Internationalismus gegen Imperialismus und Chauvinismus
Als Marxist*innen und Sozialist*innen teilen wir nicht die Überzeugung, dass Sanktionen ein Mittel sind, den Krieg in der Ukraine zu beenden oder die Fähigkeit haben, Russland zu der Einsicht zu zwingen, seine militärischen Operationen zu beenden. Es ist ein Trugschluss, der ignoriert, dass der Ukraine-Konflikt ein imperialistischer Krieg ist. Sanktionen sind ein weiteres Mittel der Kriegsführung – nur auf ökonomischer Ebene. Wie in allen Kriegen leiden am Ende die Arbeiter*innen und Armen.
Von Jens Jaschik, Sol Dortmund
In der Friedensbewegung und in Teilen der Linken wird die Forderung nach Sanktionen aufgegriffen, in der Hoffnung das sie eine friedliche Alternative zu militärischen Mitteln darstellen. Der Krieg in der Ukraine soll für Putin und die reichen Oligarchen so unrentabel werden, dass sie ihn beenden müssen. Aber Sanktionen sind kein Mittel der friedlichen Politik. Sie haben nicht das Ziel zu deeskalieren, sondern sind nur ein weiteres Mittel, um im Krieg seinen Gegner wehrlos zu machen, sodass er sich fügt.
Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel – und zwar mit Mitteln physischer Gewalt. Trotz aller Behauptungen begrenzen sich die Auswirkungen der Sanktionen nicht auf die Oligarchen. Selbst die Wortwahl der Politiker*innen widerspricht dieser Erzählung. Es wird davon gesprochen, dass man Russland wirtschaftlich niederringen müsse, die russische Wirtschaft zu Grunde richten bzw. Russland ökonomisch vernichten wolle. Wie kann die Vernichtung der russischen Wirtschaft durch ökonomische Mittel nicht der einfachen russischen Zivilbevölkerung schaden? Keine wirksame Sanktion trifft jemals nur die Herrschenden.
Folgen der Sanktionen
Niemand beginnt einen Krieg ohne sich auf diesen wirtschaftlich vorzubereiten. Russland hat eine Wirtschaft, die in weiten Teilen autark funktioniert und in den vergangenen Jahren große finanzielle Reserven angelegt. Außerdem kann es bisher auf Unterstützung Chinas setzen, das kein Interesse an einen wirtschaftlichen Zusammenbruchs Russlands hat. Schließlich ist Russland der größte Schuldner Chinas. Aber während die russische Kapitalist*innenklasse und das politische Establishment die Sanktionen aussitzen können, trifft es die einfache Bevölkerung hart.
Der Lebensstandard der russischen Arbeiter*innen entspricht nur einem Viertel des Lebensstandards der Arbeiter*innen in den meisten westlichen Ländern. Der Zusammenbruch des Rubel führt dazu, dass die einfachen Menschen nicht mehr ihre Mieten oder Gasrechnungen zahlen können. Sie haben kein Geld mehr, um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen, deren Preise drastisch steigen. Fünfzig Prozent der Russ*innen haben ihre Konten auf der Sberbank. Ihre finanziellen Reserven wurden von einem auf den nächsten Tag vernichtet. Viele Russ*innen sind auf finanzielle Unterstützung durch Verwandte im Ausland angewiesen. Es besteht die Gefahr, dass Tausende ihren Job verlieren. Schon jetzt sind die Auswirkungen der Sanktionen so stark, dass selbst ein sofortiges Ende der Sanktionen, nicht eine Rückkehr zur Normalität ermöglichen würde. Parallel dazu führt die Sprache der Sanktionspolitik und sowie der freiwillige Boykott russischer Waren bis hin zur Kultur zunehmend zu anti-russischen Ressentiments in der Gesellschaft.
Ein Blick in die jüngste Geschichte führt uns die Folgen von Sanktionen vor Augen: 2011 verhängten die USA und EU bis heute andauernde Sanktion gegen das Assad-Regime in Syrien. Es wurde erklärt, das Ziel der Sanktionen sei, die Gewalt des Regimes gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Eine Studie der London School of Economics kam zum Schluss das Phase 2 der Sanktionen – Sanktionen gegen den Bankensektor, Behinderung internationaler Transaktionen bei Handel, Geldtransfers und offenen Krediten – die brutalste Periode des Syrienkonflikts einleitete, weil es die einfachen Menschen am härtesten trafen. Der Zusammenbruch der Wirtschaft führte zu steigender Armut, während die Preise für Lebensmittel ins unermessliche stiegen. Schlussendlich profitierten Warlords und Kriminelle, sowie Assad selbst von den Sanktionen, in dem sie ihre Kontrolle über die syrische Gesellschaft in dieser Situation verstärken konnten.
Als der Irak unter Saddam Hussein seinen Nachbarstaat Kuwait überfiel verhängten die USA und NATO ein Embargo gegen den Irak, dass weit über zehn Jahre in Kraft war. Trotz der Sanktionen folgten 1991 und 2003 eine Invasion der USA (unter erfunden Vorwänden) und eine bis 2011 anhaltende Besetzung. Die Folgen der Vernichtung der irakischen Wirtschaft waren fatal. In den Jahren 1990 bis 2003 ist jedes achte Kind verhungert oder auf Grund mangelnder medizinischer und hygienischer Versorgung verstorben. Weitere 960.000 Kinder waren unterernährt. 1996 erklärte die Botschafterin der USA bei der UNO und spätere Außenministerin Madeleine Albright in einem Interview, dass der Tod von hunderttausenden Kindern eine sehr schwierige Wahl sei, aber den Preis wert ist. In ihrer Autobiografie bezeichnet sie diese Antwort als politischen Fehler, nicht aber das Embargo selbst. In einem Artikel in der New York Times zum Ukraine Konflikt erklärt sie, dass der Westen Russlands Wirtschaft verkrüppeln wird. Nach dem Ende des Krieges und der Sanktionen wurden die Trümmer der irakischen Wirtschaft unter den Krallen unter internationaler Kapitalist*innen aufgeteilt. Heute gilt der Irak als „Failed State“ und ein Viertel der irakischen Bevölkerung lebt in Armut.
