Metall-Tarifergebnis reicht nicht

Ein Pilotabschluss, der nicht Schule machen sollte

Im Tarifbezirk Baden-Württemberg kam es in der fünften Verhandlungsrunde zu einem so genannten Pilotabschluss in der Metall- und Elektroindustrie. Der Vorstand der Gewerkschaft IG Metall empfiehlt, diesen Abschluss in allen anderen Tarifbezirken anzunehmen. Doch die Laufzeit ist zu lang und die Tabellenerhöhungen zu niedrig. Mit einer Steigerung der Arbeitskampfmaßnahmen wäre die Durchsetzung der Forderungen möglich. Dieser Abschluss sollte deshalb auf keinen Fall Schule machen. IG Metall-Mitglieder in den Betrieben sollten dies deutlich machen. Aber auch für künftige Tarifauseinandersetzung wie im öffentlichen Dienst, bei Post, Bahn und weiteren darf dieser Abschluss – genauso wenig wie der in der Chemieindustrie – nicht als Vorbild dienen.

Von Angelika Teweleit, Berlin

Schon die Forderung von acht Prozent war bei vielen Kolleg*innen als zu niedrig kritisiert worden. Bei einer Inflation von inzwischen mehr als zehn Prozent hätte die Erreichung der acht Prozent auf die Tabelle bei zwölf Monaten Laufzeit bereits ein Reallohn-Minus ergeben. Man muss dazu sagen, dass die letzten Tabellenerhöhung in der Metall- und Elektroindustrie ganze vier Jahre her ist. Nun sagt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann auf der IGM-Webseite: „Die Beschäftigten haben demnächst deutlich mehr Geld in der Tasche – und zwar dauerhaft“. Diese Rechnung ist überhaupt nicht nachvollziehbar, denn das Geld ist weniger wert. Im Gegenteil läuft es darauf hinaus, dass die Kolleg*innen dauerhaft wesentlich weniger Kaufkraft in der Tasche haben.

Lange Laufzeit, niedrige Prozente

Das Tarifergebnis soll für 24 Monate gelten, anstatt wie gefordert 12 Monate. Dabei soll die erste tabellenwirksame Erhöhung erst im Juni 2023 kommen und zwar mit 5,3 Prozent. Das bedeutet also, dass es trotz Inflation von derzeit 10,4 Prozent unmittelbar noch immer keine Tabellenerhöhung gibt – das nach vier Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhungen. Die nächste Erhöhung soll es dann im Mai 2024 mit nur 3,3 Prozent geben. Wie stark die Preise bis dahin gestiegen sein werden, weiß niemand. Momentan ist jedenfalls keine Absenkung der Preissteigerungen in Sicht – von einem Sinken der Preise ganz zu Schweigen.

Einmalzahlungen

Ein solches Ergebnis allein wäre nicht vermittelbar gewesen. Um zu verhindern, dass es zu großen Streiks kommt, hatte sich die Bundesregierung das Instrument der steuer- und abgabenfreien Inflationsprämien von bis zu 3000 Euro ausgedacht, welches auch von den Gewerkschaftsführungen akzeptiert wurde. Diese Inflationsprämien fließen nun in den Abschluss mit ein, um das Gesamtergebnis erträglicher aussehen zu lassen. Jeweils 1500 Euro Anfang 2023 und Anfang 2024 sollen an die Beschäftigten ausgezahlt werden. Sicher freuen sich Kolleg*innen über eine zusätzliche Zahlung. Doch angesichts der enorm steigenden Lebenshaltungskosten hätte es dieses Extra allenfalls zusätzlich zu den sowieso zu niedrigen acht Prozent geben müssen, und zwar als Ausgleich für die Reallohnverluste, die Kolleg*innen schon im gesamten Jahr 2022 durch die massiven Preisexplosionen hinnehmen mussten. Denn die Verbraucherpreise – wie auf den meisten IG-Metall-Kundgebungen eindrücklich vorgerechnet wurde – sind noch viel stärker gestiegen als die allgemeine Inflation. Der Anstieg von Lebensmittelpreisen lag im Oktober bei zwanzig und Energiepreise bei 43 Prozent! Das sind aber genau die Kosten, die bei „Otto Normalverbraucher“ richtig reinhauen! Auch mit den Einmalzahlungen werden diese enormen Kostensteigerungen nicht ausgeglichen! Und natürlich ist das Problem bei Einmalzahlungen immer, dass sie keine nachhaltige Auswirkung auf den monatlichen Lohn haben.

