„Querdenker*innen“ werden immer lauter

Rechtsradikale versuchen sich über Corona-Proteste aufzubauen – linke Alternative nötig

“Querdenker*innen” marschieren in vielen Städten und neuerdings vor Kliniken und Pflegeeinrichtungen auf. In Deutschland wie auch international versuchen rechte Kräfte, Unmut über Corona-Maßnahmen und Impfpflicht für ihre Zwecke zu nutzen. Es braucht dringend Gegenstrategien.

Von Steve Hollasky, Dresden

Seit Wochen marschieren tausende “Querdenker*innen” in deutschen Städten auf. Fast jede Nacht werden Autokorsos veranstaltet, Spaziergänge abgehalten, Kerzen niedergestellt, Gegner*innen eingeschüchtert und – immer häufiger – die Auseinandersetzung mit der anfangs auffällig zurückhaltenden Polizei gesucht.

In Rostock waren es am 20.12. gut 10.000, eine Woche später – je nachdem wen man fragt – zwischen 6.500 und 15.000. In Sachsen wird dezentral protestiert, zugleich an vielen Stellen. Die Größe der Aktionen schwankt zwischen wenigen Dutzend und etwas mehr als 1.000. Längst ist der Freistaat vom Hotspot der Infektionen zum Hotspot der “Querdenker*innen” geworden. Aber auch in anderen Landesteilen und den alten Bundesländern gehen Menschen gegen die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus auf die Straßen.

Organisiert werden die Aktionen gerade im Osten nicht mehr von den Querdenkergruppen, die noch im letzten Jahr die Mehrzahl dieser „Proteste“ organisiert hatten, sondern immer mehr von rechten, ja faschistischen Gruppen. In Sachsen sind es die „Freien Sachsen“, eine Partei, zusammengewürfelt aus NPD-Mitgliedern und Aktivist*innenen von „Pro Chemnitz“, ohne klares Programm. Einig ist man sich in der Ablehnung der Maßnahmen und der Impfpflicht.

Querdenken: Projektionsfläche statt Programm

Es seien gar keine rechten Demos, erklärte ein Altenpfleger in Dresden, als ihn Aktivist*innen, die seit Jahren gegen Pflegenotstand aktiv sind, auf seine Teilnahme an einem Aufmarsch der Querdenker vor dem Städtischen Klinikum ansprachen. Da seien keine Parolen gerufen oder Fahnen gezeigt worden.

Schaut man auf die Posts in den Telegramgruppen, in denen die Freien Sachsen im Freistaat zum „Protest“ trommeln, besticht die Inhaltsleere der Aufrufe. Sicher wird permanent auf den angeblichen Kampf gegen die Impfpflicht verwiesen und dass man etwas für die Pflege tun wolle. Mehr haben die rechtsextremen Organisatoren der Demonstrationen nicht anzubieten. Man solle Kerzen mitbringen und im sächsischen Meißen entlang der Elbe aufstellen, war auf einem der Kanäle zu lesen. Man solle sich aufstellen und könne dann an alles denken, woran man denken wolle. Man könne, so der Aufruf, auch beten.

Um es mit den Worten zu sagen, die Leo Trotzki 1933 über die damals gerade zur Macht gelangte faschistische Bewegung in Deutschland schrieb: „Was findet man dort nicht alles zu niedrigem Preis und in noch niedrigerer Qualität.“Und wenn alle alles in den „Protesten“ sehen können, können auch alle kommen.

Dies ist das Konzept der Querdenkendemos, die zumindest in Sachsen, aber auch in weiten Teilen der Bundesrepublik inzwischen von klar rechtsextremen Gruppen organisiert werden.

Dabei sind viele, die an diesen „Protesten“ teilnehmen, keine Rechten oder Nazis. Was Rechten und Nazis hingegen im Moment gelingt, ist es, sie zu „Protesten“ zu holen und sicher darüber auch einige an sich zu binden. Johannes Kiess, Soziologe an der Leipziger Universität, erklärte in einem Interview mit t-online, dass es im Kern der Proteste nicht um die viel zitierte Impfpflicht gehe, sondern um eine grundlegende Unzufriedenheit.

