Wiederholt sich das Corbyn-Phänomen in der Alpenrepublik?
Wir dokumentieren hier eine Stellungnahme der Sozialistischen Offensive (Schwesterorganisation der Sol in Österreich):
Die SPÖ befindet sich in der tiefsten Krise ihres Bestehens. Nicht nur hat sie mehrere Wahlen in Folge deutlich verloren, sie liegt auch in Umfragen hinter der krisengebeutelten ÖVP auf dem dritten Platz! Die permanenten Spannungen zwischen Doskozil und dem hinter Rendi stehenden Flügel haben nun zu einer Mitgliederbefragung geführt, bei der sich bis 24.3. 73 (!) Kandidat/innen zur Wahl gestellt haben.
Tiefe Krise der Sozialdemokratie
Die SPÖ ist mittlerweile auf 140.000 Mitglieder zusammengeschrumpft. Man vergleiche dies mit 700.000 Mitgliedern 1980 oder damit dass die ÖVP gegenwärtig noch 600.000 Mitglieder hat. Selbst die KP hatte unmittelbar nach 1945 mehr Mitglieder. Für die österreichische Sozialdemokratie, die ursprünglich eine der ersten Massenparteien der Arbeiter/innenbewegung darstellte, mit Vorfeldorganisationen auf allen Ebenen, ist dies ein Desaster. Während der Pandemie hat sie 18.000 Mitglieder verloren – vermutlich aufgrund von Todesfällen, da ihre Mitgliedschaft völlig überaltert ist (Durchschnittsalter ist 63). Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Zusammensetzung der Mitgliedschaft der SPÖ ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt oder zumindest die Gefahr besteht. Aber die SPÖ hat auch in weiten Teilen der Arbeiter/innenklasse generell massiv an Unterstützung verloren, wie die Umfragen zeigen. Dieser Niedergang betrifft die Sozialdemokratie international. Das ist der Hintergrund für den Richtungsstreit, der sich in der SPÖ entfaltet hat, und sie sind damit nicht allein. Denn alle Parteien stehen in irgendeiner Art und Weise unter dem Eindruck der tiefen gesellschaftlichen Krise und Polarisierung. Sowohl in SPÖ und ÖVP gibt es Versuche den Niedergang durch ein Setzen auf Populismus und ein Nachahmen der FPÖ aufzuhalten. Das hat zu einer Polarisierung in beiden Parteien geführt. Aber auch in der FPÖ gibt es widersprüchliche Tendenzen, die im Moment durch den Erfolg noch im Hintergrund stehen, aber früher oder später wieder zutage treten werden, wenn sie in die Nähe von Regierungsfunktionen gelangen.
„Holen wir uns unsere Partei zurück“?
Durch die Ankündigung der Mitgliederbefragung und in letzter Instanz der Ankündigung von Andreas Babler, anzutreten, sind in den letzten Tagen viele Menschen (mit Stand 24.3. 9000) der SPÖ beigetreten. Die meisten tun dies ohne Illusionen und sind sich eigentlich im Klaren, dass sie dies nur für die Dauer der Abstimmung tun. Für manche ist es ein letzter Versuch „uns unsere Partei zurückzuholen“. Manche sehen dies als entscheidende Weggabelung. Vielen ist klar, dass wenn dies nicht gelingt, Schlussfolgerungen gezogen werden müssen. Es gibt eine weitere Schicht, die die Ereignisse zumindest mit Spannung beobachtet. Andere haben sich aber bereits von der SPÖ abgewandt.
