Kryptowährungen und Kapitalismus

Sind Bitcoin & Co. bahnbrechende Anlagen?

Kryptowährungen wurden als innovative und bahnbrechende Vermögenswerte gepriesen, die einen transformativen Effekt auf die Weltwirtschaft haben können.

von Robin Clapp, Socialist Party England & Wales (Dieser Artikel erschien zuerst am 27. April 2022 auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net)

Am Vorabend des großen Finanzcrashs schrieb Lynn Walsh in der Mai-Ausgabe 2007 von Socialism Today, dass die Weltwirtschaft zunehmend einem gigantischen Pyramidenspiel/Ponzi Scheme (Ponzi Scheme ist ein Anlagebetrug, bei dem bestehende Anleger mit Geldern ausgezahlt werden, die von neuen Anlegern stammen. Anmerkung der Übersetzerin) ähnelt, in dem “Unternehmensvorstände und superreiche Spekulanten weit mehr daran interessiert sind, mit bestehenden Finanzanlagen und Papierwertpapieren zu zocken, als an realen Kapitalinvestitionen zur Entwicklung neuer Produktivkräfte… Das Blasenphänomen kann Krisen jedoch nur aufschieben, nicht beseitigen. …Die Vorstellung, dass spekulative Investitionen jetzt praktisch risikofrei sind, dass der kapitalistische Konjunkturzyklus tot ist, sind die Wahnvorstellungen von Leuten, die sich an den sprudelnden Gewinnen der letzten Zeit berauscht haben.”

Seit 2009 sind viele neue Formen der Spekulation wie exotisches Unkraut aus dem Boden geschossen. Zu den bedeutendsten und umstrittensten gehören Krypto-Anlagen wie Bitcoin und Ethereum. Mittlerweile sind mehr als 10.000 Kryptowährungen im Umlauf, die zusammen eine Marktkapitalisierung von 1,6 Billionen US-Dollar aufweisen, was ungefähr dem nominalen BIP (d. h. der gesamten Wirtschaftsleistung) Kanadas entspricht.

Obwohl die meisten nur einen geringen Einfluss auf den Markt haben, abgesehen von engagierten Kleinanlegern, hat vor allem Bitcoin begonnen, sich zu einem potenziell Unruhe stiftenden Akteur im breiteren etablierten Finanzsektor zu entwickeln.

Digitale Währungen erfüllen nicht alle Funktionen, die der revolutionäre Sozialist Karl Marx in seinem bahnbrechenden Werk über die kapitalistische Wirtschaft, dem “Kapital”, dem Geld zugeschrieben hat. Sie sind weder ein universelles Äquivalent noch ein zuverlässiges und stabiles Wertaufbewahrungsmittel.

Angesichts der historisch niedrigen Zinssätze seit 2008 ist es für Anleger jedoch schwierig, lukrative Bereiche für rentable Investitionen zu finden. Der Reiz von Bitcoin liegt darin, dass er scheinbar sofortige Gewinne verspricht und gleichzeitig eine Absicherung gegen die Inflation bietet.

Der erste Anstieg des Preises auf etwa 1.000 US-Dollar im Jahr 2013 schuf über Nacht Kryptowährungsmillionäre, und seitdem haben sich die Anleger auf eine wilde Fahrt begeben. Der Preis stieg im Dezember 2017 auf etwa 19.000 US-Dollar, um dann im nächsten Jahr um mehr als 80 Prozent zu fallen.

Im April 2021 stieg der Preis für einen Bitcoin auf 63.000 Dollar an. Im April zuvor wurde er bei nur 7.000 Dollar gehandelt. Jetzt ist der Preis auf 33.250 Dollar gefallen. Viele Anleger, die glaubten, Kryptowährungen seien eine Eintrittskarte zum Reichtum, haben sich die Finger verbrannt.

Kryptowährungen wurden als digitale Währungen beworben, die es den Menschen ermöglichen würden, misstrauische Banken und traditionelle Zahlungsmethoden zu umgehen.

Die “Münzen” existieren nicht in greifbarer Form, sondern werden “gemined”, d. h. von Computern erzeugt und in einer digitalen Brieftasche oder auf der digitalen Cloud-Plattform gespeichert, d. h. im Internet und nicht in einzelnen Computern.

Sie werden dann umgetauscht und für Transaktionen verwendet. Nach Angaben der Entwickler können immer nur 21 Millionen Bitcoins bereitgestellt werden, und derzeit sind 18 Millionen im Umlauf. Über 50 Prozent des Gesamtangebots wurden 2014 erzeugt und 93,75 Prozent werden bis 2024 “gemined” sein.

