Trotzki und die revolutionäre Partei

Über die historische und aktuelle Bedeutung der revolutionären Partei

Im Vorwort zu seinem Meisterwerk “Geschichte der Russischen Revolution” fasste Leo Trotzki Revolutionen als “die direkte Einmischung der Massen in die historischen Ereignisse” zusammen. Er erklärte, wie “die alte Ordnung den Massen unerträglich wird, durchbrechen diese die Barrieren, die sie vom politischen Schauplatz trennen, überrennen ihre traditionellen Vertreter*innen und schaffen durch ihre Einmischung die Ausgangsposition für ein neues Regime.” Trotzki erklärte die entscheidende Rolle der revolutionären Partei in diesem Prozess damit, dass sie “wenn auch kein selbständiges, so doch ein sehr wichtiges Element des Prozesses”, sei. “Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf.”

Von Hannah Sell

In dieser Passage korrigierte Trotzki (wie später Lenin selbst) die einseitige Formulierung, die Lenin 1901 in seiner berühmten Broschüre “Was tun?” verwendete. Darin wurde argumentiert, dass der Sozialismus zunächst nur von außen, von der revolutionären Intelligenz, in die Arbeiter*innenklasse gebracht werden kann. Die bolschewistische Partei war für den Erfolg der Russischen Revolution von 1917 unerlässlich, dem bisher größten Ereignis in der Geschichte der Menschheit, da die Arbeiter*innenklasse zum ersten Mal den Kapitalismus erfolgreich stürzte. Die bolschewistische Partei “lieferte” der Arbeiter*innenklasse jedoch nicht einfach ein korrektes Programm, sondern entwickelte ihr Programm, während sie an den Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten teilnahm und von ihnen lernte. Die Sowjets (Räte) entstanden im lebendigen Kampf der Revolution von 1905. Diese demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtigen Komitees der Arbeiter*innen und Soldat*innen wurden nicht von den Bolschewiki erfunden. Sie wurden spontan während der Revolution geschaffen, um den Kampf zu organisieren und um später zu den Organen zu werden, durch die eine neue Gesellschaft aufgebaut werden konnte.

Auch ohne die Existenz einer revolutionären Partei wird die Arbeiter*innenklasse aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen beginnen, sozialistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Arbeiter*innenklasse besteht jedoch aus vielen verschiedenen Schichten mit unterschiedlichen Sichtweisen – öffentlicher und privater Sektor, alte und junge Arbeiter*innen, qualifizierte und unqualifizierte, besonders unterdrückte Gruppen und so weiter. Die Kapitalistenklasse hat sich jahrhundertelang an der Macht gehalten, indem sie diese Spaltungen forciert hat. Eine revolutionäre Partei und ihr Programm sind darauf ausgerichtet, diese Spaltungen zu überwinden. Sie zielt darauf ab, die Arbeiter*innenklasse für gemeinsame Ziele zu vereinen: den Kampf gegen den Kapitalismus, seinen letztendlichen Sturz und seine Ersetzung durch eine sozialistische Gesellschaft.

Im Gegensatz zu den Verleumdungen der Stalinist*innen verstand Trotzki die Notwendigkeit einer solchen Partei voll und ganz. Wie er in seiner Broschüre “Die Lehren des Oktobers” erklärte, wurde dies im Positiven durch die Russische Revolution und im Negativen durch die revolutionäre Welle bestätigt, die im Anschluss daran über Europa hinweg fegte, aber in Ermangelung erfahrener Parteien vom bolschewistischen Typ den Kapitalismus nicht zu stürzen vermochte.

Trotzki fasste zusammen: “Durch einen elementaren Aufstand kann das Proletariat die Macht nicht erobern; selbst in dem hochkulturellen und industriellen Deutschland hat der elementare Aufstand vom November 1918 nur zur Folge gehabt, dass die Macht in die Hände der Bourgeoisie gelangte. Eine besitzende Klasse ist imstande, die Macht, die einer anderen besitzenden Klasse entrissen wurde, zu erobern, indem sie sich auf ihren Reichtum, ihre ‘Kultur’, ihre unzähligen Verbindungen mit dem alten Staatsapparat stützt. Dem Proletariat jedoch kann seine Partei durch nichts ersetzt werden.”

Lenins Schlüsselrolle

Natürlich war es nicht Trotzki, sondern Lenin, der in den Jahren vor 1917 die zentrale Rolle bei der Gründung und der Festigung einer solchen Partei, der Bolschewiki, gespielt hatte – wie Trotzki voll und ganz anerkannte -, die den Rahmen für den Aufbau einer Massenpartei im Verlauf der Revolution schuf und in der Lage war, den Kampf um die Macht anzuführen. Trotzki hatte sich zuvor von Lenin während der Spaltung im Jahre 1903 getrennt, die sich, von allen Seiten unerwartet, auf dem zweiten Kongress der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei (RSDLP) entwickelte. Die Spaltung in zwei Fraktionen – die “harten” Bolschewiki (die Mehrheit) und die “weichen” Menschewiki (die Minderheit) – schien sich an Hand von sekundären Organisationsfragen zu entwickeln, drückte aber unter der Oberfläche grundlegende Unterschiede aus.