Grundsätzlich ist es positiv, dass eine Schicht beginnt, jetzt in Aktion zu treten. Aber was bedeutet es, „sich die Partei zurückzuholen“ ? Die SPÖ hat nach dem Zusammenbruch des Stalinismus eine tiefgreifende Veränderung durchgemacht. Sie ist nicht mehr jene Kreiskys in den 70er Jahren. In den 70er Jahren hatte die SPÖ zwar eine pro-kapitalistische Führung, aber es war immer noch eine Partei mit einer Basis in der Arbeiter/innenklasse, die einige Verbesserungen auf dem Rücken des Nachkriegsaufschwungs umsetzen konnte. Heute ist die Partei eine grundlegend andere. Nach dem Zusammenbruch des Stalinismus ist diese Basis in der Arbeiter/innenklasse erodiert und es gab einen starken Rechtsruck, der sich darin ausdrückt, dass 1991 Sozialismus aus dem Namen gestrichen wurde. Die Offensive des Neoliberalismus in den 90er Jahren bis zuletzt hat bedeutet, dass Sozialdemokratische Regierungen in Koalitionen mit der ÖVP in ihrem Versuch den Kapitalismus zu verwalten, Kürzungen und Angriffe auf den Lebensstandard umgesetzt haben. Während die Gewerkschaften mit der FSG noch Teil der SPÖ sind, versuchen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitzen an der Sozialpartnerschaft festzuhalten und Kämpfe zurückzuhalten. Nach drei Jahrzehnten Neoliberalismus, auch unter der Ägide von SPÖ-Regierungen, steht ein großer Teil der Partei vollständig auf dem Boden des Kapitalismus.
Welche Partei brauchen wir in Zeiten multipler Krisen des Kapitalismus?
Wir leben heute in einer Periode der multiplen Krisen des Kapitalismus, mit einer Zuspitzung von Klassenkämpfen auch in Österreich. Das bedeutet, dass die Partei die die Arbeiter/innenklasse als ihre Vertretung braucht, bereit sein muss, mit dem Kapitalismus zu brechen und eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft anzustoßen – sowohl um in Regierungen nicht Vollstrecker von Kürzungen zu sein, wenn das Budget knapp wird (und angesichts der Staatschuldenkrisen wird dies Thema werden) als auch um ein Instrument im Kampf zur Verteidigung der Lebensstandards der Arbeiter/innenklasse zu sein. Wenn die SPÖ in ein solches umgewandelt werden soll, muss die Partei von Grund auf erneuert werden, und müssen jene bürokratischen Cliquen, die die SPÖ im Moment dominieren, in die Schranken gewiesen werden. Dieser Kampf muss sich um ein sozialistisches Programm fokussieren, dass die Überführung der Kommandozentralen der Wirtschaft (u.a. den Energiesektor, aber auch Industrie) in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung beinhaltet, sowie eine demokratische Planung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten anstatt der Herrschaft des Profits. Das braucht auch einen internationalistischen Ansatz, der auf die Solidarität der Arbeiter/innenbewegungen in den verschiedenen Ländern setzt. Das ist die einzige Möglichkeit, um der multiplen Krisen des Kapitalismus Herr zu werden, mit dem Klimawandel umzugehen, mit den sich verschärfenden Spannungen zwischen den Nationalstaaten, sowie der Teuerung, Energiekrise etc.
Von den Erfahrungen in Britannien mit Corbyn lernen
Wie die Erfahrung mit Corbyn in Britannien zeigt, werden diese nicht freiwillig das Feld räumen und mit Sabotage und bürokratischen Tricks versuchen, sich an der Macht zu halten. Das betrifft sowohl die Führung der SPÖ Wien, die hinter Rendi steht, wie auch die Clique um Doskozil. Es muss ein Kampf für ein sozialistisches Programm geführt werden, das die Überführung in öffentliches Eigentum der Kommandozentralen der Wirtschaft (vom Energiesektor bis zur Industrie) unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung beinhaltet. Das kann bedeuten, dass es zu einer Spaltung kommt – denn weder die SPÖ Wien noch der Doskozil-Flügel werden klein beigeben. Davor sollte man keine Angst haben, denn zumindest klärt das die Fronten.
Corbyn hat den rechten Flügel nicht in die Schranken gewiesen, sondern hat die rechte Funktionär/innenschicht an der Parteispitze unberührt gelassen. Er hat die Mandatare nicht einer Neuwahl durch die Basis („mandatory reselection“) unterzogen. Nachdem Corbyn beinahe die 2017er Wahl gewann, führte die herrschende Klasse in Britannien eine fiese Kampagne gegen Corbyn, aber er organisierte keine ernsthaften Kampf dagegen. In der Folge wurde Corbyn an den Rand gedrängt und ausgehebelt. Die neue Labour-Führung unter Keir Starmer unterstützt angesichts der aktuellen Streikbewegungen nicht einmal gewerkschaftliche Forderungen nach höheren Löhnen, sondern sagt, sie müsse neutral bleiben und ruft zu Verhandlungen auf. Nachdem der Starmer-Flügel Corbyn entfernt hatte, machten weder Corbyn noch seine Unterstützer/innen Versuche, aus seiner Bewegung Schritte in Richtung einer neuen Partei zu setzen, obwohl ursprünglich 400.000 von 600.000 Labour Mitgliedern wegen Corbyn der Partei beigetreten waren.
