Portugal vor Neuwahlen

Marcelo Rebelo de Sousa (Photo: Waldyrious/Wikimedia Commons)

Linke muss neuen Kurs einschlagen

Portugal ist mit vorgezogenen Neuwahlen konfrontiert: zwei Jahre früher, nachdem die Minderheitsregierung der „Portugiesischen Sozialistischen Partei“ (PSP) unter Vorsitz von Antonio Costa daran scheiterte, ihr Budget durchs Parlament zu bringen.

von Ross Saunders

Der dem rechten Flügel zugehörige Präsident Marcelo Rebelo de Sousa löste das Parlament am Mittwoch, den 3. November 2021, auf und rief für den 30. Januar Neuwahlen aus.

Durch sechs Jahre Unterstützung für Costa beschädigt, muss die Linke schleunigst den Kriegsweg einschlagen. Es muss schleunigst eine neue Richtung deklariert werden, die mit der fehlerhaften Politik der Vergangenheit bricht, ein kühnes sozialistisches Programm und die Abschaffung des kapitalistischen Systems anbietet.

Trotz zweimaligen Scheiterns, die parlamentarische Mehrheit zu gewinnen, ist dies das erste Mal in sechs Jahren, dass Costas Budget niedergestimmt wurde. Anders als in den vergangenen Jahren wurden die linken Parteien – der „Linke Block“ (BE) und die „Portugiesische Kommunistische Partei“ (PCP) – aufgrund wachsenden Ärgers in der Arbeiter*innenklasse und Stimmenverlusten unter Druck, die Unterstützung zu verweigern oder sich der Stimme zu enthalten.

Voneinander unabhängige Streiks bei der Bahn, in Krankenhäusern, Schulen, im öffentlichen Dienst und weitere pulsieren durch Portugal. BE- und PCP- Abgeordnete gerieten dadurch unter Druck, ihre Zustimmung zu Costas Budget nicht zu erneuern. Sie mussten stattdessen an ihren Forderungen, die in der Vergangenheit lediglich Lippenbekenntnisse waren,  diesmal festhalten, wie der Aufhebung der Anti-Gewerkschafts-Gesetze, kostenloser Kinderbetreuung, der Verwendung der Gelder aus dem Europäischen Rettungspaket für den Öffentlichen Dienst sowie nach Lohn- und Rentenerhöhungen.

Außerhalb Portugals wird die PSP-Regierung weithin als linke Regierung angesehen, die die Sparpolitik beendet hat und neoliberalen Regierungen wie z. B. Frankreichs und Deutschlands gegenübersteht. In Wirklichkeit ist nur eine kleine Handvoll der früheren Angriffe durch die rechte Coelho-Regierung aufgehoben worden und sind neue dazugekommen. Der Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse Portugals ist unter der Costa-Regierung ständig gesunken. Mehr als 2,6 Millionen der etwa zehn Millionen Einwohner*innen leben in Armut.

Die Löhne machen weniger als die Hälfte des europäischen Durchschnitts aus und sind, seitdem Costa an der Macht ist, jedes Jahr gefallen. Die Erleichterungen, die den  Arbeiter*innen zugestanden worden  sind, wie einige Aufhebungen der Rentenkürzungen, sind durch das Aushungern des öffentlichen Dienstes erkauft worden, weil Costa, gehorsam gegenüber den Forderungen der EU, die Ausgaben gekürzt hat. Das bedeutete unter anderem, dass Portugal der Pandemie mit der geringsten Rate an Intensivbetten pro Person im europäischen Vergleich gegenüberstand. Die gesamte Pandemie hindurch hat die portugiesische Regierung die Profite den Interessem der Arbeiter*innen, den Einkommen und der Sicherheit vorgezogen. 

Bevor die Kampfbereitschaft anwuchs, wären kleine Zugeständnisse der PSP Regierung genug gewesen, um die Unterstützung der Linken im Parlament zu erkaufen. Doch mit dem wachsenden Unmut und Streiks reichten Costas Angebote, den Mindestlohn von 665 auf 705 EUR zu heben und andere kleine Versprechen nicht mehr aus.