Wer geht zu diesen Protesten?

Die Schwüre vieler Teilnehmenden, sie hätten mit Rechten und Nazis nichts am Hut, werden in vielen Fällen sogar stimmen. Die Ansammlung bei den Protesten der “Querdenker*innen” könnte heterogener kaum sein. Da finden sich Menschen, die Impfungen als solche ablehnen und mit eigenartigen Rechnungen versuchen zu beweisen, wie sinnfrei diese Art der Immunisierung sei. Andere erklären noch immer hartnäckig, so etwas wie den Coronavirus gäbe es nicht. Glaubt man einer der wenigen soziologischen Studien über die “Querdenker*innen”, dann finden sich in Südwestdeutschland viele enttäuschte, ehemalige Grüne-Wähler*innen unter ihnen.

Menschen, die alles satt haben. Leute, die in Ostdeutschland frustriert von dreißig Jahren Kapitalismus, ihre Hoffnungen aus Wendezeiten nicht erfüllt sehen.

Da ist der kleine Kneipenbesitzer mit Häuschen im Grünen und zwei Autos, der regelmäßig am Ende eines jeden Monats bang auf sein Konto schaut und hofft, dass sein Lebensstandard nicht vor seinen Augen zu Staub zerbröselt. Den die Coronaschutzmaßnahmen an den Rand des Untergangs gebracht haben und der daher freudig die Erklärung vom Unsinn der Gefahr des Virus aufgreift.

Da ist die Esoterikerin, die den Lehren Rudolf Steiners folgt.

Da ist der bankrott gegangene Kleinunternehmer, der einen unglaublichen Hass auf die Großindustrie hat, die geschützt und unterstützt wird und auf Biontech, das für die Entwicklung des Impfstoffs 375 Millionen Euro Steuergeld erhalten hat, während seinem Zimmermannsbetrieb die Aufträge ausblieben.

Es ist eine auf ihre Art bunte Mischung, die gerade allabendlich in irgendeiner Stadt aufmarschiert. Menschen, die vom Kapitalismus mehr als einmal nur geschlagen wurden, die aber nicht nach links gehen, weil es dort gerade an einer wahrnehmbaren Alternative mangelt.

„Die Verzweiflung hat sie auf die Beine gebracht, der Faschismus wies ihnen die Richtung. […] Die kapitalistische Zivilisation erbricht die unverdaute Barbarei. Das ist die Physiologie des Nationalsozialismus“, hatte Leo Trotzki 1933 geschrieben. Züge davon findet man heute bei den “Querdenker*innen” wieder.

Die Freien Sachsen wiesen der Mischung auf den Demonstrationen die Richtung: Gegen die Impfpflicht. Dabei werden sich die eigentlichen Probleme dieser Menschen nicht ändern, ob die Impfpflicht nun kommt oder nicht.

Welche Rolle spielen die Rechten?

Die Mär von den Rechten, die ja nur vernetzen und Termine auf ihre Seiten stellen, kann man getrost vergessen. In den internen Telegram-Gruppen wird ein ganz anderer Ton angeschlagen. Dort geht es nicht nur um Vernetzung oder die Weitergabe von Terminen.

Man findet Listen von impffeindlichen Ärztinnen und Ärzten, es wird zur passiven Bewaffnung aufgerufen, wie eine Pressemeldung von wenigen Wochen mitteilte. In Filmen werden Gegner*innen diffamiert.

