Woher kommt der Reichtum der Reichen?

Über die Ungerechtigkeit des Erbens

Wer hart arbeitet und tüchtig spart, der wird mit Wohlstand belohnt – dieses Märchen hört man bis heute oft. Die Realität sieht anders aus. Reichtum ist vererbt, vor allem in Deutschland.

von Marc Hausdorf, Köln

Deutschland ist ein Land der Superreichen. Außer in den USA gibt es in keinem anderen Land so viele Multimillionär*innen. Und entgegen der neoliberalen Mythologie haben die meisten unter ihnen sich ihren Reichtum nicht erarbeitet, sondern sind schon reich zur Welt gekommen und haben ihr Vermögen im Laufe ihres Lebens vergrößert. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben drei Viertel der Hochvermögenden im Alter von über vierzig Jahren mindestens einmal in ihrem Leben geerbt. In der Gesamtbevölkerung hingegen ist nur ein Drittel in den Genuss einer Erbschaft gekommen. 

Die Superreichen erben nicht nur öfter, sondern auch höhere Summen. Etwa die Hälfte des vererbten Vermögens entfällt auf die reichsten zehn Prozent, der Rest der Bevölkerung muss sich die andere Hälfte teilen. Das durchschnittliche Erbe für Angehörige des untersten Einkommensfünftels beläuft sich auf 12.000 Euro. Beim obersten Fünftel sind es dagegen knapp 250.000 Euro. Die Kluft zwischen arm und reich ist daher beim Erbvermögen noch viel eklatanter als bei den Einkommen. Und die Tendenz ist dabei steigend: seit 2001 ist die Summe von Erbschaften um zwanzig Prozent gewachsen.

Reiche Eltern: Privilegierter Start ins Leben

Wer erbt, kommt mit einem Vorsprung zur Welt. Das Vermögen der Eltern gibt Freiheit. Dann kann man sich eben das unbezahlte Praktikum leisten. Oder die Wohnung im Stadtzentrum. Oder sogar die eigene Firmengründung. Wenn’s mal schiefgeht, dann hat man ja immer noch eine zweite Chance. Für immer mehr von uns sind solche Dinge schlichtweg unbezahlbar. Wir mögen keinen Kaiser und keine Fürsten mehr haben, leben aber nach wie vor in einer Gesellschaft, in der das Glück der Geburt darüber entscheidet, ob man ein gutes Leben führen kann.

Unterschiede in der Erbschaft decken sich dabei mit anderen Formen der Benachteiligung. Der durchschnittliche deutsche Erbe ist männlich, westdeutsch und hat keinen Migrationshintergrund. Ostdeutsche erben seltener und weniger als Westdeutsche – im Schnitt gerade mal halb so viel. Erbschaften zementieren somit bestehende Ungleichheiten.

Die Erbschaftssteuer liegt in Deutschland weit unter dem OECD-Durchschnitt. Dazu kommt, dass Hochvermögende in Deutschland Wege haben, ihren Reichtum ganz legal steuerfrei an ihre Nachkommen weiterzugeben. Alle zehn Jahre können Eltern ihren Kindern bis zu 400.000 Euro komplett steuerfrei schenken. Bekommt man von beiden Eltern den vollen Freibetrag geschenkt, könnte man also mit einundzwanzig schon 2,4 Millionen haben. Man kann sich ausrechnen, wie viele Jahrhunderte man mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen dafür sparen müsste. Erben dagegen können solchen Reichtum steuerfrei und ohne eigene Leistung genießen.

Für eine Erhöhung der Erbschaftssteuer

Die einzige nachhaltige Lösung für das Problem der Erbschaften wäre die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Aufbau einer sozialistischen Demokratie. Als Übergangsprogramm könnte allerdings eine Erhöhung der Erbschaftssteuer die Tendenz zur steigenden Kapitalkonzentration zumindest teilweise abdämpfen. Vorschläge hierfür kommen von verschiedenen Seiten.

Der Luxemburger Wirtschaftswissenschaftler Guy Kirsch plädiert für eine Erbschaftssteuer von hundert Prozent. Das Vermögen würde dann in einen Fonds eingezahlt, der an alle in einem bestimmten Alter ausgezahlt würde – es würden quasi alle gleich viel erben. Der vielbeachtete französische Ökonom Thomas Piketty geht nicht ganz so weit. Er tritt stattdessen für eine einmalige Auszahlung von sechzig Prozent des durchschnittlichen Vermögens zum 25. Geburtstag ein, finanziert durch Erbschafts- und Vermögenssteuern. 

Erben ist ungerecht und verschärft den Gegensatz zwischen Arm und Reich. Diese Ungerechtigkeiten müssen von Gewerkschaften und der Linken skandalisiert und bekämpft werden.

Die Sol fordert eine massive Erhöhung der Steuern auf Gewinne, Vermögen und Erbschaften und die Einführung eines einfachen progressiven Steuersystems – wer viel hat, soll auch viel zahlen. Bei der Erbschaftssteuer sollte tatsächlich selbst genutztes Wohneigentum genauso ausgenommen werden, wie ein sinnvoller Freibetrag eingeräumt werden, der Menschen aus der Arbeiter*innenklasse ermöglicht, ihren Kindern ein wenig materielle Absicherung zu hinterlassen. Die Millionär*innen und Milliardär*innen müssen aber mit ihrem Geld- und Unternehmensvermögen zur Kasse gebeten werden.

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