Der Zusammenbruch der Sowjetunion

Über das Ende des Stalinismus und seine Folgen

1991 hat sich die UdSSR offiziell aufgelöst. Clare Doyle, die damals im Auftrag des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) in Russland tätig war, blickt auf diesen historischen Moment zurück.

Am 25. Dezember 1991 erschien Michael Gorbatschows düstere Miene auf den Fernsehbildschirmen über die elf Zeitzonen der UdSSR hinweg und verkündete das Ende der als Sowjetunion bekannten Föderation. Doch auch schon lange vorher war sie in Auflösung begriffen und das Schicksal von Gorbatschow, ihrem Präsidenten und Sekretär der regierenden “kommunistischen” Partei, besiegelt.

Diese Weihnachtsansprache markierte das Ende der Sowjetunion, aber es war keineswegs „das Ende der Geschichte”, wie ein berühmt-berüchtigter Politikwissenschaftler, Francis Fukuyama, argumentierte. 

Fukuyama behauptete, es gäbe jetzt keine Alternative zum Kapitalismus. Und doch gewinnt die Idee des Sozialismus heute immer mehr Anhänger, besonders bei der jungen Bevölkerung. Der Kampf gegen die Zerstörung von Menschen und Ressourcen wird immer dringlicher. Die Aufgabe der Marxist*innen ist es jetzt, zu erklären, was der Kapitalismus ist und was er nicht ist. Die UdSSR ist nach wie vor ein Bezugspunkt, dessen Entstehung, Entwicklung und Untergang klar verstanden werden müssen. Die im Oktober 1917 von den Bolschewiki angeführte Revolution in Russland ist noch immer das größte Ereignis der Geschichte – eine Arbeiter*innenrevolution, die den Kapitalismus stürzte. Sie war der Beginn des Übergangs zu einer wirklich demokratisch-sozialistischen Gesellschaft, die nur im Weltmaßstab hätte vollendet werden können.

Die Gründung der UdSSR im Jahr 1922 war ein Beweis für die Inspiration, die die Anführer der Revolution, Wladimir Lenin und Leo Trotzki, den Werktätigen aller Nationen gaben. Trotz heroischer Arbeiter*innenkämpfe in vielen Ländern, war es das Scheitern der Revolutionen in anderen Ländern, das die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft in der UdSSR behinderte.

Sozialismus bedeutet die Abschaffung aller Formen der Ausbeutung in der Gesellschaft. Das heißt, dass es kein Privateigentum in den wichtigsten Wirtschaftssektoren, der Industrie, dem Finanzwesen und dem Grund und Boden gibt. Stattdessen erfolgen die Kontrolle und Verwaltung durch gewählte und abwählbare Vertreter*innen der Arbeiter*innen. 

Das System in der Sowjetunion, war weder kapitalistisch noch sozialistisch. Nach dem Tod Lenins im Januar 1924, als die UdSSR gerade erst begann, sich von den Folgen des jahrelangen Krieges zu erholen, setzten Josef Stalin und seine privilegierte Herrscherclique eine politische Konterrevolution durch. Sie hielten zwar die staatliche Planwirtschaft aufrecht, bauten aber eine Einparteiendiktatur auf, um Versuche zur Aufrechterhaltung der Arbeiter*innendemokratie brutal zu unterdrücken.

Aber Staatseigentum und Planung führten trotz der Misswirtschaft der Bürokratie zu enormen Fortschritten in Wissenschaft, Produktion und Technik in der Zwischen- und Nachkriegszeit. Im Jahr 1961 schickte die UdSSR unter Nikita Chruschtschow den ersten Menschen ins All und schlug damit ihren Rivalen aus dem Kalten Krieg, die USA unter J. F. Kennedy. Als die Verknöcherung der bürokratischen Kontrolle einsetzte, verlangsamte sich das Wachstumstempo allmählich.

Für Sozialist*innen ist es von entscheidender Bedeutung, zu verstehen und zu erklären, was in der Sowjetunion vor und nach Weihnachten 1991 geschah.