Haltlose Übertreibungen, Behauptungen und offenkundige Lügen sollen die Menschen antreiben. Und immer wieder werden klassisch rechte Themen eingestreut, wie zum Beispiel die angebliche Überflutung von Grundschulklassen durch migrantisch geprägte Kinder. Nicht etwa der Mangel an Lehrer*innen, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen, nicht die zu kleinen Klassenräume und zu großen Klassen sind das Problem; nicht, dass der Kapitalismus zu wenig Geld für Bildung bereit stellt, sondern die Kinder, die nicht in Deutschland geboren wurden.

Rechte Gruppen wie die „Freien Sachsen“ versuchen die Proteste durch gezielte Impulsgabe zu radikalisieren und auszurichten. Das Ergebnis sah man am 27.12. in Bautzen, wo sich querdenkende „Spaziergänger*innen“ Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten oder am selben Tag in Dresden, wo Ähnliches geschah. Auch die Übergriffe auf Journalist*innen sind ein Ergebnis dieses Herangehens.

Zudem bilden Rechte gerade den „harten Kern“ der “Querdenker*innen”. Selbst der Eintritt in einen Schützenverein, um nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Jahr Wartezeit legal eine Schusswaffe erwerben zu können, ist für einen Teil der Rechten insbesondere in den neuen Bundesländern ein gangbarer Weg, den so mancher beschreitet.

Für gewerkschaftlich Organisierte, für Menschen, die sich an die Auflagen halten, für Migrant*innen und die politischen Gegner*innen sind das große Gefahrenquellen, die nicht unterschätzt werden sollten.

Rechte sind keine Anwälte der Pflegenden

Mitunter könnte man in einigen Posts und Kommentaren im Internet und Äußerungen in Gesprächen das Gefühl bekommen, dass ausgerechnet rechte Gruppen wie AfD, Freie Sachsen, Compact und wie sie alle heißen die Anwälte der Pflegenden und zu Pflegenden sind. Das ist bei nüchterner Betrachtung falsch. Ohne Zweifel haben die Parteien von CDU/CSU, über FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen das Debakel in Gesundheit und Pflege zu verantworten. Nur, sind die Rechten da keine Hilfe.

Die AfD hat in ihrem Programm zur Bundestagswahl erklärt, die Privatisierung von bis zu 60 Prozent der Krankenhäuser hinnehmen zu wollen, was die Misere in der Pflege noch weiter verschärfen würde. In kommunalen Parlamenten stimmt die AfD eifrig Privatisierungen von Krankenhäusern zu, oder beantragt diese sogar.

Die Freien Sachsen, die wesentlich hinter den Aktionen stecken, wollen alle Schutzmaßnahmen abschaffen. Die Folge wären mehr Infektionen, mehr schwere und letzten Endes auch tödliche Verläufe, mehr Leid und mehr Arbeitslast für die Beschäftigten.

Zudem spalten AfD, Freie Sachsen und andere rechte Gruppen die Beschäftigten nach Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und Religion. Damit schwächen sie die Beschäftigten zusätzlich. Genau in diese Richtung gehen die Attacken rechter Kräfte auf die Gewerkschaften.

Gewerkschaftsfeinde

Mitte Dezember marschierte die selbsternannte „Demokratische Gewerkschaft“ vor der Bundeszentrale der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) auf. Die „Demokratische Gewerkschaft“ ist weder demokratisch, noch eine wirkliche Gewerkschaft, sondern ein Zusammenschluss rechter Kader, die gern so tun möchten als seien sie so etwas wie eine Gewerkschaft.

In Sachsen fluten Rechte die Telefonleitungen ver.di und terrorisieren sie mit ständigen Anrufen, in denen in gleich mehreren Städten fast gleichlautende Anfragen gestellt werden.