Trotzki, der sich selbst als Lenin nahe stehend betrachtete, stellte fest, dass er in Opposition zu Lenin geriet. Wie Trotzki in seiner Autobiographie “Mein Leben” erklärte, schien die Meinungsverschiedenheit über ‘persönliche’ oder ‘moralische’ Fragen zu bestehen, aber im Grunde genommen hatte “das Auseinandergehen einen politischen Charakter, der nur auf organisatorischem Gebiet nach außen durchbrach. Ich zählte mich zu den Zentralist*innen. Aber es ist außer Zweifel, dass ich mir in jener Periode keine klare Rechenschaft darüber abzugeben vermochte, welch strenger und gebieterischer Zentralismus für eine revolutionäre Partei erforderlich sein würde, um eine Millionenmasse in den Kampf gegen die alte Gesellschaft zu führen.”

Eine revolutionäre Partei basiert auf den Methoden des demokratischen Zentralismus. Dieser Begriff und insbesondere die Notwendigkeit dessen, was Trotzki als “gebieterischen Zentralismus” bezeichnete, ist durch die endlosen Versuche der Kapitalisten beschmutzt worden, ihn fälschlicherweise mit den brutalen stalinistischen Diktaturen in Verbindung zu bringen, die sich in der Sowjetunion und später in weiten Teilen Osteuropas entwickelten. Die Tatsache, dass Stalin nur in der Lage war, die Macht über die ermordeten Leichen der “alten Bolschewiki”, die die Revolution angeführt hatten, zu festigen, wird bequemerweise ignoriert.

Die auf demokratischem Zentralismus beruhende bolschewistische Partei hatte nichts mit dem Stalinismus gemein. Die Bolschewiki waren die demokratischste Massenpartei der Geschichte. Wie Trotzki häufig sagte, muss eine revolutionäre Partei je nach den Umständen ein flexibles ‘bewegliches Gleichgewicht’ zwischen ‘Demokratie’ und ‘Zentralismus’ haben. Bei der Arbeit im Untergrund unter der zaristischen Diktatur wurde notwendigerweise die zentralistische Seite betont. Während der Revolution gelang es der Arbeiter*innenklasse jedoch, in die bolschewistische Partei zu strömen. In ihrem massendemokratischen Charakter fand sie eine Partei, die in der Lage war, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Der von Trotzki beschriebene gebieterische Zentralismus ist das Gegenteil der Bürokratie und des Mangels an Demokratie der kapitalistischen Parteien. Der Ausgangspunkt für eine revolutionäre Partei ist politisch: ein korrektes Programm, um das herum die Arbeiter*innenklasse in einem Kampf zum Sturz des Kapitalismus und zum Beginn des Aufbaus einer neuen sozialistischen Gesellschaft vereint werden kann. Von Arbeiter*innen im Kampf wird das Grundkonzept des demokratischen Zentralismus organisch verstanden. Maximale Debatte und Diskussion, aber – sobald eine Entscheidung getroffen ist – Einheit in der Aktion. Jeder Streik enthält in diesem Sinne ein Element des demokratischen Zentralismus.

Lenin hatte jedoch jahrzehntelang die Vorarbeit geleistet, indem er für den Aufbau der bolschewistischen Partei kämpfte. Die Autorität der Bolschewiki beruhte auf ihrer Arbeit in der vorangegangenen Periode. Sie hatten die von Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest (1848) beschriebene Rolle gespielt, für die “Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiter*innenklasse”, zu kämpfen “aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.” Die Bolschewiki waren die härtesten Kämpfer*innen für die unmittelbaren Ziele der Arbeiter*innenklasse. Folglich hatten sie 1912, als der endgültige Bruch mit den Menschewiki vollzogen wurde – obwohl in einigen Gegenden bis zur Revolution von 1917 gemeinsame Aktivitäten stattfanden – die Unterstützung von vier Fünfteln der organisierten Arbeiter*innenklasse.

Die Bestätigung von 1917

Die Bolschewiki waren natürlich nicht irgendeine ahistorische, abstrakt “perfekte” Partei. Im Gegenteil, ohne die Rückkehr Lenins nach Russland im April 1917 wäre ihre Führung nicht mehr als der linke Flügel der Menschewiki geworden. Wie Trotzki es in seinem unvollendeten Artikel “Klasse, Partei und Führung” formulierte: “Die Ankunft Lenins in Petrograd am 3. April 1917 brachte die rechtzeitige Wendung der Bolschewistischen Partei und befähigte sie, die Revolution zum Siege zu führen. Unsere Weisen mögen behaupten, dass, wäre Lenin Anfang 1917 im Ausland gestorben, die Oktoberrevolution ‘genauso’ stattgefunden hätte. Dem ist aber nicht so. Lenin repräsentierte eines der lebendigen Elemente des historischen Prozesses. Er verkörperte die Erfahrung und die Einsicht des aktivsten Teils des Proletariats. Sein zeitiges Erscheinen in der Arena der Revolution war notwendig, um die Avantgarde zu mobilisieren und ihr eine günstige Gelegenheit zu verschaffen, die Arbeiter*innenklasse und die Bäuer*innennschaft um sich zu sammeln. In den entscheidenden Momenten historischer Wendungen kann die politische Führung ein genauso entscheidender Faktor werden wie das Oberkommando in den kritischen Momenten eines Krieges. Geschichte ist kein automatischer Prozess. Warum sonst Führer*innen? Warum Parteien? Warum Programme? Warum theoretische Auseinandersetzungen?”

