AfD-Kampagne gegen Arbeitslose zeigt Charakter der Rechtspopulist*innen
Glaubt man den Darstellungen der AfD, gehen Arbeitslose dank des Bürgergelds bald sonnigen Zeiten entgegen. AfD-Spitzenpolitiker*innen wie Norbert Kleinwächter sehen schon den „Müßiggang“ und glauben an Bürgergeldempfänger*innen, die „im Schloss wohnen“. Schützenhilfe erhält die AfD von CDU/CSU, die sich während der Debatte um das Bürgergeld nicht nur im Gleichklang mit den Rechtspopulist*innen übte, sondern die Reform zunächst im Bundesrat zu Fall gebracht hatte.
Von Steve Hollasky, Dresden
Die nun anstehenden, angeblichen, Verbesserungen der Lebenssituation von Arbeitssuchenden sind für die selbst ernannte „Partei der kleinen Leute“, als die sie ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland einmal bezeichnet hat, kein Grund zur Freude. Es müsse das Prinzip „Leistung gegen Leistung gelten“, wie der AfD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter nicht müde wird, bei öffentlichen Terminen zu wiederholen.
Dabei ist die Verwöhnkur für Arbeitslose, die die AfD mit dem Start des Bürgergelds zu Beginn des nächstes Jahr auszumachen scheint, eine in rot-grünen Schreibstuben ausgedachte Lüge. Was die AfD, aber auch die CDU/CSU nicht davon abhält, das Bild des Werteverfalls in ihren Reden und Darstellungen zu kleistern.
Die Pläne der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP zum Ersetzen der Leistungen nach Hartz IV hatte Hubertus Heil vor ein paar Monaten vor anwesenden Pressevertreter*innen mit der Anerkennung von mehr Lebensleistung und mehr Sicherheit für Arbeitslose begründet. Eine kräftige Erhöhung des Regelsatzes wurde angekündigt, ebenso eine Anhebung des Schonvermögens und eine zweijährige Karenzzeit, in der die Angemessenheit des Wohnraums nicht infrage gestellt werden sollte. Die ersten sechs Monate sollte es nach dem Willen der Koalition keinen Sanktionen, also beispielsweise Leistungssenkungen, als Strafe für ein angebliches Fehlverhalten geben.
Sieht man einmal sehr, sehr großzügig darüber hinweg, dass Hubertus Heil damit im Grunde zugab, dass es die angeblich nicht stattfindenden Zwangsumzüge wegen Hartz IV sehr wohl doch gab und damit nur einräumt, was unvoreingenommenen Beobachter*innen absolut klar war, zerplatzen die meisten anderen Pläne des Bundesarbeitsministers wie Seifenblasen.
Die immer wieder in Aussicht gestellte und wie ein Cliffhanger von Auftritt zu Auftritt vertagte Aussage über die genaue Erhöhung des Regelsatzes, der bei Hartz IV aktuell 449 Euro beträgt, war für viele ernüchternd. Mit 53 Euro Aufschlag wird das Bürgergeld bestenfalls die Inflation ausgleichen. Der Paritätische Wohlfahrtsausschuss fordert einen Regelsatz von 678 Euro. Doch selbst diese Zahl stellt die unterste Grenze dar. Soll der Regelsatz einigermaßen auskömmlich sein, müsste er auf 900 Euro angehoben und Wohn- und Heizkosten voll übernommen werden.
Die angebliche Übernahme der gesamten Heizkosten in den ersten zwei Jahren ist allerdings längst vom Tisch.Und das Schonvermögen von 60.000 Euro wurde auf dem Altar der im Vermittlungsausschuss notwendigen Verständigung mit den Unionsparteien geopfert. Nach einer gerade einmal neunzigminütigen Sitzung des Vermittlungsausschusses wurde das Schonvermögen auf 40.000 Euro verringert. Selbst dieses Vermögen wird nur noch ein Jahr lang garantiert werden. Sollte man länger auf Bürgergeld angewiesen sein, werden auch diese Ersparnisse angegriffen.