Der Sturz von Gorbatschow

Im August 1991 wurde Michail Gorbatschow nach einem kurzen Putschversuch gegen ihn „gerettet“. Die von ihm geführte Kommunistische Partei war verboten worden, und der von ihm geleitete Staatenbund – die UdSSR – war dabei, sich aufzulösen.

Der Übergang von einer bürokratisch geführten, staatlichen Wirtschaft zu einer wilden und rücksichtslosen Form des Privatkapitalismus gewann an Tempo. Boris Jelzin stand für den offen pro-kapitalistischen Flügel der Bürokratie.

Schon lange vor diesen dramatischen Ereignissen vom 19. bis zum 21. August war es in der gesamten UdSSR zu Unruhen gekommen. Truppen wurden eingesetzt, um schwere Zusammenstöße, manchmal auch bewaffnete Aufstände, niederzuschlagen. So geschah es auch in den baltischen Staaten, in denen es Anfang 1991 zu tödlichen Zusammenstößen auf den Straßen von Vilnius (Litauen) kam, als Gorbatschow Truppen entsandte, um die Situation zu kontrollieren. 

Zu den Soldaten, die in diesen Konflikten eingesetzt wurden, gehörten Veteranen der erfolglosen Besetzung Afghanistans in den 1980er Jahren, die nicht gerne in der Nähe ihrer Heimat gegen Zivilist*innen kämpfen wollten. Sie gehörten zu den Soldaten, die im August 1991 auf den Panzern vor dem Weißen Haus in Moskau, dem Sitz der bereits praktisch unabhängigen russischen Regierung, standen.

Boris Jelzin, der im Juni 1991 zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt wurde, war es, der die „Rettung“ des Präsidenten der UdSSR, Gorbatschow, aus seinem Ferienhaus auf der Krim organisierte, als dieser kurzzeitig gestürzt wurde. Es war Jelzin, der dann die Auflösung der regierenden „kommunistischen“ Partei der Sowjetunion anordnete.

Innerhalb weniger Tage nach diesen dramatischen Ereignissen begannen sich auch andere Republiken von der UdSSR abzulösen. Die Ukraine war die erste, Kasachstan die letzte der insgesamt 15 neuen unabhängigen Staaten, die von lokalen Anführern gegründet wurden. Gorbatschow berief eine Konferenz ein, um es erneut zu versuchen und eine neue Art von lockerer Konföderation zusammenzukratzen, aber es war zu spät.

Der Präsident der UdSSR wurde nicht einmal zu dem entscheidenden Gipfeltreffen in der Nähe von Minsk Anfang Dezember mit den Staats- und Regierungschefs Russlands, der Ukraine und Weißrusslands eingeladen. Das daraus resultierende Belawesha-Abkommen, das am 8. Dezember unterzeichnet wurde, löste die Sowjetunion praktisch auf. An ihre Stelle sollte eine Gemeinschaft Unabhängiger Staaten treten. Das Protokoll von Alma-Ata, das am 21. Dezember von elf Staatsführern in Kasachstan unterzeichnet wurde, bestätigte diese Vereinbarungen.

Die Russische Föderation galt de facto als Nachfolgerin der UdSSR. Sie hatte den nuklearen Knopf in der Hand, und selbst ohne die ehemaligen Teilrepubliken und vor dem Aufstieg des chinesischen Giganten, war sie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Als Chef der 20 Millionen Mitglieder zählenden Kommunistischen Partei der Sowjetunion hatte Gorbatschow stets an dem Ziel festgehalten, den Sozialismus zu verwirklichen. Seine „Glasnost” (Öffnung) und „Perestroika” (Umstrukturierung) hatten es sechs Jahre lang nicht geschafft, dem versteiften Körper der bürokratisch geführten staatlichen Planwirtschaft neues Leben einzuhauchen.