Kryptowährungen hängen von der “Blockchain-Technologie” ab, einer digitalen Technologie, die nach Ansicht ihrer Befürworter dem Internet in Bezug auf seine Veränderungsmöglichkeiten Konkurrenz machen wird.

In den Händen eines Arbeiter*innenstaates könnte die Blockchain in der Tat einen immensen Nutzen für die Entwicklung eines Produktionsplans haben, aber so wie sie derzeit verwendet wird, beschränkt sich ihr Zweck weitgehend auf das Befördern der Spekulation.

Blöcke sind voneinander getrennte, riesige Datenbündel, die ständig miteinander kommunizieren, so dass jeder Block weiß, was der Rest der Kette enthält. Allerdings hat nur der Eigentümer eines bestimmten Blocks den digitalen Schlüssel, um auf diesen zuzugreifen. Alle Einträge in den Block müssen bestätigt und verschlüsselt werden.

Das von einzelnen “Minern” gesicherte Netzwerk verwendet Hochleistungscomputer zur Überprüfung von Transaktionen, wobei Bitcoins als Belohnung angeboten werden. Diese Miner wetteifern darum, als erste ein beliebig schwieriges Rechenproblem zu lösen, das enorme Mengen an Prozessorzyklen erfordert und dennoch hauptsächlich dem Zufall unterliegt.

Der Computer, der das Rätsel als erster löst, erhält alle zehn Minuten einen Bitcoin – aber jeder Computer, nicht nur der Gewinner, verbringt diese Rechenzeit mit der Berechnung des Rätsels.

Blockchains verbrauchen folglich ungeheure Mengen an Energie. Je größer die Chancen der Miner auf den Lottogewinn sein sollen, desto mehr müssen sie in Rechenkapazität investieren. Der Stromverbrauch von Bitcoin nähert sich mittlerweile dem von Italien an! Wäre Bitcoin ein Land, würde es zu den 30 größten Energieverbrauchern weltweit gehören.

Nachdem China im September 2021 Kryptowährungen verboten hatte, zogen die Bitcoin-Miner in die ehemalige Sowjetrepublik Kasachstan um, die damit über Nacht zum zweitgrößten Kryptowährungs-Mining-Land nach den Vereinigten Staaten wurde.

Auch Russland hatte vor dem Krieg in der Ukraine Entwürfe für ein Verbot von Kryptohandel und Mining angekündigt.

Riesiger ökologischer Fußabdruck

Die riesigen energiehungrigen Computerbanken verbrauchen so viel Strom, dass die kohlebefeuerten Kraftwerke in Kasachstan enorme zusätzliche Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpen, was erheblich zur globalen Erwärmung beiträgt.

Die ständig steigenden Strompreise in Kasachstan waren neben den Preiserhöhungen für Benzin/Diesel und Gas mit ein Grund für den Aufstand der einfachen Menschen gegen das autoritäre Regime des Landes im Januar dieses Jahres.

Um weitere Unruhen zu verhindern, hat das Regime von Präsident Tokajew mit einer Erhöhung der Stromgebühren um 335 Prozent speziell für Miner von Kryptowährungen gedroht.

Nouriel Roubini, Wirtschaftsprofessor an der New York University, der die Energieverschwendung von Bitcoin kritisiert hat, rechnet vor, dass der Preis von Kryptowährungen über Nacht zusammenbrechen würde, wenn eine strenge Kohlenstoffsteuer auf Blockchain-Mining erhoben werden würde.

Hedge-Fonds, die für vermögende Privatpersonen und institutionelle Anleger arbeiten, sind in den Kryptomarkt eingestiegen, um die unvorhersehbaren Kursschwankungen als Zeichen einer neuen Anlageklasse zu nutzen, die im Entstehen begriffen ist. Hedgefonds, die sich auf Kryptowährungen konzentrieren, erzielten laut dem Datenanbieter Eurekahedge im Jahr 2020 eine Rendite von 194 Prozent.

Der Bitcoin-Austausch hat sich jedoch nicht durchgesetzt, und in den USA akzeptieren nur etwa 2 300 von schätzungsweise 32,5 Millionen Unternehmen Bitcoin als Zahlungsmittel.

Im Juni 2021 machte der Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, Bitcoin neben dem US-Dollar zu einer legalen nationalen Währung. Er sagte, dies würde die Wirtschaft digitalisieren, die Abhängigkeit vom US-Dollar verringern, Überweisungsgebühren senken und Investitionen fördern. Viele Nutzer – Privatpersonen und Unternehmen – haben sich jedoch darüber beschwert, dass sie bei Bitcoin-Transaktionen Verluste machen und laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage der Industrie- und Handelskammer gaben 86 Prozent der Unternehmen an, dass sie Bitcoin noch nie verwendet haben.

