Ukraine: Krieg in Europa?

Arbeiter*inneneinheit ist nötig, um Krieg, Imperialismus und Armut zu bekämpfen

Die Kriegstrommeln werden immer lauter geschlagen. Seit Wochen sprechen westliche Medien und Politiker*innen von einer bevorstehenden russische Invasion in der Ukraine und drohen dem Putin-Regime mit schwerwiegenden Konsequenzen, einschließlich neuer Sanktionen.

Von Niall Mulholland, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Als Antwort darauf bestreitet Moskau vehement, einen Angriff auf sein Nachbarland zu planen, verlangt aber von den westlichen Mächten die Zusage, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten darf.

Man schätzt, dass über 100.000 russische Soldaten an den Grenzen zur Ukraine stationiert sind.

Die USA, Großbritannien und andere europäische Mächte rüsten die Ukraine eilig auf. US-Militärchefs kündigten Pläne an, eine Truppe von 8500 Soldat*innen in osteuropäische Nato-Länder zu entsenden, um die Flanke des Bündnisses zu “schützen”.

Downing Street hat erklärt, dass das Vereinigte Königreich den “Nato-Verbündeten” zusätzliche militärische Unterstützung zukommen lassen könnte, einschließlich Jets, Kriegsschiffen und Militärspezialist*innen. Presseberichten zufolge erwägt die britische Regierung außerdem, der Nato weitere 900 Soldat*innen für Estland anzubieten”.

Forderungen

Russland betrachtet eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato als eine direkte Bedrohung seiner Sicherheit.

Am 17. Dezember 2021 übergab Putins Regierung dem Westen eine Liste von Forderungen, darunter die Verpflichtung, jede weitere Osterweiterung der Nato zu stoppen, den Abzug der multinationalen Nato-Truppen aus Polen und den baltischen Staaten, den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa und vor allem die Forderung, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten darf.

US-Außenminister Antony Blinken lehnte die schriftliche Bitte Moskaus um Garantien ab, dass die Ukraine nicht der Nato beitreten dürfe.

Die Machthaber in Moskau werfen dem Westen seit langem vor, das nach dem Ende der Sowjetunion gegebene Versprechen, die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen, gebrochen zu haben. Doch die atomar bewaffnete Nato hat sich auf Länder wie Polen und die baltischen Staaten ausgedehnt und verfügt über äußerst zerstörerische konventionelle Waffen.

Die westlichen imperialistischen Mächte waren dazu in der Lage, als die russische Wirtschaft im Zuge der katastrophalen kapitalistischen Restauration in den 1990er Jahren zusammenbrach und als die russische Armee schlecht ausgerüstet und demoralisiert war.

Unter Putin jedoch wurden die russischen Streitkräfte dank des Wirtschaftswachstums in einigen Sektoren, insbesondere im Energiesektor, zu einer moderneren Armee umgestaltet. Außerdem verfügt Russland immer noch über das zweitgrößte Atomwaffenarsenal der Welt.

In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat Putins Außenpolitik an Durchsetzungskraft gewonnen: Er intervenierte in Georgien, annektierte die Krim, intervenierte in Syrien, agierte als so genannter “Friedenswächter” zwischen Armenien und Aserbaidschan und half Anfang dieses Jahres, das Regime in Kasachstan zu stützen, nachdem es dort einen Massenaufstand gegeben hatte.

Die herrschende Elite in Moskau hat deutlich gemacht, dass sie nicht tatenlos zusehen wird, wie sich die Nato die Ukraine einverleibt, mit Waffen und Truppen der Nato an der unmittelbaren Grenze Russlands.

Zu den dreißig Mitgliedern der Nato gehören mehrere ehemalige Sowjetrepubliken, von denen einige an Russland grenzen. Gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrags verpflichten sich alle, sich im Falle eines Angriffs gegenseitig zu helfen.

