Gewerkschaftsaufbau bei den Leipziger Verkehrsbetrieben
Interview mit Marco Hamann (links im Bild), Beschäftigter bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) und Mitglied der Bezirklichen Arbeitskampfleitung des öffentlichen Diensts*
Ihr habt bei den Warnstreiks eine sehr gute Beteiligung der Kolleg*innen gehabt und einige sehr kämpferische Streiks durchgeführt. Wie war die Situation im Betrieb und wie habt ihr es geschafft, so eine große Unterstützung aufzubauen?
Einerseits gibt es eine große allgemeine Unzufriedenheit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung und der niedrigen Löhne (wir haben den schlechtesten Nahverkehrstarifvertrag bundesweit). Verschärft wurde diese Situation durch die heftige Inflation und den Umstand, dass in mehreren Verkehrsbetrieben in Sachsen die Zahlung des sog. Inflationsausgleichs vereinbart wurde. In Leipzig (und Plauen) jedoch stellte sich die Geschäftsführung quer. Gleichzeitig hat sich ver.di durch katastrophales Handeln ehemaliger Funktionäre in der Vergangenheit und handzahme Auseinandersetzungen ohne größere Mobilisierung und Streiks viel Ansehen verspielt. Der Organisationsgrad war deshalb vor dem Streik verglichen mit anderen Verkehrsbetrieben sehr niedrig, das Vertrauen in gewerkschaftliche Aktion gering. ver.di hat Geld in die Hand genommen und vier Organizer eingestellt, mit deren Hilfe Strukturen und Kommunikationskanäle in den verschiedenen Betriebsteilen aufgebaut wurden. Mit Unterstützung des hauptamtlichen Apparates wurde der Kampf in der Folge von den Kolleg*innen (von denen viele übrigens neu oder wieder eingetreten sind) mittels so genannten Arbeitsstreiks organisiert. Das hat ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entwickelt, wie es in den üblichen Tarifritualen hier zulande kaum vorkommt. Innerhalb weniger Wochen haben sich hunderte KollegInnen neu organisiert und die Beteiligung an den Streiks wuchs.
Erst wurde von der Verhandlungsführung viel über Erzwingungsstreiks gesprochen. Wie können die Forderungen voll durchgesetzt werden?
Von Seiten der ver.di-Hauptamtlichen müsste jetzt weiter mit Mut und Initiative vorangeschritten werden. Damit wurden zweifelnde Kolleg*innen mitgerissen und wir haben gesehen, dass die vorhandene Unsicherheit hinsichtlich unserer Stärke unberechtigt war. Es müsste jetzt eine Strategie erarbeitet werden, wie wir insbesondere die Bereiche noch besser aufstellen, die am durchsetzungsfähigsten sind.
Während der Warnstreiks haben sich bundesweit 500.000 Kolleg*innen an Streiks beteiligt, mit 70.000 Neueintritten verzeichnete ver.di einen historischen Zuwachs in diesem Jahr. Einige Kolleg*innen wurden vor Ort trotzdem davon verunsichert, dass die Kampfkraft nicht ausreichen würde. Was entgegnet man darauf?
Es stimmt, wir sind im öffentlichen Dienst weiter schlecht aufgestellt. Und auch ver.di ist eine Organisation ohne eine wirklich klassenkämpferische Ausrichtung. Die Hauptamtlichen sind an ein gemütliches Verwalten von Tarifauseinandersetzungen gewohnt. Hier liegt auch das Problem: Wenn von der Seite der Hauptamtlichen Beschwichtigung kommt, dann wird die Streikfront zusammenbrechen. Das wird zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung und es liegt durchaus auch in der Hand der Gewerkschaft die Durchsetzungsfähigkeit zu steigern, indem die Belegschaften überall auf Kampf eingestellt werden. Denn wirklich zufrieden sind mit dem aktuellen Ergebnis vermutlich nur die wenigsten. Aber was wir jetzt brauchen ist eine ganz andere Rahmung: Was wir gerade aufbauen – und zwar im Kampf aufbauen – ist eine Gewerkschaftsbewegung, die ein Wert für sich ist. Dass wir nämlich für unsere Sache, auch für unsere Würde, gemeinsam und solidarisch einstehen. Dass wir uns nicht mehr gefallen lassen, womit sie uns abspeisen.
In verschiedenen Städten wird darüber berichtet, dass die Stimmung am jeweiligen Ort kämpferischer, als im Rest des Landes wäre. Gespräche mit Kolleg*innen aus anderen Städten ergaben aber ein ganz anderes Bild. Wie wichtig ist es jetzt, eine Vernetzung von Kolleg*innen über die Betriebe hinweg aufzubauen, um in ver.di eine offensive Politik zur Durchsetzung der Forderungen zu erreichen?
Die mangelnde Vernetzung der KollegInnen miteinander ist definitiv ein großes Problem und sollte unbedingt angegangen werden. Uns wird gesagt, dieser und jener Betrieb, die springen ab, die sind zufrieden. Wenn aber stellenweise die Belegschaften mutiger und kampfbereiter sind, dann müssen diese Stimmungen auch bei den anderen ankommen.
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