Außerdem sind die linken Führer durch interne Krisen, die in beiden Parteien als Resultat der Wahlverluste ausgebrochen sind, in Bedrängnis geraten. Bei der Parlamentswahl in 2019 hat die PCP nahezu ein Drittel ihrer Mandate verloren und bei den Kommunalwahlen zu Beginn des Jahres hat sich der linke Block auf bloß fünf Ratsmitglieder im gesamten Land bzw. 2,8 Prozent der Stimmen reduziert. Obwohl die solider in der Arbeiter*innenklasse fußende Basis der PCP besser zusammengehalten hat als die der BE, verzeichnete sie ihr geschichtlich schlechtestes Ergebnis. 

In derselben Wahl verlor die PSP die Kontrolle über den Stadtrat von Lissabon, was die instabile Lage deutlich macht. Meinungsumfragen prognostizierten kürzlich, dass die PSP als größte Partei hervortreten wird, obwohl sie noch immer in der Minderheit ist. Man darf aber nicht die Möglichkeit ausschließen, dass in dieser verwirrenden Situation und ohne glaubwürdige Führung von Seiten der Linken, auch Kräfte aus dem rechten Flügel profitieren könnten. Die konservative „Portugiesische Sozialdemokratische Partei“ (PSD) ist durch Wahlen des Parteivorsitzes in den eigenen Reihen nur wenige Wochen vor den Neuwahlen beschäftigt. Doch sie kann an Boden gewinnen, besonders, wenn sie Isabel Dias Ayuso hinter der spanischen Grenze politisch folgt. Ayuso hat dieses Jahr die Wahlen für das Parlament in Madrid durch Rechtspopulismus gewonnen, der – dank dem Regierungsbeitritt von Podemos – nicht durch eine glaubwürdige linke Anti-Establishment-Herausforderung bloßgestellt worden ist.

Portugals linke Parteien haben wenig Zeit, die Lehren aus dieser Niederlage zu lernen und müssen dringend ihre Strategie und ihr Herangehen überdenken und unverzüglich verkünden, dass sie einen neuen Weg einschlagen. Wie das CWI zuvor erklärt hat, war es in der Situation, der der linke Block und die PCP nach den Wahlen 2015 gegenüberstanden, nicht falsch, ihre Stimmen im Parlament dafür zu nutzen, der PSP zu erlauben, die Rückkehr des verhassten rechten Flügels zu verhindern. Der PSD-Vorsitzende Coelho war vor seiner endgültigen Niederlage 2015 mit  fünf Generalstreiks konfrontiert und der dringende Wunsch, ihn los zu werden, war weit verbreitet. Hätte die Linke die PSP, die im Parlament eine Minderheit war, Costa mit ihrer Stimme nicht an die Macht gebracht, wäre die PSP vom Test des Regierens verschont geblieben.

So wären Illusionen in die PSP gestärkt und nicht geschwächt worden und der Linken die Schuld zugewiesen worden.

Aber wie wir seinerzeit erklärten, war es ein fataler Fehler, einen Pakt einzugehen („a geringonca“ – „ein groteskes Konstrukt“) –  der Costas Stabilität für die gesamte Regierungsperiode festschrieb, ohne dafür Zugeständnisse zu gewinnen, dass es keine Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse geben würde. 

Sobald Costa an der Macht war, hätte die Linke unverzüglich in die Offensive gehen müssen einschließlich Straßenprotesten und Gewerkschaftsaktionen, um mutige sozialistische Politik zu verlangen, die die Probleme, der sich die Menschen aus der Arbeiterklasse gegenübersehen, lösen kann. Das hätte einen Prozess in Gang gesetzt, der mit der herrschenden immensen politischen Verwirrung aufgeräumt hätte. Es wäre deutlich gewortden, auf welcher Seite die verschiedenen politischen Kräfte Portugals stehen. Entweder hätte man der PSP Zugeständnisse abgerungen oder es wären zu einer Zeit, in der die Erzwingung von Neuwahlen zum Vorteil der Linken gewesen wäre, die Illusionen der Arbeiter*innen in die PSP zerstreut worden.

