Angriff auf Lehrer*innen

Lehrer*innenstreik in Berlin am 7. Juni 2023

Widerstand gegen Pläne der Kultusministerkonferenz nötig

Die Kultusministerkonferenz (KMK) stellte bereits im Januar Pläne gegen den Lehrkräftemangel vor. Für Lehrer*innen bedeuten sie erhöhte Arbeitsbelastung und für Schüler*innen schlechtere Bildung.

von Sönke Jansen (Lehrer an einer Realschule im Ruhrgebiet und Mitglied der Gewerkschaft GEW), Bochum

Lehrkräftemangel spüren Lehrer*innen täglich: Sie müssen fachfremd unterrichten, was die Unterrichtsvorbereitung erschwert. Vertretungen und eine Flut unterrichtsfremder Tätigkeiten führen zu Stress. Die Klassengrößen werden ausgeschöpft, was individuelle Förderung und Begleitung von Schüler*innen erschwert und die Masse an Korrekturen und Leistungsbewertungen erhöht.

Für das Jahr 2030 wird mit 80.000 bis 155.000 fehlenden Lehrkräften gerechnet. Aktuell haben rund sechzig Prozent der neu eingestellten Kolleg*innen in Berlin keine Lehramtsausbildung.

Unter der Situation leiden auch die Schüler*innen. Überlastete Lehrer*innen schaffen es immer weniger, sich um psychische oder soziale Probleme von Schüler*innen zu kümmern. Unterrichtsausfälle und fachfremd erteilter Unterricht senken die Qualität der Bildung, während Noten- und Prüfungsdruck bestehen bleiben. 

Kürzlich offenbarte eine Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, der IQB-Bildungstrend, dass jede*r fünfte Schüler*in die Grundschule mit massiven Defiziten beim Lesen, Schreiben und Rechnen verlässt.

KMK plant „Notmaßnahmen“

Die Kultusministerkonferenz, der Zusammenschluss der Bildungsminister*innen der Bundesländer, stellte am 27. Januar ein Paket von „Notmaßnahmen“ gegen den Lehrkräftemangel vor. Die Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK, Felicitas Thiel, drohte darin „sehr unpopuläre Maßnahmen“ an.

Die Möglichkeiten für Lehrer*innen in Teilzeit zu arbeiten sollen begrenzt und pensionierte Kolleg*innen aus dem Ruhestand zurückgeholt werden.

Unterrichtsfremde Tätigkeiten, wie die Betreuung von IT-Infrastruktur, sollen an nicht-pädagogisches Personal abgegeben werden. Das wirkt erstmal attraktiv. Doch die Frage ist, unter welchen Bedingungen das passieren würde. Viele Kolleg*innen machen schlechte Erfahrungen mit ihrerseits personell unterversorgten und überlasteten Dienststellen in der Stadtverwaltung oder mit Firmen, die im Rahmen von „Public-private-Partnerships“ Profit anstreben, aber kaum Ressourcen bereitstellen. 

Die Einbeziehung nicht-pädagogischen Personals müsste mit einem ausreichenden Personalschlüssel, unbefristeten tariflichen Arbeitsplätzen und einer engen Verzahnung mit den Kollegien vor Ort einhergehen, um wirklich zu einer Verbesserung der Unterrichtsversorgung zu führen. Privatisierungen müssen dabei ausgeschlossen werden.

Die KMK-Idee, Klassenarbeiten von Studierenden korrigieren zu lassen, wirkt weltfremd. Die Komplexität des Leistungsüberprüfungs- und Korrekturprozesses würde einen absurd hohen Koordinierungsaufwand zwischen Lehrer*innen und externen Korrektor*innen erfordern und kaum Entlastung bringen.

Des Weiteren will die KMK die Obergrenzen für Klassengrößen ausweiten. Aber die Schulklassen sind bereits zu groß, um den individuellen Bedürfnissen von Schüler*innen gerecht zu werden.

Dazu kommt das Vorhaben, „hybride Unterrichtsformate und Selbstlernzeiten systematisch einzuführen“. Sicherlich sollte die Schule Möglichkeiten für selbstständiges und an eigenen Interessen orientiertes Lernen bieten. Aber was hier nach Erziehung zur Selbstständigkeit klingen soll, droht unter den aktuellen Bedingungen – also ohne massive Investitionen in entsprechende, gut und digital ausgestattete Räume in den Schulen mit Betreuung durch Lehrkräfte – für viele Kinder und Jugendliche eine Lernhürde zu werden. Es ist zu befürchten, dass Unterricht zugunsten der sogenannten Selbstlernzeiten gestrichen und durch Heimarbeit ersetzt wird. Während des Distanzunterrichts im Corona-Lockdown hatten gerade Schüler*innen aus Familien mit prekären Arbeitsverhältnissen geringere Bildungserfolge.

Was tun gegen Lehrkräftemangel?

Eine Ursache des Personalmangels ist die ungleiche Bezahlung von Lehrer*innen nach Schularten.  Die Forderung „Besoldungsgruppe A13 für alle“ bleibt deshalb aktuell.

Bereits bei der Lehrer*innenausbildung müssen wichtige Weichen gestellt werden. Gremien aus Studierenden, Lehrenden, Lehrer*innen und Schüler*innen sollten über eine Verbesserung der fachlichen, didaktischen und pädagogischen Ausbildung beraten und diese bedarfsgerecht planen. Eine elternunabhängige Grundsicherung von 700 Euro plus Warmmiete für Studierende würde es mehr jungen Menschen ermöglichen, ein Lehramtsstudium erfolgreich zu absolvieren.

Die geplanten Angriffe auf Teilzeitregelungen und Klassengrößen würden noch mehr Menschen davon abschrecken, an der Schule zu arbeiten. Stattdessen brauchen wir eine spürbare Verkürzung der zu leistenden Unterrichtsstunden und Klassen von maximal 15 Schüler*innen. Die von Streiks begleitete Kampagne für kleinere Klassen der GEW Berlin geht in die richtige Richtung und sollte ein bundesweites Vorbild sein!

Die GEW-Onlinepetition „#MehrLehrkräfte!“ wurde schon von über 100.000 Menschen unterzeichnet. Doch die GEW müsste das Thema Personalmangel verstärkt in die Kollegien tragen und in die Offensive gehen. Denkbar wären Informationsbroschüren über die geplanten Angriffe der KMK, ein gewerkschaftliches Gegenprogramm sowie Informations- und Diskussionsveranstaltungen an den Schulen, in denen sich Kolleg*innen über Forderungen austauschen und Proteste planen könnten. Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder im Herbst bietet eine Gelegenheit, den Widerstand gegen die Pläne der KMK zum Gegenstand von Arbeitskämpfen der angestellten Lehrer*innen mit solidarischer Unterstützung der verbeamteten Kolleg*innen zu machen.

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