Sol-Mitglieder beim IG Metall Warnstreik in Berlin

Versteckte Subventionen

Die Tatsache, dass dafür weder Steuern noch Sozialabgaben gezahlt werden müssen, rentiert sich wie immer vor allem für die Kapitalseite. Unterm Strich bedeutet das Ergebnis für sie: mit diesen Einmalzahlungen können sie sich freikaufen. Mit den niedrigen Tabellenerhöhungen (nach mehreren Jahren null Erhöhung und für die nächsten zwei Jahre weiterhin deutlich unter der Inflation) machen sie aber ein gutes Geschäft. Zudem erhalten sie noch mit der Gas- und Strompreisbremse ab Januar 2023 prozentual größere Vergünstigungen als die Privatverbraucher*innen. In Wirklichkeit werden hier die Unternehmen wieder einmal mit verschiedenen Instrumenten subventioniert, so dass sie weiter ihre Gewinne einfahren können – auf Kosten der Masse der arbeitenden Bevölkerung. Denn all diese Milliarden Euro, die der Staat jetzt dafür ausgibt oder auch an Mindereinnahmen hat, werden in den nächsten Jahren bei der öffentlichen Daseinsvorsorge eingespart oder an anderer Stelle den Beschäftigten wieder aufgedrückt.

Lange Laufzeit

Ein Aspekt, der die Kapitalseite freut, ist wie immer die lange Laufzeit von zwei Jahren. Natürlich war sie mit einer Forderung nach dreißig Monaten Laufzeit in die Tarifverhandlungen gegangen, wie auch mit der Weigerung überhaupt eine Tabellenerhöhungzuzugestehen, um dann so zu tun, als hätten sie große Zugeständnisse gemacht. Davon darf man sich aber nicht täuschen lassen. Tarifvertragslaufzeiten bedeuten, dass so lange Friedenspflicht vereinbart wird. Das wird gerade in den kommenden Monaten, wenn sich die allgemeine Krise weiter verschärft und gerade auch, wenn es zu Arbeitsplatzabbau kommen wird, zu einem Problem.

Kampfbereitschaft nicht genutzt

Die Mobilisierungen für die Warnstreiks seit Ende Oktober waren beeindruckend. Insgesamt nahmen laut IG Metall etwa 900.000 Kolleg*innen daran teil. Trotz der zu niedrigen Forderung waren Kolleg*innen kampfbereit. Es gab Vorbereitungen für 24-stündige Warnstreiks in der nächsten Woche und die Drohung einer Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik. All das soll jetzt für ein solch dürftiges Ergebnis abgesagt werden. Das ist ein Fehler.

Vertrauensleute in allen Betrieben und Tarifbezirken sollten jetzt unmittelbar zusammen kommen und dagegen protestieren und die Tarifkommission zur Ablehnung dieser Einigung auffordern. Außerdem sollte gefordert werden, dass jede Annahme durch die Tarifkommission allen Mitgliedern in einer verbindlichen Urabstimmung zur Entscheidung vorgelegt werden sollte.

Allein mit einem 24-stündigen Warnstreik könnte der Druck massiv gesteigert werden. Vor allem würde es auch den Kolleg*innen in den Betrieben selbst deutlich machen, welche Stärke sie besitzen. Das ist sehr wichtig auch für die kommenden Jahre. Mit einem richtigen Arbeitskampf wäre es erst recht möglich, die Organisationsmacht der Gewerkschaft in der Metall- und Elektroindustrie wieder herzustellen. Gerade aktuell könnte sich die Kapitalseite einen langen Streik nicht leisten und könnte zum Einlenken gezwungen werden – für die Durchsetzung der Forderungen bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Dies würde die Ausgangsposition für alle künftigen Kämpfe, auch wenn es um die Verteidigung von Arbeitsplätzen geht, enorm verbessern.

Innergewerkschaftliche Opposition aufbauen

Einige Kolleg*innen spüren, dass mit der sozialpartnerschaftlichen Herangehensweise kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Einige werden auch enttäuscht sein, dass der Kampf so abgesagt wurde. Der Gewerkschaft den Rücken zu kehren, ist aber in diesen Zeiten auch keine Alternative. Klar ist, dass es ohne Gewerkschaft viel schlimmere Angriffe geben würde, gegen die sich dann nicht kollektiv gewehrt könnte. Es muss darum gehen, die Gewerkschaft zu dem zu machen, was sie sein soll: eine kämpferische und demokratische Organisation der Beschäftigten, die nicht bereit ist, kampflose Zugeständnisse an die Kapitalseite zu machen. Es wäre gut, wenn sich Kolleg*innen im Vorfeld des nächsten IG Metall-Gewerkschaftstages im Herbst 2023 zusammentun, um eine kritische Bilanz der Tarifrunde einzubringen, und Schlüsse zu ziehen. Die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) ist ein Angebot für Kolleg*innen, die sich für einen Kurswechsel weg von der Sozialpartnerschaft hin zu einer kämpferischen Ausrichtung einsetzen wollen.

Dieser Tarifabschluss macht es umso wichtiger, dass die Kolleg*innen in Bund und Kommunen, bei der Post und der Bahn bei ihren anstehenden Tarifrunden durchsetzen, dass es keine Einigung unterhalb einer Reallohnsteigerung geben darf. Dazu werden sie sich vernetzen und an der Basis organisieren müssen, um dies innerhalb der Gewerkschaften zu erreichen. Der Abschluss zeigt auch, dass die Tarifkämpfe mit breiten gesellschaftlichen Protesten gegen Preissteigerungen und die Regierungspolitik für Banken und Konzerne verbunden werden sollten.

Angelika Teweleit ist Mitglied im Ko-Kreis der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) und der Sol-Bundesleitung.