Wir denken nicht, dass es möglich ist, die SPÖ in ihrer gegenwärtigen Verfassung grundlegend zu transformieren. Aber wir wünschen jenen, die die Mitgliederbefragung als einen letzten Versuch in diese Richtung zu nutzen versuchen, dass dies gelingen möge. Allerdings müssen wir die Lehren aus den Erfahrungen mit Corbyn ziehen und uns überlegen, was als nächstes passiert. Was, wenn Babler verliert? Zieht man dann die Schlussfolgerungen, bricht mit der SPÖ und gründet ein neues Projekt? Und was, wenn Babler gewinnt? Welchen Kurs schlägt er ein? Er würde permanent unter Beschuss der SPÖ Wien und Doskozil stehen.
Der Wahlprozess und die Kandidat/innen
Werfen wir einen genaueren Blick auf die Kandidat/innen. In der Mitgliederbefragung haben sich bis zur Deadline am 24.3. 73 Kanditat/innen gemeldet. Schmäh-Kandidaturen wie jene der extremen Rechten (Gerald Grosz, FPÖ Steiermark) wurden wie erwartet nicht zugelassen. Diese versuchen den Wahlprozess lächerlich zu machen, auch wenn er das nicht ist. Es handelt sich um einen realen Kampf, der auch zu einer Klärung der Fronten führen kann.
Die Parteiführung um Ludwig wollte ursprünglich den Kampf möglichst intern halten und auf einen Sonderparteitag beschränken, der in weiten Teilen für sie durch bürokratische Tricks kontrollierbar ist. Doskozil wiederum hat auf die Mitgliederbefragung gesetzt um der innerparteilichen Auseinandersetzung zu entgehen und diesen mit Hilfe von Medien wie der Kronenzeitung über populistische Mittel zu entscheiden – und auch um sich zum Teil innerparteilicher Kontrolle zu erledigen und einen Blankoschein zu erhalten (ähnlich wie Kurz sich diesen 2016 in der ÖVP ausstellen ließ). Beide Seiten sind mit allen bürokratischen Tricks und Wassern gewaschen, wie auch die Debatte um das Prozedere zeigt und bereit, mit harten Bandagen zu kämpfen.
Es werden wohl nicht alle 73 Kandidat/innen zugelassen werden. Die Parteiführung hatte diskutiert, ob Hürden eingezogen werden sollten, das dürfte aber ebenfalls Teil der Debatte zwischen Rendi-Flügel und Doskozil-Flügel sein. Das Präsidium ist gegen Hürden, die Bundesländervertreter/innen im Vorstand dafür. Dazu muss man sagen, dass der Rendi-Flügel wohl mehr Kandidat/innen bevorzugt, um Rendi als stabilen Anker in der Krise darstellen zu können, während dem Flügel um Doskozil wohl weniger Bewerber/innen lieber sind. An bürokratischen Scharmützeln wird es nicht mangeln.
Sie haben aber die Rechnung ohne die Dynamik gemacht, die sich nun entfaltet. Dass sich „einfache Parteimitglieder“ nun aufstellen lassen, könnte einen Prozess widerspiegeln, wo sich normale Leute denken „die tun nix, also muss ich was tun“. Ebenfalls ist es Ausdruck des Misstrauens gegen die Parteibürokratie, gegen die sich einige der neuen Kandidaten aussprachen. Das könnte auch gesamtgesellschaftliche Prozesse widerspiegeln, dass sich viele denken, so kann es nicht weitergehen und wir müssen selbst etwas tun. Das sind positive Anzeichen, die zu begrüßen sind und die zu einem späteren Zeitpunkt erste Schritte in Richtung Entwicklung einer neuen Arbeiter/innenpartei setzen kann.
Babler, Rendi, Doskozil: Welche Haltung in der Migrationsfrage?