Die angebliche Sanktionslosigkeit des Bürgergelds entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Chimäre: Ohnehin sollten Beziehende nur für die ersten sechs Monate vor Strafmaßnahmen sicher sein. Mit der Sitzung des Vermittlungsausschusses ist auch diese kleine Erleichterung vom Tisch. Ab sofort kann von Beginn an sanktioniert werden. Wie gesagt, die Unionsparteien brauchten gerade einmal neunzig Minuten, um der Koalition die Zugeständnisse „abzutrotzen“.
Harald Thomé, der sich seit Jahren mit dem tacheles e.V. für die Belange von Hartz-IV-Beziehenden einsetzt, nannte das Bürgergeld in seinem September-Newsletter denn auch konsequenterweise „Bürgerhartz“. Auch Dietmar Bartsch von der Linksfraktion im Bundestag erklärte in seiner Bundestagsrede im November, „das System“ bliebe erhalten, „in der Substanz ist es Hartz IV“, was die Koalitionsparteien als „Bürgergeld“ bezeichnen.
AfD: „Motivierende Grundsicherung“
Dennoch wettert die AfD gegen die Reformvorhaben. Ihre Kritik wird wegen der permanent vorgetragenen Wiederholungen jedoch nicht korrekt. Bislang konnte sich die AfD erlauben durchaus nebulös zu bleiben, wenn es um die von ihnen angestrebte „aktivierende Grundsicherung“ ging. In ihrem Bundestagswahlprogramm von 2021 hieß es nur, dass künftig die Leistungsbeziehenden, die arbeiten gehen, mehr Geld behalten sollten, dass das Lohnabstandsgebot einzuhalten und „Missbrauchsmöglichkeiten auszuschließen“ seien.
Im Zuge der Bürgergeld-Debatte wurde die AfD dann wesentlich deutlicher. Gerrit Huy, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der AfD, verkündete in einer Pressekonferenz im Oktober, Deutschland habe die „Aktivierung von vorhandenen Arbeitskräften“ dringend nötig. Schließlich würde die Wirtschaft in zahlreichen Bereichen unter Fachkräftemangel leiden. Dennoch sei es nicht möglich gewesen, Leute für auf Flughäfen zu verrichtende Arbeit zu gewinnen. Und das obwohl, so merkte Huy vor Pressevertreter*innen an, mehr als die Hälfte der Hartz-IV-Beziehenden Geflüchtete seien.
Zahlen, die dringend in Zweifel gezogen werden müssen. Geht die Bundeszentrale für politische Bildung in einer Aufstellung vom Januar diesen Jahres doch von 38 Prozent Migrant*innen mit eigener Migrationserfahrung aus, die Arbeitslosengeld II beziehen. Nicht alle von ihnen sind Geflüchtete.
Das grundlegende Herangehen der AfD an die Frage der Arbeitslosigkeit wird durch die Worte von Gerrit Huy unmissverständlich klar. Für die Rechtspopulist*innen sind Arbeitslose einzig und allein Verfügungsmasse. Die deutsche Wirtschaft leidet an Fachkräftemangel? Dann muss man Arbeitslose zwingen, Stellen anzunehmen.
Mit diesen Positionen bewegt sich die AfD in der Logik aller bürgerlicher Parteien. Die Grundidee von Hartz IV war genau jene, die die AfD nun wieder präsentiert: Arbeitslose sollten gezwungen werden, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Dabei verfolgte die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder 2004 gleich zwei Ziele: Man wollte einen Niedriglohnsektor in Deutschland etablieren und hat dieses Ziel auch erreicht. Außerdem wurden Gewerkschaften geschwächt. Wer Angst hat, bei Widerwort den Job zu verlieren und in Hartz IV zu rutschen, der ist nicht bereit, sich zu organisieren und zu kämpfen. Die AfD knüpft genau dort an.