Aufgrund der ständigen Preisvolatilität können Kryptowährungen Gold als stabilen Wertaufbewahrungsort nicht ersetzen, der in Zeiten geopolitischer Krisen wie jetzt zum sicheren Hafen wird.

Außerdem neigen die Kryptopreise dazu, der Entwicklung des Aktienmarktes zu folgen. Wenn also die derzeitige fieberhafte Spekulationsblase endlich platzt, könnte der Bitcoin-Kurs sehr wohl rapide fallen. Hedge-Fonds, die sich an riskanten Investitionen erfreuen, mögen einsteigen, aber der solide Teil der Wall Street, zu dem auch Pensionsfonds gehören, bleibt vorsichtig. 

Der Handel mit Kryptowährungen bleibt ein wilder Westen, in dem Betrug und Diebstahl weit verbreitet sind und der Verbrechen wie den Online-Verkauf von Drogen erleichtert. In den USA hat das Southern Poverty Law Centre über 600 Kryptowährungsadressen identifiziert, die von rechtsextremen Gruppen genutzt werden, um ihre Geldbeschaffung und Geldwäsche zu verschleiern.

Auch Putins Oligarchen, die sich mit scharfen Sanktionen konfrontiert sehen, sollen sich angeblich auf dem Kryptomarkt tummeln, um ihr Vermögen zu verstecken.

Einige Finanzinstitute, die auf Blue-Chips setzen (umsatzstarke Aktien großer Unternehmen), und sogar Regierungen haben zaghaft begonnen, sich mit Krypto-Anlagen zu befassen, und erwägen im letzteren Fall sogar die Gründung von staatlichen Äquivalenten. Morgan Stanley, die in den USA ansässige globale Investmentbank, hat erklärt, dass ihr 150-Milliarden-Dollar-Investmentfonds den Kauf von Bitcoins in großem Umfang prüft, während andere globale Investmentbanken wie Goldman Sachs und JP Morgan, die sich bisher zurückgehalten haben, vorsichtige Investitionen ankündigen.

Im UK haben die Banken nur geringe Investitionen in diesen Markt getätigt. Die Bank of England warnte jedoch, dass sie dennoch gefährdet sein könnten, wenn etwa 20 Prozent der Haushalte und Unternehmen ihre Einlagen in digitales Geld umwandeln würden. Dies würde die Kosten für die Banken in die Höhe treiben, da sie eine wichtige Finanzierungsquelle verlieren würden. Dies wiederum würde sich auf die Kosten und die Verfügbarkeit von Krediten auswirken. Die Bank of England hat davor gewarnt, dass Bitcoin in diesem Fall genauso reguliert werden müsste wie Zahlungen, die von Banken abgewickelt werden.

Nach Angaben der globalen Finanzaufsichtsbehörde Financial Stability Board (FSB) hat sich die Zahl der Personen unter 45 Jahren, die Krypto-Vermögenswerte besitzen, innerhalb eines Jahres von 6 Prozent auf 12 Prozent verdoppelt, was die Befürchtung aufkommen lässt, dass viele ihr Geld in einen riskanten Sektor gesteckt haben, über den sie wenig wissen.

Derzeit sind Krypto-Anlagen noch nicht weit genug verbreitet, um in der Realwirtschaft ernsthafte Probleme zu verursachen. Sollten sie jedoch weiterhin in ihrem derzeitigen Tempo wachsen, würden die Risiken laut FSB “rasch eskalieren”. Der Marktwert von Krypto-Vermögenswerten ist bis 2021 um das 3,5-Fache auf 1,9 Billionen Pfund gestiegen. Der US-Kongress beruft eine Anhörung zu diesem Thema ein.

Krypto-Anlagen und Blockchain werden beim nächsten Crash nicht verschwinden, aber wie die fragwürdigen Finanzinstrumente, die vor 2007 als magische Geldbäume verehrt wurden, können sie kein Gegenmittel gegen die Übel des Kapitalismus bieten. Arbeitnehmer*innen können gelegentlich Geld gewinnen, sei es in Las Vegas an einem Spieltisch oder mit Kryptowährungen oder anderen riskanten Unternehmungen. Aber im Großen und Ganzen ist das System der Bosse permanent bereit, im metaphorischen und wörtlichem Sinne auf die arbeitende Bevölkerung zu schießen, und genau deshalb müssen wir für die sozialistische Alternative kämpfen.

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