Wie der Ukraine-Krieg die Welt verändert

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Internationale Spannungen nehmen zu

Anfang Juli, da diese Zeitung gedruckt wird, tobt weiterhin der Krieg in der Ukraine. Seit April fokussieren sich die Kämpfe auf den Donbass, genauer um die Gebiete Donezk und Luhansk. Letzteres will Russland Anfang Juli unter seine Kontrolle gebracht haben. Ein schnelles Ende ist aktuell dennoch nicht in Sicht, es droht ein langgezogener Konflikt. Deutlich wird allerdings, dass der Krieg die internationalen Beziehungen verändert.

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Mit dem Angriffskrieg der russischen Truppen auf die Ukraine verfolgt das Putin-Regime imperialistische Ambitionen in der Region. Doch es ist nicht nur ein Krieg eines stärkeren Landes gegen ein schwächeres Land. Sowohl die Vorgeschichte (inklusive der NATO-/EU-Osterweiterung) des Konflikts, als auch die massive Intervention westlicher Mächte auf Seiten der Ukraine zeigen, dass es sich auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland handelt. Wie in vergangenen Kriegen der NATO geht es westlichen Mächten mit ihrer Unterstützung der Selenkskyj-Regierung nicht um die Verteidigung von Demokratie, Souveränität etc. sondern um geostrategische Interessen.

Multipolare Welt

Wenn man auf diesen Umstand hinweist, wird man von bürgerlichen Medien schnell in die Ecke der Putin-Versteher gestellt. Das sieht in großen Teilen der Welt anders aus. Nach einer Untersuchung des Economist leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern, deren Regierungen die westliche Haltung und die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützen. Das drückt zum Teil das Bewusstsein in diesen Ländern darüber aus, dass der westliche Imperialismus in der Vergangenheit nicht vor brutalen Angriffskriegen oder versuchten Regime Changes zurückgeschreckt ist, um seine Interessen zum Beispiel im Nahen Osten oder Lateinamerika durchzusetzen. Es ist aber auch Ausdruck der Tatsache, dass pro-kapitalistische Regierungen dieser Länder ihre eigenen Interessen versuchen, unabhängiger von westlichen Mächten und den USA zur Geltung zu bringen. Das wiederum hat eine Menge mit dem relativen Niedergang des Einflusses des US-Imperialismus in den letzten Jahren zu tun. Wir leben heute in einer multipolaren Welt, in der es mit China neben den USA eine weitere Supermacht gibt. Damit bilden sich zwei Pole heraus, um die sich Allianzen formieren – wenngleich diese keineswegs stabil sind.

Neue Blockbildungen

So führte der russische Einmarsch zunächst zu einem Zusammenrücken in der NATO und der EU. Beim NATO-Gipfel in Madrid nahmen nicht nur zum ersten Mal die südostasiatischen Länder Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea teil. Das neue strategische Konzept sieht vor, die Größe der schnellen Eingreiftruppen auf 300.000 Soldat*innen zu versiebenfachen. Mit Finnland und Schweden werden zwei neue Länder der NATO beitreten, die über Jahrzehnte bewusst diesen Schritt nicht gegangen sind. Insbesondere die USA versuchen die NATO gegen China in Stellung zu bringen. Doch die NATO ist keineswegs ein stabiles Bündnis. Die hohe Inflation, die sich entwickelnde kapitalistische Krise und die damit einhergehenden sozialen Probleme und möglicherweise Proteste innerhalb der NATO-Länder können wieder Streitigkeiten hervorrufen – auch darum, mit welchen Mitteln man welche Ziele im Ukraine-Krieg und in anderen Konflikten verfolgt. Viele Kapitalist*innen, darunter in Deutschland, sind ökonomisch sehr abhängig von China – eine Auseinandersetzung wie mit Russland wäre für sie deutlich schmerzhafter.

China richtete zuletzt wiederum einen Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) aus, der sich von den westlichen Sanktionen abgrenzte und ein mögliches Freihandelsabkommen diskutierte. Länder wie Argentinien und der Iran wollen den BRICS beitreten, Indonesien hat Russland explizit zum G20-Gipfel eingeladen.

Russland orientiert sich in Folge des Krieges und der westlichen Sanktionen mehr an China. Das Land ist mittlerweile zum größten Abnehmer von russischem Öl geworden – auch mit Indien boomt der russische Außenhandel wegen der Energielieferungen. Allerdings nehmen insbesondere im südostasiatischen Raum die imperialistischen Spannungen zu. Indien und China geraten beispielsweise immer wieder an der gemeinsamen Grenze aneinander. 

Keine Lösung im Kapitalismus

Entgegen der Darstellung vieler westlicher Regierungen und Kommentator*innen entwickelt sich kein neuer “Kalter Krieg”. Die Blockbildung heutzutage hat nicht grundsätzlich unterschiedliche Wirtschaftssysteme zur Grundlage, denn es sind alle kapitalistische Staaten. Genauso wenig entwickeln sich die internationalen Konflikte entlang der Linie “Demokratie” gegen “Autokratie”. Der Westen sucht nicht nur die Zusammenarbeit mit autoritären Regimen wie der Türkei oder Saudi-Arabiens. In vielen Ländern, allen voran den USA, werden demokratische Rechte selbst beschnitten.

Die tieferen Ursachen für diese Entwicklungen liegen tiefer – in einem kapitalistischen System, das auf Privateigentum an Produktionsmitteln und auf Konkurrenz zwischen Nationalstaaten basiert. In Zeiten struktureller ökonomischer Krisen, wie wir sie gerade erleben, spitzt sich diese Konkurrenz zu. Dabei bräuchte es angesichts der multiplen Krisen weltweite Kooperation und internationale Solidarität. Nur eine weltweite sozialistische Veränderung, die die Macht der Banken und Konzerne bricht, die Wirtschaft und Staat in die Hände der Arbeiter*innen und Armen legt und ein System demokratischer Kontrolle und Verwaltung einführt, kann das garantieren.      

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