Während die westlichen Mächte und Medien in Hysterie verfallen und Putin der “Aggression” beschuldigen (während US-Beamte Pläne zur Entsendung von bis zu 50.000 Soldaten an die Grenzen Russlands und der Ukraine bekannt gaben), droht Washington mit “schweren Wirtschaftssanktionen” gegen Moskau.

Dazu gehört auch, dass Russland der Zugang zu Swift, dem weltweiten Zahlungsverkehrssystem für Banken, verwehrt wird. In seiner Antwort behauptet das Putin-Regime, dass es für solche Eventualitäten vorgesorgt habe.

Angesichts der Verflechtung von Finanzen und Handel in der Weltwirtschaft könnten Strafmaßnahmen gegen Putins Regime jedoch auf andere Volkswirtschaften zurückschlagen, insbesondere wenn Putin als Vergeltung die Gaslieferungen nach Europa drosselt, obwohl dies wiederum zu einer Verringerung der russischen Einnahmen führen würde.

Die Behauptungen der westlichen Staats- und Regierungschefs über russische Aggressionen und militärisches Abenteurertum sind reine Heuchelei. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, insbesondere Großbritannien, haben seit 1991 eine Reihe von katastrophalen Kriegen geführt – im Irak, in Syrien, Libyen, Afghanistan und anderswo. Millionen von Menschen sind gestorben und ganze Länder wurden in den Ruin getrieben.

Trotz der Haltung des Westens wies der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij, der nur zu gut weiß, dass die Ukraine im Falle einer Invasion mit einer überwältigenden militärischen Überlegenheit Russlands konfrontiert wäre, und der erlebt hat, wie die Ukraine aus Angst vor einem Krieg von den internationalen Schuldenmärkten abgeschnitten wurde, das Argument zurück, dass eine russische Invasion unmittelbar bevorstehe. Besorgt darüber, dass der Westen Russland antreibt, warnte Zelenskij, dass genau diese eskalierende und riskante Politik Europa in einen totalen Konflikt stürzen könnte.

Der ukrainische Botschafter in den USA warnte vor “Panik”. Zelenskij nahm auch eine Einladung Putins zu Gesprächen an.

Die westlichen Regierungen nutzen die Pattsituation mit Russland zweifellos aus, um von ihrer katastrophalen Covid-Politik abzulenken. Der britische Premierminister Boris Johnson hat einen weiteren Grund, seine Demagogie gegen Russland zu verschärfen – er ist in Skandale verwickelt und steht unter polizeilicher Beobachtung, aber er hält sich gerade noch im Amt.

Aber die Regierung Biden und die europäischen Mächte haben auch wichtige geopolitische und wirtschaftliche Interessen in der Ukraine und in Eurasien und wollen ihren Einfluss und ihre Macht in der Region ausbauen. Dies bedeutet unweigerlich, dass sie sich mit Russland, der größten Macht der Region, und seinen Verbündeten auseinandersetzen müssen.

Anders als unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind die USA nicht mehr in der Lage, die Rolle des “Weltpolizisten” zu spielen.

Der Hauptgegner der USA auf der Weltbühne, China, hat Russland in seinem Streit mit dem Westen über die Ukraine öffentlich unterstützt. Das chinesische Regime hat seine eigenen Streitigkeiten mit den USA und den westlichen Mächten, nicht zuletzt wegen Taiwan, die schließlich zu einem bewaffneten Konflikt führen könnten.

Meinungsverschiedenheiten

Auch zwischen den USA und den EU-Mächten gibt es einige Differenzen über die Ukraine. Der französische Präsident Macron drängt auf “strategische Autonomie” und fordert eine “Deeskalation” und eine “europäische Lösung”.

Die deutsche Regierung sagt, sie könne aus historischen Gründen keine tödlichen Waffen in Konfliktgebiete schicken. Stattdessen schickte sie 5000 Militärhelme in die Ukraine, was der Bürgermeister von Kiew als “Witz” abtat.

Sehr zur Bestürzung der USA hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz lediglich erklärt, dass “alle Sanktionen auf dem Tisch liegen”, wenn es um die kürzlich fertiggestellte Gaspipeline (Nord Stream 2) zwischen Russland und Deutschland geht, die noch von der EU genehmigt werden muss.