Peter Taaffe erklärte in „Socialism Today“ (Nr. 216, März 2018) in einer Biografie von Gorbatschow, dass dieser letzte Präsident der UdSSR sich selbst als echten Kommunisten und Anhänger Lenins betrachtete. Dennoch war er faktisch „der Türsteher für die kapitalistische Konterrevolution in der ehemaligen Sowjetunion”. Die wirtschaftliche Katastrophe, die darauf und auf den Zusammenbruch der deformierten Arbeiter*innenstaaten in Osteuropa folgte, war, wie Taaffe betont, „größer als der kapitalistische Zusammenbruch und die Depression der 1930er Jahre”. 

Die Gründung der UdSSR 

Die Anführer*innen der bolschewistischen Revolution vom Oktober 1917 hatten sich zum Ziel gesetzt, das riesige Gebiet des ehemaligen Romanow-Reiches auf der Grundlage von Staatseigentum an Industrie und Land und demokratischer Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung zu entwickeln. 

Es folgte ein grausamer Bürgerkrieg gegen konterrevolutionäre „Weiße”. Der Bürgerkrieg wurde durch imperialistische Interventionen unterstützt. Die neue Regierung versprach jedoch in einer ihrer ersten Ankündigungen, dass sie „das Recht aller Völker Russlands auf Selbstbestimmung” garantieren werde.

Von der Ostsee bis zum Pazifik hatten die Zaren durch die brutale Unterdrückung von Völkern und Nationalitäten, die im Laufe der Jahrhunderte erobert worden waren und weit über hundert verschiedene Sprachen besaßen, ein „Völkergefängnis” errichtet, wie Lenin es ausdrückte. Die Bolschewiki, jetzt die regierende kommunistische Partei, hielten an dem Grundsatz fest, dass alle Nationen das Recht auf Selbstbestimmung und Abspaltung haben, wenn sie dies wünschen, und dass die Rechte aller Nationalitäten in vollem Umfang geachtet werden müssen. Aber sie vertraten die Überzeugung, dass es vorteilhaft sei, wenn die Völker zusammenbleiben.

Finnland war der einzige Teil des Russischen Reiches, der bei dieser Gelegenheit unabhängig wurde. Der prinzipiellen Haltung Lenins und der Bolschewiki in dieser Frage ist es zu verdanken, dass sich nach der Gründung der UdSSR am 30. Dezember 1922 so viele Nationen, die zuvor unter den Zaren unterdrückt worden waren, in ihr zusammenfanden. Das neue Gebilde sollte zunächst die Russische Sowjetföderation der Sozialistischen Republiken mit der Transkaukasischen, Ukrainischen und Weißrussischen SFSR vereinen. Es folgten Abspaltungen und Unterabspaltungen.

Anfänglich gab es sowohl in Georgien als auch in der Ukraine Widerstand gegen die Beteiligung an der UdSSR als vollwertige Sowjetrepubliken. Niall Mulholland erklärt in einem Kapitel über die nationale Frage in dem kürzlich erschienenen Buch des CWI über Trotzkis Ideen: In beiden Ländern hatten die Menschewiki eine Unterstützungsbasis und forderten heuchlerisch die „Selbstbestimmung”, um die Revolution zum Scheitern zu bringen und sich der Forderung der Arbeiter*innen und Bäuerinnen und Bauern nach vollständiger „Sowjetisierung” zu widersetzen. Teile der Arbeiter*innenschaft forderten ein Eingreifen der „Roten Armee”. Schließlich schlossen sich sowohl die Ukraine als auch Georgien dem Rest der neu befreiten Nationen an und bildeten eine einheitliche Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.

Die Entwicklung einer sozialistischen Planwirtschaft, in einem riesigen Gebiet wie der UdSSR, wurde durch das Scheitern der Revolutionen in den entwickelteren kapitalistischen Ländern, die die Entwicklung der Wirtschaft auf der Grundlage einer demokratischen Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung gefördert haben, stark behindert. Nach Lenins Tod legte Stalin mit seiner Losung vom Aufbau des „Sozialismus in einem Land” den Grundstein für die politische Konterrevolution, die Machtübernahme durch eine privilegierte Parteibürokratie und die rücksichtslose Verfolgung jeder Opposition.

