“Letzte Generation” – letzte Hoffnung für das Klima?

Warum Aktionen gegen die arbeitende Bevölkerung kontraproduktiv sind

Brennende Wälder, versandende Parks, Dürre. Selten war die Klimakrise so fühlbar wie diesen Sommer. Die Frage, wie der Klimawandel aufzuhalten ist oder zumindest abgemildert werden kann, ist zur Existenzfrage für die Menschheit geworden.

von Tim Brandes, Berlin

Im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Entscheidungsträger*innen schaut ein großer Teil der Jugend nicht mehr weg, sondern ging zu Millionen auf die Straße. Doch grundlegend hat sich nichts verändert. 

Wie weiter?

Angesichts ausbleibender Erfolge fragen sich Klimaaktivist*innen, wie der Kampf weitergeführt werden sollte und suchen neue Methoden und Antworten. Ein Teil davon ist die “Letzte Generation”, welche auf radikalere Aktionen des zivilen Ungehorsam setzt. Neben einem Hungerstreik und dem Abdrehen von Ölpipelines, sind sie insbesondere durch Autobahnblockaden und das Festkleben der eigenen Hände am Asphalt bekannt geworden. Diese Art von Widerstand als “Akt der Verzweiflung am Scheideweg der Menschheitsgeschichte” leisten sie, weil sie davon ausgehen, dass nur noch drei bis vier Jahre Zeit ist, um die Menschheit vor dem Untergang zu retten. Dabei schrecken sie auch vor Gefängnis- oder Geldstrafen nicht zurück. Ihre Forderungen an die Regierung sind ein Ende der Nordseeölbohrungen und dass die Menschen in Form von “Bürger*innenräten” über die Zukunft entscheiden. Nicht die arbeitende Bevölkerung, sondern die “Reichen und Mächtigen” sollen bezahlen. Weiter soll es einen Schuldenschnitt und Entschädigung für den globalen Süden geben.

Wer ist eigentlich “wir”?

Die “Letzte Generation” wirft die richtigen Fragen auf. Warum ändert sich nichts? Wer entscheidet eigentlich darüber, was in der Gesellschaft passiert? Und wer bezahlt für den notwendigen Umbau? Dabei spricht sie fortlaufend von einem “wir”. “Wir” zerstören das Klima, “wir” ändern nichts usw. Doch wer ist dieses “wir”? Sind es die Pendler*innen, die zur Arbeit mit dem Auto fahren müssen? Oder die Regierung, die in der Tasche von Automobil- und Energiekonzernen steckt und wirkliche Veränderungen verhindert?

Als Sozialist*innen gehen wir nicht von einem einzigen gesellschaftlichen “wir” aus. Auf der einen Seite sehen wir ein “sie”: eine kleine Klasse an Menschen, die Banken, Konzerne und den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums besitzen und damit auch die Macht in der Gesellschaft verfügen. Auf der anderen Seite steht das tatsächliche “wir”: die Masse der Erwerbstätigen, Jugendlichen und Rentner*innen – kurz die Arbeiter*innenklasse – die kein Eigentum an Produktionsmitteln hat und darauf angewiesen ist, ihre Arbeitsraft zu verkaufen, um zu überleben. Solange die Wirtschaft im System von Profitlogik und Konkurrenz verbleibt, solange kann es keine wirkliche Bekämpfung der Klimakrise geben. In einer sozialistischen Demokratie dagegen könnte kollektiv auf allen Ebenen der Gesellschaft ein Plan erstellt werden, um die Wirtschaft entsprechend den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt umzugestalten. Daran führt kein Weg vorbei.

Die Arbeiter*innenklasse erreichen 

Folglich müssen sich Umweltaktivist*innen fragen, wie der Kapitalismus gestürzt werden kann. Sozialist*innen sehen hier die zentrale Rolle bei der Arbeiter*innenklasse. Durch ihre Stellung in der Wirtschaft kann sie Wirtschaft und Gesellschaft anders gestalten, wenn sie diese unter ihre Kontrolle bringt. Und sie hat durch Streiks die Macht, die Gesellschaft komplett lahmzulegen. 

Zentral ist es, dass die Arbeiter*innenklasse ihre Interessen und die Klassennatur der Gesellschaft erkennt und sich organisiert, um diese zu überwinden. Radikale Minderheitenaktionen können zwar Aufmerksamkeit erregen, aber sie können kein Ersatz für massenhaften Widerstand sein. Jede Aktion, die sich auch gegen Lohnabhängige richtet ist deshalb kontraproduktiv, weil sie eine Hürde zwischen Umweltbewegung und Arbeiter*innenklasse aufbaut. Zum Beispiel treffen Autobahnblockaden die Beschäftigten, die auf dem Weg zur Arbeit sind. Da ist es kein Wunder, dass Aktivist*innen teilweise von wütenden Autofahrenden angegangen wurden. Stattdessen müssten die wahren Verantwortlichen getroffen werden: Konzern- und Bankenchefs sowie Politiker*innen. Es braucht ein geeignetes Programm, mit dem ein Bündnis mit den Arbeitenden und den Gewerkschaften geschlossen werden kann. FFF und ver.di haben dafür 2020 ein Beispiel gegeben. Hier hat die Klimabewegung Streiks von Beschäftigten im ÖPNV unterstützt und durch ihr Bündnis mit der Gewerkschaft gezeigt: Der Kampf gegen den Klimawandel und für die Interessen der Lohnabhängigen ist kein Widerspruch.