„Wie man es nicht machen sollte“

Neuerscheinung im Manifest Verlag: „Nestor Machno“ erzählt die Geschichte seiner Herrschaft

Der Manifest Verlag hat ein Buch über den ukrainischen anarchistischen Führer Nestor Machno veröffentlicht, der im Bürgerkrieg nach der Russischen Revolution eine Partisanenarmee aufbaute, die zeitweilig Teile der Ukraine kontrollierte. Wir sprachen mit dem Verfasser Steve Hollasky.

Die Geschichte um Nestor Machno und die Machnowtschina ist jetzt gut 100 Jahre her. Weshalb gerade jetzt dieses Buch?

Die Frage wie man zu einer befreiten Gesellschaft kommt, ist ja eine, die viele Menschen immer wieder beschäftigt. In einer Zeit, in der der Kapitalismus eine multiple Krise durchlebt, und man sehen kann, dass er Armut, Flucht, Kriege und Klimakatastrophe bedeutet, stellt sich die Frage, welche Gesellschaft den Kapitalismus ersetzen kann und wie wir diese erreichen können.

Nun sagst Du ja aber auch, dass Machno eben nicht für diese befreite Gesellschaft stand.

Im Grunde genommen liefert er eine Blaupause, wie man es nicht machen sollte. Schaut man sich die anarchistische Literatur an, dann wird Machnos Herrschaft vielfach hochgehalten. Für den Kampf für eine Gesellschaft, in der der Kapitalismus abgeschafft sein wird und in der wir alle demokratisch über den kollektiv erwirtschafteten Reichtum entscheiden werden, hat Machno wenig zu bieten.

Du sprichst von Herrschaft, aber Machno war doch Anarchist. Damit passt doch der Begriff der Herrschaft gar nicht zusammen.

Interessant ist aber auch, dass Machno unter einer herrschaftsfreien Gesellschaft scheinbar eine Gesellschaft verstanden hat, die beispielsweise auch über einen Geheimdienst verfügt hat, der nicht selten Gegner*innen im eigenen Lager bekämpft hat. Sein oberster Kriegsrat wurde nicht etwa gewählt, sondern von ihm eingesetzt und auch Arbeiter*innenorganisationen durften sich selbst dann, wenn sie sich klar für die Revolution ausgesprochen hatten, häufig nicht frei betätigen und wurden in den Untergrund gezwungen. Gerade die Bolschewiki konnten ein Lied davon singen.  

Die Machnowtschina war keine befreite Gesellschaft, sie ächzte unter einem autokratischen Staat.

Waren diese Entwicklungen in der Persönlichkeit Machnos begründet?

Sicherlich zum Teil. Machno wird häufig als jähzornig und vor allem unter dem Einfluss von Alkohol als unberechenbar geschildert. Seine Geltungssucht ist deutlich erkennbar, wenn man bedenkt, dass er sich „Batiko“, also „Führer“, nennen ließ und seine Herrschaft nach ihm benannt als  „Machnowtschina“ bezeichnet wurde.

Aber die Wahrheit ist auch, dass diese Eigenschaften nicht zuletzt durch seine schwierige Kindheit, den Druck der Verfolgung durch die zaristischen Behörden und die schlimmen Erlebnisse während der Haftzeit geprägt wurden. Und wenn wir ehrlich sind, bringen wir alle charakterliche Schwächen mit in den Kampf gegen den Kapitalismus ein. Das mag verhängnisvoll sein, ist aber nicht zuletzt ein Ergebnis der Sozialisierung in dieser Gesellschaft.

Muss der Versuch, den Kapitalismus zu stürzen so enden, wie in der Machnowtschina?

Nein, das denke ich nicht. Wir haben wie gesagt allesamt menschliche Schwächen. Auch deshalb braucht es eine kämpferische, demokratische und sozialistische Partei, die uns alle und unsere Handlungen der Kritik aussetzt, in der ein revolutionäres Programm und konkrete Handlungen und Aktionen diskutiert werden. Und in der nicht wie bei Machno irgendwelche Strukturen Macht haben, die unkontrollierbar sind. Ganz im Gegenteil: Solche Strukturen müssen durch jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit und durch Rechenschaftspflicht kontrollierbar sein, Funktionär*innen dürfen nur einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn verdienen.

Zudem braucht es auch gesellschaftlich demokratische Strukturen der Unterdrückten, die eine Revolution tragen, für die dasselbe zählt. Würden jetzt im Iran flächendeckend Räte entstehen, wäre das ein großer Schritt nach vorn. Die Bolschewiki wollten genau solche Strukturen aufbauen, aber Bürger*innenkrieg und Bürokratisierung verhinderten das.

Solche demokratischen Strukturen hat Machno nicht geduldet, ja sogar mehrmals deren Aufbau in dem von ihm beherrschten Gebiet verhindert. Das führte letzten Endes auch dazu, dass seine schwierige Persönlichkeit den Charakter der Machnowtschina derart prägte.