Reichsbürger*innen-Razzia: „Rollator-Putsch“?

Die Gefahr, die von der Gruppe um Heinrich XIII. ausgeht, darf nicht geleugnet werden

„Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“, dürfte die Botschaft der Fernseh- und Zeitungsbilder der letzten Woche gewesen sein. Im wahrscheinlich größten Antiterroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik durchsuchten gut 3000 Beamt*innen 150 Objekte im Bundesgebiet, beschlagnahmten Waffen und verhafteten 25 Personen und beschuldigten bis jetzt 54. Der Vorwurf: Die Rechtsextremen planten einen Putsch. Fragen bleiben.

Von Steve Hollasky, Dresden

Zugegeben, es war eine illustre Versammlung, die da in Handschellen abgeführt wurde: Mit Heinrich XIII. Prinz Reuß ist ein adliger Immobilienhändler darunter, dessen Familie durch die Novemberrevolution 1918 zwar arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber bis in den Zweiten Weltkrieg hinein gerade in Thüringen eine bedeutende Rolle spielte. Mit von der Partie auch eine Richterin, die vier Jahre lang für die AfD im Bundestag gesessen und erst in diesem Jahr ihre Stelle am Berliner Landgericht wieder angetreten hatte. Da wäre auch ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) und ein ehemaliger Polizist, ein ehemaliger Bundeswehroffizier und kleine Unternehmer… Man könnte die Aufzählung beliebig weiter fortsetzen.

Der „Spiegel“ erklärte hierzu beinahe verwundert, es habe sich um viele Menschen aus der feinen Gesellschaft gehandelt. Als sei es etwas Neues, dass viele Rechtsextreme aus dem gehobeneren Kleinbürgertum kommen.

Gefährlicher Haufen

Oberflächlich betrachtet hatten die Rechtsterrorist*innen zunächst wenige Berührungspunkte: Heinrich XIII. war wütend über die Tatsache, dass seine Bemühungen nach 1990 die in der DDR enteigneten Ländereien seiner Vorfahren zurückzubekommen, wenig erfolgreich waren. Deshalb schloss er sich der Reichsbürgerbewegung an, versendete in Bad Lobeda Briefe, die den Dorfbewohner*innen erklärten, sie sollten sich bei ihm Papiere bestellen, die sie als echte Deutsche auswiesen.

Richterin Brigitte Malsack-Winkemann hielt rassistische Reden für die AfD im Bundestag. Grob betrachtet hat auch sie nur wenige Berührungspunkte zu Rüdiger von Pescatore. Dieser hatte damals das Fallschirmjägerbataillon 251 kommandiert. Stationiert war es in Calw in Baden-Württemberg und bildete später den Grundstein für die Schaffung des Kommandos Spezialkräfte (KSK).

Gemeinsam mit anderen trafen sie sich auf dem Anwesen von Heinrich XIII. in Thüringen. Dabei war auch ein aktiver Soldat des KSK, ein ehemaliger Polizeibeamter, ein rechter Prepper, mittelständische Unternehmer… Wie groß der Kreis ist lässt sich schwerlich genau umreißen. Etwa 120 Verschwiegenheitserklärungen wurden von den Behörden bislang gefunden. Wer unterschrieb, der willigte ein mit dem Tode bedroht zu werden, wenn er über den Kreis um Heinrich XIII. in der Öffentlichkeit sprechen würde. Nach Meinung der Ermittlungsbehörden wuchs die Gruppe rasant.

Der Plan

Schaut man sich die Ideologie der Verschwörer*innen an, läuft man Gefahr, die Gruppe für einfältig oder für einen schlechten Witz zu halten. Eine eklektische Zusammensetzung aller möglichen Verschwörungstheorien. Dabei macht sie das nicht ungefährlich. Die Theorie mag jeder rationalen Überlegung entrückt sein, das haben Verschwörungstheorien seit jeher an sich. Gerade darin liegt jedoch eine Gefahr: Der Antisemitismus der Nazis war auch eine Verschwörungstheorie und legitimierte den millionenfachen Massenmord an Jüdinnen und Juden. Stephan Balliet, der Rechtsterrorist, der im Oktober 2019 in Halle zwei Menschen ermordete nachdem ihm nicht gelungen war, in eine Synagoge zu gelangen Menschen ermordete, und unlängst mit einer versuchten Geiselnahme in seiner Haftanstalt wieder von sich reden machte, glaubte – ebenso wie der Verschwörer*innenkreis um Heinrich XIII. – an den ganzen Irrsinn um QAnon.

Die Pläne der Gruppe waren weitreichend. Nicht nur, dass der Bundestag gestürmt und Politiker*innen verhaftet werden sollten, mittels ihrer Kontakte vor Ort wollten sie 280 „Heimatschutzkompanien“ aufstellen, die politische Gegner*innen ausschalten sollten. Dafür wurden bereits Kasernen der Bundeswehr ausspioniert.