Dabei ist das Geweine von AfD und übrigens auch CDU/CSU über die als Tatsache ausgemachte angebliche Verletzung des Lohnabstandsgebots durch das Bürgergeld eine Mär. Nach Berechnung des „Hamburger Abendblatts“ vom 24. November, erhält „eine alleinstehende Person, die zum Mindestlohn in Vollzeit berufstätig ist und Wohngeld bezieht“, 1.541 Euro netto, „während sie ein Bürgergeld von 1.177 Euro beziehen würde“. Damit lägen Menschen, die Bürgergeld beziehen noch etwa einen Euro unterhalb des pfändungsfreien Existenzminimums von 2019. In Saus und Braus lebt man in keinem dieser Fälle.
AfD: Zwangsarbeit und Lebensmittelkarten
Was die AfD unter einer „aktivierenden Grundsicherung“ versteht, offenbarte bereits vor einigen Monaten einer ihrer beiden Bundesvorsitzenden: Tino Chrupalla verlangte damals, dass Hartz-IV-Empfänger*innen nur dann Leistungen erhalten sollten, wenn sie beispielsweise auf deutschen Flughäfen Koffer tragen würden. Das war mehr als eine mal schnell in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ daher gesagte Äußerung.
In ihrem Antrag an den Bundestag vom 12. Oktober wiederholte Tino Chrupalla, der für den Entwurf verantwortlich zeichnete, seine Forderung nach Zwangsarbeit ein weiteres Mal.
Nach Ablauf einer Karenzzeit von zwölf Monaten, heißt es dort, solle der Bezug von „Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II“ fortan „grundsätzlich an die Teilnahme an der ‚Bürgerarbeit‘“ in einem Umfang von 15 Stunden pro Woche „geknüpft werden“. Wer sich verweigere, der soll, so der Wille der AfD, künftig über eine „Sachleistungs-Debitkarte“ versorgt werden und seinen Anspruch auf finanzielle Hilfen verlieren.
Damit attackiert die AfD Arbeitssuchende und Arbeitende zugleich: Die einen werden gezwungen jede Arbeit anzunehmen, wobei sich die AfD interessanterweise darüber ausschweigt, ob sie gedenkt solche Arbeiten überhaupt zu bezahlen. Und während die AfD quasi die Wiedereinführung von Sklavenarbeit in Angriff nehmen will, greift sie zugleich diejenigen an, die sozialversicherungspflichtige Jobs haben. Diese stehen nämlich ebenso zur Debatte wie das Lohnniveau, wenn Arbeiten von Menschen, die sich nicht dagegen wehren können, ausgeführt werden müssen und die zugleich kein oder nur geringes Entgelt dafür beziehen.
Kommunen oder gegebenenfalls auch Privatunternehmer wägen vor die Wahl gestellt wohl nicht lange ab, wen sie zur Erledigung diverser Aufgaben heranziehen, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte oder zwangsverpflichtete „Bürgerarbeiter*innen“.
180-Grad-Wende beim Regelsatz
Bei der Höhe des Regelsatzes vollzog die AfD innerhalb weniger Wochen eine erstaunliche Kehrtwende. Noch in seiner Rede vor dem Bundestag im Oktober hatte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Norbert Kleinwächter, vorgerechnet, dass man mit dem Bürgergeld mitunter besser auskomme, als mit einem schlecht bezahlten Job.
Gut einen Monat später, begrüßte Kleinwächter an derselben Stelle ausdrücklich die Erhöhung des Regelsatzes, denn „es sind nicht unsere Arbeitslosen, die für diese völlig irren Preissteigerungen verantwortlich sind“. Die Verantwortlichen machte Kleinwächter in „Bundesregierung“ und „EU-Kommission“, sowie der „Europäischen Zentralbank“ und deren „völlig wirren Niedrigzins- und Transformationspolitik“ aus.