Trotzki argumentierte hier nicht, dass Lenin als Individuum ohne die Existenz der Bolschewiki ausreichend gewesen wäre. Im Gegenteil, er erklärte im selben Artikel, dass “Damit Lenins Parolen ihren Weg zu den Massen finden konnten, mussten Kader [erfahrene Parteiaktivist*innen mit Wurzeln in der Arbeiter*innenklasse, A.d.A.] existieren, selbst wenn es anfangs nur wenige waren; die Kader mussten Vertrauen in die Führung haben, ein Vertrauen, das auf der gesamten Erfahrung der Vergangenheit basierte. Diese Elemente aus seinen Berechnungen auszuklammern, bedeutet einfach, die lebendige Revolution zu ignorieren.”

Die Erfahrung der Welle gescheiterter Revolutionen in der Folge von 1917 – die den neuen und zerbrechlichen Arbeiter*innenstaat isoliert zurück ließen – machte immer wieder die lebenswichtige Notwendigkeit von Parteien des “bolschewistischen Typus” deutlich.

Die Schriften Trotzkis und Lenins, die darauf abzielen, die junge Kommunistische Internationale politisch zu bewaffnen, sind enorm reich für eine neue Generation, die sich heute dem Kampf für den Sozialismus anschließt. Alle Lehren der vergangenen Jahrzehnte wurden zusammengefasst. Während einige Aspekte einzelner Artikel nur noch von historischem Interesse sein mögen, ist die überwältigende Mehrheit voll von lebenswichtigen Lehren. Das bedeutet nicht, dass es ausreicht, Lenin oder Trotzki zu zitieren, aus dem Kontext herausgerissen, in dem sie geschrieben haben, um in einer bestimmten Situation “richtig” zu liegen. Die Aufgabe des Aufbaus einer revolutionären Partei ist komplex und vielschichtig. Um die Grundlagen der Herangehensweise Trotzkis und Lenins zu erfassen, muss man vor allem ihre Methode verstehen und verinnerlichen und sie auf die heutige Situation anwenden.

In der unmittelbaren Zeit nach 1917 hoffte man, dass andere Länder der Führung der russischen Massen rasch folgen würden. So formulierte es Trotzki in seiner Bilanz des dritten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (1921): “Im kritischsten Jahr für die Bourgeoisie, dem Jahr 1919, hätte das Proletariat Europas zweifellos die Staatsmacht mit minimalen Opfern erobern können, wenn an seiner Spitze eine echte revolutionäre Organisation gestanden hätte, die klare Ziele formuliert und diese fähig verfolgt hätte, d.h. eine starke Kommunistische Partei. Aber es gab keine.” Dies, erklärt Trotzki, ermöglichte es der Kapitalist*innenklasse, eine Atempause zu gewinnen und die Situation zu stabilisieren, indem sie sich der Parteien und Gewerkschaften der sozialdemokratischen Parteien (der Zweiten Internationale) bediente, deren Führer*innen “ihre bewussten und instinktiven Bemühungen im Wesentlichen auf die Erhaltung der kapitalistischen Gesellschaft ausrichteten.”

Daher wurden längerfristige Aufgaben gestellt, nämlich der Aufbau kommunistischer Massenparteien mit Wurzeln und Autorität in der Arbeiter*innenklasse, die in der Lage sind, den Kampf um die Macht zu führen. Taktiken wie die “Einheitsfront” waren wesentlich, wo es durch den gemeinsamen Kampf möglich sein würde, den Millionen, die noch auf die sozialdemokratischen Massenparteien schauten, die Überlegenheit der kommunistischen Parteien in der Praxis zu demonstrieren. Im Kampf, den unerfahrenen kommunistischen Parteien zu helfen, mussten Lenin und Trotzki gegen die Gefahren sowohl der ultralinken Ungeduld als auch des Opportunismus ankämpfen.

Doppelte Gefahr

Diese beiden Gefahren bestehen auch heute noch. Im Jahr 2019 wurde das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) durch einen schweren politischen Streit erschüttert, der zu zwei Spaltungen führte. Wir standen zwei Gruppierungen gegenüber. Die eine bewegte sich nach rechts in Richtung politischer Opportunismus (jetzt die ISA) und war während des Streits als “Nicht-Fraktion-Fraktion” (NFF) bekannt, weil sie eine klar organisierte Opposition war, dies aber nicht ehrlich und offen sagte. Die andere Gruppierung ging in eine sektiererische ultralinke Richtung.

Viele Dokumente wurden geschrieben, die den opportunistischen Zusammenbruch von Teilen des damaligen CWI aufgriffen. Sie behaupten immer noch, dem Trotzkismus anzuhängen, in der Praxis passten sie sich jedoch dem bestehenden Bewusstsein der ‘radikalen’ Mittelklasse an und bewegten sich davon weg, sich im Kampf für den Sozialismus auf die zentrale Stellung der Arbeiter*innenklasse zu stützen.