Zudem verfügte die Gruppe wahrscheinlich über enorme Finanzmittel: Bislang wurden 400.000 Euro in bar oder als Gold- und Silbermünzen entdeckt. Darüber hinaus sollen weitere sechs Millionen Euro in Form von Goldbarren in Schließfächern liegen.

Neben den ungeheuren finanziellen Möglichkeiten des Kreises erhöht auch ihr Zugang zu Waffen die von ihm ausgehende Gefahr. Schon in den 1990er Jahren hatte Rüdiger von Pescatore während seines aktiven Dienstes mehr als 150 Waffen aus NVA-Beständen verkauft. Ganze elf wurden bislang wieder gefunden.

Eine Ideologie, die praktisch jedes Verbrechen erlaubt, enorme finanzielle Mittel und Zugang zu Waffen – allein gemessen daran ist die Gruppe ein wahrer Alptraum. Doch nicht nur das, die Zahl der Mitwisser*innen und damit letzten Endes Unterstützer*innen der Gruppe wird schon jetzt als weit größer eingeschätzt als zunächst angenommen.

Keine Frage: zum jetzigen Zeitpunkt stellt dieser Kreis keine ernsthafte Bedrohung der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung dar und wäre ein Putschversuch zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Gruppe selbst ließ aus bislang ungeklärten Gründen einen selbst gewählten Termin verstreichen. Gefährlich bleibt sie dennoch. Dass solche Leute irgendwann um sich schießen, ist alles andere als ausgeschlossen. Nicht zu vergessen, dass man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass neben der Gruppe von Heinrich XIII. noch weitere Kräfte aus Reichsbürger*innen, Faschist*innen und Rechtsextremen aller Schattierungen beschlossen haben könnten, sich auf ähnliche Weise zu vernetzen.

Das staatliche Vorgehen gegen die rechtsextremen Verschwörer*innen ist sicher Ausdruck einer realen Sorge auf Seite der Regierenden und des Staates, dass diese Kräfte außer Kontrolle geraten. Faschist*innen und andere Rechtsextreme waren immer so etwas wie die Schmuddelkinder des Kapitalismus. Der CSU-Mann Franz-Josef Strauß bezeichnete sie einmal als Hilfstruppen. Hilfstruppen, die gegen die Arbeiter*innenbewegung und Linke von der Leine gelassen wurden, die Migrant*innen einschüchterten und gesellschaftliche Debatten nach rechts verschoben haben. Doch in den letzten Jahren haben solche Kräfte sich im Staatsapparat breit gemacht, mit AfD und Querdenker*innen-Bewegung sind sie zu einem destabilisierenden Faktor aus Sicht der etablierten pro-kapitalistischen Parteien geworden und hat sich ihr Terror, wie in den Fällen der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, auch gegen bürgerliche Politiker*innen gewendet. Trotzdem stellen bewaffnete Reichsbürger*innen und Faschist*innen vor allem eine Gefahr für Antifaschist*innen, die Arbeiter*innenbewegung, für Linke, Migrant*innen, Frauen und Minderheiten dar, gegen die sich rechter Terror hauptsächlich richtet. Diese Gefahr ist real, im Gegensatz zur Gefahr eines erfolgreichen Putsches. Ein Blick in die USA zeigt aber auch, welche Blüten die politische Krise des kapitalistischen Establishments treiben kann, wenn man an den Aufstieg Donald Trumps und den Sturm auf das Capitol denkt. Das ist für die Bundesrepublik sicher noch Zukunftsmusik, aber für die Zukunft eben auch nicht ausgeschlossen.

Beschwichtigungsversuche

Von allen Seiten kommen nun Beschwichtigungsversuche: Das KSK sei trotz dieses weiteren rechtsextremen Vorfalls in einer langen Liste derselben auf einem guten Wege die angemahnten Reformen umzusetzen, erklärte die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl. Eine schlüssige Erklärung dafür, weshalb sich eine Truppe, die durch rechtsextreme Vorfälle in der Vergangenheit immer wieder in die Presse geriet, nun auf einem guten Wege befindet, wenn es zum nächsten derartigen Ereignis kommt, bliebt sie allerdings schuldig.

Das Bundeskriminalamt beeilte sich zu verlautbaren, die Lage sei immer unter Kontrolle geblieben.

Gefragt von der Presse, ob die Distanzierungen der AfD von den Reichsbürger*innen überhaupt ernst zu nehmen seien, wenn eine ehemalige Bundestagsabgeordnete zum Kreis von Heinrich XIII. zählte, erklärte deren Bundesvorsitzende Alice Weidel süffisant, ihre Partei sei die einzige die Reichsbürger*innen auf der Unvereinbarkeitsliste habe. Was gleich mehrere ihrer Mitglieder nicht davon abhielt, bei Heinrich XIII. mitzumischen.

Den Versuch eines Staatsstreichs titulierte Weidel in Anspielung auf das im Allgemeinen höhere Alter der Beteiligten zum „Rollatorputsch“. Über die offenkundige Nähe von Teilen der AfD zu den Reichsbürger*innen kann das kaum hinwegtäuschen.