Die drei wesentlichen Kontrahenten werden aber Andreas Babler, Rendi und Doskozil sein. Alle drei stehen für einen grundsätzlich prokapitalistischen Kurs, unterscheiden sich aber im Wesentlichen durch die Haltung zur Migrationsfrage. Diese ist gerade jetzt eine Schlüsselfrage, und wird von der FPÖ und der extremen Rechten benutzt, um die Wut über die Probleme, die der Kapitalismus und seine Krise schafft, in Richtung Migrant/innen abzulenken. Babler hat beim Vorzugsstimmenwahlkampf in Niederösterreich 21.000 Vorzugsstimmen erhalten. In Traiskirchen, wo er Bürgermeister ist, hat er ein Ergebnis von 46,6% bei den niederösterreichischen Landtagswahlen im Jänner 2023 erreicht – doppelt so viel wie FPÖ und ÖVP in diesem Ort zusammen. Und das trotz des Asylzentrums in Traiskirchen. Babler zeigt in der Praxis, wie ein antirassistischer Kurs auch am Land erfolgreich sein kann. Er erreicht dies vor allem über soziale Verbesserungen auf lokaler Ebene. Damit ist er als Vertreter des linken Flügels in der SPÖ geschickter darin, dem Rassismus der FPÖ und dem Chauvinismus Doskozils entgegenzutreten, als beispielweise Niki Kowall, der im ZIB3 Interview zu Migration nur sagen konnte, dass das dies die Realität sei, der man sich stellen müsste, „sonst komme man nicht weiter“.
Welche Haltung braucht es zu Rassismus und Migration? Rassismus kann man nicht auf einer rein moralischen Ebene bekämpfen. Man muss das darüber angehen, dass es genug Ressourcen für alle hier lebenden Menschen geben muss und einen gemeinsamen Kampf aller hier lebender Menschen organisieren, damit diese zur Verfügung gestellt werden. Also: Genügend Personal im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Genügend erschwinglicher Wohnraum. Genug Jobs. Dafür müssen Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich umgesetzt werden, das würde sowohl Arbeitslosigkeit wie auch den Fachkräftemangel beheben. Die Gewerkschaften müssen für höhere Löhne und gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen für alle in Österreich lebenden Menschen kämpfen, damit Migrant/innen nicht für Lohndruck eingesetzt werden können. Rassismus hat die Funktion zu spalten und eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Damit lenken Regierungen und Medien von den wahren Verantwortlichen für die sozialen Probleme, die es gibt, ab. So fällt es ihnen auch leichter, Verschlechterungen für Arbeitnehmer/innen umzusetzen. Ein effektiver Kurs gegen Rassismus muss also für Einheit im Kampf, gleiche Rechte und genug Ressourcen stehen. Das tut Babler höchstens in Ansätzen und die SPÖ Wien gar nicht. Doskozil hingegen setzt opportunistisch auf Chauvinismus und Nachgeben gegenüber rassistischen Stimmungen.
Bablers Programm bleibt vage
Abgesehen davon, dass er gegen den chauvinistischen Kurs Doskozils sowie gegen die bürokratischen Cliques um Rendi und Doskozil auftritt, ist Bablers Programm aber sehr vage. Im NÖ Wahlkampf hat es sich auf „Mut haben“ und „Haltung zeigen“ beschränkt. Im ZIB-Interview hatte Babler auf die Frage nach den programmatischen Unterschieden zu Rendi und Kowall ebenfalls nur Phrasen wie „klare Positionierung“, „nicht auf Zuruf von Stimmungen zu reagieren“ – er sagt aber nicht wie diese klare Positionierung aussieht und was seine Positionen sind. Der einzige Punkt, der eine andere Positionierung als Rendi und Doskozil erkennen ließ, war „Nicht Chef von etwas zu sein, sondern Teil einer Bewegung“ – das ist tatsächlich eine andere Herangehensweise als der Top-Down Zugang von Ludwig und Doskozil. Es ist möglich, dass Babler mit der klaren Positionierung eine antirassistische Haltung meinte, das aber nicht offen sagen wollte, da er die öffentliche Diskussion über die Migrationsfrage dann doch scheute. D.h. er arbeitet in Anspielungen in der Hoffnung, dass die Adressat/innen wissen, was er meint, ohne dass er sich deklarieren muss.