Verantwortliche in den Chefetagen der großen Konzerne, insbesondere der Energieunternehmen, scheint Kleinwächter nicht zu kennen. Zwar verdienen sich im Angesicht der steigenden Kosten gerade diese eine goldene Nase und Verbraucher*innen werden geschröpft, aber Kleinwächter erwähnt das mit keinem Wort.
Aber nicht allein ihre unternehmensfreundliche Haltung fällt bei einer Analyse des Auftretens der AfD in der Bürgergeld-Debatte ins Auge. Die Wende der AfD in der Frage der Regelsatzhöhe ist ebenso verblüffend wie offenbarend zugleich: In einer Zeit, in der private Großunternehmen nach staatlicher Hilfe schreien, ist ausgerechnet eine Partei, die eine Entlastung von Empfänger*innen staatlicher Unterstützungsleistungen immer wieder ablehnt, für eine – an sich vollkommen unzureichende – Erhöhung des Regelsatzes. Es drängt sich die Annahme auf, dass dieses Zusammenfallen alles andere als zufällig sein könnte. Entgegen der Darstellung Kleinwächters in der Pressekonferenz zum Bürgergeld, sichert dasselbe eben nicht das „soziokulturelle Existenzminimum“. Wer diese Leistung erhält, kann nichts zurücklegen und ist gezwungen dieses Geld auszugeben. Der Hintergrund der Kehrtwende der AfD könnte sich damit in dem einfachen Umstand erschöpfen, dass die Damen und Herren Rechtsaußen gedenken, die Nachfrage von mehreren Millionen Menschen in etwa stabil zu halten. Die deutschen Unternehmen dürfte es freuen, das Lebensniveau der Bürgergeldempfänger*innen würde hingegen nicht steigen, dazu fällt die Erhöhung viel zu mickrig aus.
AfD: Risiko für alle, statt Wohlstand für alle
Dass die AfD wenig Interesse an den Lebensumständen von Bürgergeldempfänger*innen zeigt, beweist sie auf vielfältige Weise. Was sie dabei an rhetorischen Unverschämtheiten und Diffamierungen produziert, könnte längst Bücher füllen. Kleinwächter posaunte in seiner Rede im Bundestag kurzerhand aus: ein Niedriglohnempfänger würde durch die Einführung des Bürgergelds „fast schlechter“ dastehen „als ein Bürgergeldempfänger“. Dementsprechend müsse man sich „doch nicht wundern, dass Leute, statt selber auf den Bau zu gehen, lieber bei RTL2 anderen beim Bauen zugucken.“ Dass Rechte aller Schattierungen gern mal Arbeitslosigkeit mit Faulheit gleichsetzen, ist nicht neu, zeigt aber einmal mehr, wo die AfD steht. Die AfD ist keine „Partei der kleine Leute“, sie hasst jene, die sie – nicht ohne auf sie herabzusehen – „kleine Leute“ nennt. Der Satz, den Kleinwächter in seiner Bundestagsrede anschloss, konnte kaum deutlicher als Offenbarungseid geeignet sein. Vom angeblich RTL2-schauenden Arbeitslosen „profitiert unsere Wirtschaft nicht“, so Kleinwächter.
Dort steht die AfD, nicht auf der Seite der Arbeitslosen, der Armen und der Niedriglöhnempfänger*innen und Rentner*innen, sondern auf der Seite der großen Unternehmen. Was immer die AfD in der Sozialpolitik fordert, die Wirtschaft soll „profitieren“. Dass bei den großen Firmen die Kasse klingelt – das ist das grundlegende Prinzip der AfD.