In einem Telefongespräch mit dem französischen Präsidenten Macron in der vergangenen Woche bekräftigte Putin, er habe “keine offensiven Pläne” in Bezug auf die Ukraine. Der russische Präsident weiß, dass es in Russland wenig Appetit auf Krieg gibt.

Russlands Militär ist weitaus stärker als das der Ukraine, aber der Versuch, in ein bewaffnetes Land einzumarschieren und es zu besetzen, dem die meisten Ukrainer*innen sehr feindselig gegenüberstehen, würde wahrscheinlich große militärische Verluste nach sich ziehen und das Risiko einer Ausweitung des Krieges mit sich bringen.

Vermutlich würde Putin Zugeständnisse einer militärischen Konfrontation mit der Ukraine vorziehen.

Sollten die Spannungen jedoch weiter zunehmen und die Nato-Erweiterung und die Sanktionen fortgesetzt werden – der demokratische Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen drohte mit Sanktionen “als unmittelbare Reaktion auf Russlands Bemühungen, die ukrainische Regierung zu unterminieren” -, könnte Putin begrenzte militärische Maßnahmen in Erwägung ziehen.

Diese können darin bestehen, von Separatist*innen kontrollierte Teile der Ostukraine zu besetzen und/oder Küstengebiete zu beschlagnahmen, um eine Landbrücke zwischen Russland und der Krim zu schaffen.

Die Abspaltung der ethnisch-russischen Enklaven in der Ostukraine und die russische Annexion der Krim erfolgten 2014 nach einer prowestlichen Regierungsübernahme in Kiew, an der ukrainische ultranationalistische und faschistische Elemente beteiligt waren, die eine pro-russische ukrainische Regierung absetzten.

Putin könnte jede gemeldete Diskriminierung oder Unterdrückung russischsprachiger Ukrainer*innen als Vorwand für einen weiteren Einmarsch in die Ukraine nutzen.

Interessen der Arbeiter*innenklasse

Für die Arbeiter*innenklasse der Ukraine und Russlands ist mit dem Kriegsgerede, der Nato-Erweiterung, den Sanktionen und jedem bewaffneten Konflikt absolut nichts zu gewinnen.

Bei den Kämpfen zwischen den von Russland unterstützten Enklaven in der Ostukraine und den ukrainischen Streitkräften sind bereits über 14.000 Menschen ums Leben gekommen. Ein größerer Konflikt in einer ethnisch gespaltenen Ukraine würde unvorstellbare Schrecken mit sich bringen.

Die Arbeiter*innenklasse in der Region und auf internationaler Ebene muss einen unabhängigen Kurs einschlagen. Die Nato ist keine harmlose Kraft, sondern ein bewaffnetes Bündnis imperialistischer Interessen, das die geostrategischen Ziele der kapitalistischen Mächte vertritt.

Diese Regierungen missachten das Leben und das Wohlergehen der Arbeiter*innenklasse in ihren eigenen Ländern während der Pandemie und stellen die Profite an erste Stelle – warum sollte ihre Außenpolitik anders sein?

Und es gibt nichts Fortschrittliches an Putins autokratischem, reaktionärem Regime, das die Proteste der Arbeiter*innen im eigenen Land unterdrückt.

Sozialist*innen müssen sich der Kriegstreiberei entgegenstellen. Die internationale Arbeiter*innenbewegung sollte denjenigen, die für den Aufbau wirklich unabhängiger Arbeiter*innenorganisationen, einschließlich Gewerkschaften, in der Ukraine, in Russland und in der gesamten Region kämpfen, jede nur mögliche praktische Unterstützung geben.

Nur eine sozialistische Perspektive, die die Arbeiter*innen über alle nationalen und ethnischen Grenzen hinweg gegen reaktionäre Regierungen und imperialistische Einmischung von außen vereint, kann einen Weg nach vorn weisen.