Die Kampagne gegen die DGB-Gewerkschaften wird zurzeit wesentlich mit geführt durch Oliver Hilburger. Das frühere Mitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“, hatte bereits auf einer Kundgebung von Pegida in Dresden 2018 angekündigt das – wie er es nannte – Monopol der DGB-Gewerkschaften anzugreifen. Damals hatte sich Hilburger bereits einen Namen als Gewerkschaftsfeind gemacht. Im Daimler-Werk in Untertürckheim hatte der ehemalige Rechtsrocker mit „Zentrum Automobil“ einen Verein gegründet, der sich auch als angebliche Alternative zur IG Metall präsentiert. Die Erbitterung über den allzu oft wenig kämpferischen Kurs der IG-Metall-Führung brachte Hilburgers Truppe bei den letzten Betriebsratswahlen 13,2 Prozent ein.

Nun ruft Hilburger in YouTube-Videos auf, die DGB-Gewerkschaften, insbesondere ver.di, zu verlassen. Für das nächste Frühjahr ruft er zu „Hunger-, Sitz- und Warnstreiks“, sowie zu Protestcamps auf. Auf diese Art sollen sich die Pflegekräfte gegen die anstehende Impfpflicht zur Wehr setzen. Zudem will Hilburger jetzt einen Ableger von „Zentrum Automobil“ gründen. „Gesundheit & Soziales“ soll die nächste rechte „Gewerkschaft“ dann heißen.

Auch hier besticht wieder, dass Hilburger und Konsorten gegen die eigentlichen Probleme in Gesundheitswesen und Pflege – Privatisierungen, die fehlende gesetzliche Personalbemessung nach realem Bedarf, das Fehlen eines Flächentarifvertrags in der Altenpflege, das Profitstreben und Denken in Kategorien wie Effizienz und Kostensenkung – keine Bemerkung macht. Als Thema bleibt einzig die Impfpflicht.

Impfpflicht

Auch die ver.di spricht sich in ihren Erklärungen gegen die Impfpflicht aus. Und gerade eine Impfpflicht allein für Pflegekräfte kann von vielen Kolleg*innen nur als Hohn gesehen werden. Diese Berufsgruppe ist überdurchschnittlich geimpft und hat die Lasten der Pandemie mehr als viele andere er- und getragen. Dass ausgerechnet dieser Berufsgruppe nun nach all den gebrochenen Versprechen und all den Belastungen, wie den teilweise angeordneten 12-Stunden-Schichten und der zeitweisen Aussetzung der an sich schon unzureichenden Personaluntergrenzen eine weitere Pflicht übertragen wird, verstehen viele als weiteren Schlag. Auch Geimpfte macht das teilweise wütend und lässt sie in Sorge geraten: Was wenn die Ungeimpften ab dem 15.03. freigestellt werden? Dann ist noch weniger Personal auf den Stationen.

Diese Verzweiflung, bei einem gleichzeitig fehlenden Kampfangebot von links, macht es den Seelenfängern von rechts eben gerade sehr einfach.

Dennoch sieht auch die mehrheitliche Stimmung in den Krankenhäusern anders aus: Viele stehen einer Impfpflicht eher offen gegenüber oder unterstützen sie, wie das in Meinungsumfragen auch über siebzig Prozent der Gesamtbevölkerung tun. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie wegen des häufigen Patient*innenkontakts fürchten sich und ihre Familien anzustecken. Die Sol ist in der jetzigen Situation gegen eine Impfpflicht, und setzt sich dafür ein, andere Maßnahmen zu ergreifen, um das Vertrauen in Impfungen zu erhöhen. Vor allem sollte das Pflegepersonal ohnehin täglich PCR-Tests durchführen, da eine Impfung eine Infektion und ein Weitertragen des Virus nicht ausschließen kann. Unser aktuelles Programm zur Bekämpfung der Pandemie ist hier zu finden: https://solidaritaet.info/2021/11/dem-corona-chaos-ein-ende-machen/

Rechter Aufbau?