Eine Folge der Isolation der Revolution waren Katastrophen wie die Hungersnot von 1921 – 1922, bei der mindestens fünf Millionen Menschen starben. Dies war der Grund für die von Lenin und Trotzki als vorübergehende Kompromisse anerkannten Maßnahmen, darunter die Neue Ökonomische Politik mit Elementen des privaten „Unternehmertums”, insbesondere in der Landwirtschaft.

Im Rahmen des ersten Fünfjahresplans verabschiedete Stalin 1928 ein Industrialisierungsprogramm, welches mit der grausamen Politik der Zwangskollektivierung einherging. Dies führte zu mehreren Millionen Toten auf dem Lande. Während der anhaltenden Schreckensherrschaft in den 1930er Jahren starben weitere Millionen in Stalins Gefangenenlagern oder Hinrichtungskammern, wobei die Massenverhaftungen weit über Trotzki und andere Oppositionelle hinausgingen. Zwischen 1937 und 1938 wurden nicht weniger als anderthalb Millionen Menschen verhaftet. Pro Tag wurden bis zu tausend Hinrichtungen vollstreckt.

Stalins Angst vor Opposition und jeglicher demokratischer Kontrolle grenzte an Paranoia, und die Skrupellosigkeit seiner Clique kannte keine Grenzen. Trotz seiner georgischen Herkunft veranlasste ihn dies zu einer der grausamsten Verfolgungen von Nicht-Russ*innen, einschließlich Georgier*innenn, innerhalb der UdSSR. Dies erreichte mit der Massendeportation von Minderheiten wie den Krimtatar*innen, den Ingusch*innen und Tschetschen*innen einen grausamen Höhepunkt. Millionen von Männern, Frauen und Kindern starben entweder auf dem Weg in die grausamen Konzentrationslager in Usbekistan, Kasachstan und anderswo oder in diesen Lagern.

Obwohl als freiwillige Föderation gegründet, wurde die UdSSR unter Stalin zu einem neuen „Gefängnis der Nationen”.

Weltkrieg, Kalter Krieg

Die Abschaffung des Privateigentums und des Profits und die Einführung der staatlichen Planung – wie bürokratisch und inkompetent sie auch sein mochte – hatten dazu geführt, dass die „sowjetische” Wirtschaft viel schneller wuchs als jede andere im kapitalistischen Westen. Die UdSSR war immun gegen die massiven Rückschläge der „großen” kapitalistischen Depression in den 1930er Jahren. Zwischen 1929 und 1935 wuchs ihre Industrieproduktion um 250 % – dreimal schneller als in jedem anderen kapitalistischen Land.

Die Isolierung und Entartung der Revolution unter der Diktatur Stalins hatte jedoch nicht nur dazu geführt, dass die Arbeiter von den Entscheidungsprozessen in der „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken” verdrängt wurden, sondern auch zu einer groben Misswirtschaft durch den riesigen parasitären Apparat. Er hat sich auf dem Rücken des Arbeiter*innenstaates bereichert. Mit der Verknöcherung der Bürokratie sank die Wachstumsrate des degenerierten Arbeiter*innenstaates.

Die massiven und aufwendigen Kriegsanstrengungen unter Stalin wurden dadurch behindert, dass er vor dem Krieg eine umfassende Säuberung der obersten Ränge seines eigenen Militärapparats durchführte, die selbst der Verbrechen gegen den Staat beschuldigt wurden. Im Krieg verlor die Sowjetunion rund 27 Millionen Menschen – fast neun Millionen Soldat*innen und bis zu neunzehn Millionen Zivilist*innen. Ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Sowjetunion wurde entweder getötet oder verwundet.

Stalins Prestige wurde jedoch durch den letztendlichen Sieg im Krieg gestärkt, und die Wirtschaft in der UdSSR begann sich zu erholen. Aber der Mangel an Sauerstoff für die Arbeiter*innendemokratie, wie Trotzki es beschrieb, verlangsamte die Entwicklung erheblich.

Bis 1947 hatte sich das Konzept eines „Kalten Krieges” entwickelt, eines Krieges zwischen den verschiedenen sozialen Systemen – kapitalistischen und nicht-kapitalistischen. Innerhalb zweier Jahre wurde die Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) der „westlichen” Mächte gegründet, aber es gab eine Art „friedliche Koexistenz” zwischen der NATO und der UdSSR.