Entsprechend durchsichtig sind Kleinwächters Äußerungen, wenn man sie sich genauer anhört. Sein Vorwurf gegenüber der Regierungskoalition bezüglich des Bürgergelds ist so neu nun wirklich nicht, man würde Leistungen an Leute ausbringen, „die nicht arbeiten wollen, auf Kosten und Lasten derer, die jeden Morgen zur Arbeit gehen“. Wer Bürgergeld empfange, der müsse kein Risiko eingehen, hält Kleinwächter pathetisch fest. Anders als jene, die arbeiten, „die Verantwortung tragen in ihren Berufen, die auch ein Risiko eingehen in ihren Berufen“. Sie würden, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, es riskieren ihren „Job zu verlieren“, sie würden als Selbstständige „ihren Wohlstand“ aufs Spiel setzen und als Beschäftigte, „ihre Gesundheit zu verlieren“.
Man beachte, für Kleinwächter ist der Skandal nicht, dass im viertreichsten Land der Erde es offenkundig normal zu sein scheint, dass man von Jobverlust bedroht ist und seine Gesundheit für einen oft genug zu geringen Lohn zu Markte trägt. Der Skandal für Kleinwächter ist, dass es einige angeblich nicht tun müssen. Kleinwächter will nicht die Ausbeutung beenden, deren Folge eben auch gesundheitliche Belastungen sein können. Kleinwächter will, dass nur ja alle in Deutschland lebenden Menschen ihre Gesundheit riskieren und „unsere Wirtschaft profitiert“. Kleinwächter und mit ihm die AfD sind am Schicksal der sogenannten „kleinen Leute“ nicht interessiert, wohl aber am Schicksal der deutschen Wirtschaft, am Schicksal der Reichen und Superreichen.
Das Motto der AfD kann man ohne zu übertreiben zusammenfassen als „Risiko für alle“. Ausgenommen die großen Unternehmen.
Ganz abgesehen übrigens davon, dass etliche Studien darstellen, dass das von Kleinwächter gemalte Bild mit den Realitäten nicht übereinstimmt. Die gesundheitlichen Folgen des Leistungsbezugs sind beträchtlich, wie zuletzt wieder eine Studie des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin (INES), die erst im September diesen Jahres veröffentlicht wurde, beweist.
Zudem zeigte die Studie auch, dass Sanktionen eben nicht motivierend auf Arbeitssuchende wirken, sondern das genaue Gegenteil der Fall ist. Straft man Menschen auf Jobsuche ab, erhöht sich der Frust.
Was sie wirklich denken
Dass die AfD diese elementaren Wahrheiten nicht zur Kenntnis nehmen will, liegt in ihren politischen Prinzipien begründet. Die führenden Persönlichkeiten der AfD sind weitgehend im neoliberalen Denken verhaftet. Der Bürger, so erklärt Alice Weidel in ihrem Buch „Widerworte“, frage „zuerst, was er für das Gemeinwesen tun kann, statt darauf zu warten, was das Gemeinwesen für ihn tun kann“ und scheint dabei zu übersehen, dass es ihre Abgeordnetenbezüge sind, die durch das Gemeinwesen finanziert werden und ihre politischen Antworten zugleich Millionen Menschen quasi zu Nicht-Bürger*innen stempelt, weil sie in der Not nach staatlichen Leistungen fragen.
Mit diesen Worten hat Weidel sehr gut beschrieben, wie die Vorstellungswelt der AfD aussieht: Das Bild der AfD ist eine Gesellschaft, in der es so etwas wie kollektive Verantwortung für das Schicksal ihrer Mitglieder gar nicht gibt. Ist man reich oder superreich, kann man diesen Vorstellungen getrost zustimmen. Wenn man fremde Arbeit ausbeutet, um in Saus und Braus zu leben, braucht man keine Hilfe. Muss man jedoch für einen Armutslohn arbeiten, muss man sein karges Entgelt mit staatlichen Leistungen aufstocken oder gar aufgrund von Arbeitslosigkeit komplett von staatlichen Leistungen leben, helfen Weidels oder Kleinwächters zynische Sprüche nicht.