Die Spaltung in eine sektiererische Richtung, in deren Mittelpunkt Izquierda Revolucionaria (IR) im spanischen Staat stand, die sich 2017 – nur kurz, wie sich herausstellte – mit dem CWI vereinigt hatte, wurde während der Debatte ebenfalls beantwortet. Es lohnt sich jedoch, einiges von dem aufzugreifen, was IR in ihrer Bilanz der Debatte, “Für eine proletarische Internationale, in Verteidigung des Marxismus”, die nach dem Ausscheiden von IR aus dem CWI verfasst wurde, festgehalten hat. Dies ist eine nützliche Illustration eines ultralinken Missverständnisses von Trotzkis Ansatz gegenüber der revolutionären Partei. Dieser Fehler wird nicht nur von IR begangen, sondern auch von einigen anderen Organisationen, die dem “Trotzkismus” der morenistischen Strömungen in Lateinamerika anhängen. IR versucht, insbesondere Trotzkis Artikel “Klasse, Partei und Führung” zu nutzen, um ihren falschen Ansatz zu rechtfertigen.

Ihr Dokument argumentiert auf einer falschen Grundlage und suggeriert fälschlicherweise, dass das Internationale Sekretariat (IS) des CWI glaubt, dass “das Fehlen eines ‘sozialistischen Bewusstseins’ oder die Rückständigkeit des Bewusstseins der Massen der vorherrschende Charakter in der Situation” ist. Es stellt unsere angebliche Herangehensweise in Kontrast zu ihrer eigenen. Zum Beispiel schreibt IR über die revolutionäre Welle 2011, den ‘arabischen Frühling’: “Was war der Schlüsselfaktor für das Scheitern dieser Bewegungen? War es das ‘Fehlen eines sozialistischen Bewusstseins unter den Massen’, wie das IS und die NFF behaupten, oder war es der Verrat der stalinistischen, reformistischen und nationalistischen Führungen, die diese Prozesse anführten, und das Fehlen einer fähigen revolutionären Partei mit einer Strategie zur Machtübernahme?” Weiter: “Es ist erstaunlich, dass eine Führung, die sich selbst ‘trotzkistisch’ nennt, den kämpfenden Massen die Schuld für die Öffnung des Weges zur Konterrevolution gibt, weil sie ‘keine Traditionen’ oder einen ‘niedrigen Bewusstseinsstand’ haben. Anstatt die Rolle der verschiedenen politischen Akteure zu hinterfragen, wiederholen sie die beschämenden Anschuldigungen, die die Reformist*innen gegen die Arbeiter*innen und ihre Verbündeten wegen des Mangels an Ergebnissen erheben.”

Das ist Unsinn. Das CWI hat niemals “den Massen” die Schuld gegeben. Im Gegenteil, unser Markenzeichen ist unser Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiter*innenklasse, die Gesellschaft zu verändern. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kampf für eine erfolgreiche Umgestaltung der Gesellschaft einfach auf “das Fehlen einer fähigen revolutionären Partei mit einer Strategie zur Übernahme der Macht” reduziert werden kann. Die Existenz einer solchen Partei ist ein wesentlicher Faktor, weshalb wir uns dem Streben widmen, eine solche Partei oder zumindest den Kern einer solchen Partei aufzubauen. Lenin und Trotzki verstanden jedoch, dass eine Partei nicht separat und ohne Bezug zum lebendigen Kampf, einschließlich des Kräfteverhältnisses der Klassen und des Bewusstseins der verschiedenen Teile der Arbeiter*innenklasse, existiert.

Die Bolschewiki hätten im Februar 1917 keinen erfolgreichen Kampf um die Macht führen können, gerade wegen des Bewusstseins der Arbeiter*innenklasse zu diesem Zeitpunkt. Dies zu sagen, heißt nicht, die Arbeiter*innenklasse sei ‘schuld’. Eine genaue Einschätzung des Stadiums des Klassenkampfes – wobei der erste Monat der Schwangerschaft nicht mit dem neunten verwechselt werden darf – ist für jede ernsthafte revolutionäre Partei unerlässlich. Trotzki zitiert in “Geschichte der Russischen Revolution” Lenin im April 1917: “Wir sind keine Scharlatane. Wir müssen uns nur auf das Bewusstsein der Massen stützen. Und wenn wir sogar gezwungen sein sollten, in der Minderheit zu bleiben – sei’s drum. Es lohnt sich, für eine Zeit auf die führende Stellung zu verzichten, man darf sich nicht davor fürchten, in der Minderheit zu bleiben.”

Weiter: “Die gegenwärtige Regierung, das ist der Sowjet der Arbeiter*innendeputierten … Im Sowjet ist unsere Partei in der Minderheit … Nichts zu machen! Es bleibt uns nur das Irrige ihrer Taktik nachzuweisen, geduldig, beharrlich, systematisch. Solange wir in der Minderheit sind, leisten wir die Arbeit der Kritik, um die Massen vor Betrug zu bewahren. Wir wollen nicht, dass die Massen uns aufs Wort glauben. Wir sind keine Scharlatane. Wir wollen, dass die Massen durch Erfahrung sich von ihren Irrtümern befreien.”