Chauvinismus
In den Kriegskonventionen von Den Haag sind Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung verboten. Trotzdem greifen Staaten immer wieder zu diesem Mittel und ihre Stärke in der Weltpolitik bestimmt darüber, ob sie für ihre Verbrechen geahndet werden. Im Libanon-Krieg im Jahr 2006 bombardierte Israel gezielt Wohnblöcke, um die Zivilbevölkerung für ihre Unterstützung der Hisbollah zu bestrafen. Besonders arme Wohnbezirke, in denen die Hisbollah bei vorangegangenen Wahlen besonders hohe Werte bekommen hatte, wurden mit Hilfe von Flächenbombardements dem Erdboden gleichgemacht. Immer wieder wurde gezielt zivile Infrastruktur vernichtet. In Form von Sanktionen sind Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung aber nicht mal auf dem Papier verboten. Stattdessen werden sie als ein politisches Mittel angesehen.
Sanktionen haben auch das Ziel politische Instabilität zu erzeugen. Durch Verschlechterung ihrer Lebenslage sollen die Menschen dazu gebracht werden, sich gegen ihren Regenten zu erheben. Auch in Deutschland werden die Stimmen immer lauter, man müsse die Russ*innen mit allen Mittel dazu bringen sich gegen Putin zu erheben. Die Vorstellung, dass Menschen durch Verschlechterung ihres Lebens dazu gezwungen werden können, sich gegen ihre Regierung zu erheben, ist eine äußerst chauvinistische Idee. Die Arbeiter*innen sollen nicht aus freiem Willen die Entscheidung treffen im Kampf gegen ihre Regierung ihre Freiheit oder sogar ihr Leben zu riskieren, sondern weil man ihnen die Pistole auf die Brust setzt: Entweder ihr erhebt euch, jetzt und sofort, oder wir vernichten euren Lebensstandard. Wieder wird der Kampf der Herrschenden auf dem Rücken der einfachen Menschen ausgetragen.
Außerdem: Als Marxist*innen wissen wir, dass die Möglichkeiten des freien Willens begrenzt sind. Niemand hat sich ausgesucht, wo er geboren wird. Das Denken der Menschen entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ergibt sich aus den kulturellen Traditionen, dem Erbe der Vergangenheit, dem kollektiven Gedächtnis und allen voran der Wechselwirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Marxist*innen setzen dem ein Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse und der eigenen objektiven Interessen entgegen. Wir setzen uns für den Aufbau von Arbeiter*innenparteien und Gewerkschaften ein, die fähig sind, die Arbeiter*innen in ihrem Kampf gegen die Herrschenden zu organisieren und für ein Programm zu mobilisieren, das das alte System durch eine sozialistische Demokratie ersetzt, in der die Mehrheit der Menschen über Politik und Wirtschaft bestimmen. Der Aufbau solcher Organisationen ereignet sich aber nicht von heute auf morgen. Unterernährung, Kälte und Armut – die Folgen der Sanktionspolitik – erschweren diesen Prozess nur.
Klassenstandpunkt
Es nicht unsere Aufgabe die Herrschenden zu beraten, wie sie ihre Kriege zu führen haben. Das Programm von Sozialist*innen und Marxist*innen unterscheidet sich fundamental von dem aller anderen Parteien. Wir stehen im Gegensatz zum kapitalistischen System, das immer neue Kriege schafft. Unsere Aufgabe ist es, eine Bewegung von Unten aufzubauen die diesen Krieg und den Kapitalismus durch Widerstand von unten beendet – ohne Partei für die herrschende Klasse irgendeiner Nation zu ergreifen. Wir verurteilen den brutalen Überfall auf die Ukraine und wir lehnen es ab, dass die Ukraine und sein Volk zu einem Spielball in den Händen der NATO, Russland, der EU und im weiteren Sinne auch Chinas degradiert werden.
Das bedeutet auch, sich gegen die Sanktionen der Herrschenden auszusprechen. Etwas anderes wäre es, wenn es zu Boykott- oder „Sanktions“maßnahmen der organisierten Arbeiter*innenbewegung käme, die die Unterstützung der Arbeiter*innenbewegung in dem betroffenen Land hätten oder die sich direkt gegen den Transport von Kriegsmaterial wenden. Das war zum Beispiel bei Aktionen der internationalen Arbeiter*innenbewegung gegen das südafrikanische Apartheidsregime der Fall, die von den südafrikanischen Gewerkschaften unterstützt wurden. Auf die Sanktionen der westlichen Regierungen gegen die russische Bevölkerung trifft das nicht zu.
Die Wölfe und Schakale, die diesen Krieg provoziert haben, werden nicht zu Lämmern. Sie werden keine Entscheidungen treffen, die uns zu Gute kommen. Wir müssen über die Gründe des Krieges aufklären, über seine kapitalistische Ursachen und dem die weltweite Organisierung der Arbeiter*innenklasse entgegenstellen. Unser Ziel ist die sozialistische Transformation der Gesellschaft, nicht die Rückkehr zu einem Status Quo, der uns dieses Schlamassel eingebrockt hat. Gleichzeitig müssen wir auf die Straße, um jede weitere Verschärfung und Eskalation des Konflikts zu verhindern. Die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) steht in der Friedensbewegung, den Gewerkschaften und der LINKEN für ein solches sozialistisches Programm ein.