Rendi und Ludwig spielen die Frauenkarte, um ihr Programm zu verdecken
Die hinter Rendi stehende SPÖ Wien setzt im Kampf um die Vorsitzwahl letztlich auf das Spiel mit „Identitäten“ – d.h. sie pocht darauf dass Rendi die einzige Frau im Rennen ist, und man sie darum wählen muss wenn man für frauenfreundliche Politik ist. Aber das verdeckt die Tatsache, dass Rendis Programm lediglich jenes der bürokratischen Clique ist, die hinter ihr steht. Ähnlich ist der Zugang dieses Flügels zu Rassismus und Migration. Die SPÖ Wien hat viele Menschen gegen sich aufgebracht durch ihren Umgang mit Wien Energie, das zu 100% im Eigentum der Stadt steht, aber dennoch die Energieraten für die Menschen mehr als verdoppelt hat. Man braucht sich nicht zu wundern, warum viele zur FPÖ überlaufen. Die SPÖ Wien redet sich dabei auf den liberalisierten Energiemarkt aus – sie dürfe die Preise ja nicht niedriger ansetzen. Eine Entliberalisierung des Energiemarkts und eine vollständige Überführung des gesamten Energiesektors in öffentliches Eigentum fordert die SPÖ Wien aber nicht. Die SPÖ Wien könnte auch ähnlich wie die KP Graz die Mieten in den Gemeindebauten geringer anheben (die KP wird die Mieten nur um 2% erhöhen und nicht um 8,6% wie vom Bund geplant) – das tut sie aber nicht. Ludwig und die Clique um ihn verhält sich Rendi gegenüber übrigens genauso chauvinistisch und sexistisch wie Doskozil – nur auf andere Weise, nämlich indem sie sie vorschieben und benutzen, um mit der Frauenkarte die Wahl zu gewinnen. Der Flügel um Ludwig steht jedenfalls nicht für Erneuerung, sondern nur für eine Verlängerung des Status Quo.
Doskozils Populismus
Der Populismus Doskozils lehnt sich zum Teil an Sahra Wagenknecht an, hat allerdings auch seine lokalen Eigenheiten. Er ergreift in manchen Punkten korrekte und fortschrittliche Maßnahmen, wie z.B. den Neuaufbau eines öffentlichen Busverkehrs im Burgenland. Andere Maßnahmen gehen in die falsche Richtung. Die SPÖ Wien greift Doskozils Wirtschaftspolitik unter dem Stichwort „Doskonomics“ scharf an. Elemente dieser Kritik sind stichhaltig, aber nicht alle.
Gehen wir einige dieser Maßnahmen Punkt für Punkt durch:
-Das Gehalt für pflegende Angehörige bedeutet keinen Fortschritt, da diese weiterhin diese Arbeit unausgebildet und zuhause isoliert leisten müssten. Stattdessen sollte Pflege von gut ausgebildeten, gut bezahlten Pflegekräften bei angemessenen Arbeitsbedingungen in einem gut finanzierten öffentlichen Pflegesektor geleistet werden. Pflege darf zu Pflegende und ihre Angehörige gleichzeitig nicht in den finanziellen Ruin treiben, dh. diese öffentlichen Leistungen müssten kostenlos sein und das bereits existierende Pflegegeld muss auch erhöht werden.
-Der Mindestlohn im öffentlichen Dienst ist prinzipiell eine gute Sache – die Gewerkschaftsführung stößt sich allerdings daran, da dies an den Kollektivverträgen und damit an der Gewerkschaft als Verhandlerin vorbeigeht. Ein echter Mindestlohn müsste derart gestaltet sein, dass er auch 13. und 14. Gehalt enthält und Mindeststandards enthält über die die Kollektivvertraege dann hinaus gehen können. Er käme damit vor allem den Beschäftigten in jenen Branchen zugute, die im Moment keinen Kollektivvertrag haben. Ein gesetzlicher Mindestlohn und die kollektivvertraglichen Mindestlöhne würden einander so nicht ausschließen, sondern ergänzen – die Gewerkschaften könnten dann auf der Basis eines gesetzlichen Mindestlohns höhere Abschlüsse erzielen. So könnte dies auch den schwächeren Branchen helfen. Es bestünde zwar die Gefahr, dass Arbeitgeber Kollektivverträge aufkündigen könnten, aber diese Gefahr besteht jetzt auch schon (z.B. bei den Druckern) und es muss vor allem ein Kampf dafür geführt werden, dass dies nicht passiert. Doskozil steht dabei aber nicht für eine Erkämpfung dieses Mindestlohns durch gewerkschaftliche Mobilisierungen und Kämpfe, sondern verordnet diesen von oben. Der Mindestlohn ist der Hauptgrund, warum die Gewerkschaftsführung sich gegen Doskozil und hinter Rendi-Wagner stellt. Die Gewerkschaftsführung hätte am liebsten eine große Koalition im Sinne einer Fortsetzung der Sozialpartnerschaft, hier trifft sie sich ebenfalls mit Ludwig.