Lenins Ansatz bestand natürlich nicht – wie uns IR vorwirft – darin, passiv auf die Entwicklung eines abstrakten “sozialistischen Bewusstseins” zu warten, sondern in jeder Phase Forderungen zu stellen, die mit dem bestehenden Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse zusammenhingen und sie dann auf die Notwendigkeit der Machtergreifung hinwiesen. Wie Lenin voraussagte, veränderte die eigene Erfahrung der Massen in Verbindung mit der Intervention der bolschewistischen Partei – und, noch vor seinem formalen Beitritt zur Partei, Trotzki, der mit den Bolschewiki zusammenarbeitete – ihr politisches ‘Bewusstsein’. Nur auf dieser Grundlage war es der Arbeiter*innenklasse möglich, im Oktober 1917 mit den Bolschewiki an der Spitze erfolgreich mit dem Kapitalismus zu brechen.

Das war während einer Revolution, bei der die Arbeiter*innenklasse und die armen Massen auf die Bühne der Geschichte getreten waren. Das Gemetzel des Ersten Weltkriegs und die Schwäche des russischen Kapitalismus hatten den Prozess beschleunigt. Im Allgemeinen werden sich revolutionäre Perioden in wirtschaftlich fortgeschritteneren kapitalistischen Ländern über einen längeren Zeitraum entwickeln. Und es gibt natürlich viele Perioden, die nicht revolutionär sind, darunter auch einige, die reaktionär sind, nachdem die Arbeiter*innenklasse Niederlagen erlitten hat. Während dieser Perioden ist es für die revolutionäre Minderheit nicht möglich, einen wirksamen Einfluss auf die Haltung breiterer Schichten der Arbeiter*innenklasse auszuüben. Nichtsdestotrotz muss sie dafür kämpfen, ihre Kräfte für die nächste Phase des Kampfes bereit zu halten. Dies war zum Beispiel in den Jahren nach der Niederlage der russischen Revolution von 1905 der Fall.

Konsequenzen aus 2008

Ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Antwort auf IR muss daher die Einschätzung der heutigen Situation sein. Das CWI hat auf die Krise des Kapitalismus hingewiesen, die schon vor dem gegenwärtigen Abschwung und der damit einhergehenden Massenarbeitslosigkeit zunehmend Verarmung und Instabilität für die Mehrheit bedeutete. Im Gefolge der Wirtschaftskrise von 2008 sahen wir voraus, dass sich Massenbewegungen und Revolutionen entwickeln würden. Dies geschah in unzähligen Ländern weltweit, einschließlich der Revolutionen im Nahen Osten und in Nordafrika. Wir verstanden, wie die Schwäche des kapitalistischen Systems zu Fortschritten im Verständnis der Arbeiter*innenklasse in vielen Ländern der Welt führen würde. Dies hat sich bestätigt und spiegelt sich in der enthusiastischen Unterstützung wider, die sich für linke Parteien wie Podemos in Spanien und linke Persönlichkeiten wie Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien entwickelte.

Die Rückschläge der vergangenen Periode sind jedoch noch nicht ganz überwunden. Der Zusammenbruch des Stalinismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion und in Osteuropa war international eine Niederlage für die Arbeiter*innenklasse. Die alten stalinistischen Regime hatten keine Ähnlichkeit mit dem echten Sozialismus. Nichtsdestotrotz basierten sie auf einer stark verzerrten Form der Planwirtschaft, und ihre Implosion ermöglichte eine weltweite kapitalistische Offensive gegen die Arbeiter*innenklasse. Unter den Auswirkungen dieser Entwicklung wurde allgemein akzeptiert, dass der kapitalistische Markt die einzig gangbare Alternative sei, wobei öffentliches Eigentum und sozialistische Planung weitgehend diskreditiert waren.

Traditionelle Arbeiter*innenparteien wurden weitgehend in offen kapitalistische Parteien umgewandelt, wobei ihre Führer*innen nicht einmal mehr Lippenbekenntnisse zum Sozialismus abgaben. Das Niveau der unabhängigen Organisation der Arbeiter*innenklasse, einschließlich der gewerkschaftlichen Organisation, wurde zurückgedrängt. Die objektive Stärke der Arbeiter*innenklasse mit ihrem Potenzial, die Gesellschaft zu verändern, ist jedoch im Wesentlichen intakt geblieben. Gleichzeitig hat der Kapitalismus, weit entfernt von dem Versprechen, Wohlstand und Stabilität zu mehren, zunehmend zu Instabilität, Krieg und Verarmung geführt, wie wir vorhergesagt hatten.

Unter den Hammerschlägen der kapitalistischen Krisen hat eine neue Generation begonnen, sozialistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Warum sagen wir dann, dass das Erbe der vorangegangenen Periode noch nicht vollständig überwunden ist? Unsere Ankläger*innen sagen, dass wir die Schuld für das Scheitern des Arabischen Frühlings fälschlicherweise auf das “Fehlen eines sozialistischen Bewusstseins” unter den Massen schieben und nicht auf den “Verrat der stalinistischen, reformistischen und nationalistischen Führungen, die diese Prozesse anführten.”

