„Kampfbereit wie seit Jahren nicht“

Interview mit Jonas Grampp zur Tarifrunde bei der Deutschen Bahn

Jonas Grampp ist Mitglied der EVG-Ortsjugendleitung Berlin und der Gesamtjugendvertretung der DB Netz AG*. Er ist auch Mitglied der Sol und aktiv in der Bahnvernetzung (einem Kreis von kämpferischen Gewerkschafter*innen aus EVG und GDL, die der VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerklschaften nah stehen). Für die Solidarität sprach mit ihm Sascha Staničić.

Wie kam es zu der vergleichsweise hohen Forderung der EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) für die anstehende Tarifrunde?

2021 ist die EVG mit der Unternehmensleitung das „Bündnis für unsere Bahn“ eingegangen und hat einer Tarifeinigung zugestimmt, die für die Beschäftigten Reallohnverluste bedeutete. Vor dem Hintergrund des Einbruchs der Passagierzahlen im Fernverkehr hatte die Geschäftsleitung mit Entlassungen gedroht und die EVG-Führung hat Beschäftigungssicherung mit Reallohnverzicht erkauft anstatt zu kämpfen und noch nicht einmal eine breite Diskussion in der Belegschaft dazu organisiert. Das hat bei vielen Kolleginnen und Kollegen zu großer Frustration geführt und dementsprechend hoch war vor dieser Tarifrunde der Druck von der Basis. Hinzu kommt der Druck, den die Existenz der GDL ausübt – die Gefahr, dass Mitglieder zur GDL abwandern hängt wie ein Damoklesschwert über der EVG-Führung. Viele Kolleginnen und Kollegen sagten vor dieser Tarifrunde, wenn es nicht wenigstens zehn Prozent mehr gibt, ist die EVG Geschichte. In gewisser Hinsicht hatte die, ja nicht gerade als besonders kämpferisch bekannte, EVG-Führung keine andere Wahl, als diesmal eine hohe Forderung aufzustellen und einen kämpferischen Ton anzuschlagen.

Wie ist denn gerade die Stimmung in der Belegschaft?

So kämpferisch wie seit Jahren nicht. Es gibt auf jeden Fall eine hohe Streikbereitschaft und eine hohe Erwartungshaltung. Es geht dabei auch nicht nur um den Lohn. Die Arbeitsbedingungen sind mies und viele Kolleginnen und Kollegen wollen dem Arbeitgeber an den Kragen und deutlich machen, dass es so nicht weiter gehen kann. Aber auch die Lohnsituation ist unerträglich. Viele schaffen es nur durch ihre Zulagen auf den gesetzlichen Mindestlohn, es gibt weiterhin ein hohes Ost-West-Gefälle. Deshalb war es auch wichtig, dass die Forderung durch die Festgeldforderung von 650 Euro eine soziale Komponente hat, die die unteren Lohngruppen deutlicher anheben soll. Die Forderung lautet ja zwölf Prozent, aber mindestens 650 Euro. Zwölf Prozent sind das nur für Beschäftigte, die über 5417 Euro brutto verdienen, für ganz viele sind das aber zwanzig bis 25 Prozent. Wichtig ist auch, dass die Laufzeit nur den geforderten zwölf Monaten entsprechen darf, denn viele Kolleginnen und Kollegen haben der reinen Lohnrunde in diesem Jahr nur zugestimmt, um so schnell wie möglich auch bessere Arbeitsbedingungen, wie die Abschaffung der Zwölf-Stunden-Schichten, zu erkämpfen.

Wie sollte denn Deiner Meinung nach die Tarifauseinandersetzung jetzt vorbereitet werden und wie kann man die Forderungen durchsetzen?

In den nächsten Wochen geht es vor allem darum, mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen, ihnen zu erklären, dass ein Streik nötig sein wird, um die Forderungen durchzusetzen und sie darauf vorbereiten und schulen. Dadurch können auch mehr Mitglieder für die Gewerkschaft gewonnen werden.

Viele Beschäftigte erwarten auch, dass es zum Streik kommt und die EVG-Führung schlägt ungewohnt kämpferische Töne an. Der Vorsitzende Martin Burkert betont, dass die Gewerkschaft „bereit ist zu kämpfen“ und dass das Frühjahr „hitzig“ wird. Leider sind bisher für die erste Verhandlungsphase kaum Aktionen und Warnstreiks angekündigt. Anders als bei ver.di in öffentlichen Dienst wird für Warnstreiks bei der EVG auch kein Streikgeld gezahlt, was sich negativ auf die Beteiligung auswirken könnte. Es wird aber damit argumentiert, dass man das Streikgeld brauche, wenn es zum Erzwingungsstreik kommt.

Wichtig ist auch, dass tatsächlich keine Spaltung zugelassen wird. Es wird ja für fünfzig unterschiedliche Unternehmen unter dem Dach der Deutschen Bahn verhandelt. Die Haltung in der Gewerkschaft ist, dass es keinen Abschluss für einzelne Unternehmen geben darf, sondern nur für alle gemeinsam. Wir haben deshalb eine Tarifkommission gewählt, die Vertreter*innen aus allen Bereichen hat. Das ist gut, aber wir brauchen auch eine breite Beteiligung der Beschäftigten im Streik. Nicht nur müssen die Verhandlungen transparent gestaltet werden, sondern es muss regelmäßige Streikversammlungen geben und es darf keinen Abschluss ohne breite Debatte und demokratische Abstimmung geben.

Leider gibt es bisher noch keine Verbindung zu den anderen Belegschaften bei der Post und im öffentlichen Dienst, die sich in Tarifauseinandersetzungen befinden und möglicherweise auch streiken werden. Da müssen wir in allen Gewerkschaften Druck machen, dass es zu gemeinsamen Aktionen kommt.

Wie wird sich das Tarifeinheitsgesetz auswirken?

Das TEG sieht vor, dass in einem Unternehmen nur die stärkste Gewerkschaft tariffähig ist und dementsprechend zum Streik aufrufen kann. Das ist ein Angriff auf das Streikrecht und die Freiheit der Gewerkschaften. Leider haben die Gewerkschaften dagegen keinen ernsthaften Kampf organisiert. Konkret ist das aber in den wenigsten Unternehmen der Bahn ein größeres Problem, da in den meisten Fällen die Mehrheitsverhältnisse zwischen EVG und GDL sehr eindeutig sind. Bei der DB Netz zum Beispiel sind sicher neunzig Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der EVG. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie die S-Bahn in Berlin.

Ich bin dafür, dass die tariffähige Gewerkschaft alle Kolleginnen und Kollegen zum Streik aufruft und die nicht-tariffähige Gewerkschaft dann ihre Mitglieder auch aufruft. Nur gemeinsam sind wir stark! Das ist leider in der EVG bisher nicht die Haltung, aber wir versuchen mit Basismitgliedern beider Gewerkschaften den Gedanken des gemeinsamen Kampfes zu stärken.

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