Eine der Hauptfragen bleibt, inwieweit es Rechten gelingen wird, Menschen aus diesen „Protesten“ heraus zu organisieren. Wahrscheinlich werden sie sich örtlich in einigen Kliniken und Pflegeeinrichtungen festsetzen können, was die gewerkschaftlich Aktiven vor Ort vor Probleme stellen wird. Rechte werden wechselweise versuchen sich an ernsthafte Proteste für mehr Personal, gegen Profitstreben und Effizienzdenken anzuhängen und zugleich aktive Kolleg*innen verbal und möglicherweise sogar körperlich attackieren. Ein größerer Schritt von der Mobilisierung zur Organisierung als flächendeckende Struktur ist unwahrscheinlich.

Kämpferische Gewerkschaften und linke Alternative

Die Rechten können leider darauf aufbauen, dass die Gewerkschaftsführungen in den letzten zwei Jahren kaum mobilisiert haben, um die zunehmenden Probleme und Missstände der Beschäftigten aufzugreifen und zu kämpfen. Schon zu Beginn des Jahres 2020 sagte der DGB alle Kundgebungen zum 1. Mai wegen der Pandemie ab. In diesem Jahr wurde unter anderem in der Tarifrunde der Länder ein Reallohnverlust abgeschlossen ohne dabei die Möglichkeiten für eine Mobilisierung der Beschäftigten wirklich ausgeschöpft zu haben.

Und nun, kaum dass die SPD wieder den Kanzler stellt, setzen die Gewerkschaftsführungen darauf, dass mit der neuen Regierung Verbesserungen für die Masse der Beschäftigten kämen. ver.di sieht im Koalitionsvertrag das Glas „halb voll“. Doch auch, wenn anfangs einige wenige Verbesserungen eingeführt werden, wird in Wirklichkeit eine Politik im Interesse des Kapitals weitergeführt. Statt Illusionen in die Ampel zu schüren, müssen Kämpfe für einen besseren Gesundheitsschutz und die Verteidigung des Lebensstandards der abhängig Beschäftigten gegen Reallohnverluste und Arbeitsplatzabbau organisiert werden.

Auch DIE LINKE hat es fertig gebracht, trotz der tiefen Krise der vormaligen Regierungsparteien CDU und SPD nicht als grundlegende und kämpferische Opposition wahrgenommen zu werden. Auch die neue Bundesregierung macht sozialistische Oppositionsarbeit nicht weniger wichtig. Im Gesundheitswesen werden die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen – weder die Abschaffung der Fallkostenpauschalen, noch die Einführung einer bedarfsgerechten gesetzlichen Personalbemessung oder die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen. Cem Özdemir will als Landwirtschaftsminister allen Ernstes Lebensmittelpreise erhöhen, weil fünfzig Prozent der Deutschen zu dick seien. Annalena Baerbock übt sich in martialischer NATO-Rhetorik.

Gerade in Ostdeutschland vertrauen laut Umfragen, die unlängst „Die Zeit“ veröffentlicht hat, nur 39 Prozent der neu gewählten Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Wenn man, auch auf Landes- und kommunaler Ebene, nicht klar Opposition bezieht, dann wird man gerade für diejenigen unglaubwürdig, die die von der Krise bereits betroffen sind oder die mit großer Unsicherheit in die Zukunft blicken. Zugleich macht man den Raum des Protests frei für rechte Gruppen, die die Wut der Bevölkerung dann entsprechend auszurichten versuchen. Man muss also jetzt handeln und aktiv werden.

Die pandemiebedingten Einschränkungen verbieten gerade in den meisten Bundesländern große Mobilisierungen. Die Rechten brechen diese Regeln einfach und da der Staatsapparat, gerade in Sachsen, aber auch in anderen Teilen des Landes, schaut dabei gern zu, nutzen sie die Situation.