Der Verrat und das Versagen der Führer*innen der Arbeiter*innenbewegung stehen außer Zweifel. Das CWI stellt ständig Forderungen an sie und versucht, wenn sie sich zurückziehen oder verraten, ihre Verantwortung für die Niederlagen der Arbeiter*innenklasse zu entlarven. Nichtsdestotrotz zeigt die Art und Weise, wie IR die Frage stellt, dass es den Charakter der gegenwärtigen Periode nicht versteht. Das kennzeichnende Merkmal der arabischen und nordafrikanischen Revolutionen war nicht, dass die Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse verrottete Führer*innen hatten, sondern dass es keine Massenparteien der Arbeiter*innenklasse gab.

In Tunesien gab es den mächtigen Gewerkschaftsbund UGTT, der eine gewisse Unabhängigkeit vom Regime vorweisen konnte. In Ägypten entstanden vor und während der Revolution zwei neue Gewerkschaftsverbände, die nicht mit dem diktatorischen Regime verbunden waren. Diese Föderationen waren wichtig, und mit klaren, entschlossenen Führungen, die sich der vorherrschenden Abwendung vom Sozialismus der vorangegangenen Ära nicht angepasst hätten, hätten sie im Verlauf der Revolutionen eine entscheidende Rolle bei der Führung der Arbeiter*innenklasse in einem Kampf um die Macht spielen können. Doch während sich in ihren Reihen Gärung entwickelte, bedeutete das Erbe der vorangegangenen Periode, dass sie sich nicht in diese Richtung bewegten. Infolgedessen gab es keine politischen Massenorganisationen, die die Arbeiter*innenklasse als ihre eigenen betrachtete. In Ägypten erlaubte dieses Vakuum der Muslimbruderschaft, eine Zeit lang das Vakuum zu füllen.

Diese Situation war nicht auf die Massen beschränkt, die gegen die Diktaturen im Nahen Osten kämpften. Sie galt auch in den meisten Ländern der Welt. Dies ist eine völlig andere Situation als in der Ära der sozialdemokratischen und kommunistischen Massenparteien, die – obwohl sie zweifellos verrottete Führungen hatten – von bedeutenden Teilen der Arbeiter*innenklasse und der Armen als “ihre” Parteien angesehen wurden, die für den Sozialismus kämpften. Im Eröffnungssatz von “Das Übergangsprogramm” (1938) erklärte Trotzki: “Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats.” Im Jahr 2010 schrieb Peter Taaffe, der damalige Generalsekretär der Socialist Party, in seiner Einleitung zu dieser Broschüre, dass wir nicht “nur mit einer Krise der Führung konfrontiert sind, sondern auch mit einer Krise der Organisation, oder einem Mangel an Organisation der Arbeiter*innenklasse, sowie dem Fehlen eines klaren Programms.”

IR erklärt: “Es ist nicht richtig, die Linksreformist*innen der Vergangenheit zum Nachteil der heutigen zu idealisieren, ebenso wenig wie die alten stalinistischen Parteien, die in der Praxis ein kolossales Hindernis für den Vormarsch der Kräfte des echten Marxismus darstellten.” Wir idealisieren keine der Massenarbeiter*innenparteien der Vergangenheit, deren Führer*innen angesichts der wiederholten und heroischen Versuche der Arbeiter*innenklasse, den Kapitalismus im 20. Jahrhundert zu stürzen, als Stütze des Kapitalismus fungierten. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihr Untergang oder ihre Umwandlung in kapitalistische Parteien nach dem Zusammenbruch des Stalinismus als positive Beseitigung eines kolossalen Hindernisses bezeichnet werden kann – denn nichts hat sie ersetzt. Jetzt, Jahrzehnte später, haben sich die ersten zögerlichen Schritte hin zu neuen Massenparteien entwickelt.

IR erkennt in Wirklichkeit nicht einmal den Untergang dessen an, was vorher war. In ihrem Dokument argumentiert IR, dass es “der marxistischen Methode fremd” sei, zu sagen – wie wir es tun -, dass in der New-Labour-Ära die Labour Party in Großbritannien in eine kapitalistische Partei umgewandelt wurde (aus welchem Grund auch immer, IR hat diesen Unterschied in ihren Diskussionen mit dem CWI nie zur Sprache gebracht). Die Labour-Partei hatte natürlich immer eine Führung, die im Interesse der Kapitalistenklasse handelte. Nichtsdestotrotz war die Ära von New Labour eine qualitative Veränderung. Die demokratischen Strukturen der Partei, mit deren Hilfe die Arbeiter*innenklasse Druck auf die Führung ausüben konnte, wurden zerstört, wobei die Gewerkschaftszugehörigkeit formell bestehen blieb, ihre Macht aber weitgehend aufgehoben wurde. Vor allem aber sahen weite Teile der Arbeiter*innenklasse Labour nicht mehr als “ihre” Partei an.