Die chinesische Revolution von 1949 beseitigte Großgrundbesitz und Kapitalismus und schuf einen weiteren großen Arbeiter*innenstaat. Durch Staatseigentum und Planung wurden enorme Fortschritte erzielt. Aber anders als die UdSSR war sie von Anfang an „deformiert” und nicht aus einem gesunden Arbeiter*innenstaat „degeneriert”. Mao Tse Tung hatte von Anfang an dafür gesorgt, dass die Macht nicht in den Händen von Arbeiter*innenvertretern lag. Dies stellte keine unmittelbare Gefahr für Stalin und seine Clique dar, aber es wurde keine Konföderation zwischen der UdSSR und China gegründet. Die chinesische Bürokratie verfolgte ihre eigenen nationalen Interessen, und 1969 kam es zu einem siebenmonatigen Grenzkrieg.

Drei Jahre nach Stalins Tod im Jahr 1953 enthüllte der UdSSR-Premier Nikita Chruschtschow zumindest einige der abscheulichen Verbrechen des Diktators. Fast sofort brachen in ganz Osteuropa Revolten aus, wo Regierungen nach dem Vorbild des Stalinismus in das Nachkriegsvakuum eingezogen waren.

Einer echten politischen Revolution am nächsten kam der heldenhafte Arbeiter*innenaufstand von 1956 in Ungarn, der von „sowjetischen” Panzern blutig niedergeschlagen wurde. Die Bewegungen in Deutschland und Polen wurden ebenfalls brutal unterdrückt, und 1968 waren „sowjetische” Panzer auf den Straßen einer anderen europäischen Hauptstadt – Prag.

Nach Stalins Tod entwickelte sich auch der chinesisch-sowjetische Konflikt. Mao Tse Tung begann, die Politik der „friedlichen Koexistenz” der UdSSR mit dem Weltkapitalismus anzuprangern und versuchte, Unterstützung aus den Reihen der kommunistischen Parteien auf internationaler Ebene zu gewinnen. Außerdem bezeichnete er die Kontrolle der UdSSR über Osteuropa als eine Form des „Sozialimperialismus” – „sozialistisch in Worten und imperialistisch in Taten” (nicht viel anders als die Politik von Xi Jinping heute!).

In der UdSSR 

Innerhalb der langen Grenzen der UdSSR führte die Verschlechterung der Wachstumsraten zu Unzufriedenheit und Spaltungsdruck. Die einzelnen Teile der UdSSR begannen, nach Wegen zu suchen, um ihre nationale Unabhängigkeit von der Moskauer Herrschaft zu erlangen. Sie waren der Meinung, dies würde ihnen bessere Bedingungen verschaffen.

Während der gesamten Zeit von Stalins Herrschaft und seinen Nachfolgern gab es nur wenige Aufstände gegen das Zentrum, weder von nationalen oder ethnischen Minderheiten noch von den großen Schichten der unzufriedenen Arbeiter*innen. In jedem Fall wurden schwere staatliche Kräfte eingesetzt, um Aufstände brutal zu unterdrücken. Es gab einen „Aufstand” politischer Gefangener in Kengir (Kasachstan) im Jahr 1954. Hunderte Gefangene wurden getötet. Es gab den heldenhaften Arbeiteraufstand in Nowotscherkassk 1962, bei dem „sowjetische” Panzer unbewaffnete Streikende im Namen der Arbeiter*innenklasse niedermähten!

Doch als die wirtschaftliche Entwicklung der „Sowjetunion” ins Stocken geriet, wuchs die Unzufriedenheit. Als Michail Gorbatschow 1985 Sekretär der regierenden Kommunistischen Partei und 1988 Präsident der Sowjetunion wurde, begann die staatliche Wirtschaft zu stagnieren.