Genauso wenig wie über die Gefährlichkeit der Gruppe. Über das Maß einer solchen Bedrohung entscheidet nicht allein die vermeintliche Vitalität der Führungsriege und als diese sah sich der Kreis um Heinrich XIII., sondern die Brutalität und Entschlossenheit ihrer Anhänger*innen.

Führt man sich vor Augen, dass selbst der Verfassungsschutz von 21.000 Reichsbürger*innen in Deutschland ausgeht und gut zehn Prozent von ihnen als gewaltbereit einstuft, droht uns noch Einiges bevorzustehen. Zumal die Vernetzung auf Querdenker*innen- und anderen nach extrem Rechts offenen Demonstrationen fortschreitet.

Offene Fragen

Vor gut einer Woche wurde die Gruppe ausgehoben. Die offenen Fragen türmen sich seither: Wieso wusste scheinbar nicht nur die Presse über die bevorstehende Razzia. Auch Maximlian Eger, einer der ehemaligen Bundeswehroffiziere, die sich nun als Verschwörer verdingten, scheint vorher über die Polizeimaßnahme im Bild gewesen zu sein. So gab seine Nachbarin bekannt, er habe sich tags zuvor aus dem Urlaub bei ihr gemeldet, und sie von einem Polizeieinsatz in Kenntnis gesetzt. Die Frage nach Lücken bei den Untersuchungsorganen ist demnach angebracht.

Auch das Verhalten des KSK ist mehr als fraglich. Angeblich habe man den aktiven Soldaten in den Reihen der Einheit, der sich dem Kreis um Heinrich XIII. angeschlossen hatte, schon lange im Visier gehabt – geschehen ist hingegen lange nichts. Erst die Ermittlungen gegen die Gruppe um Heinrich XIII. ließen die Behörden auch gegen den KSK-Soldaten vorgehen.

Verfügte die Gruppe bereits über ein Arsenal an Schusswaffen? Wenn ja, wo waren die Quellen? Wo sind die Waffen hin, die von Pescatore in den 1990er Jahren beiseite geschafft hat? Wie weit waren Unterstützende und Helfende in die Pläne eingeweiht? Auf welche Kräfte wollte sich die Gruppe um Heinrich XIII. beim Aufbau der 280 Heimatschutzkompanien stützen?

Selbst in die Hand nehmen

Schon beim Skandal um die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) war die Aufklärung – trotz aller Versprechen – äußerst lückenhaft.

Soll das jetzt anders werden, müssen Gewerkschaften und Linke die Aufklärung selbst in die Hand nehmen: Die Regionen, in denen diese Verschwörer*innen aktiv waren sind bekannt. Man müsste dort Ausschüsse aus Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen, Organisationen von Migrant*innen und Geflüchteten zusammenbringen. Die Ermittlungsbehörden müssten mithilfe von großen Kampagnen dieser Gruppen gezwungen werden ihre Aktenschränke zu öffnen. Die Informationen müssten gemeinsam ausgewertet und diskutiert werden. Und die Öffentlichkeit muss all das erfahren.

Zudem müssen Formationen wie das KSK sofort aufgelöst werden. Auf Reformen braucht man dort nicht zu hoffen.

Es sollte außerdem klar sein: die Bundeswehr (wie auch die Polizei) zieht zahlreiche Rechtsextreme an. Diesen jetzt in Form von Aufrüstungsmaßnahmen wie den hundert Milliarden Euro Sondervermögen noch mehr Waffen in die Hand zu geben ist gefährlich. Das hundert Milliarden Euro schwere Aufrüstungspaket muss gestoppt und das Geld für Pflege, Wohnen, Bildung und den öffentlichen Personennahverkehr ausgegeben werden.

Je mehr der Kapitalismus in die Krise rutscht, desto wahrscheinlicher ist es, dass solche Fälle häufiger auftreten. Eine starke Arbeiter*innenbewegung ist der beste Schutz gegen Putschversuche von rechts. Als 1920 eine Reichswehreinheit gegen die junge Weimarer Republik putschte und die übergroße Mehrheit der Reichswehr sich in Neutralität übte, den Staatsstreich also geschehen ließ, war es ein Generalstreik der Arbeiter*innen, der nicht nur den Putsch in nur drei Tagen scheitern ließ, sondern auch einen neuen Anlauf zu einer sozialistischen Revolution einleitete. Diesen ließ die MSPD-geführte Regierung dann auch mithilfe der Militärs, die gegen den Putsch nichts tun wollten, niederschießen. Das Beispiel bleibt dennoch: Arbeiter*innen stoppten rechtsextreme Putschisten.

Der Kampf gegen die Rechtsextremen aller Schattierungen bedeutet Kampf gegen den Kapitalismus, für eine sozialistische Demokratie, in der wir gemeinsam und demokratisch bestimmten, wofür wir den Reichtum verwenden, den wir alle erwirtschaften.

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