Die Corbyn-Ära

Die kurze Corbyn-Ära in Großbritannien hat die Umwandlung von Labour in eine kapitalistische Partei eher bestätigt als widerlegt, wie es IR argumentiert. Die Wahl von Jeremy Corbyn war in gewisser Weise ein Unfall der Geschichte, ermöglicht durch eine Satzungsänderung der Labour-Partei, die ursprünglich dafür gedacht war, die Rolle der Gewerkschaften weiter zu untergraben. Als Corbyn auf den Stimmzettel gelangte, gab es einen Massenandrang, für ihn zu stimmen, da Zehntausende von Menschen die Möglichkeit sahen, jemanden mit einem Anti-Austeritäts-Programm zum Führer einer großen Partei zu wählen. Dies und nicht die Loyalität gegenüber Labour führte zu dieser Welle. Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen dem und der Unterstützung in den USA für die Wahl von Bernie Sanders als Kandidat der Demokraten, einer Partei, die immer eine rein kapitalistische Partei war und bleibt.

Die Corbyn-Welle hat Labour nicht wieder zu dem gemacht, was Lenin eine “kapitalistische Arbeiter*innenpartei” nannte. Vielmehr schuf sie zwei Parteien in einer: eine prokapitalistische Partei, die weiterhin die Strukturen dominierte, und eine potenzielle neue Partei um Corbyn. Weit davon entfernt, sich dem Corbynismus anzupassen, kämpfte der prokapitalistische Flügel heftig für seine Vernichtung.

Hätte die Labour-Linke den von uns propagierten Ansatz gewählt und die Reihen der Corbyn-Anhänger*innen – deren Elemente aus der Arbeiter*innenklasse oft weit links von der Führung standen – mobilisiert, um die Labour-Rechte anzugreifen und zu besiegen, wäre aus Labour eine Massenarbeiter*innenpartei entstanden. Die Verantwortung für das Scheitern liegt daher zweifellos bei den reformistischen Führer*innen. Nichtsdestotrotz sagt uns dieser Prozess – neben den Erfahrungen von Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und Sanders – etwas über das immer noch niedrige Organisationsniveau und das niedrige  Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse in dieser Phase.

Zweifellos waren dies sehr wichtige erste Schritte zur Schaffung von massenhaften politischen Ausdrucksformen für den Kampf gegen Austerität. Sie zeichneten sich aber auch durch ihren formlosen, vergänglichen Charakter aus, der von “jungen Berufstätigen” aus der Mittelschicht dominiert wurde, deren Lebensstandard und Zukunftsaussichten im Zeitalter der Austerität nach unten getrieben wurden. Diese Formationen gewannen eine Zeitlang die Unterstützung der Wähler*innen, doch fehlte ihnen jegliche tief verwurzelte, aktive Beteiligung der Arbeiter*innenklasse. Viele, insbesondere Podemos, verfügen über Strukturen, die eher auf “Horizontalismus” und Online-Umfragen als auf irgendeine Form von Arbeiter*innendiskussion und -demokratie setzen. Syriza gewann eine Parlamentswahl, verriet aber schnell die Arbeite*innenrklasse. Podemos, in einer Koalition mit den spanischen Sozialdemokraten, der PSOE, befindet sich nun auf dem gleichen Weg.

Die erheblichen Beschränkungen dieser Formationen haben das CWI nicht daran gehindert, sich energisch auf die neuen Schichten zu orientieren, die in diese Formationen gezogen wurden. Wir wollen auch nicht behaupten, dass in der gegenwärtigen Ära nicht weiter entwickelte Kräfte entstehen können, als diese ersten Versuche linker Formationen. Im Gegenteil, wir sind zuversichtlich, dass breite Teile der Arbeiter*innenklasse aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen zu dem Schluss kommen werden, dass sie eine eigene politische Stimme brauchen, und sich aufmachen werden, Massenparteien zu schmieden. Wir argumentieren nicht, dass diese Parteien stabile oder notwendigerweise langlebige Formationen sein werden, obwohl die Krise des Kapitalismus bedeutet, dass sie, wenn sie kein klares Programm für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft verabschieden, schnell dem Niedergang entgegengehen können, um durch radikalere Formationen ersetzt zu werden.

Eine bedeutende Minderheit kann direkt von der Untätigkeit zur Mitgliedschaft in einer revolutionären Partei übergehen. Aber die Masse der Arbeiter*innenklasse wird zunächst nach scheinbar einfacheren Lösungen suchen und nur auf der Grundlage von Erfahrungen, kombiniert mit dem Eingreifen revolutionärer Marxist*innen, revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen. Sogar kurzlebige Massenparteien – wenn sie den Arbeiter*innen ein Forum bieten, um die verschiedenen Programme, die sich unweigerlich herausbilden werden, zu testen und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen – können ein unschätzbarer, entscheidender Schritt vorwärts zu revolutionären Massenparteien sein.