-Das Modell der Landeswohnungen, die von Mieter/innen als Eigentum erworben werden können, hat starke Kritik von der SPÖ Wien ausgelöst – mit der sie nicht unrecht haben. Denn wenn diese Landeswohnungen nicht mehr in öffentlichem Eigentum sind, können diese teuer vermietet werden und zu einem Steigen der Mieten beitragen, während sie gleichzeitig den Anteil des öffentlichen Wohnbaus verringern. Gleichzeitig hat aber auch die SPÖ Wien in der Vergangenheit solche Modelle verteidigt bzw. betrachtet die SPÖ Wien auch Genossenschaften im Eigentum von SPÖ-Nahen Organisationen als Teil des „Sozialen Wohnbaus“, der sich aber ebenfalls als teilprivat erweist. Die Frage ist also, wer hier im Glashaus sitzt.
-Ebenfalls gemischt sind Doskozils Maßnahmen zur Behebung des Ärztemangels – eine Anhebung der Gehälter im Gesundheitsbereich sind prinzipiell ein guter Ansatz, der auch für die Pflegekräfte gelten müsste. Allerdings bezahlt das Land Medizinstudierenden an der privaten Uni Krems das Studium mit der Auflage, dass diese dann fünf Jahre im Burgenland arbeiten müssen. Stattdessen muss der Unizugang an den öffentlichen Medizinischen Universitäten ein freier sein, ohne Aufnahmeprüfung oder Studiengebühren und die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung müssen derart ausgestaltet sein, dass Beschäftigte im Gesundheitssystem dann in diesem Bereich auch arbeiten wollen.
Doskozil achtet bei jeder dieser Maßnahmen darauf, dass dies nicht in Widerspruch mit den Interessen der Unternehmen kommt. Der Mindstlohn ist z.B. eine Empfehlung für Unternehmen und nicht verpflichtend. Gleichzeitig hat Brigitte Ederer, die als Vertreterin des Management bei Siemens die Sichtweise der Industrie weidergibt, sich auf Seiten der SPÖ Wien gegen Doskozil ins Feld geworfen und seine Maßnahmen kritisiert. Die Almosenpolitik der SPÖ Wien (z.B. in Bezug auf die 200 Euro Direktüberweisungen für Energie und Wohnen) unterscheidet sich jedoch nicht grundlegend sowohl von der Politik des Bundes als auch vom Top-Down Ansatz Doskozils.
Doskozils Taktik ist darauf ausgerichtet, durch eine chauvinistischere Ausrichtung in Kombination mit den genannten Maßnahmen Stimmen von der FPÖ zurückzugewinnen und damit eine Mehrheit für eine Ampelkoalition zu gewinnen. Die Abgrenzung zur FPÖ ist allerdings weniger stark als beim stärker auf urbane Mittelschichten ausgerichteten Rendi/SPÖ-Wien-Flügel. Mit der Befürwortung einer Ampel konnte er auch die Unterstützung von Ampel-Befürworter Christian Kern gewinnen (der allerdings in der Niederösterreich Wahl auch Babler unterstützte, im Vorsitzwahlkampf gerüchtehalber selbst ins Spiel kam und ein etwas unberechenbares Element ist). Das „Bäumchen Wechsel dich“ Spiel von Kern zeigt aber, dass es beim Kampf der verschiedenen Flügel sich im Grunde um taktische Allianzen handelt, die keinen grundlegend verschiedenen Kurs zugrunde haben.
