Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution

Interview mit Wolfram Klein zur Herausgabe der Neuauflage im Manifest Verlag

Trotzkis „Geschichte der Russischen Revolution” gilt auf der einen Seite als Klassiker, auf der anderen Seite geht es um Ereignisse, die schon über hundert Jahre zurückliegen. Warum also das Werk jetzt noch einmal auflegen?

Revolutionäre Bewegungen hat es seitdem noch viele gegeben und es gibt sie auch jetzt immer wieder, denken wir nur an die Proteste im Sudan oder in Kasachstan in den letzten Wochen. Aber leider führen sie fast nie zum Sieg der revolutionären Kräfte. Auch wenn die alten Herrschenden gestürzt werden, gleitet die Macht denen aus den Händen, die in der Revolution ihr Leben riskiert haben.

Das war in der Anfangsphase der Russischen Revolution 1917 auch so, aber in den folgenden Monaten änderte sich das wieder und es endete damit, dass auf einem Sechstel der Landmasse der Erde der Kapitalismus für Jahrzehnte überwunden wurde (leider nicht für immer). Daher betrachten wir die Russische Revolution weiterhin als das großartigste Ereignis der bisherigen Menschheitsgeschichte.

Das Buch ist auch lehrreich, weil es sich nicht auf die Schilderung der Ereignisse beschränkt, sondern sie immer wieder verallgemeinert und Vergleiche mit anderen Revolutionen anstellt. Was Trotzki über das Verhältnis von Massenbewegung und revolutionärer Partei oder das Verhältnis der Arbeiter*innen zu anderen Unterdrückten (insbesondere Bäuerinnen und Bauern und nationale Minderheiten) geschrieben hat ist angesichts der heutigen weiten Verbreitung von Anti-Parteien-Stimmungen oder identitätspolitischer Ideen sogar aktueller als zu der Zeit, als Trotzki das Buch schrieb.

In diesem Sinne kann die Beschäftigung mit Trotzkis Werk einen Beitrag leisten, dass künftige Revolutionen tatsächlich zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung führen.

Manifest möchte als marxistischer Verlag vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen. Kann man die Bücher lesen, wenn man gerade mit der Beschäftigung mit dem Marxismus und der Oktoberrevolution beginnt?

Trotzki selbst schrieb das Buch nicht für einen marxistischen, sondern für einen „bürgerlichen“ Verlag. Der Verlag erhoffte sich kommerziellen Erfolg durch den damals bekannten Namen Trotzki, Trotzki eine Verbreitung seiner Erkenntnisse über den Kreis der „üblichen Verdächtigen“ hinaus. Deshalb schrieb er so, dass das Buch ohne marxistische Vorkenntnisse verständlich sein sollte.

Neben den zwei Bänden mit dem Kerntext, hast du einen Ergänzungsband für diese Ausgabe zusammengestellt. Darin unterscheidet sich die Manifest-Edition von den bisherigen. Warum habt ihr Euch diese Arbeit gemacht?

Das Buch sollte zwar ohne Vorkenntnisse verständlich sein, aber seit seinem Erscheinen sind etwa neunzig Jahre vergangen. Viele Namen und Fakten, die damals Allgemeinwissen waren, sind heute weniger geläufig. Außerdem ist es oft nicht uninteressant, etwas über den weiteren Lebensweg der Menschen zu erfahren, die in dem Buch auftauchen. Einen beträchtlichen Teil des Ergänzungsbandes machen Übersetzungen von thematisch passenden Anmerkungen zu der in den 1920er Jahren in der Sowjetunion erschienenen Werke-Ausgabe Trotzkis aus. Einzelne dieser Anmerkungen behandeln auch bei Trotzki beiläufig erwähnte Personen und Ereignisse, die heute zwar bekannt sind, nicht aber eine marxistische Sicht auf sie. Wer wissen will, wie sowjetische Marxist*innen Mitte der 1920er Jahre die Dichter Goethe oder Dostojewski oder den Politiker Churchill eingeschätzt haben, wird nicht so leicht andere Quellen dazu finden.

Du arbeitest bereits an einem weiteren umfangreichen Werk – was ist für dieses Jahr noch geplant?

Auch in diesem Jahr veröffentlicht der Manifest Verlag neben neuen Titeln einige Klassiker des Marxismus. Unser Hauptprojekt ist dabei die erstmalige deutsche Veröffentlichung von Pierre Broués Klassiker von 1971 über die Revolution 1918-1923 in Deutschland. Bei ihr bin ich vor allem damit befasst, bei den vielen Zitaten, die Broué in französischer Übersetzung bringt, die deutschen Originale herauszusuchen.

Das Interview führte René Arnsburg.

Bestellbar bei Manifest Bücher:

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