Stattdessen fuhr die Linke damit fort, Costa zu unterstützen, während dieser Anti-Gewerkschafts-Gesetze erlassen hat, um die Streiks der Pflegekräfte, LKW-Fahrer und Flughafenbeschäftigten zu brechen. Auf dem Papier waren beide Parteien für die Aufhebung der Austerität und einen sozialistischen Wandel. Doch nichts von dieser Politik ist dem Parlament als wirkliche Herausforderung der PSP vorgelegt worden. Tatsächlich stehen die linken Parteien im Bewusstsein der Massen (der arbeitenden Bevölkerung) nicht für Sozialismus sondern für die Politik der kapitalistischen Regierung.

Einheitsfront

Deshalb sollte jetzt eine Erklärung mit der Absicht einen „neuen Kurs“ aufzunehmen, verfasst werden, dessen Kern das beherzte Versprechen einer sozialistischen Transformation sein sollte, um Portugals ökonomischen Abstieg letztlich zu beenden. Der linke Block und die Kommunistische Partei sollten darüber diskutieren, in der Wahlkampagne zu kooperieren und eine Einheitsfront zu bilden, um  sich auf den notwendigen Kampf gegen jedwede kapitalistische Partei vorzubereiten, die Portugals nächste Regierung bilden wird.  An den Arbeitsplätzen und auf den Straßen kocht der Zorn der Arbeiter*innen über. Außerdem sollte ein Aufruf erfolgen, die überall ausgebrochenen Streiks zu gemeinsamer Aktion zusammenzuführen, einschließlich der CGTP (größter portugiesischer Gewerkschaftsbund, der kommunistischen Partei nahestehend, Anm. der Übersetzung) und der neuen Gewerkschaften: beginnend mit einem eintägigen Generalstreik, so dass eine Demonstration von der Macht der Arbeiter*innen den Hintergrund zu den Wahlen stellt.

Mit erneut steigenden COVID-19-Fällen und dem Gesundheitswesen im Rampenlicht sollte ein Aufruf zur Verstaatlichung der privaten Gesundheitskonzerne ergehen und dass die größten Organisationen, die die Wirtschaft dominieren unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung gestellt werden gemäß eines Planes, der demokratisch erarbeitet wird. Die Verstaatlichung müsste die Banken und andere Finanzsysteme einschließen, um Portugal gegen Angriffe der EU, die bereits –  in Wiederholung des wirtschaftlichen Terrorismus gegen die linke Syriza-Regierung in Griechenland – stattgefunden haben, zu verteidigen.

Die Linke hat nichts zu verlieren: Bei ihrem jetzigen Kurs prognostizieren die Umfragen ein weiteres Absinken. Es ist nicht klar, ob der linke Block überhaupt überleben wird. Gegenwärtig ist die extrem rechte Partei Chega, deren Kandidat nahe daran war,  zweiter der diesjährigen Präsidentschaftswahlen zu werden, in der Lage, sich als Austeritätsgegner darzustellen, ohne glaubhaft von der Linken herausgefordert zu werden. Doch befinden wir uns in einer Periode scharfer, plötzlicher Wendungen und in einer Situation, in der eine längst überfällige Korrektur  tiefgreifende Veränderungen auf das Ergebnis haben kann.

Das Versagen des Kapitalismus, einen Ausweg zu finden, ist in Portugal sehr deutlich und ein ernstzunehmender sozialistischer Appell, unterstützt von Organisationen, könnte das Vertrauen der Arbeiter*innen in die Umsetzbarkeit stärken und rapide Unterstützung erlangen. Keynesianismus steht nicht auf der Agenda. Costa hat bekanntgegeben, dass er die hoffnungslosen und destruktiven Versuche, Portugals Defizit zu senken und den Schuldenberg zu beseitigen, fortsetzen will – den jüngsten Zahlen zufolge gewaltige 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Er schlägt den Kopf der portugiesischen Arbeiter*innenklasse gegen die Mauer des rigiden kapitalistischen Systems. Selbst optimistische Erhebungen prognostizieren, dass das BIP für Jahrzehnte unter das Niveau vor der Pandemie sinken wird. Vor diesem Hintergrund ist der Kampf unausweichlich und der Aufbau eines politischen Vehikels, um der Wut der Arbeiter*innen eine klare Richtung zu geben, unabdingbar.

Dieser Artikel erschien am 5. November auf www.socialistworld.net

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