Es wurden alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft in Gang zu halten und den herrschenden chronischen Mangel an lebensnotwendigen Gütern zu beseitigen. Die Reformen Gorbatschows wurden mit dem Ziel eingeleitet, eine Revolution von unten zu verhindern. Aber es war ihm nur gelungen, die Arbeiter*innen mit seiner charakteristischen Unentschlossenheit zu irritieren – er hob den Deckel und schloss ihn wieder.

Es war auch klar, dass Gorbatschow die Vorherrschaft der regierenden Kommunistischen Partei nicht abschaffen wollte. Jelzin hatte sich erfolgreich für die Verabschiedung von Artikel 16 der Verfassung eingesetzt, der es anderen Parteien als der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erlaubte, bei Wahlen zu kandidieren. Die Schleusen, die zu einer anderen Gesellschaft führen, wurden geöffnet.

Für die Arbeiter*innen, denen es selbst an den grundlegenden Dingen des Lebens mangelte und die mit Wertmarken für Brot, Wurst und Eier Schlange standen, war das Versprechen eines Lebensstandards wie in Westeuropa und den USA, das von den Befürworter*innen des Übergangs zum Kapitalismus in Aussicht gestellt wurde, attraktiv.

Es wurde keine Stimme für eine andere Art der Planwirtschaft mit Arbeiter*innendemokratie erhoben. Für diejenigen im Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale, die Ende der 1980er Jahre die Länder Osteuropas und der UdSSR besuchten, war es eine Enttäuschung, aber keine große Überraschung, dass die Dinge zu weit gegangen waren.

Die Verlockung der Marktbeziehungen war zu groß. Die Vorstellung, die Produkte ihrer Arbeit auf dem Weltmarkt zu verkaufen und direkt davon zu profitieren, verführte selbst streikende Bergleute und Ingenieure. Sie unterstützten die Marktbefürworter um Yavlinksy, Yegor Gaidar und andere Apostel von Milton Friedman und der „Schocktherapie” – dem schnellstmöglichen „Übergang zum Markt”.

Im August 1991 streikten die Arbeiter*innen instinktiv, als die grünen Triebe der Demokratie von den August-Putschisten angegriffen wurden. Aber es ging ihnen nicht darum, die längst verlorene demokratische Kontrolle und Verwaltung durch Arbeiter*innen wiederherzustellen. Sie waren dagegen, die Uhr in jeder Hinsicht zurückzudrehen. Sie unterstützten Jelzin und seine Kollegen gegen die alte Garde und alles, was diese zu repräsentieren schien und befürworteten eindeutig die Massenprivatisierung. 

Die Arbeiter*innen waren nicht mit der Idee vertraut, dass sie selbst die Kontrolle übernehmen und die Verwaltung durch demokratisch gewählte Vertreter*innen ausüben könnten. Auf diese Weise hätte man der Planwirtschaft wiederbeleben können. Dies hätte jedoch eine politische Revolution gegen die massive, aufgeblähte und bewaffnete bürokratische Kaste bedeutet, die die staatliche Wirtschaft beherrschte.

Die Arbeiter*innen wurden Gorbatschows Unentschlossenheit überdrüssig. Sie sahen in Jelzin den Vertreter einer neuen Gesellschaft, in der die Arbeiter*innen selbst die Früchte ihrer Arbeit ernten konnten und nicht die in Milch und Honig lebenden Bürokraten auf nationaler und lokaler Ebene.

Nur wenige setzten sich damals für eine echte Arbeiter*innendemokratie ein. Während des Putschversuchs im August 1991 waren wir nur eine Handvoll Menschen auf den Barrikaden in Moskau und Leningrad. Wir hatten kein Papier und keine Tinte, um Flugblätter zu produzieren, und schon gar nicht, um eine Zeitung zu drucken, in der vor den Folgen des Kapitalismus gewarnt und für die Arbeiter*innendemokratie plädiert wurde. Die „Sowjetunion”, in die sich die CWI-Mitglieder begeben hatten, begann vor ihren Augen zu zerbröckeln.

