„Zeitenwende“ – auch für den DGB

Vorschlag für eine Aktionsprogramm 2022

Pandemie, Kriegsfolgen, Inflation: Während die oberen ein Prozent ihren Reichtum in den letzten zwei Jahren gigantisch ausbauen konnten, verschlechtert sich die Lage der Masse der arbeitenden Bevölkerung weiter. Es ist dringend nötig, dass die Gewerkschaften einen Aktionsplan entwickeln.

von Angelika Teweleit, Berlin

Während der Pandemie konnten laut Oxfam die zehn Reichsten der Welt ihr Vermögen verdoppeln, in  Deutschland besitzen die zehn reichsten Menschen gigantische 240 Milliarden US-Dollar. Im gleichen Zeitraum sind die Reallöhne für die Masse der Beschäftigten durch Inflation, galoppierende Energiepreise und horrende Mieten auf der einen Seite und zu geringe Lohnsteigerungen auf der anderen Seite gesunken. Auch das Entlastungspaket der Regierung ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und wird zudem über die Steuern der Masse der Beschäftigten finanziert. Beschäftigte in den Kitas, Schulen, Gesundheitsämtern, Pflegeheimen, Krankenhäusern und vielen anderen Bereichen mussten unglaubliches leisten– ohne Dank. In der Industrie gibt es keine Antwort darauf, wie der viel beschworene „Umbau“ ohne massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen vonstatten gehen könnte. 

In dieser Situation verkündeten die Regierenden plötzlich, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro freizumachen – nicht für die Ausstattung von Schulen und Kitas, mehr Personal in den Krankenhäusern, die Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland oder dem Hunger in der Welt – Nein: für die Steigerung der Rüstungsausgaben. Die DGB-Gewerkschaften haben das einerseits vage  kritisiert. Andererseits hat der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke das von der Regierung beschlossene Maßnahmenpaket zur Entlastung bei den Energiepreisen begrüßt. Dabei reichen die Summen einerseits überhaupt nicht aus, um die gestiegenen Kosten auszugleichen und zudem bezahlt die Masse der arbeitenden Menschen diese Maßnahmen letztlich wieder über die Steuern. Stattdessen müssten die Gewerkschaften jetzt  konsequent für den Erhalt des Lebensstandards der Masse der arbeitenden Bevölkerung und den längst überfälligen (Wieder-)Aufbau der öffentlichen Daseinsvorsorge mobilisieren.

Nicht nur reden – mobilisieren

Die Gewerkschaften sind mit knapp sechs Millionen Mitgliedern die größten Organisationen der Beschäftigten. Um einen weiteren Verfall des gewerkschaftlichen Organisationsgrades zu verhindern, muss das Lamentieren beendet und stattdessen ein Kampagneplan ausgearbeitet werden, um die Lohnabhängigen zu mobilisieren und auf dieser Grundlage zehntausende neue Mitglieder zu gewinnen. Das bedeutet, den Kampf gegen weitere Reallohnverluste und Verarmung zu führen, sowie für ein massives öffentliches Investitionsprogramm in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales und Umwelt. Dies bedeutet auch Verteilungskampf. Die Aussagen von Frank Werneke, dass die Schuldenbremse ausgesetzt werden muss, aber auch die Vermögen der Reichen  – insgesamt 13 Billionen Euro – herangezogen werden müssen, anstatt die Masse der Beschäftigten zur Kasse zu bitten, ist richtig. Aber auch dafür braucht es mehr als warme Worte.

Tarifrunden 

Es braucht zunächst die klare Ansage der Gewerkschaftsführungen in den anstehenden Tarifrunden, dass es keinen Verzicht geben wird. Angesichts der hohen Inflation ist es nötig, in die jetzigen Tarifauseinandersetzungen mit entsprechend hohen Forderungen zu gehen. In der Metall- und Elektroindustrie sollte die Forderung nicht unter zehn Prozent beziehungsweise einer Festgeldforderung von mindestens 350 Euro monatlich bei zwölf Monaten Laufzeit liegen. Auch in der Chemieindustrie sollte das gefordert werden, anstatt wie aktuell ohne Forderung in die Verhandlungen zu gehen! Dasselbe gilt für die Ende des Jahres anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Für bereits abgeschlossene Tarifverträge sollten jetzt Nachschlagsforderungen aufgestellt werden. In den jetzt laufenden Tarifrunden im Sozial- und Erziehungsdienst, an den Flughäfen, bei den Banken, der Telekom und anderen dürfen keine Abstriche mehr bei den aufgestellten Forderungen gemacht werden. Das heißt auch, Urabstimmungen und Erzwingungsstreiks vorzubereiten. Die Forderung nach Entlastungstarifverträgen in den Unikliniken in NRW, die im Mai zu einer Zuspitzung kommt, sollte durch eine DGB-weite Solidaritätskampagne unterstützt werden. Insgesamt sollten Streiks und Kundgebungen koordiniert werden, um gemeinsam Stärke zu zeigen.  

Großdemo 

Über die Tarifrunden hinaus ist es nötig, eine DGB-weite Mobilisierung in Gang zu setzen – gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf die Masse der Lohnabhängigen, für Umverteilung, für ein öffentliches Investitionsprogramm in Gesundheit, Bildung, Soziales und Umwelt. 

Das Sondervermögen für den Militärhaushalt soll im Sommer beschlossen werden. Ausgehend vom ersten Mai sollten die Gewerkschaften eine Reihe von Versammlungen in den Betrieben starten. Für den Sommer sollte eine Großdemonstration angesetzt werden, mit Forderungen wie: Nein zum Sondervermögen Rüstung, stattdessen Sondervermögen für ein massives öffentliches Investitionsprogramm in Krankenhäuser, Altenpflege, Schulen, Kitas und erneuerbare Energien. Finanzierung durch Sonderabgaben der oberen ein Prozent, (Wieder-)einführung von Vermögenssteuer; feste Preisobergrenzen für Energie und Grundnahrungsmittel. Die Demonstration sollte als Auftakt verstanden werden, um davon ausgehend zu dem Mittel von Arbeitsniederlegungen übergehen zu können. 

Es ist momentan nicht davon auszugehen, dass die Gewerkschaftsführungen irgendwelche Schritte in diese Richtung gehen. Daher ist es nötig, ein solches Aktionsprogramm koordiniert in die Gewerkschaften hinein zu tragen. 

Als Sozialist*innen sollten wir auch offensiv die Diskussion in die Gewerkschaften hinein tragen, dass eine Systemveränderung unabdingbar ist, um die Zukunft für die Masse der Beschäftigten und der Kinder zu sichern. Anstatt profitorientiertem Wirtschaften, welches die Lebensgrundlagen für Mensch und Umwelt zerstört, braucht es eine demokratische Planung auf Grundlage von Gemeineigentum, eine sozialistische Demokratie.  

Angelika Teweleit ist im Sprecherrat der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und Mitglied der Bundesleitung der Sol

Auf der Homepage der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ VKG gibt es weitere Vorschläge und Musteranträge www.vernetzung.org

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