Dabei könnte man auch jetzt viel tun. Angefangen in den Pflegeeinrichtungen und Kliniken. Dort fehlt das klare Wort von ver.di. Ein Massenflugblatt, in dem erklärt wird, woher der Pflegenotstand kommt, in dem man die Position der Gewerkschaft zur Impfpflicht erläutert und aufruft sich impfen zu lassen, und in dem man erklärt wie wir gemeinsam mehr Personal durchsetzen und Klinikschließungen und Privatisierungen verhindern können, wäre dringend nötig. Das könnte man schon jetzt massenweise verteilen. Zudem könnten alle Möglichkeiten genutzt werden, um Beschäftigte auch in diesen Zeiten über Zoom- Angebote zu Diskussionen einzuladen, wie die Situation verbessert werden kann, um jetzt schon auf Mobilisierungen vorzubereiten, wenn sie wieder in größerem Umfang möglich sind. Stattdessen sperrt sich die ver.di-Führung und verhindert solche Aktivitäten in einigen Orten. Das ist ein schwerer Fehler.

Gerade der Kampf um einen Tarifvertrag zur Entlastung an den Berliner Krankenhäusern Charité, Vivantes und den Vivantes-Töchtern hat gezeigt, was möglich ist, wenn ein Angebot zum Kämpfen da ist. Dieser hat ver.di nicht nur zahlreiche neue Mitglieder eingebracht, sondern auch gezeigt, wie Kolleg*innen über Wochen bereit waren, für ihre Ziele, die auch eine bessere Patientenversorgung beinhaltet, zu streiken.

Aber auch auf der Straße müsste man den Rechten im Moment nicht das Feld überlassen. Aktionen gegen die Situation in der Pflege und im Gesundheitswesen wären auch jetzt möglich. Wenn man mehrere Kundgebungen in einigem Abstand, aber dicht genug anmeldet, dann könnte man auch jetzt – unter Wahrung des Infektionsschutzes – rausgehen. In Wien haben das vor zwei Wochen Zehntausende bei einer Lichterkette gezeigt.

In mehreren Städten gibt es inzwischen offene Briefe gegen die rechten Aufmärsche. Sie werden von Tausenden unterschrieben. Auch das wäre eine Aktion, die die Gewerkschaften und DIE LINKE organisieren könnten. Doch die politische Zurückhaltung der LINKEN, die Bereitschaft mit der SPD in Berlin zu koalieren, obwohl sie des Ergebnis erfolgreichen Volksentscheids für die Verstaatlichung der großen Immobilienkonzerne in der Stadt nicht umsetzen will, das Wegducken hinter den Coronamaßnahmen der Regierung wird der LINKEN auf die Dauer schaden.

ver.di sollte außerdem, wie es Teile von ver.di-Aktiven im Gesundheitswesen fordern, eine Aktivenkonferenz vorbereiten, wo man diskutieren könnte, wie es mit dem Kampf um mehr Personal, gegen Klinikschließungen und für einen Flächentarifvertrag in der Altenpflege und für öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle weitergehen könnte. Und dort könnte man ebenso besprechen, wie man Rechten am besten das Wasser abgraben könnte.

Dabei muss es auch darum gehen jene, die aus Erbitterung oder Verwirrung bei diesen Aufmärschen gelandet sind, zurückzuholen. Das geht nur mit einer angemessenen Argumentation, deren Grundlage es sein muss, dass alle zusammen gegen den Pflegenotstand kämpfen müssen, um ihn zu beheben.

Schaut man in die Medien, wird viel und oft über die Rechten und ihre „Proteste“ berichtet. Das darf den Blick nicht verstellen für die größer werdende Zahl von Menschen, die dem etwas entgegensetzen wollen. Diesen Willen zum Protest gilt es zu organisieren, gegen rechte „Proteste“, gegen Kürzungen im Gesundheitswesen und in der Pflege, für mehr Geld für Bildung, Soziales und den öffentlichen Dienst und für eine grundlegende Alternative zum kapitalistischen System.

Steve Hollasky ist aktiv im Dresdner Bündnis für Pflege und Mitglied im Sol-Bundesvorstand. Von ihm erschien in diesem Jahr das Buch „Frei und Gleich“ im Manifest-Verlag über die Frühgeschichte der Menschheit.

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