Wirtschaftliche Katastrophe

Die Illusionen, dass die Privatisierung und die damit einhergehende Verteilung von Aktien an alle Arbeitnehmer*innen die Situation der Warteschlangen und des Mangels verändern würde, zerschlugen sich schnell. Allein in den folgenden drei Jahren sank das BIP Russlands um fast 50 %. Die Inflation erreichte 1992 über 2.000 %.

In der Enzyklopädie „Britannica.com“ heißt es: „Für viele Russen schien es, als sei ein Banditenkapitalismus entstanden. Die Mehrheit der Bevölkerung musste mit ansehen, wie ihr Lebensstandard sank, die Sozialleistungen zusammenbrachen und Kriminalität und Korruption stark zunahmen. Infolgedessen begann Jelzins Popularität zu sinken”.  

Zwei weitere Autoren, J.K. Sundaram und V. Popov, zitiert in „Interpress Service“ (IPS) news, Juni 2017, sagen: „In einigen ehemaligen Sowjetstaaten, die in militärische Konflikte verwickelt sind, wie Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Russland und Tadschikistan, lag das BIP im Jahr 2000 bei 30-50 % des Niveaus vor dem Übergang. Selbst ohne militärische Konflikte ist das BIP der Ukraine um fast zwei Drittel gesunken.

„Die gewaltigen Einbrüche bei Produktion, Lebensstandard und Lebenserwartung in der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren, die ohne Krieg, Epidemie oder Naturkatastrophe erfolgten, waren beispiellos. Während der Großen Depression sank das BIP in den westlichen Ländern zwischen 1929 und 1933 im Durchschnitt um etwa 30 %, erholte sich dann aber bis Ende der 1930er Jahre wieder auf das Niveau vor der Rezession“.

Selbst die wohlhabenderen baltischen Staaten erlebten zunächst einen katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang. „Alle drei schafften es, ihre Inflation 1992 auf etwa 1.000 Prozent zu begrenzen, aber ihre Produktion befand sich im freien Fall… Die baltischen Länder kehrten erst 1995 zum Wirtschaftswachstum zurück”, schrieb Anders Aslund, Autor von „Russia’s Crony Capitalism: Der Weg von der Marktwirtschaft zur Kleptokratie“.

Die Planwirtschaft brach zusammen, und der Kapitalismus wurde wieder eingeführt – und zwar in brutaler Weise, was eine tödliche individuelle und nationale Rivalität mit sich brachte. Es herrschten eher zentrifugale als vereinigende Kräfte. 

Ende 

Ein 2014 erschienenes Buch des in den USA lebenden ukrainischen Wissenschaftlers Serhii Plokhy schildert anschaulich und detailliert das Drama, das sich in den Monaten vor Gorbatschows Rede am 25. Dezember 1991 abspielte. Sein Buch trägt allerdings den Titel „Das letzte Imperium”. Da er selbst Ukrainer ist, betrauert er natürlich den (späteren) Verlust der spektakulär schönen Krim an die Russische Föderation. Aber was ist seine Lösung als kapitalistischer Intellektueller für die konkurrierenden Forderungen der verschiedenen Nationen und die Rechte nationaler Minderheiten?

Die UdSSR selbst war kein „Imperium”. Die Beziehungen zwischen dem Zentrum und den Teilrepubliken waren ausbeuterisch, aber nicht für private Unternehmen oder Einzelpersonen. Was an die Stelle der UdSSR trat, sollte ein „Commonwealth” von Staaten sein, aber es war ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen auf der Grundlage des privaten und öffentlichen Wettbewerbs um Reichtum und Macht. 

Der jetzige russische Präsident, Wladimir Putin, ist ein direkter Nachfolger des gefallenen Idols Boris Jelzin, der im Oktober 1993 Panzer und Soldaten gegen sein eigenes Parlament in Stellung brachte. Die brutalen Militäraktionen Jelzins gegen Tschetschenien haben ein Erbe der Unzufriedenheit und eine ständige Bedrohung für die Einheit der Russischen Föderation als Ganzes hinterlassen.

