Interview zur Tarifrunde der Sozial- und Erziehungsdienste mit einem Aktivisten
Die Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst hat die Forderungen für die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst beschlossen.Wir sprachen mit Julian Koll. Er ist Erzieher in einer Kita in Dortmund, Mitglied der bezirklichen Arbeitskampfleitung und der Sol in Dortmund.
Worum geht es bei der Tarifrunde?
Es geht, wie beim vierwöchigen Streik 2015, zum einen um die finanzielle Aufwertung der Arbeit. Es soll aber auch eine Entlastung erreicht werden, zum Beispiel durch eine Ausdehnung der Vorbereitungszeit. Dadurch sollen die Arbeitgeber zur Einstellung von mehr Personal gezwungen werden. Das Kernproblem der Überlastung wird dadurch meiner Meinung nach nicht wirklich angegangen. Die bessere Forderung wäre die nach einem bundesweit tariflich festgelegten Personalschlüssel gewesen. Trotzdem muss es jetzt natürlich darum gehen, die Forderungen durchzusetzen.
Aus deiner Erfahrung als Teil der Dortmunder Streikleitung – was ist aus deiner Sicht wichtig für den Erfolg?
Insgesamt ist der eigentliche wirtschaftliche Schaden von Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst begrenzt. Deshalb muss es hier besonders darum gehen, die gesellschaftliche Bedeutung, insbesondere für Beschäftigte in anderen Bereichen, herauszustellen und die Notwendigkeit einer breiten Unterstützung des Streiks aus den Betrieben und Gewerkschaften heraus. Der Aufbau von Solidaritätskomitees ist daher wichtig.
Vor allem muss eine klare Botschaft rausgehen, dass ver.di diese Auseinandersetzung ernsthaft führen will, und bereit ist, in den unbefristeten Arbeitskampf zu gehen!
Ganztägige Warnstreiks um die Verhandlungstage haben sich bewährt und helfen bei der Mobilisierung der Kolleg*innen. Für mich steht außer Frage, dass man nur mit einem Erzwingungsstreik Verbesserungen erreichen kann. Deshalb sollte man, wenn nach zwei Verhandlungen kein Angebot kommt, sofort in die Urabstimmung gehen und dann in den unbefristeten Vollstreik treten und in Städten Versammlungen einberufen. Ich fände es wichtig, dass, wie 2015, Delegierte für eine bundesweite Streikdelegiertenkonferenz gewählt werden.
Gibt es diesmal keine Streikdelegiertenkonferenz?
Nein, dieses neue Element von Streikdemokratie wurde durch die ver.di-Führung kurz vor der Tarifrunde 2022 ausgeschaltet! Das ist frustrierend. Stattdessen soll es als “neue Errungenschaft” Tarifbotschafter*innen (TB) geben. Diese TB sollen aber nur Informationen von oben nach unten weiter geben.
Aus meiner Sicht heißt das, dass wichtige Entscheidungen auf bundesweiter Ebene allein bei den Hauptamtlichen liegen, insbesondere zur Streikstrategie, sowie Anfang und Ende eines Streiks. Einfache Gewerkschaftsmitglieder, die Streikenden selbst, um deren Belange es ja geht, können so kaum mitreden, was die bundesweite Streikstrategie betrifft. Meiner Meinung nach sollten sie es aber sein, die über Forderungen und ihre Durchsetzung diskutieren und entscheiden. Das heißt, dass über örtliche Streikversammlungen und eine bundesweite demokratisch gewählte Streikdelegiertenkonferenz die wichtigen Entscheidungen gefällt werden sollten, auch darüber, ob ein Streik ausgesetzt oder fortgesetzt werden sollte.
Trotz alledem werden wir in Dortmund unser Bestes geben, um Verbesserungen für uns zu erreichen. Aus meiner Sicht ist es aber auch wichtig, dass wir uns von unten vernetzen, um innerhalb unserer Gewerkschaft einen kämpferischen Kurs durchzusetzen und um für eine Demokratisierung von Streiks und auch der Gewerkschaft insgesamt einzutreten. Deshalb bin ich auch in der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) aktiv.