alternative für Deutschland, nutzten die Rechten um die Führungsfigur Höcke zum Aufbau der Partei. Als er sie loswerden wollte, wurden sie stattdessen ihn los. Die Nachfolgerin stand in den Startlöchern. Die glücklose sächsische Unternehmerin Frauke Petry nahm auf Luckes Stuhl Platz. Ohne Höcke wäre das unmöglich gewesen. Als wenig später auch Petry Höcke attackierte, blieb ihr irgendwann nur noch der Weg aus der AfD heraus in die politische Bedeutungslosigkeit.

Meuthen war der Mann der Stunde und übernahm den Parteivorsitz, sprach selbst auf dem Kyffhäusertreffen des Flügels und ließ sich von Höckes Gnaden beklatschen. Er übte sich in martialischer Rhetorik und sinnierte darüber, welche Politiker*innen in Anatolien zu „entsorgen“ seien. Inzwischen geht es um die Frage, ob Meuthen „entsorgt“ wird. Die offene Auseinandersetzung kündigte sich mit Meuthens Erklärung, er wolle die AfD in die Regierungsfähigkeit führen, an. Für alle sichtbar wurde sie mit seinem Aufruf, die AfD möge sich in zwei Parteien spalten. Von allen Ecken und Enden der AfD hagelte es Kritik. Meuthen ging mit blutiger Nase in Deckung. Sein Schicksal schien entschieden.

Doch dann siegte er ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit einem Höcke-Vertrauten. Weil Andreas Kalbitz seine Mitgliedschaft in mehreren rechtsextremen Gruppierungen beim Eintritt in die AfD nicht angegeben hatte, erklärte der Bundesvorstand auf Antrag Meuthens die Mitgliedschaft von Kalbitz für nichtig. Dass Meuthen ausgerechnet damit durchkam, verlieh ihm ungeheuren Rückenwind. Auf dem Dresdner Parteitag vor der Bundestagswahl schaffte er es, in den Nachwahlen für den Bundesvorstand mehrere seiner Wunschkandidat*innen durchzubringen. Doch dann schien sich das Blatt zu wenden. Nicht nur, dass in mehreren westdeutschen Landesverbänden der „Flügel“ aktiv wurde, Meuthen vermochte es auch nicht, das Wahlprogramm der AfD nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen und Weidel und Chrupalla als Spitzenduo zu verhindern. Ausgerechnet diese Niederlage könnte nun zur Grundlage seines Erfolges werden. Wenn weder Wahlprogramm noch die beiden Spitzenkandidat*innen Meuthens Willen entsprachen, wird es schwer fallen, Meuthen den Verlust von jeder fünften Stimme bei den diesjährigen Bundestagswahlen anzulasten. Ganz im Gegenteil geht nun seinerseits Meuthen in die Offensive. Man habe von der Krise der CDU/CSU nicht profitieren können, so seine öffentliche Darstellung. Höcke scheint plötzlich abgetaucht und gegen Weidel scheint sich innerhalb der Bundestagsfraktion eine eigenwillige Allianz aus Meuthen-Anhängern und Flügel-Leuten zu bilden. Selbst die Erfolge des Flügels in Südostdeutschland könnten sich als Pyrrhussiege erweisen. Unzweifelhaft wurde die sächsische AfD, die zu den äußerst rechten Landesverbänden der AfD gehört, bei den Bundestagswahlen stärkste Kraft im Freistaat. Unzweifelhaft auch, dass sie dabei 2,5 Prozentpunkte einbüßte. Und genauso unzweifelhaft gewann sie zehn Direktmandate, doch ihre angebliche Stärke ist jedoch vor allem eine Schwäche der CDU, die auch in Sachsen unmissverständlich abgewählt wurde.

Enge Vertraute von Höcke, wie beispielsweise Jens Maier, verpassten den Einzug in den Bundestag. Ein Grund zum Jubeln ist das Ergebnis für den Flügel nicht, auch wenn er seinen Einfluss in der Bundestagsfraktion insgesamt ausbauen konnte. Wie all das innerhalb der Mitgliedschaft der AfD interpretiert wird, wird zu einem gehörigen Stück über den laufenden Machtkampf mitentscheiden.

Keine Entwarnung!

Der Ausgang des Kampfes innerhalb der Alternative für Deutschland ist offener als gedacht. Der Burgfrieden des Wahlkampfes ist beendet. Vieles deutet daraufhin, dass eine zumindest vorläufige Entscheidung auf dem Bundesparteitag der Rechtspopulisten im November getroffen werden wird. Wenigstens bis dahin wird es ein Hauen und Stechen bleiben.

Wie auch immer die weitere Auseinandersetzung verlaufen wird, für Antirassist*innen und Antifaschist*innen, für die gesamte Arbeiter*innenbewegung wird es in keinem Fall Entwarnung geben. Sollte Meuthen siegen, wird die AfD zum Angriff auf soziale Leistungen trommeln; sollte sich das Höcke-Lager durchsetzen, werden die rassistischen Ausfälle noch deutlicher und die im Grunde prokapitalistische Politik mit sozialer Demagogie übertüncht werden.

Will man die AfD wirklich besiegen, benötigt man soziale Kämpfe für mehr Personal in der Pflege, gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben und für die Rekommunalisierung von Wohnungen und Krankenhäusern. Hat man das Ziel, die AfD zu bezwingen braucht man ebenso Kämpfe für ein Bleiberecht für alle und gegen jede Form der Diskriminierung. In diesen Kämpfen hat Rassismus keinen Platz. Sollen sie erfolgreich sein, müssen sie solidarisch über ethnische und religiöse Linien hinweg geführt werden. Der Kampf der Beschäftigten der Klinik Nürnberg Servicegesellschaft für den TVöD und damit für eine deutliche Erhöhung der Einkommen vor wenigen Wochen war nur deshalb erfolgreich, weil man Kolleg*innen unabhängig von ihrer Herkunft integriert hat.

Wenn man der AfD das Wasser abgraben will, dann muss man im Sinne von Karl Marx radikal agieren, also bis zur Wurzel des Problems gehen und den Kapitalismus als solchen angreifen. Der Kapitalismus setzt auf die Spaltung der Lohnabhängigen, eine Partei wie die AfD ist nur ein Ausdruck von dieser Grundtendenz. Eine sozialistische Demokratie, die nichts mit den bürokratischen Diktaturen im Ostblock zu tun hat, aber den gemeinsam erwirtschafteten Reichtum demokratisch verwaltet und zum Wohle aller einsetzt, würde nicht nur die Klimakatastrophe beenden, sondern auch den Rassismus zu einer unglaublich wirkenden Erzählung im Geschichtsbuch werden lassen.

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