Wie weiter?
Egal wie der Wahlprozess nun ausgeht: Es handelt sich um eine tief zerrissene, von Krisen geplagte Partei, die unfähig ist, die tiefe Krise des Kapitalismus zu beantworten. Wenn die SPÖ in Regierungsposition gelangen sollte, egal ob in einer Ampelkoalition oder einer großen Koalition (oder gar rotblau) wird das den Prozess des Niedergangs weiter beschleunigen, da die SPÖ Führung lediglich darauf setzt den Kapitalismus zu verwalten. Und ein Verwalten des Kapitalismus in der Krise bedeutet, Politik gegen Arbeitnehmer/innen umzusetzen. Das gilt für Rendi, Doskozil und Babler. Egal wer von den dreien gewinnt, die Querschüsse zumindest aus den Lagern Doskozil und Rendi werden weitergehen. Wenn Babler gewinnen sollte, wird er sich sogar der Sabotage beider Lager gegenüber sehen.
Das bedeutet, dass die SPÖ früher oder später darauf zusteuert, dass diese Spannungen sie zerreißen, wie das z.B. in Frankreich im Fall der PS passiert ist. Das wäre in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie einmalig, der es bis auf die kurze Periode nach 45, als die KP Teil der Regierung war, ihr stets gelang durch ihre Rhetorik auch die Räume links von ihr zu besetzen und die KP im Grunde zu marginalisieren. Es ist auch möglich, dass sie eine Spaltung abwenden kann, aber je schlechter die Umfragen sind, desto stärker werden diese Spannungen werden. In einer derartigen Situation, wenn es einen Zerfall in einen populistischen und chauvinistischen Teil um Doskozil sowie einen Teil um die urban kleinbürgerlich dominierte SPÖ Wien unter ihrer bürokratischen Führung gibt, und sich vielleicht ein weiterer Teil um Babler und die nun beigetretenen 9000 herauskristallisiert – auf welche Seite stellt sich dann die FSG? Es könnte auch innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaften zu Spannungen kommen. In einer solchen Situation sind die Karten völlig neu geordnet.
Auf Kampf vorbereiten
Auch wenn Babler selbst eine Niederlage akzeptiert und nicht bereit sein sollte, mit der SPÖ zu brechen: Wenn jene, die jetzt beigetreten sind, mit dem Ansinnen die SPÖ zurückgewinnen, in diesem Kampf unterliegen und Doskozil gewinnt – kommt es dann wieder zu Austritten? Oder spaltet sich dieser Flügel organisiert ab? Im Falle Corbyns und der Labour Party in Britannien wurde das verabsäumt. Als Starmer als neuer Anführer von Labour das Programm, mit dem er als Labourvorsitzender gewählt worden war, fallen ließ, eine scharfe Wendung nach rechts vollzog und die Partei von Linken säuberte, hätte Corbyn mit Labour brechen müssen. Corbyn hätte das Potential gehabt, einen bedeutenden Teil der Partei mit sich zu nehmen und die Gründung einer neuen Arbeiter/innenpartei anzustoßen. Wenn es in Österreich zu solch einer Abspaltung kommen sollte, sollte sie auf Basis einer klaren politischen Ausrichtung stehen, eine wirkliche Partei sein und nicht bloß eine Liste um eine Person und vor allem echten Raum für demokratische Debatten geben. Denn in einer solchen Partei sollten Debatten darüber, welches Programm nötig ist, um mit den multiplen Krisen des Kapitalismus umzugehen, Platz finden. Wir treten dafür ein, dass dies ein sozialistisches Programm sein muss, das bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen. Jene, die jetzt der SPÖ beigetreten sind, sollten sich auf diesen Prozess vorbereiten und sich jetzt organisieren – denn mit dem Kurs von Rendi oder Doskozil kann die Partei nicht die Interessen von Arbeitnehmer/innen konsequent vertreten.
Weiterführende Links zu den Lehren aus den Erfahrungen mit Corbyn in Britannien: https://www.socialistparty.org.uk/articles/109527/28-03-2023/starmer-attempts-to-bury-corbynism-unions-must-back-corbyn-to-stand/. https://socialismtoday.org/lessons-from-the-corbyn-experience