Die AfD steht auf der Seite der Reichen und Superreichen, der Großunternehmen und deren Aktionär*innen. Die „kleinen Leute“ mag die AfD rhetorisch hier und da zum Ziel ihrer Politik machen, dabei ist ihr Ziel vor allem die Brieftasche dieser sogenannten „kleinen Leute“.
Die AfD sieht die „kleinen Leute“ mit reichlich Abstand, der von ihrer tiefsitzenden Verachtung für diese ausgefüllt wird. Das „Bürgergeld“ führe in der Endkonsequenz dazu, dass „diejenigen, die wirklich nicht arbeiten können“ in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit „in einen Topf geworfen“ würden „mit all den Couchpotatoes, die eben nicht nicht können, sondern die nicht wollen“, sprach der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Norbert Kleinwächter und leistete damit genau dem Vorurteil Vorschub, dass er doch vorgab zu bekämpfen.
Hört man dem AfD-Gerede über die Ursachen von Armut zu, fühlt man sich unweigerlich an dunkle Romane von Charles Dickens oder Jack London aus dem 19. Jahrhundert erinnert, in denen reiche, gut gekleidete Menschen darüber lamentieren, weshalb andere arm sind und ihre eigene Rolle nicht einmal in Ansätzen erkennen wollen.
Und hört man die Lösungsideen der AfD für die soziale Frage, dann könnten sie dystopischer kaum sein: Zu Zwangsarbeit und Lebensmittelkarten gesellen sich die Ideen weitgehender politischer Entrechtung. Als im Januar 2021 im sächsischen Olbernhau die AfD Markus Krall, neoliberaler Redner und Vordenker und zugleich im Vorstand der Degussa-Goldhandel GmbH, zu einem Vortragsabend geladen hatte, verlangte er kurzerhand Empfänger*innen staatlicher Transferleistungen – wie BAföG, Wohngeld, Eltern- und Kindergeld und eben Hartz IV oder ab Januar 2023 Bürgergeld – sollten für die Zeit des Bezugs ihr Wahlrecht einbüßen oder aber auf die staatlichen Zahlungen verzichten. Da die zweite Alternative aufgrund der wirtschaftlichen Lage der meisten Menschen keine wirkliche ist, dürften viele – insbesondere Frauen – die Liste ihrer politischen Grundrechte deutlich verringern müssen, sollte es nach dem Willen der AfD gehen.
Der Chef der sächsischen AfD, Jörg Urban, stimmte in seiner anschließenden Rede Kralls Idee zu. Es sei zwar ein hartes Brett zu bohren, so Urban, aber er sei bereit in diese Richtung weiterzudenken. George Orwells dunkle Zukunftsvisionen dürften im Angesicht solcherlei Vorschläge ihren Meister gefunden haben.
Um im Sprachduktus der Rechtspopulist*innen zu bleiben: den „großen Leute“ dürften die geistigen Sandkastenspiele der AfD zusagen, die „kleinen Leute“ wären die angeschmierten.
AfD & CDU – CDU & AfD
Bemerkenswert auch, wie sehr sich AfD und CDU/CSU in der Bürgergeld-Debatte ähneln. Die Regierungskoalition wird von beiden Parteien nicht etwa dafür kritisiert, dass ihre Pläne nach wie vor unsozial sind, weiterhin Armut per Gesetz bedeuten und Hartz IV bestenfalls in hellere Farben tünchen ohne dessen Kern zu ändern. Die Kritik der Unionsparteien und der AfD läuft darauf hinaus, es würden Arbeitslose künftig verwöhnt werden.