Das Organisationsniveau der Arbeiter*innenklasse ist offensichtlich mit dem sozialistischen Bewusstsein verbunden. Die Existenz einer Massenarbeiter*innenpartei ist sowohl ein Indiz dafür, dass ein bedeutender Teil der Arbeiter*innenklasse ein Gefühl der eigenen Macht hat, eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft durchzuführen, als auch ein Forum – mit Elementen eines Arbeiter*innenparlaments – in dem die Arbeiter*innenklasse über den Weg nach vorn debattieren kann. Darauf bestand Trotzki nachdrücklich. Deshalb betonte Trotzki in Diskussionen mit seinen Anhänger*innen in den USA während des Jahres 1938, dass “in den Vereinigten Staaten die Situation so ist, dass die Arbeiter*innenklasse eine Partei braucht – ihre eigene Partei. Dies ist der erste Schritt in der politischen Bildung.” Indem er dies vortrug, ‘beschuldigte’ er weder die US-Arbeiter*innenklasse, keine Partei gegründet zu haben, noch verharmlost er die entscheidende Rolle der Trotzkist*innen beim Kampf für ihre Ideen innerhalb einer solchen Partei. Sein Ansatz hatte die gleiche Methode wie unsere heutige. Wir heben unsere doppelte Rolle hervor, sowohl der Kampf dafür, dass die Arbeiter*innenklasse ihre eigene Partei gründet, als auch der Aufbau einer revolutionären Partei, die um die Führung der Organisationen der Arbeiter*innenklasse kämpft.

Die Notwendigkeit einer revolutionären Partei ist wesentlich. “Ohne die Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Surrogat der Partei kann die proletarische Revolution nie siegen.” wie Trotzki es in “Die Lehren des Oktobers” zusammenfasste. Besonders in Ländern, in denen das kapitalistische Regime sehr schwach ist, ist es möglich, dass Massenaufstände die bestehende Ordnung ohne eine Partei stürzen. Die Arbeiter*innenklasse und die Armen wären jedoch nicht in der Lage, ihre Herrschaft zu festigen und mit dem Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beginnen, ohne eine revolutionäre Massenpartei aufgebaut zu haben.

Die Rolle der Sowjets

Trotzdem hätte Trotzki nie gedacht, dass es nicht auch notwendig wäre, sich für breite Arbeiter*innenorganisationen auszusprechen und sich an ihnen zu beteiligen. Solche Organisationen können sich im Laufe einer Revolution sehr schnell entwickeln. Die Sowjets wurden durch die Revolution aufgeworfen und hätten außerhalb einer revolutionären Periode nicht existieren können. Ohne die Existenz der bolschewistischen Partei, ihre maßgebliche Führung, ihre tiefen Wurzeln in der Arbeiter*innenklasse und ein klares Programm, mit dem die Arbeiter*innenklasse einen Kampf um die Macht führen konnte, hätten die Sowjets nicht mit dem Kapitalismus gebrochen. Die Existenz der Sowjets warf die Frage auf, welche Klasse herrschen sollte, löste sie aber nicht. Doch für die Bolschewiki, die zunächst in einer kleinen Minderheit waren, boten die Sowjets ein Forum, in dem sie ihr Programm “geduldig erklären” konnten. Die Sowjets waren auch maßgebliche Organe, durch die der Aufbau der neuen Gesellschaft beginnen konnte.

Weder Lenin noch Trotzki argumentierten, dass die russischen Sowjets notwendigerweise das genaue Vorbild für alle nachfolgenden Revolutionen sein würden. Eine Form der demokratischen Massenorganisation der Arbeiter*innen war jedoch ein unvermeidlicher Teil der Bewegungen der Arbeiter*innenklasse in Richtung der Macht. Dass sich bei den Revolutionen von 2011 im Nahen Osten und in Nordafrika keine Massenparteien entwickelten, geschweige denn weit verbreitete Arbeiter*innenkomitees oder auch nur ein Ruf nach ihnen, ist ein Hinweis auf die Grenzen des Bewusstseins dieser ersten revolutionären Welle.

Die nächste Welle wird auf einer höheren Ebene stattfinden. Die Notwendigkeit, revolutionäre Parteien aufzubauen, ist dringender denn je. Um dies erfolgreich zu tun, bedarf es nicht abstrakter Schemata, sondern der Fähigkeit, den gegenwärtigen Stand des Klassenkampfes zu beurteilen, um ein Programm vorlegen zu können, dass die Arbeiter*innenklasse effektiv in Richtung eines Bruchs mit dem Kapitalismus und der Übernahme der Macht in ihre eigenen Hände lenken kann. Trotzkis Schriften sind eine unschätzbare Ressource für die neue Generation, die diese Aufgabe übernimmt. Das CWI, das sich auf die Methoden Leo Trotzkis stützt, hat die Hauptmerkmale der politischen Situation und der Aufgaben, vor denen die Arbeiter*innenklasse steht, richtig analysiert. Wir werden in der kommenden Ära Gelegenheit haben, uns – zusammen mit anderen, die zweifellos auf der Grundlage von Erfahrungen gemeinsame Schlussfolgerungen ziehen werden – an der Schaffung von Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse zu beteiligen, die in der Lage sind, den Kampf für den Sozialismus auf internationaler Basis zu führen.

Der Artikel erschien ursprünglich auf Englisch in dem Buch “Leon Trotsky – A Revolutionary whose Ideas could’nt be killed”, welches das CWI anlässlich des 80. Jahrestages der Ermordung Trotzki veröffentlichte. Das Buch kann hier bestellt werden.

Hannah Sell ist Generalsekretärin der Socialist Party in England und Wales.