Keine der ehemaligen Republiken der UdSSR war in der Lage, stabile, kapitalistische Demokratien zu errichten. Nursultan Nasarbajew in Kasachstan hält bis heute die gleiche Art von Diktatur aufrecht wie in der UdSSR. Viktor Lukaschenko wurde 1994 Präsident des unabhängigen Weißrusslands, das weiterhin enge Beziehungen zu Russland unterhält. Seit seiner klaren Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2020 hat Lukaschenko jede Opposition auf der Straße und in den Betrieben brutal unterdrückt.

Er sucht ständig nach Unterstützung aus Moskau, sogar wenn er unglückliche Flüchtlinge nach Polen treibt. Russlands eigener Diktator, Wladimir Putin, ist nicht abgeneigt, verschiedene repressive Regierungen, die Russlands „nahes Ausland” bilden, zu unterstützen.

In der Ukraine dauert ein nicht erklärter und nicht beendeter Krieg an. Putin droht regelmäßig mit Militäraktionen zur Verteidigung ethnischer Russ*innen gegen die Streitkräfte des ukrainischen Staates. In Kiew regiert der ehemalige Komiker Wolodomyr Zelenskij eindeutig im Namen der Oligarchen des Landes und sucht nach offener Unterstützung durch die EU und die NATO.

Armenien und Aserbaidschan erlangten beide durch die Belaweschskaja-Vereinbarungen ihre Unabhängigkeit, doch der blutige Streit um Berg-Karabach blieb ungelöst. Der bewaffnete Konflikt brach 1994 und erneut 2020 aus, wobei tausende Menschen getötet und entwurzelt wurden. Eine russische Friedenstruppe ist im Einsatz.

Aussichten

Russland ist auch heute noch das flächenmäßig größte Land der Welt und erstreckt sich von der Ostsee bis zum Japanischen Meer. Es hat drei Viertel des Territoriums der alten UdSSR und eine Bevölkerung von rund 150 Millionen Menschen. Es hat ein gewaltiges Erbe an wissenschaftlichen und industriellen Errungenschaften aus der Ära des Staatseigentums und der Planung geerbt. Sie wurden zur Melkkuh der Oligarchen mit ihren Palästen am Schwarzen Meer und Luxusresidenzen in London und anderen europäischen Spielwiesen der Reichen. 

Das Verständnis der Prozesse, die in der UdSSR stattfanden – ihre Geburt, ihr Leben und ihr Tod – ist eine wichtige Vorbereitung der neuen Generationen auf künftige Massenkämpfe, die in der kommenden Zeit unweigerlich ausbrechen werden.

Der Kapitalismus ist ein verrottetes System und kann nicht verhindern, dass sich die Erderwärmung zu einer Katastrophe entwickelt. Man kann nicht Kapitalismus haben, ohne die Planung zur Rettung des Planeten stark zu erschweren. Man kann auch keinen Kapitalismus haben, ohne dass ein extremer Wettbewerb zwischen den Nationen um Rohstoffe und Märkte herrscht. Ihn zu beenden und durch den Sozialismus zu ersetzen, ist so wichtig wie eh und je.

Ein Sieg des Kampfes der Arbeiter*innen für den Sozialismus in einem beliebigen Land würde es heute sehr viel leichter machen, den Kampf international zu verbreiten und die schrecklichen Verzerrungen der sozialistischen Ideen durch den Stalinismus zu verhindern. In den vergangenen 30 Jahren seit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde keines der großen Probleme, die sich aus dem Kapitalismus ergeben – Krieg, Hunger, Diktatur und Krankheit – überwunden.

Innerhalb der nächsten 30 Jahre werden folgenschwere Klassenkämpfe und Revolutionen ganze Nationen erfassen. Unter den völlig veränderten Bedingungen von mehr als einem Jahrhundert seit der russischen Revolution wird sich die Errichtung einer wirklich demokratischen Arbeiter*innenregierung in einem Land tatsächlich wie ein Lauffeuer über den Globus ausbreiten. 

Der Aufbau einer weltweiten Konföderation sozialistischer Staaten auf der Grundlage demokratisch kontrollierter, geplanter Volkswirtschaften wird durchaus möglich sein. Krieg, Not, Ausbeutung und Diktatur werden endlich auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt werden.

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