Der sächsische Unionsministerpräsident Michael Kretschmer lehnt die Pläne der Koalition ab, was nicht etwa dazu führt, dass die im Freistaat mit der CDU regierenden Grünen und SPD, die diese Pläne im Bund auf die Tagesordnung gesetzt haben, die Koalition platzen lassen würden. Alleinerziehende mit 2500 Euro brutto, so Kretschmers Überlegungen, kämen in Zukunft nur auf wenig mehr Geld als Bürgergeldbeziehende. Kleinwächter von der AfD lässt grüßen. Für Kretschmer ist dieser angebliche Fakt, der so nicht zutrifft, kein Anlass, höhere Löhne für niedrig Verdienende zu fordern, sondern die in der Realität kaum spürbaren Segnungen des Bürgergelds anzugreifen.
Kretschmers Parteichef Friedrich Merz erklärte im November in einem Interview mit der Welt am Sonntag, das „sogenannte Bürgergeld“, sei „der Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln“. Damit gab er fast wörtlich den Antrag der AfD-Bundestagsfraktion wieder, der mit „aktivierende Grundsicherung statt bedingungslosem Grundeinkommen“ überschrieben ist.
Auch bei der Frage der Erhöhung des Regelsatzes sind sich die Rechtspopulist*innen und die Konservativen weitgehend einig – der lächerliche Betrag von 53 Euro muss reichen!
Der Gleichklang von CDU und AfD und AfD und CDU in weiten Teilen der Fragen bezüglich des Bürgergeldes zeigt, wie groß die Parteienkoalition gegen die Armen ist.
Bei sich selbst sind die Damen und Herren selbstverständlich häufig großzügiger: der Unionschef Friedrich Merz flog im Sommer mal schnell mit seinem eigenen Flugzeug zur Hochzeit des FDP-Politikers Christian Lindner. Es sei „ein alter Traum von mir“, verteidigte Merz den Protzflug später gegenüber der Presse.
Von der LINKEN kommt zu wenig
In seiner Rede vor dem Plenum des Bundestags hat Dietmar Bartsch von der LINKEN viel gesagt und was er sagte war sicherlich richtig. Die Diskussionen um das Bürgergeld betitelte er als „Schmierentheater“. Der Union warf er vor „Geringverdiener gegen Arbeitslose“ auszuspielen und schilderte damit das Offensichtliche. Dass CDU/CSU das „Milliardenvermögen der Superreichen“ schützen wolle, hingegen das Schonvermögen der Leistungsbeziehenden angreife, sei „unwürdig“. Das Bürgergeld sei „nicht im Ansatz armutsfest“, so Bartsch. Auch diese Feststellung trifft absolut zu, ebenso wie die Feststellung, dass 53 Euro Erhöhung deutlich zu wenig sind.
Nur passt es nicht zum Verhalten der Landesregierungen, an denen DIE LINKE beteiligt ist. Die stimmten im Bundesrat selbst dem von der CDU/CSU im Vermittlungsausschuss erzwungenen Kompromiss zu. Zwar sei das, was da im Bundesrat beschlossen wurde „wahrlich nicht die Überwindung von Hartz IV“ wie Katja Kipping, LINKE-Sozialsenatorin von Berlin, in einem YouTube-Beitrag erklärte, man wolle aber der Regelsatzerhöhung und „einigen Verbesserungen“ nicht im Wege stehen, daher hätten die Landesregierungen mit Beteiligung der LINKEN im Bundesrat zugestimmt.
Nur trifft diese Aussage nicht den Kern der Sache: Um den Regelsatz um 53 Euro zu erhöhen hätte auch ein einfacher Beschluss ausgereicht, die Schaffung des Bürgergelds wäre dazu unnötig gewesen. Schließlich hatte man in den Jahren zuvor den Hartz-IV-Regelsatz auch mehrmals erhöht. Zudem galt aktuell bei Hartz IV ein Sanktionsmoratorium aufgrund der Ausnahmeregelungen wegen der Pandemie. Dieses Moratorium wird mit der Einführung des Bürgergelds wieder verschwinden. Hartz IV war zudem in den allermeisten strittigen Fragen durchgeklagt, so hatten Engagierte vor Ort geholfen zumindest einige Verbesserungen für Leistungsbeziehende durchzusetzen. Mit dem Bürgergeld geht es in diesen Fragen wieder zurück auf Null – alles, jede kleine Ausführungsregelung muss in strittigen Fällen wieder vor Gericht. Die Stimmen der LINKEN in den Landesregierungen erkauften eine unzureichende Erhöhung mit neuen Sanktionen und in vielen Fällen rechtlichen Ungewissheiten. Einmal mehr zeigt sich das Verhängnis der LINKEN Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen.
Echte Alternative aufbauen
Während SPD, FDP und Grüne den Menschen vorspielen, für Arbeitslose würde nun die Morgenröte dämmern, sehen AfD und CDU/CSU in den Plänen der Koalition ein Schreckbild. Insofern ergänzen sich diese Parteien hervorragend, denn Arme und Niedriglohnempfänger*innen können sich auf keine von ihnen verlassen. In verschiedenen Schattierungen vertreten sie die mitunter widerstreitenden Interessen der verschiedenen Flügel der herrschenden Klasse.
Will man endlich einen Weg aus der Armut von Millionen bahnen, will man Niedriglöhne der Vergangenheit angedeihen lassen, muss die enorme Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands und die Eigentumsverhältnisse infrage gestellt werden.
Es sind 0,1 Prozent der Menschen in Deutschland – die reichsten – die 20,4 Prozent des Vermögens besitzen. Ein Prozent besitzt mehr als ein Drittel und zehn Prozent nennen zwei Drittel des Reichtums ihr eigen. Derweil haben die untersten zehn Prozent Schulden oder landen am Ende des Monats bei Null. Würde man das gesellschaftliche Vermögen von 13.000.000.000.000 Euro (13 Billionen!) auf alle in Deutschland lebenden Menschen gleich verteilen, würden alle – Greise, Babys, Frauen, Männer, Kinder, Erwachsene, Geflüchtete und Hiergeborene – ca. 160.000 Euro besitzen.
Geld ist genug da, es ist nur viel zu ungleich verteilt! Will man diese Verteilung jedoch verändern, muss man die heilige Kuh des Kapitalismus schlachten: Das Privateigentum an Produktionsmitteln gehört abgeschafft, damit die Kapitalist*innen es nicht einsetzen können, um eine Umverteilung des Reichtums zu verhindern. Es muss in öffentliches Eigentum überführt und durch Beschäftigte und Gesellschaft demokratisch kontrolliert werden.
Eine Grundsicherung vom 900 Euro, plus Miete und Heizkosten, ohne Bedürftigkeitsprüfung und entwürdigende Sanktionen wäre ohne Probleme finanzierbar. Die vorhandene Arbeit muss auf mehr Schultern verteilt werden. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich würde nicht nur die Arbeitszeit senken, Löhne schützen und die gesundheitlichen Risiken von Erwerbsarbeit minimieren, sondern auch die Zahl der Arbeitslosen senken. Zudem steht die Frage, welche Arbeit gesellschaftlich wirklich wichtig ist: Pflege, Bildung, Produktion ziviler Güter, Herstellung von Nahrungsmitteln – all das ist wichtig. Rüstung ist es nicht!
Das wollen weder die AfD, noch CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD. Also, benötigen wir eine Partei der arbeitenden Bevölkerung: kämpferisch, demokratisch und sozialistisch. DIE LINKE muss sich entscheiden, ob sie einen Beitrag zur Schaffung einer solchen Partei leisten will oder die Verwaltung der kapitalistischen Missstände mit SPD und Grünen betreiben will. Denn die Antwort auf eine kapitalistische Gesellschaft, die die Verarmung von Millionen planmäßig organisiert, kann nur eine sozialistische Demokratie sein, die die Nutzung der gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtümer demokratisch plant.